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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Religionsfreiheit und Atrchcnreform

von Tausenden: unwürdig ihrer, weil nur die Unklarheit die innere Unwahrheit
dieser Stellung verbirgt, -- unwürdig auch der Kirchen, an deren Existenz und
Entwicklung sich diese Tausende wie ein Ballast hängen.

Man kann ein Monopol auf verschiedene Weise verwalten. Ein guter Kauf¬
mann, dem ein solches zugefallen, wird dabei so verfahren, daß er die Be¬
dürfnisse und Wünsche der auf ihn angewiesenen Kundschaft nach Möglichkeit
befriedigt. Denn er weiß, es läßt sich nur solange aufrechterhalten, als dies
gelingt. Wir urteilen nicht unbillig, wenn wir sagen, daß unsere Kirchen¬
regierungen sich der Verantwortung, die ihnen dies Monopol der Bildung und
der Normierung evangelischer Gemeinden auferlegt, nicht genug bewußt sind.
Wir bewegen uns zwar unter diesem Monopol in relativer Freiheit. Aber es
ist dabei keine rechte Offenheit und Klarheit. Wir genießen diese Freiheiten, wie
ein Knabe, der sich vom Apfelbaum heimlich einige Früchte stiehlt. Wir genießen
sie nur infolge einer Schwäche, infolge eines fortwährenden Übersehens und
Gehenlassens, nicht auf Grund einer prinzipiellen Selbstbeschränkung des Kirchen¬
regimentes. Immer wieder werden Versuche gemacht, Normen aufzustellen, wie
über die Beerdigung von Selbstmördern, die Beteiligung an Feuerbestattungen,
die Trauung Geschiedener, die politische Betätigung der Geistlichen; und immer
wieder scheitern diese Versuche, weil sie eben Eingriffe in die Gewissenssphäre
von Gemeindegliedern und Pfarrern sind. Welch eine peinliche und bedauerns¬
werte Rolle spielt dabei das Kirchenregiment, welche dialektischen Künste werden
zur Begründung derartiger Maßnahmen und der dann unvermeidlichen Rückzüge
verschwendet, -- nur deshalb, weil man sich auf den einzig gesunden und einzig
imponierender Standpunkt der Gewissensfreiheit nicht stellen will! Und in was
für unnötige Konflikte werden die Diener der Kirche dadurch gedrängt!

Die gerechte Verwaltung jenes Monopols aber wird der Kirchenregierung
noch durch ein weiteres Moment erschwert. Es erschien als ein großer Fort¬
schritt, als in den siebziger Jahren die Synodalverfassung eingeführt, das Kirchen¬
regiment in seiner absoluten Machtfülle beschränkt, den Gemeinden des Landes
ein Anteil am Regiment gewährt wurde. Das Kirchenregiment teilte wichtige
Rechte und Befugnisse mit den Synoden. Aber auch diese Schöpfung wurde
durch den mangelnden Respekt vor dem Gewissen geschädigt. Die Verfassung
war von vornherein darauf zugeschnitten, der Mehrheit alle Macht in die Hand
ZU spielen. Die Unterdrückung der Minderheit aber mußte um so verhängnis¬
voller werden, als in den Umkreis der kirchenregimentlichen Geschäfte, an denen
die Synode beteiligt wurde, auch die zartesten und innerlichsten Fragen des
kirchlichen Lebens einbezogen wurden, die nach protestantischen Grundsätzen
niemals durch bloße Stimmenmehrheit entschieden werden dürfen. In der Ver¬
fassung fehlt fast jede Einschränkung der Machtbefugnisse des durch die Synoden
verstärktenKirchenregimentes,gegenüberdenGcmeindenwiegegenüberden Geistlichen.

