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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Stanislawski und das Moskaner "Rünstlerischc Theater"

Stanislawski nur da wahrhaft groß erscheint, wo er die Sprache seines Volkes
A, w, redet und wirklich Russe sein darf vom Scheitel bis zur Sohle.




Seit den Zeiten Katharinas der Zweiten wurde in Rußland die Schauspiel¬
kunst mit Liebe und häufig auch großem Verständnis gepflegt; unter Nikolaus
dem Ersten bereits erreichte sie eine Höhe, von der man sich in Westeuropa
keine Vorstellung machen konnte, bekam man doch hier infolge der Ungunst der
äußeren Verhältnisse nichts von ihr zu sehen oder zu hören. Mit Ausnahme
weniger Jahrzehnte des vergangenen Jahrhunderts, als Se. Petersburg deu
Ruhm, die erste Bühne des Landes zu besitzen, für sich in Anspruch nehmen
durfte, war es Moskau, das über die glänzendsten schauspielerischen Kräfte ver¬
fügte. Mit Moskau sind die Namen der großen russischen Bühnenkünstler aufs
engste verknüpft, hier haben ganze Schauspielergenerationen, wie die Samoilows,
Sadowskis und andere, gewirkt und Ruhm geerntet. Es entspricht also der
Tradition, wenn auch das moderne russische Theater hier zu Hause ist, wenn
auf der Bühne des Moskaner "Künstlerischen Theaters" und in der Person
seines Schöpfers Stanislawski höchstes mimisches Können sich offenbart.

Stanislawski und sein "Künstlerisches Theater" sind nicht mehr voneinander
zu trennen. Das sah man deutlich im vorigen Herbste, als er lebensgefährlich
am Typhus erkrankte. Es schien damals nicht nur dem großen Publikum,
sondern auch seinen Mitarbeitern und Schülern, daß mit seinem Fortgang auch
sein Werk, wenigstens in der bestehenden Form, zusammenbrechen müsse. So
heißt denn auch Stanislawskis Leben beschreiben die Geschichte des Moskaner
Künstlerischen Theaters erzählen, obgleich er selbst persönlich und grundsätzlich,
im Gegensatz zu anderen berühmten Mimen, niemals bestrebt gewesen ist, in
den Vordergrund zu treten, sondern immer nur als ein Glied in der Kette
von Kameraden wirken wollte, die in geeinter Kraft gemeinsamem, hohem künst¬
lerischen Ziele zustreben.

Stanislawskis bürgerlicher Name lautet Alexejew. Sein Großvater väter¬
licherseits war ein Bauer aus dem Gouvernement Jaroslaw, dessen Bewohner
wegen ihrer Tüchtigkeit und Begabung bekannt sind. Seine Mutter
stammte von einer Französin, die als Schauspielerin an der französischen Bühne
des kaiserlichen Michaeltheaters in Se. Petersburg wirkte, auf der auch heute
noch eine französische Truppe auftritt. Vou dieser Großmutter rührt augen¬
scheinlich die schauspielerische Begabung her, die sich auf drei der zahlreichen
Enkel vererbt hat: Stanislawskis ältester Bruder wirkt als begabter Regisseur
an der hervorragenden Siminschen Privatoper in Moskau, seine verheiratete
Schwester Smalte leitete viele Jahre mit größtem Erfolge auf dem Gute ihres
Gatten ein Theater, auf dem einfache russische Bauern für ihre Dorfgenosfen
spielten. Nachdem Stanislawski das Gymnasium absolviert hatte, an das er,
wie so viele Russen, nicht ohne Haß zurückdenken kann, mußte er auf Wunsch


Stanislawski und das Moskaner „Rünstlerischc Theater"

Stanislawski nur da wahrhaft groß erscheint, wo er die Sprache seines Volkes
A, w, redet und wirklich Russe sein darf vom Scheitel bis zur Sohle.




Seit den Zeiten Katharinas der Zweiten wurde in Rußland die Schauspiel¬
kunst mit Liebe und häufig auch großem Verständnis gepflegt; unter Nikolaus
dem Ersten bereits erreichte sie eine Höhe, von der man sich in Westeuropa
keine Vorstellung machen konnte, bekam man doch hier infolge der Ungunst der
äußeren Verhältnisse nichts von ihr zu sehen oder zu hören. Mit Ausnahme
weniger Jahrzehnte des vergangenen Jahrhunderts, als Se. Petersburg deu
Ruhm, die erste Bühne des Landes zu besitzen, für sich in Anspruch nehmen
durfte, war es Moskau, das über die glänzendsten schauspielerischen Kräfte ver¬
fügte. Mit Moskau sind die Namen der großen russischen Bühnenkünstler aufs
engste verknüpft, hier haben ganze Schauspielergenerationen, wie die Samoilows,
Sadowskis und andere, gewirkt und Ruhm geerntet. Es entspricht also der
Tradition, wenn auch das moderne russische Theater hier zu Hause ist, wenn
auf der Bühne des Moskaner „Künstlerischen Theaters" und in der Person
seines Schöpfers Stanislawski höchstes mimisches Können sich offenbart.

