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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Die Fremdenrechte in der Türkei

der Verpflichtung, nur 11 Prozent Zoll zu erheben, durch den Krieg befreit ist,
konnte einen Kampfzoll von 100 Prozent schaffen, durch den der italienische
Levantehandel schwer getroffen wurde. Während die Kapitulationsmächte der
türkischen Regierung sonst das Recht absprechen, ohne ihre Zustimmung einen
Fremden auszuweisen, konnten auch jetzt zahlreiche politisch verdächtige Italiener
alsbald nach Kriegsausbruch zum Verlassen des Landes veranlaßt werden. Eine
Massenausweisung dagegen sparte sich die Pforte als politische Maßregel gegen
einen Angriff Italiens vom Agäischen Meere her auf, nachdem die in der ersten
Zeit stark aufsteigende nationalistische Neigung zur Ausweisung von Deutschland
mit Erfolg energisch bekämpft war -- nickt zum Unsegen der Türkei, die mit
dieser harten Maßregel sofort viel von der europäischen Sympathie verloren
hätte. In der letzten Zeit hat die Pforte in dieser Frage wieder einen Anlauf
genommen, indem sie die Italiener aus den Seefestungen des Ägäischen Meeres
ausweisen wollte. Aber auch diesmal gelang es der deutschen Diplomatie in
Konstantinopel, die Ausführung dieses Planes, der besonders für die in Smyrna
ansässigen und meist dort heimischen achttausend Italiener die Vernichtung ihrer
Existenz bedeutet hätte, zu verhindern. Insbesondere wachte dann auch die
deutsche Botschaft darüber, daß die beim Bau der Bagdadbahn mit Erdarbeiten
beschäftigten Italiener im Lande bleiben konnten und gegenüber den Einheimischen
einen genügenden Schutz durch die Behörden erhielten. Auch sonst konnten alle
deutschen Konsulate ihren italienischen Schutzbefohlenen bei ihren meist guten
Beziehungen zu den einheimischen Behörden wirksamen Schutz angedeihen lassen.
Da die Italiener sich plötzlich der wertvollen Kapitulationsrechte beraubt sahen
und diesen Verlust aus Unkenntnis auf den Mangel an konsularischem Schutz
schoben, entstanden infolge ihrer Klagen Vorwürfe gegen die deutschen Schutz¬
behörden. Bei Kennern der Verhältnisse, die alle über die geringe Belästigung
der Italiener in der Türkei erstaunt sind, werden diese Vorwürfe sicherlich keine
Zustimmung finden.

Wie schon oben erwähnt, ist die Frage bedeutsam und schwerwiegend, ob
es Italien bei einem Friedensschlüsse gelingen wird, wieder in den Besitz der
Kapitulationsrechte zu gelangen. Das meiste wird natürlich von der Entwicklung
des Krieges abhängen. Wahrscheinlich wird ein Zolltarifvertrag mit Italien
abgeschlossen werden, während die italienischen Postämter, die erst vor einigen
Jahren durch starken Druck erobert wurden, kaum auf eine Wiedereröffnung
hoffen dürfen. Da auch Österreich-Ungarn beim Ausgleich über Bosnien
und die Herzegowina seinen Verzicht auf die Kapitulationen unter Vorbehalt
der Meistbegünstigung ausgesprochen hat, so dürfte die Türkei in ihrem
Kampfe gegen die Fremdenvorrechte einen weiteren Vorsprung erringen können.




Die Fremdenrechte in der Türkei

der Verpflichtung, nur 11 Prozent Zoll zu erheben, durch den Krieg befreit ist,
konnte einen Kampfzoll von 100 Prozent schaffen, durch den der italienische
Levantehandel schwer getroffen wurde. Während die Kapitulationsmächte der
türkischen Regierung sonst das Recht absprechen, ohne ihre Zustimmung einen
Fremden auszuweisen, konnten auch jetzt zahlreiche politisch verdächtige Italiener
alsbald nach Kriegsausbruch zum Verlassen des Landes veranlaßt werden. Eine
Massenausweisung dagegen sparte sich die Pforte als politische Maßregel gegen
einen Angriff Italiens vom Agäischen Meere her auf, nachdem die in der ersten
Zeit stark aufsteigende nationalistische Neigung zur Ausweisung von Deutschland
mit Erfolg energisch bekämpft war — nickt zum Unsegen der Türkei, die mit
dieser harten Maßregel sofort viel von der europäischen Sympathie verloren
hätte. In der letzten Zeit hat die Pforte in dieser Frage wieder einen Anlauf
genommen, indem sie die Italiener aus den Seefestungen des Ägäischen Meeres
ausweisen wollte. Aber auch diesmal gelang es der deutschen Diplomatie in
Konstantinopel, die Ausführung dieses Planes, der besonders für die in Smyrna
ansässigen und meist dort heimischen achttausend Italiener die Vernichtung ihrer
Existenz bedeutet hätte, zu verhindern. Insbesondere wachte dann auch die
deutsche Botschaft darüber, daß die beim Bau der Bagdadbahn mit Erdarbeiten
beschäftigten Italiener im Lande bleiben konnten und gegenüber den Einheimischen
einen genügenden Schutz durch die Behörden erhielten. Auch sonst konnten alle
deutschen Konsulate ihren italienischen Schutzbefohlenen bei ihren meist guten
Beziehungen zu den einheimischen Behörden wirksamen Schutz angedeihen lassen.
Da die Italiener sich plötzlich der wertvollen Kapitulationsrechte beraubt sahen
und diesen Verlust aus Unkenntnis auf den Mangel an konsularischem Schutz
schoben, entstanden infolge ihrer Klagen Vorwürfe gegen die deutschen Schutz¬
behörden. Bei Kennern der Verhältnisse, die alle über die geringe Belästigung
der Italiener in der Türkei erstaunt sind, werden diese Vorwürfe sicherlich keine
Zustimmung finden.

Wie schon oben erwähnt, ist die Frage bedeutsam und schwerwiegend, ob
es Italien bei einem Friedensschlüsse gelingen wird, wieder in den Besitz der
Kapitulationsrechte zu gelangen. Das meiste wird natürlich von der Entwicklung
des Krieges abhängen. Wahrscheinlich wird ein Zolltarifvertrag mit Italien
abgeschlossen werden, während die italienischen Postämter, die erst vor einigen
Jahren durch starken Druck erobert wurden, kaum auf eine Wiedereröffnung
hoffen dürfen. Da auch Österreich-Ungarn beim Ausgleich über Bosnien
und die Herzegowina seinen Verzicht auf die Kapitulationen unter Vorbehalt
der Meistbegünstigung ausgesprochen hat, so dürfte die Türkei in ihrem
Kampfe gegen die Fremdenvorrechte einen weiteren Vorsprung erringen können.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/223>, abgerufen am 29.12.2024.