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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Reichsspiegel
"Marokko vor Gericht."

Berliner und Essener Urteile -- Die Marokko-Agitation -- Die unbestreitbaren Tat¬
sachen -- Vcrluschungsversuche -- Dementi des Herrn v. Reibnitz -- Berichtigung
von Loebells

Wie in meineni Prozeß gegen die Post, hat sich auch das Schöffengericht
zu Essen auf eine Beweisaufnahme nicht eingelassen, hat vielmehr alle Beweis¬
anträge zurückgewiesen und mich wegen formaler Beleidigung der Leiter der
Rheinisch-Westfälischen Zeitung zu 300 Mark Geldstrafe verurteilt.

Das Gericht in Essen hat sich aber insofern in Gegensatz zum Berliner
Urteil gestellt, als es den Standpunkt einnimmt, ich hätte die Rheinisch-West¬
fälische Zeitung der Bestechlichkeit zeihen "wollen". Bei dieser für mich schmerz¬
lichen und den Kern meiner Angriffe verschleiernden Sachlage habe ich nur den
Trost, daß zwei preußische Gerichte über ein und denselben Fall verschiedener
Ansicht sein können. In dem Berliner Urteil heißt es wörtlich:

"Aus den wörtlich wiedergegebenen Stellen des Artikels in den Grenzöoten konnte
der Vorwurf entnommen werden, daß die drei genannten Blätter, darunter Die Post, in der
das vaterländische Interesse so nahe berührenden Marvkkoangelegenheit nicht ihre eigene freie
Meinung äußerten, sundein in einer materiellen Abhängigkeit von den an einem deutschen
Landerwerb in Marokko interessierten Gebrüdern Mannesman,: deren einseitige Interessen
verträten und das deutsche Publikum absichtlich irreführten.

Der Privatkläger hat zwar behauptet, daß er einen solchen Vorwurf nicht
habe erheben wollen. Nach der Persönlichkeit des Privntklägers besteht auch
an der Nichtigkeit dieser Erklärung gar kein Zweifel. Aber diese nachträgliche
Erklärung ist für die Beurteilung der in den Grenzboten gemachten Ausführungen belanglos.
Diese Ausführungen, und namentlich die Drohung, .die Fäden bloßzulegen, die die genannten
Blätter mit den Herren Mannesmann verknüpften/ konnten sehr Wohl als der Vorwurf
der materiellen Abhängigkeit von Mannesmann und der Bestechlichkeit aufgefaßt werden.

Das Gericht hat ohne Bedenken angenommen, daß der Angeklagte diesen Vorwurf in
den Worten des Klägers gefunden hat."

Doch das ist, solange von einer Kritik des Verfahrens in einem Presseprozeß
abgesehen wird, eine mehr persönliche Seite der Angelegenheit, die für die Öffent¬
lichkeit nur sekundäres Interesse hat.

Anders steht es mit der sachlichen. Ich habe den Beweis dafür angetreten,
daß Fäden, wie ich sie vom ersten Tage an meinte: nämlich journalistische und




Reichsspiegel
„Marokko vor Gericht."

Berliner und Essener Urteile — Die Marokko-Agitation — Die unbestreitbaren Tat¬
sachen — Vcrluschungsversuche — Dementi des Herrn v. Reibnitz — Berichtigung
von Loebells

Wie in meineni Prozeß gegen die Post, hat sich auch das Schöffengericht
zu Essen auf eine Beweisaufnahme nicht eingelassen, hat vielmehr alle Beweis¬
anträge zurückgewiesen und mich wegen formaler Beleidigung der Leiter der
Rheinisch-Westfälischen Zeitung zu 300 Mark Geldstrafe verurteilt.

Das Gericht in Essen hat sich aber insofern in Gegensatz zum Berliner
Urteil gestellt, als es den Standpunkt einnimmt, ich hätte die Rheinisch-West¬
fälische Zeitung der Bestechlichkeit zeihen „wollen". Bei dieser für mich schmerz¬
lichen und den Kern meiner Angriffe verschleiernden Sachlage habe ich nur den
Trost, daß zwei preußische Gerichte über ein und denselben Fall verschiedener
Ansicht sein können. In dem Berliner Urteil heißt es wörtlich:

„Aus den wörtlich wiedergegebenen Stellen des Artikels in den Grenzöoten konnte
der Vorwurf entnommen werden, daß die drei genannten Blätter, darunter Die Post, in der
das vaterländische Interesse so nahe berührenden Marvkkoangelegenheit nicht ihre eigene freie
Meinung äußerten, sundein in einer materiellen Abhängigkeit von den an einem deutschen
Landerwerb in Marokko interessierten Gebrüdern Mannesman,: deren einseitige Interessen
verträten und das deutsche Publikum absichtlich irreführten.

