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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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der Unterricht reißt die Jungen mehr fort. Dazu kommt durch das sehr variierbare
schriftliche Übersetzen in jede sonst oft so tödlich langweilige Grammatikstnnde ein
sehr lebenförderndes Element. Da muß zunächst, wenn der Satz oder die Sätze
besprochen sind, einer oder mehrere an die Tafel gehen und den Text anschreiben,
die anderen müssen dann das Geschriebene auf seine Richtigkeit hin untersuchen
und sind dabei voller Eifer- denn nichts macht einem Schüler mehr Spaß, als
die Möglichkeit, sich seines Könnens bewußt zu werden. Nicht einmal ein fehlender
J-punkt wird dabei übersehen I Selbst das darauf notwendige Reinigen der Tafel ver¬
lebendigt den Unterricht. Jetzt werden dieHefte vorgenommen und die Sätze eingetragen.
Dabei entwickelt sich unter den Jungen ein edler Wettstreit, möglichst als erster fertig
zu werden. Das Vorlesen bringt wieder eine Abwechselung, und endlich läßt der Triumph,
ganz oder fast fehlerlos geschrieben zu haben, die Augen aufleuchten. So ist es bei
der neuen Praxis dem Lehrer möglich, eine große Zahl Schüler wirklich zu beschäftigen,
und das ist für die Unter- und Mittelklassen ein nicht hoch genug zu schätzender Gewinn!
Jeder, der die Psyche des Kindes kennt, wird das zugeben.

Es ließe sich noch viel zugunsten des Erlasses sagen, vor allem vom Stand¬
punkt des dentschen Lehrers aus, der von der lästigen Pflicht befreit ist, wöchent¬
lich -- in den Unterklassen -- ein Diktat schreiben zu lassen und damit seine beste
Zeit zu vergeuden. Doch das würde zu weit ins Spezielle hineinführen. Zum
Schlüsse sei nur noch der Behörde dafür gedankt, daß sie dem Drängen deS
modernen Geistes nachgegeben hat, wofür mir der Extemporale-Erlaß ein deutliches
Symptom zu sein scheint. Hoffentlich werden nun bald auch noch andere große
Aufgaben in Angriff genommen, etwa die Reform des deutschen Unterrichts oder
die Frage der Sonderschulen für Begabte I Die Lehrer aber, die darüber murren,
daß sie nun schon wieder ganz umlernen müssen, seien daran erinnert, daß der
höchste Maßstab für den Wert oder Unwert einer pädagogischen Methode nicht
ihre eigene Gewohnheit und Bequemlichkeit, sondern das Wohl der Schüler ist!




von Gswcild Meyer

Da Schweigen herrscht. Fern klingt erstarrt
Ein letztes Krähenschrein.
Allein mein Schritt klirrt hell und hart
In Nacht und Frost hinein.

Mintermarscb

der Unterricht reißt die Jungen mehr fort. Dazu kommt durch das sehr variierbare
schriftliche Übersetzen in jede sonst oft so tödlich langweilige Grammatikstnnde ein
sehr lebenförderndes Element. Da muß zunächst, wenn der Satz oder die Sätze
besprochen sind, einer oder mehrere an die Tafel gehen und den Text anschreiben,
die anderen müssen dann das Geschriebene auf seine Richtigkeit hin untersuchen
und sind dabei voller Eifer- denn nichts macht einem Schüler mehr Spaß, als
die Möglichkeit, sich seines Könnens bewußt zu werden. Nicht einmal ein fehlender
J-punkt wird dabei übersehen I Selbst das darauf notwendige Reinigen der Tafel ver¬
lebendigt den Unterricht. Jetzt werden dieHefte vorgenommen und die Sätze eingetragen.
Dabei entwickelt sich unter den Jungen ein edler Wettstreit, möglichst als erster fertig
zu werden. Das Vorlesen bringt wieder eine Abwechselung, und endlich läßt der Triumph,
ganz oder fast fehlerlos geschrieben zu haben, die Augen aufleuchten. So ist es bei
der neuen Praxis dem Lehrer möglich, eine große Zahl Schüler wirklich zu beschäftigen,
und das ist für die Unter- und Mittelklassen ein nicht hoch genug zu schätzender Gewinn!
Jeder, der die Psyche des Kindes kennt, wird das zugeben.

