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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Reichsspiegel

Economist, das einflußreichste und angesehenste englische Finanzblatt, schon
während der Marokkokrisis mit Nachdruck vertreten, ohne mit dieser Über¬
zeugung durchdringen zu können; es scheint nunmehr aber mit besserem Erfolg
die Lehre zu predigen, daß für zwei so gleichmäßig starke wirtschaftliche Kon¬
kurrenten es vom Standpunkt der geschäftlichen Logik besser ist, sich in das
Geschäft zu teilen, als einen gegenseitigen Vernichtung5kämpf zu führen. Man
kann nicht wissen, ob dieses kaufmännische Prinzip, so richtig es ist und so
konsequent es sonst gerade von den Engländern in geschäftlichen Dingen befolgt
wird, nun auf die Dauer den Regulator der Beziehungen zwischen beiden
Ländern abgeben wird. Garantien für die Zukunft kann es in wirtschaftlichen
Dingen ebensowenig wie in politischen geben. Der Kaufmann bedarf ihrer
anch nicht. Er trifft keine Dispositionen anf lange Hand; ihm genügt es, die
nächste Zukunft überschauen und in sein Kalkül einschließen zu können. Mit
dieser Einschränkung kann die augenblickliche internationale Situation als
zufriedenstellend bezeichnet werden. Dies um so mehr, als gerade jetzt zu
gelegener Zeit die Friedensschalmeien ertönen und mit der nun wohl in Aus¬
sicht stehenden Beendigung des tnvolitanischen Abenteuers sich die Pforten des
Janustempels hoffentlich auf lauge schließen werden.

Der Befriedigung über die allgemeine Lage hat die Börse durch eine regel¬
rechte Hauffe noch vor Jahresschluß Ausdruck gegeben. Ein sehr ungewöhnliches
Vorkommnis, denn in der Regel pflegen sich die Tage zwischen dem Weihnachts¬
fest und Neujahr durch eine große Zurückhaltung auszuzeichnen. Schon die
Geldverhältnisse schieben für gewöhnlich einer spekulative" Bewegung am Jahres¬
schlusse einen Riegel vor. Merkwürdigerweise war es aber diesmal gerade der
Geldmarkt, der den Anstoß zu jener Bewegung gab, obwohl die Ansprüche am
Jahresende alles Maß überschütten. Aber die Reichsbank hatte an dem
Diskontsatz von 5 Prozent festgehalten und sich nicht zu einer Erhöhung
drängen lassen, wenn schon die Lage des Geldmarktes eine solche Maßgabe zu
fordern schien. War doch der Privatdiskont bis zur vollen Höhe der Bankrate
gestiegen, und hatte die Sächsische Bank -- auch ein sehr seltenes Ereignis! --
selbständig, ohne das Vorgehen der Reichsbank abzuwarten, ihren Zinsfuß auf
51/2 Prozent erhöht. Man glaubte daher zu der Schlußfolgerung berechtigt zu
sein, daß die Reichsbank selbst die Ansprüche nur als vorübergehend ansehe
und jedenfalls nicht in ihnen die Folge übermäßiger Kreditwirtschaft erblicke.
Daher wurde die Hoffnung auf den billigen Geldstand des neuen Jahres an
der Börse schleunigst eskomptiert. Die Gestaltung der Geldverhältnisse hat dieser
Auffassung auch recht gegeben. Es hat sich die Erscheinung, welche an den
letzten Quartalen regelmäßig zu beobachten war, wiederholt: außerordentliche An¬
sprüche, ein gewaltiges Anwachsen der Anlagen der Reichsbank, insbesondere
des Wechselkontos, dem entsprechend ein riesiges Anschwellen des Notenumlaufs
und nach dem Überwinden des Termins ein rascher Rückfluß, insbesondere aber
einer mit dem vorherigen Mangel scharf kontrastierende" Geldfiille am offenen


