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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Der König

Für die deutsche Zukunft? Für Weib und Kind? Für das Haus Branden¬
burg? Nichts von alledem. Friedrich hat keine Volkskriege geführt sondern
Kabinettskriege. Königskriege könnte man sie nennen. In seiner Person, in
dem wachsenden Vertrauen auf seine unbedingte Voraussicht war für sein Heer
und sein Land jede nötige höhere Rechtfertigung des grausamen Blutvergießens
gegeben. Nur noch einer, der nach ihm kam, hat ähnliches vermocht: Napoleon.
Im Zeitalter Bismarcks waren die Kriege schon etwas grundsätzlich anderes,
eine nationale Angelegenheit, eine politische Volksfrage. Und alle Feldherrnkunst
mußte versagen, wenn die Kunst des Staatsmannes nicht das politische Gewissen
des Volkes zu beteiligen und zu gewinnen verstand.

Es fehlt auch in Friedrichs Kämpfen nicht an schönen Zügen solcher Be¬
teiligung. So, wenn ihm, dessen Staatsschatz leer ist, die märkische Ritterschaft
ein Darlehen von eineinhalb Millionen Talern anbietet. Aber das waren Edel¬
leute, deren Brüder und Söhne das Rückgrat des preußischen Heeres, das
Offizierkorps, bildeten. Man gab das Geld dem König für sein Heer, und auch
fürs Vaterland; aber dies Vaterland war in der Person dieses einzigen Königs
verkörpert, der von sich selber sagte: "Ich rede deutsch wie ein Kutscher."

So verkörpert dieser eine gebrechliche Mensch die Einheit der Monarchie,
die geistige Schlagkraft des Heeres. Er denkt an alles, führt den Oberbefehl,
arbeitet Schlachtpläne aus und leitet die Angriffe, er sichert die Verpflegung,
den Zufluß der Gelder und hält außerdem die europäische Diplomatie in Atem.
Dazwischen gewinnt er noch Zeit, "eine Sintflut von Gedichten" für seine Freunde
zu machen und "Epigramme gegen alle meine Feinde". Mitten im sieben¬
jährigen Kriege, als er Schlesien eben erst vom Feinde gesäubert hat, nimmt
er sich die Mühe, dem Marquis d'Argens genau die Reiseroute von Berlin
nach Breslau auszuarbeiten. "Ich habe," schreibt er dem verwöhnten Fran¬
zosen, "die Stellung von Pferden auf deu Relais, das Heizen der Zimmer und
die Lieferung guter Hühner auf dem ganzen Wege angeordnet. Ihr Zimmer
in Breslau ist mit Tapeten versehen und hermetisch verschlossen. Kein Zug
und kein Geräusch soll Sie belästigen." Auf die Komplimente des Marquis
erwidert er: "Sie köunen sich darauf verlassen, daß Dinge, die aus der Ent¬
fernung so glänzend erscheinen, in der Nähe oft recht klein aussehen."

Er selber weiß genau, wie gewagt seine Unternehmungen sind. Aber er
weiß auch, daß die Stoßkraft seines Mutes, seine beherzte Kraft zum schnellen
Entschluß und die Disziplin seines Heeres, das wie ein lebendiges Kunstwerk
dem leisesten Drucke seines Willens gehorcht, jede Übermacht auf die Dauer
brechen müssen. "Wenn unsere Feinde uns zum Kriege zwingen, gilt es zu
fragen: Wo sind sie? aber nicht: Wieviele sind es?" Vor der Schlacht von
Leuthen ruft er seine Offiziere zusammen und hält ihnen jene klassische An¬
sprache, in der er ihnen die Notwendigkeit erklärt, den dreimal stärkeren Feind
gegen alle Regeln der Kunst anzugreifen. Er weiß, wie man Menschen be¬
handeln muß, um sie emporzureißen. Wir müssen den Feind schlagen, ruft er