Der Privatkläger hat zwar behauptet, daß er einen solchen Vorwurf nicht
habe erheben wollen. Nach der Persönlichkeit des Privntklägers besteht auch
an der Nichtigkeit dieser Erklärung gar kein Zweifel. Aber diese nachträgliche
Erklärung ist für die Beurteilung der in den Grenzboten gemachten Ausführungen belanglos.
Diese Ausführungen, und namentlich die Drohung, .die Fäden bloßzulegen, die die genannten
Blätter mit den Herren Mannesmann verknüpften/ konnten sehr Wohl als der Vorwurf
der materiellen Abhängigkeit von Mannesmann und der Bestechlichkeit aufgefaßt werden.

Das Gericht hat ohne Bedenken angenommen, daß der Angeklagte diesen Vorwurf in
den Worten des Klägers gefunden hat."

Doch das ist, solange von einer Kritik des Verfahrens in einem Presseprozeß
abgesehen wird, eine mehr persönliche Seite der Angelegenheit, die für die Öffent¬
lichkeit nur sekundäres Interesse hat.

Anders steht es mit der sachlichen. Ich habe den Beweis dafür angetreten,
daß Fäden, wie ich sie vom ersten Tage an meinte: nämlich journalistische und


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[0203] [Abbildung] Reichsspiegel „Marokko vor Gericht." Berliner und Essener Urteile — Die Marokko-Agitation — Die unbestreitbaren Tat¬ sachen — Vcrluschungsversuche — Dementi des Herrn v. Reibnitz — Berichtigung von Loebells Wie in meineni Prozeß gegen die Post, hat sich auch das Schöffengericht zu Essen auf eine Beweisaufnahme nicht eingelassen, hat vielmehr alle Beweis¬ anträge zurückgewiesen und mich wegen formaler Beleidigung der Leiter der Rheinisch-Westfälischen Zeitung zu 300 Mark Geldstrafe verurteilt. Das Gericht in Essen hat sich aber insofern in Gegensatz zum Berliner Urteil gestellt, als es den Standpunkt einnimmt, ich hätte die Rheinisch-West¬ fälische Zeitung der Bestechlichkeit zeihen „wollen". Bei dieser für mich schmerz¬ lichen und den Kern meiner Angriffe verschleiernden Sachlage habe ich nur den Trost, daß zwei preußische Gerichte über ein und denselben Fall verschiedener Ansicht sein können. In dem Berliner Urteil heißt es wörtlich: „Aus den wörtlich wiedergegebenen Stellen des Artikels in den Grenzöoten konnte der Vorwurf entnommen werden, daß die drei genannten Blätter, darunter Die Post, in der das vaterländische Interesse so nahe berührenden Marvkkoangelegenheit nicht ihre eigene freie Meinung äußerten, sundein in einer materiellen Abhängigkeit von den an einem deutschen Landerwerb in Marokko interessierten Gebrüdern Mannesman,: deren einseitige Interessen verträten und das deutsche Publikum absichtlich irreführten. Der Privatkläger hat zwar behauptet, daß er einen solchen Vorwurf nicht habe erheben wollen. Nach der Persönlichkeit des Privntklägers besteht auch an der Nichtigkeit dieser Erklärung gar kein Zweifel. Aber diese nachträgliche Erklärung ist für die Beurteilung der in den Grenzboten gemachten Ausführungen belanglos. Diese Ausführungen, und namentlich die Drohung, .die Fäden bloßzulegen, die die genannten Blätter mit den Herren Mannesmann verknüpften/ konnten sehr Wohl als der Vorwurf der materiellen Abhängigkeit von Mannesmann und der Bestechlichkeit aufgefaßt werden. Das Gericht hat ohne Bedenken angenommen, daß der Angeklagte diesen Vorwurf in den Worten des Klägers gefunden hat." Doch das ist, solange von einer Kritik des Verfahrens in einem Presseprozeß abgesehen wird, eine mehr persönliche Seite der Angelegenheit, die für die Öffent¬ lichkeit nur sekundäres Interesse hat. Anders steht es mit der sachlichen. Ich habe den Beweis dafür angetreten, daß Fäden, wie ich sie vom ersten Tage an meinte: nämlich journalistische und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/203>, abgerufen am 29.12.2024.