Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.Reichsspiegel gegenwärtig so überaus unbefriedigende politische Situation sich mit einem Schlage günstiger Wir wiesen schon damals darauf hin, daß ein Zusammengehen der schweren Natürlich haben diejenigen Gewerbetreibenden, die von der erneuten Ver¬ Reichsspiegel gegenwärtig so überaus unbefriedigende politische Situation sich mit einem Schlage günstiger Wir wiesen schon damals darauf hin, daß ein Zusammengehen der schweren Natürlich haben diejenigen Gewerbetreibenden, die von der erneuten Ver¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0100" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/320517"/> <fw type="header" place="top"> Reichsspiegel</fw><lb/> <p xml:id="ID_358" prev="#ID_357"> gegenwärtig so überaus unbefriedigende politische Situation sich mit einem Schlage günstiger<lb/> gestalten würde, Wenn die Vertreter der Landwirtschaft jetzt aus eigener Initiative mit Zu¬<lb/> geständnissen in dieser Richtung hervortreten wollten. Leider habe der Abgeordnete Dr, Hahn,<lb/> einer der einflnszrcichsten Führer des Bundes der Landwirte, im Reichstag jede Hoffnung<lb/> auf Entgegenkommen vernichtet, indem er sogar eine Erhöhung der Ergänzung der land¬<lb/> wirtschaftlichen Zölle für unbedingt notwendig erklärte. Dr. Hahn habe auch für jeden, der<lb/> zu hören bzw, zu lesen verstehe, unumwunden zu verstehen gegeben, daß wenn die Erhöhung<lb/> und Ergänzung nicht erfolgen sollte, sich der Bund der Landwirte ebenso wie 1902 mit<lb/> äußerster Feindseligkeit gegen die Industriezölle auflehnen würde."</p><lb/> <p xml:id="ID_359"> Wir wiesen schon damals darauf hin, daß ein Zusammengehen der schweren<lb/> Industrie mit dem Bunde der Landwirte unmöglich sein werde, wenn der<lb/> Landbund fortfährt, einer Verteuerung der Lebensmittel das Wort zu reden.<lb/> Die Schwerindustrie wie überhaupt jede für den Export arbeitende Industrie<lb/> hat unter den Teuerungsverhältnissen schwerer zu leiden als der Großgrund¬<lb/> besitz. Sie bedingen eine außerordentliche Erhöhung der Arbeiterlöhne, unter<lb/> der die Landwirtschaft nicht ganz in demselben Maße zu leiden hat, da sie<lb/> durch Naturalleistungen einen Ausgleich schaffen kann.</p><lb/> <p xml:id="ID_360" next="#ID_361"> Natürlich haben diejenigen Gewerbetreibenden, die von der erneuten Ver¬<lb/> teuerung der Lebensmittelbedürfnisse am meisten betroffen werden sollen, auch<lb/> am stärksten dagegen Protest erhoben, und es sind damit auch alte freihäudlerische<lb/> Ideen an die Oberfläche gekommen, für die die wirtschaftliche Praxis des<lb/> Reiches eigentlich kaum noch einen Boden haben sollte. Man wird sie indessen<lb/> hauptsächlich als Gegengewicht gegen die Übertreibungen der Hochschutzzöllner<lb/> aufzufassen haben und braucht ihnen vorläufig eine weitergehende Bedeutung<lb/> uicht beizumessen. Wichtiger und den HochschutzMnern auch unangenehmer<lb/> sind aber jene Bestrebungen, die mit praktischen Mitteln einen praktischen Aus¬<lb/> gleich suchen. Das sind jene Kreise, die der Hansabund bei sich vereint. Darum<lb/> richtet sich auch die Hauptabwehr der Landbündler nicht gegen die frei¬<lb/> händlerischen Utopisten, sondern gegen diesen Hansabund, dessen Wirksamkeit<lb/> man aber um so eher unschädlich zu machen hofft, je mehr man ihm das Ein¬<lb/> treten für Abschaffung der Zölle unterschiebt. In Wirklichkeit liegt die Sache<lb/> aber^doch etwas anders. Selbst der sreihändlerischer Tendenzen stark verdächtige<lb/> Freisinn hat sich längst auf den Boden der Praxis gestellt, und s)r. Pachnicke<lb/> konnte an: 26. Oktober 1911 im Reichstage erklären, „dem Handelsvertrage<lb/> haben wir zugestimmt und werden unter ähnlicher Voraussetzung auch künftig<lb/> unsere Zustimmung erteilen". Auch Geheimrat Rießer hat bald darauf ausdrück¬<lb/> lich festgestellt, daß der Hansabund für jeden Schutz der Landwirtschaft eintreten<lb/> werde, der sich nur irgendwie rin dem Interesse von Industrie, Gewerbe und<lb/> Handel verträgt, der den Abschluß von Handelsverträgen zuläßt. Bei ähnlichen<lb/> Verhältnissen, wie sie im Jahre 1902 herrschten, würde auch ähnlichen Handels¬<lb/> verträgen zugestimmt werden, und Fehler, wie sie die Caprivischen Handels¬<lb/> verträge ohne Frage enthielten, sollten nicht von neuem begangen werden.<lb/> Hieraus spricht meines Erachtens in erster Linie das gesunde Bestreben, den</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0100]