Es ließe sich noch viel zugunsten des Erlasses sagen, vor allem vom Stand¬
punkt des dentschen Lehrers aus, der von der lästigen Pflicht befreit ist, wöchent¬
lich — in den Unterklassen — ein Diktat schreiben zu lassen und damit seine beste
Zeit zu vergeuden. Doch das würde zu weit ins Spezielle hineinführen. Zum
Schlüsse sei nur noch der Behörde dafür gedankt, daß sie dem Drängen deS
modernen Geistes nachgegeben hat, wofür mir der Extemporale-Erlaß ein deutliches
Symptom zu sein scheint. Hoffentlich werden nun bald auch noch andere große
Aufgaben in Angriff genommen, etwa die Reform des deutschen Unterrichts oder
die Frage der Sonderschulen für Begabte I Die Lehrer aber, die darüber murren,
daß sie nun schon wieder ganz umlernen müssen, seien daran erinnert, daß der
höchste Maßstab für den Wert oder Unwert einer pädagogischen Methode nicht
ihre eigene Gewohnheit und Bequemlichkeit, sondern das Wohl der Schüler ist!




von Gswcild Meyer

Da Schweigen herrscht. Fern klingt erstarrt
Ein letztes Krähenschrein.
Allein mein Schritt klirrt hell und hart
In Nacht und Frost hinein.

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[0148] Mintermarscb der Unterricht reißt die Jungen mehr fort. Dazu kommt durch das sehr variierbare schriftliche Übersetzen in jede sonst oft so tödlich langweilige Grammatikstnnde ein sehr lebenförderndes Element. Da muß zunächst, wenn der Satz oder die Sätze besprochen sind, einer oder mehrere an die Tafel gehen und den Text anschreiben, die anderen müssen dann das Geschriebene auf seine Richtigkeit hin untersuchen und sind dabei voller Eifer- denn nichts macht einem Schüler mehr Spaß, als die Möglichkeit, sich seines Könnens bewußt zu werden. Nicht einmal ein fehlender J-punkt wird dabei übersehen I Selbst das darauf notwendige Reinigen der Tafel ver¬ lebendigt den Unterricht. Jetzt werden dieHefte vorgenommen und die Sätze eingetragen. Dabei entwickelt sich unter den Jungen ein edler Wettstreit, möglichst als erster fertig zu werden. Das Vorlesen bringt wieder eine Abwechselung, und endlich läßt der Triumph, ganz oder fast fehlerlos geschrieben zu haben, die Augen aufleuchten. So ist es bei der neuen Praxis dem Lehrer möglich, eine große Zahl Schüler wirklich zu beschäftigen, und das ist für die Unter- und Mittelklassen ein nicht hoch genug zu schätzender Gewinn! Jeder, der die Psyche des Kindes kennt, wird das zugeben. Es ließe sich noch viel zugunsten des Erlasses sagen, vor allem vom Stand¬ punkt des dentschen Lehrers aus, der von der lästigen Pflicht befreit ist, wöchent¬ lich — in den Unterklassen — ein Diktat schreiben zu lassen und damit seine beste Zeit zu vergeuden. Doch das würde zu weit ins Spezielle hineinführen. Zum Schlüsse sei nur noch der Behörde dafür gedankt, daß sie dem Drängen deS modernen Geistes nachgegeben hat, wofür mir der Extemporale-Erlaß ein deutliches Symptom zu sein scheint. Hoffentlich werden nun bald auch noch andere große Aufgaben in Angriff genommen, etwa die Reform des deutschen Unterrichts oder die Frage der Sonderschulen für Begabte I Die Lehrer aber, die darüber murren, daß sie nun schon wieder ganz umlernen müssen, seien daran erinnert, daß der höchste Maßstab für den Wert oder Unwert einer pädagogischen Methode nicht ihre eigene Gewohnheit und Bequemlichkeit, sondern das Wohl der Schüler ist! von Gswcild Meyer Da Schweigen herrscht. Fern klingt erstarrt Ein letztes Krähenschrein. Allein mein Schritt klirrt hell und hart In Nacht und Frost hinein.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/148>, abgerufen am 29.12.2024.