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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Zeit und Stunde verging in tiefer Einsamkeit. Der Meerstreif rauschte in
der Ferne mit eintöniger Gewalt. Die Strandhalme zitterten, und die kleinen,
blauen Skabiosen nickten drollig und hastig im Winde.

Frau Hartje war ermüdet niedergekniet und hatte das kirschrote Tuch, das
sie lose um die Schultern gewunden, über den Sand gebreitet, so daß auch
Hieronymus sich neben sie setzte. Sie hatte in der Einsamkeit ihre feinen
Sandalen noch vollends gelöst, die sie in der Hand trug, so daß ihre schlanken
Füße jetzt im Sande lagen, wie kleine, rosige Tiere. Sie begann die ärmlichen,
blauen Blumen, auch vereinzelte Glockenblumen und ein paar gelbe Ranunkeln
zusammen zu greifen, um sie achtlos und lieblich lächelnd zu einem winzigen
Kranze zu binden. Ihr großer Strandhut barg ganz ihr Gesicht, das voll
eifrigen Ausdrucks war. Ihre jungen Hände waren geschäftig. Sie lachte dazu,
weil eine einzelne Möve lautlos in der hellen Luft über sie hinstrich, dann ein
zweiter und ein dritter schneeweißer Vogel, der ein jeder auch einen lachenden
Laut gab. Die blinkenden Tiere flogen ins weite, blaue Meer hinaus.

Da hatte Hieronymus das Spiel dieser heiligen Hände und das Spiel
dieser kindlich lachenden Seele nicht ansehen können, ohne nicht einmal laut
aufzuseufzen wie in Zerknirschung.

Und Frau Hartjes blaue Augen hatten ihn dabei auch sogleich unsäglich
sehnsüchtig angesehen.

Aber sie hatten ihn dann nur wieder kindlich angelacht.

"Hieronymus van Doorn," begann sie drollig feierlich zu sagen, "ein
Ritter und ein Gottgeweihter ... o ja ... das Menschenherz muß manches
ertragen und darf nicht seufzen!"

So hatte sie gesagt und hatte ihn dann lange angesehen.

Und sie hielt wie eine selige Gnadenmutter noch immer den Kranz dürftiger
blauer Blumen in ihren schlanken Händen.

Und dann hatte sie mit ganz verlorener Seele, wie wenn sie nicht mehr
wüßte, was sie tat, die schimmernden Blumen auf des Priesters Haar sorglich
aufgedrückt.

Denn Hieronymus schwarzer Priesterhut lag im Sande.

Und Harijes feuchtpurpurner Mund stand lange vor Hieronymus ver¬
härmtem Gesicht.

Sie hatte Mühe, den Kranz auf dem Haupte des Priesters zu befestigen.

Und Hieronymus war heimlich zerrüttet.

Aber Hartje lachte wieder nur kindlich und fromm in des Priesters sengende
Augen hinein. Und sie sagte weiter mit feierlicher, glockenheller Stimme: "Nur
der, der den Sieg erringt, bekommt die Krone."

Das hatte Frau Hartje leise in den Wind gesagt und hatte dann Hieronymus
ihrerseits mit tiefer Schwermut lange angesehen, indes aus ihrem jungen
Gesicht die Sommerröte eine Weile auch ganz gewichen war.

(Fortsetzung folgt)




Grenzboten I 1912 81

Zeit und Stunde verging in tiefer Einsamkeit. Der Meerstreif rauschte in
der Ferne mit eintöniger Gewalt. Die Strandhalme zitterten, und die kleinen,
blauen Skabiosen nickten drollig und hastig im Winde.

Frau Hartje war ermüdet niedergekniet und hatte das kirschrote Tuch, das
sie lose um die Schultern gewunden, über den Sand gebreitet, so daß auch
Hieronymus sich neben sie setzte. Sie hatte in der Einsamkeit ihre feinen
Sandalen noch vollends gelöst, die sie in der Hand trug, so daß ihre schlanken
Füße jetzt im Sande lagen, wie kleine, rosige Tiere. Sie begann die ärmlichen,
blauen Blumen, auch vereinzelte Glockenblumen und ein paar gelbe Ranunkeln
zusammen zu greifen, um sie achtlos und lieblich lächelnd zu einem winzigen
Kranze zu binden. Ihr großer Strandhut barg ganz ihr Gesicht, das voll
eifrigen Ausdrucks war. Ihre jungen Hände waren geschäftig. Sie lachte dazu,
weil eine einzelne Möve lautlos in der hellen Luft über sie hinstrich, dann ein
zweiter und ein dritter schneeweißer Vogel, der ein jeder auch einen lachenden
Laut gab. Die blinkenden Tiere flogen ins weite, blaue Meer hinaus.

Da hatte Hieronymus das Spiel dieser heiligen Hände und das Spiel
dieser kindlich lachenden Seele nicht ansehen können, ohne nicht einmal laut
aufzuseufzen wie in Zerknirschung.

Und Frau Hartjes blaue Augen hatten ihn dabei auch sogleich unsäglich
sehnsüchtig angesehen.

Aber sie hatten ihn dann nur wieder kindlich angelacht.

„Hieronymus van Doorn," begann sie drollig feierlich zu sagen, „ein
Ritter und ein Gottgeweihter ... o ja ... das Menschenherz muß manches
ertragen und darf nicht seufzen!"

So hatte sie gesagt und hatte ihn dann lange angesehen.

Und sie hielt wie eine selige Gnadenmutter noch immer den Kranz dürftiger
blauer Blumen in ihren schlanken Händen.

Und dann hatte sie mit ganz verlorener Seele, wie wenn sie nicht mehr
wüßte, was sie tat, die schimmernden Blumen auf des Priesters Haar sorglich
aufgedrückt.

Denn Hieronymus schwarzer Priesterhut lag im Sande.

Und Harijes feuchtpurpurner Mund stand lange vor Hieronymus ver¬
härmtem Gesicht.

Sie hatte Mühe, den Kranz auf dem Haupte des Priesters zu befestigen.

Und Hieronymus war heimlich zerrüttet.

Aber Hartje lachte wieder nur kindlich und fromm in des Priesters sengende
Augen hinein. Und sie sagte weiter mit feierlicher, glockenheller Stimme: „Nur
der, der den Sieg erringt, bekommt die Krone."

Das hatte Frau Hartje leise in den Wind gesagt und hatte dann Hieronymus
ihrerseits mit tiefer Schwermut lange angesehen, indes aus ihrem jungen
Gesicht die Sommerröte eine Weile auch ganz gewichen war.

(Fortsetzung folgt)




Grenzboten I 1912 81
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/249>, abgerufen am 20.10.2024.