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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Reichsspiegel

hältnis des Thronfolgers zu Aehrenthal wie anderseits Aehrenthals zu Conrad
teilweise persönlicher Natur. Und vielleicht gerade deshalb ist an ihren Aus¬
gleich gar nicht zu denken. In Eis und Trans soll es jetzt aber an die
Beratung der Wehroorlagen gehen; wie dringend mindestens eine Erhöhung
des Nekrutenkontingents ist, hat der Kriegsminister ja deutlich genug gesagt.
Und gerade nach dieser Rede ist die Tat doppelt nötig, denn sonst wirkt sie ja
geradezu wie eine Einladung an die Gegner, den wehrlosen Staat zu über¬
fallen. Ob in Ungarn je die Möglichkeit bestand, die Wehrvorlagen
parlamentarisch zu erledigen, mag billig bezweifelt werden; das eine ist aber
sicher, daß die Gegnerschaft gegen den jetzigen Kriegsminister, in dem mau
gleichzeitig den Thronfolger zu treffen hofft, der Opposition den willkommenen
Vorwand gibt, ihre Angriffe zu verstärken und daß anderseits die Regierungs¬
partei bei dem latenten Gegensatz, der zwischen dem Ministerpräsidenten Grafen
Khuen und dem Kriegsminister besteht, in ihrem Eifer, sich für die Wehr-
vorlagen in die Bresche zu stellen, nicht bestärkt wird. Ungarische Blätter
behaupten daher, daß schon die Haupttaguug der Delegationen im März den
Kriegsminister nicht mehr auf seinem Posten sehen werde. Hier ist natürlich
der Wunsch der Vater des Gedankens; der Kriegsminister war nach der
Delegationstagung beim Kaiser, hat ihm offen gesagt, daß er nicht die Gabe
habe, zu diplomatisieren und es auch in Zukunft für seine Pflicht halten werde,
über den Stand der Armee die Wahrheit zu sagen; der Kaiser hat ihn
daraufhin seines vollen Vertrauens versichert. So geht denn das Provisorium
weiter, beide Richtungen arbeiten in: gemeinsamen Ministerium neben- und
gegeneinander, und so wie die Dinge heute stehen, ist die Wahrscheinlichkeit,
daß Graf Aehrenthal zuerst das Feld räumen wird, größer, als ein Scheiden
des Kriegsministers.

In diesen Streit ist in gewisser Art auch das Deutsche Reich einbezogen
worden; ein großer Teil der reichsdeutschen Presse hat sich über die laue
Haltung Österreichs während der Marokkokrise beklagt, und da man
weiß, daß gerade auch der Thronfolger an diesem Verhalten Anstoß nahm,
so trifft der Vorwurf direkt den Grafen Aehrenthal. Die Haltung des Thron¬
folgers einerseits, der reichsdeutschen Presse anderseits hat wieder ihre Rück¬
wirkungen auf die Delegierten. Daß der Sprecher der Christlich-Sozialen,
Baron Fuchs, lediglich den Impulsen seines Herzens gefolgt ist, als er eine
Vertrauenserklärung für den Grafen Aehrenthal ablehnte, ist ganz ausgeschlossen;
der Redner des Nationalverbandes, Lecher, behandelte zwar den Grafen
Aehrenthal ziemlich freundlich und ließ nur sanften Tadel wegen seiner kühlen
Haltung zum Deutschen Reich durchklingen, aber durchaus nicht alle Klub-
genossen stehen auf diesem Standpunkt und bei der Hauptverhandlung der
Delegationen wird dies auch deutlich zum Ausdruck kommen. Der Tscheche
Masaryk spielte auch auf Unstimmigkeiten an, die zwischen dem Grafen Aehren¬
thal und dem deutschen Botschafter v. Tschirschky vorhanden sein sollen.


Reichsspiegel

hältnis des Thronfolgers zu Aehrenthal wie anderseits Aehrenthals zu Conrad
teilweise persönlicher Natur. Und vielleicht gerade deshalb ist an ihren Aus¬
gleich gar nicht zu denken. In Eis und Trans soll es jetzt aber an die
Beratung der Wehroorlagen gehen; wie dringend mindestens eine Erhöhung
des Nekrutenkontingents ist, hat der Kriegsminister ja deutlich genug gesagt.
Und gerade nach dieser Rede ist die Tat doppelt nötig, denn sonst wirkt sie ja
geradezu wie eine Einladung an die Gegner, den wehrlosen Staat zu über¬
fallen. Ob in Ungarn je die Möglichkeit bestand, die Wehrvorlagen
parlamentarisch zu erledigen, mag billig bezweifelt werden; das eine ist aber
sicher, daß die Gegnerschaft gegen den jetzigen Kriegsminister, in dem mau
gleichzeitig den Thronfolger zu treffen hofft, der Opposition den willkommenen
Vorwand gibt, ihre Angriffe zu verstärken und daß anderseits die Regierungs¬
partei bei dem latenten Gegensatz, der zwischen dem Ministerpräsidenten Grafen
Khuen und dem Kriegsminister besteht, in ihrem Eifer, sich für die Wehr-
vorlagen in die Bresche zu stellen, nicht bestärkt wird. Ungarische Blätter
behaupten daher, daß schon die Haupttaguug der Delegationen im März den
Kriegsminister nicht mehr auf seinem Posten sehen werde. Hier ist natürlich
der Wunsch der Vater des Gedankens; der Kriegsminister war nach der
Delegationstagung beim Kaiser, hat ihm offen gesagt, daß er nicht die Gabe
habe, zu diplomatisieren und es auch in Zukunft für seine Pflicht halten werde,
über den Stand der Armee die Wahrheit zu sagen; der Kaiser hat ihn
daraufhin seines vollen Vertrauens versichert. So geht denn das Provisorium
weiter, beide Richtungen arbeiten in: gemeinsamen Ministerium neben- und
gegeneinander, und so wie die Dinge heute stehen, ist die Wahrscheinlichkeit,
daß Graf Aehrenthal zuerst das Feld räumen wird, größer, als ein Scheiden
des Kriegsministers.