Der König

Für die deutsche Zukunft? Für Weib und Kind? Für das Haus Branden¬
burg? Nichts von alledem. Friedrich hat keine Volkskriege geführt sondern
Kabinettskriege. Königskriege könnte man sie nennen. In seiner Person, in
dem wachsenden Vertrauen auf seine unbedingte Voraussicht war für sein Heer
und sein Land jede nötige höhere Rechtfertigung des grausamen Blutvergießens
gegeben. Nur noch einer, der nach ihm kam, hat ähnliches vermocht: Napoleon.
Im Zeitalter Bismarcks waren die Kriege schon etwas grundsätzlich anderes,
eine nationale Angelegenheit, eine politische Volksfrage. Und alle Feldherrnkunst
mußte versagen, wenn die Kunst des Staatsmannes nicht das politische Gewissen
des Volkes zu beteiligen und zu gewinnen verstand.

Es fehlt auch in Friedrichs Kämpfen nicht an schönen Zügen solcher Be¬
teiligung. So, wenn ihm, dessen Staatsschatz leer ist, die märkische Ritterschaft
ein Darlehen von eineinhalb Millionen Talern anbietet. Aber das waren Edel¬
leute, deren Brüder und Söhne das Rückgrat des preußischen Heeres, das
Offizierkorps, bildeten. Man gab das Geld dem König für sein Heer, und auch
fürs Vaterland; aber dies Vaterland war in der Person dieses einzigen Königs
verkörpert, der von sich selber sagte: „Ich rede deutsch wie ein Kutscher."

So verkörpert dieser eine gebrechliche Mensch die Einheit der Monarchie,
die geistige Schlagkraft des Heeres. Er denkt an alles, führt den Oberbefehl,
arbeitet Schlachtpläne aus und leitet die Angriffe, er sichert die Verpflegung,
den Zufluß der Gelder und hält außerdem die europäische Diplomatie in Atem.
Dazwischen gewinnt er noch Zeit, „eine Sintflut von Gedichten" für seine Freunde
zu machen und „Epigramme gegen alle meine Feinde". Mitten im sieben¬
jährigen Kriege, als er Schlesien eben erst vom Feinde gesäubert hat, nimmt
er sich die Mühe, dem Marquis d'Argens genau die Reiseroute von Berlin
nach Breslau auszuarbeiten. „Ich habe," schreibt er dem verwöhnten Fran¬
zosen, „die Stellung von Pferden auf deu Relais, das Heizen der Zimmer und
die Lieferung guter Hühner auf dem ganzen Wege angeordnet. Ihr Zimmer
in Breslau ist mit Tapeten versehen und hermetisch verschlossen. Kein Zug
und kein Geräusch soll Sie belästigen." Auf die Komplimente des Marquis
erwidert er: „Sie köunen sich darauf verlassen, daß Dinge, die aus der Ent¬
fernung so glänzend erscheinen, in der Nähe oft recht klein aussehen."

Er selber weiß genau, wie gewagt seine Unternehmungen sind. Aber er
weiß auch, daß die Stoßkraft seines Mutes, seine beherzte Kraft zum schnellen
Entschluß und die Disziplin seines Heeres, das wie ein lebendiges Kunstwerk
dem leisesten Drucke seines Willens gehorcht, jede Übermacht auf die Dauer
brechen müssen. „Wenn unsere Feinde uns zum Kriege zwingen, gilt es zu
fragen: Wo sind sie? aber nicht: Wieviele sind es?" Vor der Schlacht von
Leuthen ruft er seine Offiziere zusammen und hält ihnen jene klassische An¬
sprache, in der er ihnen die Notwendigkeit erklärt, den dreimal stärkeren Feind
gegen alle Regeln der Kunst anzugreifen. Er weiß, wie man Menschen be¬
handeln muß, um sie emporzureißen. Wir müssen den Feind schlagen, ruft er


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/164>, abgerufen am 27.09.2024.