Es ist aber ein Unterschied, ob die Mehrheit ihre Macht dazu gebraucht,
die Höhe einer Abgabe durchzusetzen, oder dazu, eine zwingende Lehr- und


Religionsfreiheit und Atrchcnreform

von Tausenden: unwürdig ihrer, weil nur die Unklarheit die innere Unwahrheit
dieser Stellung verbirgt, — unwürdig auch der Kirchen, an deren Existenz und
Entwicklung sich diese Tausende wie ein Ballast hängen.

Man kann ein Monopol auf verschiedene Weise verwalten. Ein guter Kauf¬
mann, dem ein solches zugefallen, wird dabei so verfahren, daß er die Be¬
dürfnisse und Wünsche der auf ihn angewiesenen Kundschaft nach Möglichkeit
befriedigt. Denn er weiß, es läßt sich nur solange aufrechterhalten, als dies
gelingt. Wir urteilen nicht unbillig, wenn wir sagen, daß unsere Kirchen¬
regierungen sich der Verantwortung, die ihnen dies Monopol der Bildung und
der Normierung evangelischer Gemeinden auferlegt, nicht genug bewußt sind.
Wir bewegen uns zwar unter diesem Monopol in relativer Freiheit. Aber es
ist dabei keine rechte Offenheit und Klarheit. Wir genießen diese Freiheiten, wie
ein Knabe, der sich vom Apfelbaum heimlich einige Früchte stiehlt. Wir genießen
sie nur infolge einer Schwäche, infolge eines fortwährenden Übersehens und
Gehenlassens, nicht auf Grund einer prinzipiellen Selbstbeschränkung des Kirchen¬
regimentes. Immer wieder werden Versuche gemacht, Normen aufzustellen, wie
über die Beerdigung von Selbstmördern, die Beteiligung an Feuerbestattungen,
die Trauung Geschiedener, die politische Betätigung der Geistlichen; und immer
wieder scheitern diese Versuche, weil sie eben Eingriffe in die Gewissenssphäre
von Gemeindegliedern und Pfarrern sind. Welch eine peinliche und bedauerns¬
werte Rolle spielt dabei das Kirchenregiment, welche dialektischen Künste werden
zur Begründung derartiger Maßnahmen und der dann unvermeidlichen Rückzüge
verschwendet, — nur deshalb, weil man sich auf den einzig gesunden und einzig
imponierender Standpunkt der Gewissensfreiheit nicht stellen will! Und in was
für unnötige Konflikte werden die Diener der Kirche dadurch gedrängt!

Die gerechte Verwaltung jenes Monopols aber wird der Kirchenregierung
noch durch ein weiteres Moment erschwert. Es erschien als ein großer Fort¬
schritt, als in den siebziger Jahren die Synodalverfassung eingeführt, das Kirchen¬
regiment in seiner absoluten Machtfülle beschränkt, den Gemeinden des Landes
ein Anteil am Regiment gewährt wurde. Das Kirchenregiment teilte wichtige
Rechte und Befugnisse mit den Synoden. Aber auch diese Schöpfung wurde
durch den mangelnden Respekt vor dem Gewissen geschädigt. Die Verfassung
war von vornherein darauf zugeschnitten, der Mehrheit alle Macht in die Hand
ZU spielen. Die Unterdrückung der Minderheit aber mußte um so verhängnis¬
voller werden, als in den Umkreis der kirchenregimentlichen Geschäfte, an denen
die Synode beteiligt wurde, auch die zartesten und innerlichsten Fragen des
kirchlichen Lebens einbezogen wurden, die nach protestantischen Grundsätzen
niemals durch bloße Stimmenmehrheit entschieden werden dürfen. In der Ver¬
fassung fehlt fast jede Einschränkung der Machtbefugnisse des durch die Synoden
verstärktenKirchenregimentes,gegenüberdenGcmeindenwiegegenüberden Geistlichen.