In diesen Streit ist in gewisser Art auch das Deutsche Reich einbezogen
worden; ein großer Teil der reichsdeutschen Presse hat sich über die laue
Haltung Österreichs während der Marokkokrise beklagt, und da man
weiß, daß gerade auch der Thronfolger an diesem Verhalten Anstoß nahm,
so trifft der Vorwurf direkt den Grafen Aehrenthal. Die Haltung des Thron¬
folgers einerseits, der reichsdeutschen Presse anderseits hat wieder ihre Rück¬
wirkungen auf die Delegierten. Daß der Sprecher der Christlich-Sozialen,
Baron Fuchs, lediglich den Impulsen seines Herzens gefolgt ist, als er eine
Vertrauenserklärung für den Grafen Aehrenthal ablehnte, ist ganz ausgeschlossen;
der Redner des Nationalverbandes, Lecher, behandelte zwar den Grafen
Aehrenthal ziemlich freundlich und ließ nur sanften Tadel wegen seiner kühlen
Haltung zum Deutschen Reich durchklingen, aber durchaus nicht alle Klub-
genossen stehen auf diesem Standpunkt und bei der Hauptverhandlung der
Delegationen wird dies auch deutlich zum Ausdruck kommen. Der Tscheche
Masaryk spielte auch auf Unstimmigkeiten an, die zwischen dem Grafen Aehren¬
thal und dem deutschen Botschafter v. Tschirschky vorhanden sein sollen.


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[0107] Reichsspiegel hältnis des Thronfolgers zu Aehrenthal wie anderseits Aehrenthals zu Conrad teilweise persönlicher Natur. Und vielleicht gerade deshalb ist an ihren Aus¬ gleich gar nicht zu denken. In Eis und Trans soll es jetzt aber an die Beratung der Wehroorlagen gehen; wie dringend mindestens eine Erhöhung des Nekrutenkontingents ist, hat der Kriegsminister ja deutlich genug gesagt. Und gerade nach dieser Rede ist die Tat doppelt nötig, denn sonst wirkt sie ja geradezu wie eine Einladung an die Gegner, den wehrlosen Staat zu über¬ fallen. Ob in Ungarn je die Möglichkeit bestand, die Wehrvorlagen parlamentarisch zu erledigen, mag billig bezweifelt werden; das eine ist aber sicher, daß die Gegnerschaft gegen den jetzigen Kriegsminister, in dem mau gleichzeitig den Thronfolger zu treffen hofft, der Opposition den willkommenen Vorwand gibt, ihre Angriffe zu verstärken und daß anderseits die Regierungs¬ partei bei dem latenten Gegensatz, der zwischen dem Ministerpräsidenten Grafen Khuen und dem Kriegsminister besteht, in ihrem Eifer, sich für die Wehr- vorlagen in die Bresche zu stellen, nicht bestärkt wird. Ungarische Blätter behaupten daher, daß schon die Haupttaguug der Delegationen im März den Kriegsminister nicht mehr auf seinem Posten sehen werde. Hier ist natürlich der Wunsch der Vater des Gedankens; der Kriegsminister war nach der Delegationstagung beim Kaiser, hat ihm offen gesagt, daß er nicht die Gabe habe, zu diplomatisieren und es auch in Zukunft für seine Pflicht halten werde, über den Stand der Armee die Wahrheit zu sagen; der Kaiser hat ihn daraufhin seines vollen Vertrauens versichert. So geht denn das Provisorium weiter, beide Richtungen arbeiten in: gemeinsamen Ministerium neben- und gegeneinander, und so wie die Dinge heute stehen, ist die Wahrscheinlichkeit, daß Graf Aehrenthal zuerst das Feld räumen wird, größer, als ein Scheiden des Kriegsministers. In diesen Streit ist in gewisser Art auch das Deutsche Reich einbezogen worden; ein großer Teil der reichsdeutschen Presse hat sich über die laue Haltung Österreichs während der Marokkokrise beklagt, und da man weiß, daß gerade auch der Thronfolger an diesem Verhalten Anstoß nahm, so trifft der Vorwurf direkt den Grafen Aehrenthal. Die Haltung des Thron¬ folgers einerseits, der reichsdeutschen Presse anderseits hat wieder ihre Rück¬ wirkungen auf die Delegierten. Daß der Sprecher der Christlich-Sozialen, Baron Fuchs, lediglich den Impulsen seines Herzens gefolgt ist, als er eine Vertrauenserklärung für den Grafen Aehrenthal ablehnte, ist ganz ausgeschlossen; der Redner des Nationalverbandes, Lecher, behandelte zwar den Grafen Aehrenthal ziemlich freundlich und ließ nur sanften Tadel wegen seiner kühlen Haltung zum Deutschen Reich durchklingen, aber durchaus nicht alle Klub- genossen stehen auf diesem Standpunkt und bei der Hauptverhandlung der Delegationen wird dies auch deutlich zum Ausdruck kommen. Der Tscheche Masaryk spielte auch auf Unstimmigkeiten an, die zwischen dem Grafen Aehren¬ thal und dem deutschen Botschafter v. Tschirschky vorhanden sein sollen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/107>, abgerufen am 19.10.2024.