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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Reichssxiegel

mus ist eine geistige Macht, deren Kraftquelle außerhalb der Grenzen des Reichs
liegt, deren Weiterentwicklung in nur sehr geringem Maße beeinflußt wird durch
die Entwicklung der kulturellen Kräfte bei den deutschen Katholiken. Unabhängig
von den Bedürfnissen und häufig im Gegensatz zu dem Bedürfnis der deutschen
Katholiken, wie das letzte motu propno zeigt (vgl. Heft 50), entwickelt sich auch
die vatikanische Gesetzgebung so, daß sie den deutschen Katholiken öfter und öfter
vor einen schweren Gewissenskonflikt stellt als katholischen Christen und deutschen
Staatsbürger. Die deutsche Sozialdemokratie ist dagegen eng verbunden mit
der breiten Unterschicht des deutschen Volkes und schöpft ihre Kraft hauptsächlich
aus der Befriedigung der Bedürfnisse deutscher Arbeiter. Sie kann nur so
lange als politische Partei Einfluß nehmen, als sie den Bedürfnissen nicht der
Hefe im Volk, sondern der gewissenhaft arbeitenden Masse gerecht zu werde"
sucht. Dort, wo zurzeit noch ihre Hauptkraft liegt, ist sie auch überwindbar.
Von dem Augenblick an, wo die Gründe für das Entstehen einer Klassen-
kampfpartei mit kosmopolitischen Zielen beseitigt sind, von diesem Augenblick
an beginnt auch die Quelle zu versiegen, aus der sie ihre Kräfte schöpft, und
nur eine Frage der Zeit kann es dann sein, wann die Quelle vertrocknet und der
Baum der sozialdemokratischen Organisationen verdorrt. Und weiter: während
wir Deutsche die Macht haben, der Sozialdemokratie das Wasser abzugraben
durch eine zweckentsprechende Schul-, Wirtschafts- und Sozialpolitik, stehen wir
dem Ultramontanismus aus wiederholt genannten Gründen so lange machtlos
gegenüber, als es keine deutsch-katholische Kirche gibt, deren Mitglieder sich
die Gesetzgebers vom Auslande her verbitten. Also: auf der einen Seite
positive Aufgaben mit Aussicht auf Erfolg, auf der andere" eine Sisyphusarbeit.

Nun wird mit Recht eingewendet: Die ultramontane Zentrumspartei hat
seit einer Reihe von Jahren an der Durchführung großer nationaler Aufgaben
bei der Bewilligung der Mittel für Heer und Flotte mitgewirkt; die Sozial¬
demokraten haben dagegen in allen großen nationalen Fragen bis in die jüngste
Zeit hinein versagt. Bei näherer Untersuchung der einschlägigen Verhältnisse
erscheint indessen die Rechnung doch nicht so glatt, wie sie auf den ersten Blick
aussieht. Die Zentrumspartei wurde zu ihrem Einlenken in nationalen Fragen
gezwungen durch die Tatsache, daß viele deutsche Katholiken sich von ihr abwandten
und für das Reich optierten. Es ist das nicht ein Zeichen sür einen Wechsel
der Ziele des Ultramontanismus, sondern lediglich ein solches für den gesunden
nationalen Sinn der deutschen Katholiken, der stark genug ist, den Wagen
der Zentrumspartei wenigstens in den Lebensfragen des Reichs auf den
nationalen Strang zu schieben. Diese Erscheinung läßt uns hoffen, daß der
Ultramontanismus vielleicht einmal ganz aus den Reihen der deutschen Katho¬
liken verschwindet, nicht aber aus denen der Zentrumspartei, solange darin der
von Rom abhängige Klerus die Macht hat. Dasselbe, was wir von unseren
katholischen Mitbürgern erwarten, dürfen wir auch von den deutschen Arbeitern
erhoffen, die gegenwärtig als sozialdemokratische Wähler am republikanischen


Reichssxiegel

mus ist eine geistige Macht, deren Kraftquelle außerhalb der Grenzen des Reichs
liegt, deren Weiterentwicklung in nur sehr geringem Maße beeinflußt wird durch
die Entwicklung der kulturellen Kräfte bei den deutschen Katholiken. Unabhängig
von den Bedürfnissen und häufig im Gegensatz zu dem Bedürfnis der deutschen
Katholiken, wie das letzte motu propno zeigt (vgl. Heft 50), entwickelt sich auch
die vatikanische Gesetzgebung so, daß sie den deutschen Katholiken öfter und öfter
vor einen schweren Gewissenskonflikt stellt als katholischen Christen und deutschen
Staatsbürger. Die deutsche Sozialdemokratie ist dagegen eng verbunden mit
der breiten Unterschicht des deutschen Volkes und schöpft ihre Kraft hauptsächlich
aus der Befriedigung der Bedürfnisse deutscher Arbeiter. Sie kann nur so
lange als politische Partei Einfluß nehmen, als sie den Bedürfnissen nicht der
Hefe im Volk, sondern der gewissenhaft arbeitenden Masse gerecht zu werde»
sucht. Dort, wo zurzeit noch ihre Hauptkraft liegt, ist sie auch überwindbar.
Von dem Augenblick an, wo die Gründe für das Entstehen einer Klassen-
kampfpartei mit kosmopolitischen Zielen beseitigt sind, von diesem Augenblick
an beginnt auch die Quelle zu versiegen, aus der sie ihre Kräfte schöpft, und
nur eine Frage der Zeit kann es dann sein, wann die Quelle vertrocknet und der
Baum der sozialdemokratischen Organisationen verdorrt. Und weiter: während
wir Deutsche die Macht haben, der Sozialdemokratie das Wasser abzugraben
durch eine zweckentsprechende Schul-, Wirtschafts- und Sozialpolitik, stehen wir
dem Ultramontanismus aus wiederholt genannten Gründen so lange machtlos
gegenüber, als es keine deutsch-katholische Kirche gibt, deren Mitglieder sich
die Gesetzgebers vom Auslande her verbitten. Also: auf der einen Seite
positive Aufgaben mit Aussicht auf Erfolg, auf der andere» eine Sisyphusarbeit.