Greuzlwten I 1912 ^
Reichsspiegel

Economist, das einflußreichste und angesehenste englische Finanzblatt, schon
während der Marokkokrisis mit Nachdruck vertreten, ohne mit dieser Über¬
zeugung durchdringen zu können; es scheint nunmehr aber mit besserem Erfolg
die Lehre zu predigen, daß für zwei so gleichmäßig starke wirtschaftliche Kon¬
kurrenten es vom Standpunkt der geschäftlichen Logik besser ist, sich in das
Geschäft zu teilen, als einen gegenseitigen Vernichtung5kämpf zu führen. Man
kann nicht wissen, ob dieses kaufmännische Prinzip, so richtig es ist und so
konsequent es sonst gerade von den Engländern in geschäftlichen Dingen befolgt
wird, nun auf die Dauer den Regulator der Beziehungen zwischen beiden
Ländern abgeben wird. Garantien für die Zukunft kann es in wirtschaftlichen
Dingen ebensowenig wie in politischen geben. Der Kaufmann bedarf ihrer
anch nicht. Er trifft keine Dispositionen anf lange Hand; ihm genügt es, die
nächste Zukunft überschauen und in sein Kalkül einschließen zu können. Mit
dieser Einschränkung kann die augenblickliche internationale Situation als
zufriedenstellend bezeichnet werden. Dies um so mehr, als gerade jetzt zu
gelegener Zeit die Friedensschalmeien ertönen und mit der nun wohl in Aus¬
sicht stehenden Beendigung des tnvolitanischen Abenteuers sich die Pforten des
Janustempels hoffentlich auf lauge schließen werden.

Der Befriedigung über die allgemeine Lage hat die Börse durch eine regel¬
rechte Hauffe noch vor Jahresschluß Ausdruck gegeben. Ein sehr ungewöhnliches
Vorkommnis, denn in der Regel pflegen sich die Tage zwischen dem Weihnachts¬
fest und Neujahr durch eine große Zurückhaltung auszuzeichnen. Schon die
Geldverhältnisse schieben für gewöhnlich einer spekulative« Bewegung am Jahres¬
schlusse einen Riegel vor. Merkwürdigerweise war es aber diesmal gerade der
Geldmarkt, der den Anstoß zu jener Bewegung gab, obwohl die Ansprüche am
Jahresende alles Maß überschütten. Aber die Reichsbank hatte an dem
Diskontsatz von 5 Prozent festgehalten und sich nicht zu einer Erhöhung
drängen lassen, wenn schon die Lage des Geldmarktes eine solche Maßgabe zu
fordern schien. War doch der Privatdiskont bis zur vollen Höhe der Bankrate
gestiegen, und hatte die Sächsische Bank — auch ein sehr seltenes Ereignis! —
selbständig, ohne das Vorgehen der Reichsbank abzuwarten, ihren Zinsfuß auf
51/2 Prozent erhöht. Man glaubte daher zu der Schlußfolgerung berechtigt zu
sein, daß die Reichsbank selbst die Ansprüche nur als vorübergehend ansehe
und jedenfalls nicht in ihnen die Folge übermäßiger Kreditwirtschaft erblicke.
Daher wurde die Hoffnung auf den billigen Geldstand des neuen Jahres an
der Börse schleunigst eskomptiert. Die Gestaltung der Geldverhältnisse hat dieser
Auffassung auch recht gegeben. Es hat sich die Erscheinung, welche an den
letzten Quartalen regelmäßig zu beobachten war, wiederholt: außerordentliche An¬
sprüche, ein gewaltiges Anwachsen der Anlagen der Reichsbank, insbesondere
des Wechselkontos, dem entsprechend ein riesiges Anschwellen des Notenumlaufs
und nach dem Überwinden des Termins ein rascher Rückfluß, insbesondere aber
einer mit dem vorherigen Mangel scharf kontrastierende» Geldfiille am offenen