Stanislawski und sein „Künstlerisches Theater" sind nicht mehr voneinander
zu trennen. Das sah man deutlich im vorigen Herbste, als er lebensgefährlich
am Typhus erkrankte. Es schien damals nicht nur dem großen Publikum,
sondern auch seinen Mitarbeitern und Schülern, daß mit seinem Fortgang auch
sein Werk, wenigstens in der bestehenden Form, zusammenbrechen müsse. So
heißt denn auch Stanislawskis Leben beschreiben die Geschichte des Moskaner
Künstlerischen Theaters erzählen, obgleich er selbst persönlich und grundsätzlich,
im Gegensatz zu anderen berühmten Mimen, niemals bestrebt gewesen ist, in
den Vordergrund zu treten, sondern immer nur als ein Glied in der Kette
von Kameraden wirken wollte, die in geeinter Kraft gemeinsamem, hohem künst¬
lerischen Ziele zustreben.

Stanislawskis bürgerlicher Name lautet Alexejew. Sein Großvater väter¬
licherseits war ein Bauer aus dem Gouvernement Jaroslaw, dessen Bewohner
wegen ihrer Tüchtigkeit und Begabung bekannt sind. Seine Mutter
stammte von einer Französin, die als Schauspielerin an der französischen Bühne
des kaiserlichen Michaeltheaters in Se. Petersburg wirkte, auf der auch heute
noch eine französische Truppe auftritt. Vou dieser Großmutter rührt augen¬
scheinlich die schauspielerische Begabung her, die sich auf drei der zahlreichen
Enkel vererbt hat: Stanislawskis ältester Bruder wirkt als begabter Regisseur
an der hervorragenden Siminschen Privatoper in Moskau, seine verheiratete
Schwester Smalte leitete viele Jahre mit größtem Erfolge auf dem Gute ihres
Gatten ein Theater, auf dem einfache russische Bauern für ihre Dorfgenosfen
spielten. Nachdem Stanislawski das Gymnasium absolviert hatte, an das er,
wie so viele Russen, nicht ohne Haß zurückdenken kann, mußte er auf Wunsch


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[0634] Stanislawski und das Moskaner „Rünstlerischc Theater" Stanislawski nur da wahrhaft groß erscheint, wo er die Sprache seines Volkes A, w, redet und wirklich Russe sein darf vom Scheitel bis zur Sohle. Seit den Zeiten Katharinas der Zweiten wurde in Rußland die Schauspiel¬ kunst mit Liebe und häufig auch großem Verständnis gepflegt; unter Nikolaus dem Ersten bereits erreichte sie eine Höhe, von der man sich in Westeuropa keine Vorstellung machen konnte, bekam man doch hier infolge der Ungunst der äußeren Verhältnisse nichts von ihr zu sehen oder zu hören. Mit Ausnahme weniger Jahrzehnte des vergangenen Jahrhunderts, als Se. Petersburg deu Ruhm, die erste Bühne des Landes zu besitzen, für sich in Anspruch nehmen durfte, war es Moskau, das über die glänzendsten schauspielerischen Kräfte ver¬ fügte. Mit Moskau sind die Namen der großen russischen Bühnenkünstler aufs engste verknüpft, hier haben ganze Schauspielergenerationen, wie die Samoilows, Sadowskis und andere, gewirkt und Ruhm geerntet. Es entspricht also der Tradition, wenn auch das moderne russische Theater hier zu Hause ist, wenn auf der Bühne des Moskaner „Künstlerischen Theaters" und in der Person seines Schöpfers Stanislawski höchstes mimisches Können sich offenbart. Stanislawski und sein „Künstlerisches Theater" sind nicht mehr voneinander zu trennen. Das sah man deutlich im vorigen Herbste, als er lebensgefährlich am Typhus erkrankte. Es schien damals nicht nur dem großen Publikum, sondern auch seinen Mitarbeitern und Schülern, daß mit seinem Fortgang auch sein Werk, wenigstens in der bestehenden Form, zusammenbrechen müsse. So heißt denn auch Stanislawskis Leben beschreiben die Geschichte des Moskaner Künstlerischen Theaters erzählen, obgleich er selbst persönlich und grundsätzlich, im Gegensatz zu anderen berühmten Mimen, niemals bestrebt gewesen ist, in den Vordergrund zu treten, sondern immer nur als ein Glied in der Kette von Kameraden wirken wollte, die in geeinter Kraft gemeinsamem, hohem künst¬ lerischen Ziele zustreben. Stanislawskis bürgerlicher Name lautet Alexejew. Sein Großvater väter¬ licherseits war ein Bauer aus dem Gouvernement Jaroslaw, dessen Bewohner wegen ihrer Tüchtigkeit und Begabung bekannt sind. Seine Mutter stammte von einer Französin, die als Schauspielerin an der französischen Bühne des kaiserlichen Michaeltheaters in Se. Petersburg wirkte, auf der auch heute noch eine französische Truppe auftritt. Vou dieser Großmutter rührt augen¬ scheinlich die schauspielerische Begabung her, die sich auf drei der zahlreichen Enkel vererbt hat: Stanislawskis ältester Bruder wirkt als begabter Regisseur an der hervorragenden Siminschen Privatoper in Moskau, seine verheiratete Schwester Smalte leitete viele Jahre mit größtem Erfolge auf dem Gute ihres Gatten ein Theater, auf dem einfache russische Bauern für ihre Dorfgenosfen spielten. Nachdem Stanislawski das Gymnasium absolviert hatte, an das er, wie so viele Russen, nicht ohne Haß zurückdenken kann, mußte er auf Wunsch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/634>, abgerufen am 23.07.2024.