Nun wird mit Recht eingewendet: Die ultramontane Zentrumspartei hat
seit einer Reihe von Jahren an der Durchführung großer nationaler Aufgaben
bei der Bewilligung der Mittel für Heer und Flotte mitgewirkt; die Sozial¬
demokraten haben dagegen in allen großen nationalen Fragen bis in die jüngste
Zeit hinein versagt. Bei näherer Untersuchung der einschlägigen Verhältnisse
erscheint indessen die Rechnung doch nicht so glatt, wie sie auf den ersten Blick
aussieht. Die Zentrumspartei wurde zu ihrem Einlenken in nationalen Fragen
gezwungen durch die Tatsache, daß viele deutsche Katholiken sich von ihr abwandten
und für das Reich optierten. Es ist das nicht ein Zeichen sür einen Wechsel
der Ziele des Ultramontanismus, sondern lediglich ein solches für den gesunden
nationalen Sinn der deutschen Katholiken, der stark genug ist, den Wagen
der Zentrumspartei wenigstens in den Lebensfragen des Reichs auf den
nationalen Strang zu schieben. Diese Erscheinung läßt uns hoffen, daß der
Ultramontanismus vielleicht einmal ganz aus den Reihen der deutschen Katho¬
liken verschwindet, nicht aber aus denen der Zentrumspartei, solange darin der
von Rom abhängige Klerus die Macht hat. Dasselbe, was wir von unseren
katholischen Mitbürgern erwarten, dürfen wir auch von den deutschen Arbeitern
erhoffen, die gegenwärtig als sozialdemokratische Wähler am republikanischen


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[0622] Reichssxiegel mus ist eine geistige Macht, deren Kraftquelle außerhalb der Grenzen des Reichs liegt, deren Weiterentwicklung in nur sehr geringem Maße beeinflußt wird durch die Entwicklung der kulturellen Kräfte bei den deutschen Katholiken. Unabhängig von den Bedürfnissen und häufig im Gegensatz zu dem Bedürfnis der deutschen Katholiken, wie das letzte motu propno zeigt (vgl. Heft 50), entwickelt sich auch die vatikanische Gesetzgebung so, daß sie den deutschen Katholiken öfter und öfter vor einen schweren Gewissenskonflikt stellt als katholischen Christen und deutschen Staatsbürger. Die deutsche Sozialdemokratie ist dagegen eng verbunden mit der breiten Unterschicht des deutschen Volkes und schöpft ihre Kraft hauptsächlich aus der Befriedigung der Bedürfnisse deutscher Arbeiter. Sie kann nur so lange als politische Partei Einfluß nehmen, als sie den Bedürfnissen nicht der Hefe im Volk, sondern der gewissenhaft arbeitenden Masse gerecht zu werde» sucht. Dort, wo zurzeit noch ihre Hauptkraft liegt, ist sie auch überwindbar. Von dem Augenblick an, wo die Gründe für das Entstehen einer Klassen- kampfpartei mit kosmopolitischen Zielen beseitigt sind, von diesem Augenblick an beginnt auch die Quelle zu versiegen, aus der sie ihre Kräfte schöpft, und nur eine Frage der Zeit kann es dann sein, wann die Quelle vertrocknet und der Baum der sozialdemokratischen Organisationen verdorrt. Und weiter: während wir Deutsche die Macht haben, der Sozialdemokratie das Wasser abzugraben durch eine zweckentsprechende Schul-, Wirtschafts- und Sozialpolitik, stehen wir dem Ultramontanismus aus wiederholt genannten Gründen so lange machtlos gegenüber, als es keine deutsch-katholische Kirche gibt, deren Mitglieder sich die Gesetzgebers vom Auslande her verbitten. Also: auf der einen Seite positive Aufgaben mit Aussicht auf Erfolg, auf der andere» eine Sisyphusarbeit. Nun wird mit Recht eingewendet: Die ultramontane Zentrumspartei hat seit einer Reihe von Jahren an der Durchführung großer nationaler Aufgaben bei der Bewilligung der Mittel für Heer und Flotte mitgewirkt; die Sozial¬ demokraten haben dagegen in allen großen nationalen Fragen bis in die jüngste Zeit hinein versagt. Bei näherer Untersuchung der einschlägigen Verhältnisse erscheint indessen die Rechnung doch nicht so glatt, wie sie auf den ersten Blick aussieht. Die Zentrumspartei wurde zu ihrem Einlenken in nationalen Fragen gezwungen durch die Tatsache, daß viele deutsche Katholiken sich von ihr abwandten und für das Reich optierten. Es ist das nicht ein Zeichen sür einen Wechsel der Ziele des Ultramontanismus, sondern lediglich ein solches für den gesunden nationalen Sinn der deutschen Katholiken, der stark genug ist, den Wagen der Zentrumspartei wenigstens in den Lebensfragen des Reichs auf den nationalen Strang zu schieben. Diese Erscheinung läßt uns hoffen, daß der Ultramontanismus vielleicht einmal ganz aus den Reihen der deutschen Katho¬ liken verschwindet, nicht aber aus denen der Zentrumspartei, solange darin der von Rom abhängige Klerus die Macht hat. Dasselbe, was wir von unseren katholischen Mitbürgern erwarten, dürfen wir auch von den deutschen Arbeitern erhoffen, die gegenwärtig als sozialdemokratische Wähler am republikanischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/622>, abgerufen am 23.07.2024.