Greuzlwten I 1912 ^
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[0109] Reichsspiegel Economist, das einflußreichste und angesehenste englische Finanzblatt, schon während der Marokkokrisis mit Nachdruck vertreten, ohne mit dieser Über¬ zeugung durchdringen zu können; es scheint nunmehr aber mit besserem Erfolg die Lehre zu predigen, daß für zwei so gleichmäßig starke wirtschaftliche Kon¬ kurrenten es vom Standpunkt der geschäftlichen Logik besser ist, sich in das Geschäft zu teilen, als einen gegenseitigen Vernichtung5kämpf zu führen. Man kann nicht wissen, ob dieses kaufmännische Prinzip, so richtig es ist und so konsequent es sonst gerade von den Engländern in geschäftlichen Dingen befolgt wird, nun auf die Dauer den Regulator der Beziehungen zwischen beiden Ländern abgeben wird. Garantien für die Zukunft kann es in wirtschaftlichen Dingen ebensowenig wie in politischen geben. Der Kaufmann bedarf ihrer anch nicht. Er trifft keine Dispositionen anf lange Hand; ihm genügt es, die nächste Zukunft überschauen und in sein Kalkül einschließen zu können. Mit dieser Einschränkung kann die augenblickliche internationale Situation als zufriedenstellend bezeichnet werden. Dies um so mehr, als gerade jetzt zu gelegener Zeit die Friedensschalmeien ertönen und mit der nun wohl in Aus¬ sicht stehenden Beendigung des tnvolitanischen Abenteuers sich die Pforten des Janustempels hoffentlich auf lauge schließen werden. Der Befriedigung über die allgemeine Lage hat die Börse durch eine regel¬ rechte Hauffe noch vor Jahresschluß Ausdruck gegeben. Ein sehr ungewöhnliches Vorkommnis, denn in der Regel pflegen sich die Tage zwischen dem Weihnachts¬ fest und Neujahr durch eine große Zurückhaltung auszuzeichnen. Schon die Geldverhältnisse schieben für gewöhnlich einer spekulative« Bewegung am Jahres¬ schlusse einen Riegel vor. Merkwürdigerweise war es aber diesmal gerade der Geldmarkt, der den Anstoß zu jener Bewegung gab, obwohl die Ansprüche am Jahresende alles Maß überschütten. Aber die Reichsbank hatte an dem Diskontsatz von 5 Prozent festgehalten und sich nicht zu einer Erhöhung drängen lassen, wenn schon die Lage des Geldmarktes eine solche Maßgabe zu fordern schien. War doch der Privatdiskont bis zur vollen Höhe der Bankrate gestiegen, und hatte die Sächsische Bank — auch ein sehr seltenes Ereignis! — selbständig, ohne das Vorgehen der Reichsbank abzuwarten, ihren Zinsfuß auf 51/2 Prozent erhöht. Man glaubte daher zu der Schlußfolgerung berechtigt zu sein, daß die Reichsbank selbst die Ansprüche nur als vorübergehend ansehe und jedenfalls nicht in ihnen die Folge übermäßiger Kreditwirtschaft erblicke. Daher wurde die Hoffnung auf den billigen Geldstand des neuen Jahres an der Börse schleunigst eskomptiert. Die Gestaltung der Geldverhältnisse hat dieser Auffassung auch recht gegeben. Es hat sich die Erscheinung, welche an den letzten Quartalen regelmäßig zu beobachten war, wiederholt: außerordentliche An¬ sprüche, ein gewaltiges Anwachsen der Anlagen der Reichsbank, insbesondere des Wechselkontos, dem entsprechend ein riesiges Anschwellen des Notenumlaufs und nach dem Überwinden des Termins ein rascher Rückfluß, insbesondere aber einer mit dem vorherigen Mangel scharf kontrastierende» Geldfiille am offenen Greuzlwten I 1912 ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/109>, abgerufen am 29.12.2024.