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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Wilhelm v, Humboldt

Amtszeit Hof und Ministerien ihren Sitz hatten, verbrachte er ganze Vormittage
mit Hospitieren, auch in Volksschulen. Gegen Pestalozzis Ideen hatte er zuerst
eine Abneigung; der Aristokrat, des Geistes wie des Blutes, machte sich geltend.
Doch überwand er dieses persönliche Moment und war selbst dafür tätig, die
neue Methode in Preußen einzuführen, indem er einen Schüler Pestalozzis
dorthin berief.

Mit dem allen ist Humboldt zu einem rechten Verständnis für das, was
den erwerbenden und gar den niederen Klassen des Volkes nottat, niemals
gelangt. Von dem eigenen Ideal einer allseitigen, in sich harmonischen Menschen¬
bildung war er so beherrscht, daß er jedem, auch dem Geringsten, einen Anteil
daran zu geben wünschte; nicht der Art, nur dem Grade nach sollte die Bildung
des genuinen Mannes von der des Gelehrten verschieden sein. So stellte die
Sektion den Grundsatz ans: "An Orten, wo es gelehrte Schulen (d. h. solche,
welche den Schulunterricht bis zu seinem Endpunkte führen) geben kann, müssen
keine abgesonderte Bürger-, sondern nur Elementarschulen sein, an Orten hin¬
gegen, wo dies nicht möglich ist, kann und muß es Bürgerschulen geben, welche
indes dann nur die unteren Klassen der von ihnen abgesonderten gelehrten sind."

Bei Durchführung dieses Grundsatzes war es nicht zu vermeiden, daß man
mit den Patronaten in vielfachen Widerspruch geriet, denen ohnehin die von
Humboldt geforderten Verbesserungen einen starken Aufwand nicht nur an Geld
mundeten, sondern auch an Selbstverleugnung. Denn er war nicht gewillt, erhöhte
Leistungen durch vermehrte Rechte zu belohnen. Die städtischen Schulkollegien,
etwa den heutigen Schuldeputationen und Kuratorien entsprechend, erschienen ihm
wie eine störende Zwischeninstanz zwischen der Negierung und den Schulen.
Aus Anlaß eines besonderen Falles schrieb er vertraulich an Friedr. Aug. Wolf:
"Ich denke darauf, die Rechte der Magistrate zu beschränken; es ist sonst kaum
möglich, daß etwas Vernünftiges aus den Gymnasien wird." Ebenso entschlossen
zeigte er sich, wo es darauf ankam, Sonderbestrebungen königlicher Behörden,
z. B. des Joachimsthalschen Schuldirektoriums, des Oberpräsidenten der Provinz
Schlesien, zu unterdrücken. Wenn er in dieser Richtung viel erreichte, so kam
es doch zum guten Teil daher, daß, wer mit ihm zu tun hatte, nicht bloß den
hochgestellten Beamten vor sich sah, sondern den überlegenen Geist empfinden mußte.

Eduard Spranger in seinem verdienstlichen Buche "Wilhelm v. Humboldt
und die Reform des Bildungswesens" (1910) äußert seine Genugtuung darüber,
daß Humboldt in den meisten Fällen mit seinen Ideen der Verstaatlichung und
Zentralisierung Sieger geblieben sei. Dieser Sieg sei um so größer, als er
ihn über sich selbst errungen habe; "der historische Staatsgedanke wußte sich
diesen größten Individualisten zum Diener zu schaffen." Ich vermag diese
Freude nicht ganz zu teilen. Es ist ja wahr: wem Gott ein Amt gibt, dein
gibt er auch bald eine bestimmte Art von Verstand. Aber nun kam es doch
so, daß Humboldt im Grunde ein anderer war, als er, vom staatlichen Getriebe
auch innerlich erfaßt, sich betätigte. Er selbst empfand diesen Widerspruch und


Wilhelm v, Humboldt

Amtszeit Hof und Ministerien ihren Sitz hatten, verbrachte er ganze Vormittage
mit Hospitieren, auch in Volksschulen. Gegen Pestalozzis Ideen hatte er zuerst
eine Abneigung; der Aristokrat, des Geistes wie des Blutes, machte sich geltend.
Doch überwand er dieses persönliche Moment und war selbst dafür tätig, die
neue Methode in Preußen einzuführen, indem er einen Schüler Pestalozzis
dorthin berief.

Mit dem allen ist Humboldt zu einem rechten Verständnis für das, was
den erwerbenden und gar den niederen Klassen des Volkes nottat, niemals
gelangt. Von dem eigenen Ideal einer allseitigen, in sich harmonischen Menschen¬
bildung war er so beherrscht, daß er jedem, auch dem Geringsten, einen Anteil
daran zu geben wünschte; nicht der Art, nur dem Grade nach sollte die Bildung
des genuinen Mannes von der des Gelehrten verschieden sein. So stellte die
Sektion den Grundsatz ans: „An Orten, wo es gelehrte Schulen (d. h. solche,
welche den Schulunterricht bis zu seinem Endpunkte führen) geben kann, müssen
keine abgesonderte Bürger-, sondern nur Elementarschulen sein, an Orten hin¬
gegen, wo dies nicht möglich ist, kann und muß es Bürgerschulen geben, welche
indes dann nur die unteren Klassen der von ihnen abgesonderten gelehrten sind."