Reichsspiegel
gegenwärtig so überaus unbefriedigende politische Situation sich mit einem Schlage günstiger
gestalten würde, Wenn die Vertreter der Landwirtschaft jetzt aus eigener Initiative mit Zu¬
geständnissen in dieser Richtung hervortreten wollten. Leider habe der Abgeordnete Dr, Hahn,
einer der einflnszrcichsten Führer des Bundes der Landwirte, im Reichstag jede Hoffnung
auf Entgegenkommen vernichtet, indem er sogar eine Erhöhung der Ergänzung der land¬
wirtschaftlichen Zölle für unbedingt notwendig erklärte. Dr. Hahn habe auch für jeden, der
zu hören bzw, zu lesen verstehe, unumwunden zu verstehen gegeben, daß wenn die Erhöhung
und Ergänzung nicht erfolgen sollte, sich der Bund der Landwirte ebenso wie 1902 mit
äußerster Feindseligkeit gegen die Industriezölle auflehnen würde."
Wir wiesen schon damals darauf hin, daß ein Zusammengehen der schweren
Industrie mit dem Bunde der Landwirte unmöglich sein werde, wenn der
Landbund fortfährt, einer Verteuerung der Lebensmittel das Wort zu reden.
Die Schwerindustrie wie überhaupt jede für den Export arbeitende Industrie
hat unter den Teuerungsverhältnissen schwerer zu leiden als der Großgrund¬
besitz. Sie bedingen eine außerordentliche Erhöhung der Arbeiterlöhne, unter
der die Landwirtschaft nicht ganz in demselben Maße zu leiden hat, da sie
durch Naturalleistungen einen Ausgleich schaffen kann.
Natürlich haben diejenigen Gewerbetreibenden, die von der erneuten Ver¬
teuerung der Lebensmittelbedürfnisse am meisten betroffen werden sollen, auch
am stärksten dagegen Protest erhoben, und es sind damit auch alte freihäudlerische
Ideen an die Oberfläche gekommen, für die die wirtschaftliche Praxis des
Reiches eigentlich kaum noch einen Boden haben sollte. Man wird sie indessen
hauptsächlich als Gegengewicht gegen die Übertreibungen der Hochschutzzöllner
aufzufassen haben und braucht ihnen vorläufig eine weitergehende Bedeutung
uicht beizumessen. Wichtiger und den HochschutzMnern auch unangenehmer
sind aber jene Bestrebungen, die mit praktischen Mitteln einen praktischen Aus¬
gleich suchen. Das sind jene Kreise, die der Hansabund bei sich vereint. Darum
richtet sich auch die Hauptabwehr der Landbündler nicht gegen die frei¬
händlerischen Utopisten, sondern gegen diesen Hansabund, dessen Wirksamkeit
man aber um so eher unschädlich zu machen hofft, je mehr man ihm das Ein¬
treten für Abschaffung der Zölle unterschiebt. In Wirklichkeit liegt die Sache
aber^doch etwas anders. Selbst der sreihändlerischer Tendenzen stark verdächtige
Freisinn hat sich längst auf den Boden der Praxis gestellt, und s)r. Pachnicke
konnte an: 26. Oktober 1911 im Reichstage erklären, „dem Handelsvertrage
haben wir zugestimmt und werden unter ähnlicher Voraussetzung auch künftig
unsere Zustimmung erteilen". Auch Geheimrat Rießer hat bald darauf ausdrück¬
lich festgestellt, daß der Hansabund für jeden Schutz der Landwirtschaft eintreten
werde, der sich nur irgendwie rin dem Interesse von Industrie, Gewerbe und
Handel verträgt, der den Abschluß von Handelsverträgen zuläßt. Bei ähnlichen
Verhältnissen, wie sie im Jahre 1902 herrschten, würde auch ähnlichen Handels¬
verträgen zugestimmt werden, und Fehler, wie sie die Caprivischen Handels¬
verträge ohne Frage enthielten, sollten nicht von neuem begangen werden.
Hieraus spricht meines Erachtens in erster Linie das gesunde Bestreben, den
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