Es ist aber ein Unterschied, ob die Mehrheit ihre Macht dazu gebraucht,
die Höhe einer Abgabe durchzusetzen, oder dazu, eine zwingende Lehr- und


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[0483] Religionsfreiheit und Atrchcnreform von Tausenden: unwürdig ihrer, weil nur die Unklarheit die innere Unwahrheit dieser Stellung verbirgt, — unwürdig auch der Kirchen, an deren Existenz und Entwicklung sich diese Tausende wie ein Ballast hängen. Man kann ein Monopol auf verschiedene Weise verwalten. Ein guter Kauf¬ mann, dem ein solches zugefallen, wird dabei so verfahren, daß er die Be¬ dürfnisse und Wünsche der auf ihn angewiesenen Kundschaft nach Möglichkeit befriedigt. Denn er weiß, es läßt sich nur solange aufrechterhalten, als dies gelingt. Wir urteilen nicht unbillig, wenn wir sagen, daß unsere Kirchen¬ regierungen sich der Verantwortung, die ihnen dies Monopol der Bildung und der Normierung evangelischer Gemeinden auferlegt, nicht genug bewußt sind. Wir bewegen uns zwar unter diesem Monopol in relativer Freiheit. Aber es ist dabei keine rechte Offenheit und Klarheit. Wir genießen diese Freiheiten, wie ein Knabe, der sich vom Apfelbaum heimlich einige Früchte stiehlt. Wir genießen sie nur infolge einer Schwäche, infolge eines fortwährenden Übersehens und Gehenlassens, nicht auf Grund einer prinzipiellen Selbstbeschränkung des Kirchen¬ regimentes. Immer wieder werden Versuche gemacht, Normen aufzustellen, wie über die Beerdigung von Selbstmördern, die Beteiligung an Feuerbestattungen, die Trauung Geschiedener, die politische Betätigung der Geistlichen; und immer wieder scheitern diese Versuche, weil sie eben Eingriffe in die Gewissenssphäre von Gemeindegliedern und Pfarrern sind. Welch eine peinliche und bedauerns¬ werte Rolle spielt dabei das Kirchenregiment, welche dialektischen Künste werden zur Begründung derartiger Maßnahmen und der dann unvermeidlichen Rückzüge verschwendet, — nur deshalb, weil man sich auf den einzig gesunden und einzig imponierender Standpunkt der Gewissensfreiheit nicht stellen will! Und in was für unnötige Konflikte werden die Diener der Kirche dadurch gedrängt! Die gerechte Verwaltung jenes Monopols aber wird der Kirchenregierung noch durch ein weiteres Moment erschwert. Es erschien als ein großer Fort¬ schritt, als in den siebziger Jahren die Synodalverfassung eingeführt, das Kirchen¬ regiment in seiner absoluten Machtfülle beschränkt, den Gemeinden des Landes ein Anteil am Regiment gewährt wurde. Das Kirchenregiment teilte wichtige Rechte und Befugnisse mit den Synoden. Aber auch diese Schöpfung wurde durch den mangelnden Respekt vor dem Gewissen geschädigt. Die Verfassung war von vornherein darauf zugeschnitten, der Mehrheit alle Macht in die Hand ZU spielen. Die Unterdrückung der Minderheit aber mußte um so verhängnis¬ voller werden, als in den Umkreis der kirchenregimentlichen Geschäfte, an denen die Synode beteiligt wurde, auch die zartesten und innerlichsten Fragen des kirchlichen Lebens einbezogen wurden, die nach protestantischen Grundsätzen niemals durch bloße Stimmenmehrheit entschieden werden dürfen. In der Ver¬ fassung fehlt fast jede Einschränkung der Machtbefugnisse des durch die Synoden verstärktenKirchenregimentes,gegenüberdenGcmeindenwiegegenüberden Geistlichen. Es ist aber ein Unterschied, ob die Mehrheit ihre Macht dazu gebraucht, die Höhe einer Abgabe durchzusetzen, oder dazu, eine zwingende Lehr- und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/483>, abgerufen am 23.07.2024.