Bei Durchführung dieses Grundsatzes war es nicht zu vermeiden, daß man
mit den Patronaten in vielfachen Widerspruch geriet, denen ohnehin die von
Humboldt geforderten Verbesserungen einen starken Aufwand nicht nur an Geld
mundeten, sondern auch an Selbstverleugnung. Denn er war nicht gewillt, erhöhte
Leistungen durch vermehrte Rechte zu belohnen. Die städtischen Schulkollegien,
etwa den heutigen Schuldeputationen und Kuratorien entsprechend, erschienen ihm
wie eine störende Zwischeninstanz zwischen der Negierung und den Schulen.
Aus Anlaß eines besonderen Falles schrieb er vertraulich an Friedr. Aug. Wolf:
„Ich denke darauf, die Rechte der Magistrate zu beschränken; es ist sonst kaum
möglich, daß etwas Vernünftiges aus den Gymnasien wird." Ebenso entschlossen
zeigte er sich, wo es darauf ankam, Sonderbestrebungen königlicher Behörden,
z. B. des Joachimsthalschen Schuldirektoriums, des Oberpräsidenten der Provinz
Schlesien, zu unterdrücken. Wenn er in dieser Richtung viel erreichte, so kam
es doch zum guten Teil daher, daß, wer mit ihm zu tun hatte, nicht bloß den
hochgestellten Beamten vor sich sah, sondern den überlegenen Geist empfinden mußte.

Eduard Spranger in seinem verdienstlichen Buche „Wilhelm v. Humboldt
und die Reform des Bildungswesens" (1910) äußert seine Genugtuung darüber,
daß Humboldt in den meisten Fällen mit seinen Ideen der Verstaatlichung und
Zentralisierung Sieger geblieben sei. Dieser Sieg sei um so größer, als er
ihn über sich selbst errungen habe; „der historische Staatsgedanke wußte sich
diesen größten Individualisten zum Diener zu schaffen." Ich vermag diese
Freude nicht ganz zu teilen. Es ist ja wahr: wem Gott ein Amt gibt, dein
gibt er auch bald eine bestimmte Art von Verstand. Aber nun kam es doch
so, daß Humboldt im Grunde ein anderer war, als er, vom staatlichen Getriebe
auch innerlich erfaßt, sich betätigte. Er selbst empfand diesen Widerspruch und


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[0073] Wilhelm v, Humboldt Amtszeit Hof und Ministerien ihren Sitz hatten, verbrachte er ganze Vormittage mit Hospitieren, auch in Volksschulen. Gegen Pestalozzis Ideen hatte er zuerst eine Abneigung; der Aristokrat, des Geistes wie des Blutes, machte sich geltend. Doch überwand er dieses persönliche Moment und war selbst dafür tätig, die neue Methode in Preußen einzuführen, indem er einen Schüler Pestalozzis dorthin berief. Mit dem allen ist Humboldt zu einem rechten Verständnis für das, was den erwerbenden und gar den niederen Klassen des Volkes nottat, niemals gelangt. Von dem eigenen Ideal einer allseitigen, in sich harmonischen Menschen¬ bildung war er so beherrscht, daß er jedem, auch dem Geringsten, einen Anteil daran zu geben wünschte; nicht der Art, nur dem Grade nach sollte die Bildung des genuinen Mannes von der des Gelehrten verschieden sein. So stellte die Sektion den Grundsatz ans: „An Orten, wo es gelehrte Schulen (d. h. solche, welche den Schulunterricht bis zu seinem Endpunkte führen) geben kann, müssen keine abgesonderte Bürger-, sondern nur Elementarschulen sein, an Orten hin¬ gegen, wo dies nicht möglich ist, kann und muß es Bürgerschulen geben, welche indes dann nur die unteren Klassen der von ihnen abgesonderten gelehrten sind." Bei Durchführung dieses Grundsatzes war es nicht zu vermeiden, daß man mit den Patronaten in vielfachen Widerspruch geriet, denen ohnehin die von Humboldt geforderten Verbesserungen einen starken Aufwand nicht nur an Geld mundeten, sondern auch an Selbstverleugnung. Denn er war nicht gewillt, erhöhte Leistungen durch vermehrte Rechte zu belohnen. Die städtischen Schulkollegien, etwa den heutigen Schuldeputationen und Kuratorien entsprechend, erschienen ihm wie eine störende Zwischeninstanz zwischen der Negierung und den Schulen. Aus Anlaß eines besonderen Falles schrieb er vertraulich an Friedr. Aug. Wolf: „Ich denke darauf, die Rechte der Magistrate zu beschränken; es ist sonst kaum möglich, daß etwas Vernünftiges aus den Gymnasien wird." Ebenso entschlossen zeigte er sich, wo es darauf ankam, Sonderbestrebungen königlicher Behörden, z. B. des Joachimsthalschen Schuldirektoriums, des Oberpräsidenten der Provinz Schlesien, zu unterdrücken. Wenn er in dieser Richtung viel erreichte, so kam es doch zum guten Teil daher, daß, wer mit ihm zu tun hatte, nicht bloß den hochgestellten Beamten vor sich sah, sondern den überlegenen Geist empfinden mußte. Eduard Spranger in seinem verdienstlichen Buche „Wilhelm v. Humboldt und die Reform des Bildungswesens" (1910) äußert seine Genugtuung darüber, daß Humboldt in den meisten Fällen mit seinen Ideen der Verstaatlichung und Zentralisierung Sieger geblieben sei. Dieser Sieg sei um so größer, als er ihn über sich selbst errungen habe; „der historische Staatsgedanke wußte sich diesen größten Individualisten zum Diener zu schaffen." Ich vermag diese Freude nicht ganz zu teilen. Es ist ja wahr: wem Gott ein Amt gibt, dein gibt er auch bald eine bestimmte Art von Verstand. Aber nun kam es doch so, daß Humboldt im Grunde ein anderer war, als er, vom staatlichen Getriebe auch innerlich erfaßt, sich betätigte. Er selbst empfand diesen Widerspruch und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/73>, abgerufen am 23.07.2024.