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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Religionsfreiheit und Airchenrefonn

Und -- es ist fast unbegreiflich -- auch es bedarf dazu noch in jedem einzelnen
Falle der Mitwirkung einer rein staatlichen Behörde. Eine Gemeindebildung
von unten her, ohne Genehmigung des landesherrlichen Kirchenregiments, ohne
Anerkennung der vou ihm aufgestellten Normen, ist verboten. Wohl können die
einzelnen austreten und dann einen religiösen Verein bilden unter der Lebens¬
behinderung, wie ich sie oben geschildert habe, aber sie sind für den Staat dann
Dissidenten, nicht evangelische Christen, und ihre Gemeinde entbehrt aller der
Sicherungen und Schutzwehren, die die landeskirchliche Gemeinde besitzt.

Wir sind das einzige Land der Welt, in dem ein solches Monopol noch
besteht. Daß in England mehr als die Hälfte der Bevölkerung in Gemeinden
lebt, die aus eigener Initiative, von unten her, gebildet sind, daß deren
Gliedern auch nicht der geringste staatsbürgerliche Nachteil erwächst, daß ihre
Organisationen, ihre Diener, ihre Gebäude in allen öffentlich rechtlichen Beziehungen
denen der Limren ol Lu^lana gleichgestellt siud, ist bekannt. Weniger vielleicht,
wie leicht selbst innerhalb der Kirche von England jede Privatperson Kirchen
bauen und Geistliche berufen kann, freilich unter äußerer Anerkennung des
Lomrnon Präger Look, aber eben doch mit einer herrlichen Freiheit in der
Gestaltung des Gottesdienstes und der sozialen Betätigung. In Holland aber
und in den nordischen Reichen ist das Monopol der Staatskirche durch blühende
Freikirchen, durch Freigemeinden, Wahlgcmeinden, Grundtvigianismus und
Innere Mission (die dort etwas anderes bedeutet als bei uns) längst durch¬
brochen. Nur in den deutschen Staaten behauptet die Landeskirche noch dies
Monopol der Bildung evangelischer Gemeinden in der Form, daß sie die evan¬
gelische Kirche des Landes ist, die zu ihr gehörigen Gemeinden die evangelischen
Gemeinden des Staatsgebietes darstellen.

Der Staat behandelt hierbei die evangelische Kirche genau so wie die
katholische, ohne auf den Wesensunterschied zwischen beiden Rücksicht zu nehmen.
Wie er als katholische Gemeinden nur die anerkennt, die sich mit der Hierarchie
in Einklang finden (abgesehen von einem leisen Schwanken gegenüber den alt¬
katholischen Gemeinden nach dem Vatikanum), so gewährt er die Privilegien
einer evangelischen Gemeinde nur denen, die das landesherrliche Kirchenregiment
als solche beglaubigt. Und doch ist diese Haltung dort und hier vou sehr ver¬
schiedener Bedeutung. Wenn der Staat von den katholischen Gemeinden die
Unterwerfung unter die Hierarchie verlangt, so behandelt er sie nach deren
eigenem Lebensgesetz, nach einem Gesetz, das sie als katholische Christen kraft
ihrer Religion verpflichtet. Für die evangelischen Gemeinden aber gibt es kein
göttliches Kirchenrecht, keine im Glauben begründete Verfassung, keine moralische
oder religiöse Pflicht zur Unterordnung unter das landesherrliche Kirchcn-
regiment. Wie kommt also der Staat dazu, die Anerkennung einer evan¬
gelischen Gemeinde an diese Bedingung zu knüpfen? Das ist ein viel weiter
gehender Eingriff in ihre Freiheit, als sich ans Rücksichten der Staatswohlfahrt
rechtfertigen läßt.


Religionsfreiheit und Airchenrefonn

Und — es ist fast unbegreiflich — auch es bedarf dazu noch in jedem einzelnen
Falle der Mitwirkung einer rein staatlichen Behörde. Eine Gemeindebildung
von unten her, ohne Genehmigung des landesherrlichen Kirchenregiments, ohne
Anerkennung der vou ihm aufgestellten Normen, ist verboten. Wohl können die
einzelnen austreten und dann einen religiösen Verein bilden unter der Lebens¬
behinderung, wie ich sie oben geschildert habe, aber sie sind für den Staat dann
Dissidenten, nicht evangelische Christen, und ihre Gemeinde entbehrt aller der
Sicherungen und Schutzwehren, die die landeskirchliche Gemeinde besitzt.

Wir sind das einzige Land der Welt, in dem ein solches Monopol noch
besteht. Daß in England mehr als die Hälfte der Bevölkerung in Gemeinden
lebt, die aus eigener Initiative, von unten her, gebildet sind, daß deren
Gliedern auch nicht der geringste staatsbürgerliche Nachteil erwächst, daß ihre
Organisationen, ihre Diener, ihre Gebäude in allen öffentlich rechtlichen Beziehungen
denen der Limren ol Lu^lana gleichgestellt siud, ist bekannt. Weniger vielleicht,
wie leicht selbst innerhalb der Kirche von England jede Privatperson Kirchen
bauen und Geistliche berufen kann, freilich unter äußerer Anerkennung des
Lomrnon Präger Look, aber eben doch mit einer herrlichen Freiheit in der
Gestaltung des Gottesdienstes und der sozialen Betätigung. In Holland aber
und in den nordischen Reichen ist das Monopol der Staatskirche durch blühende
Freikirchen, durch Freigemeinden, Wahlgcmeinden, Grundtvigianismus und
Innere Mission (die dort etwas anderes bedeutet als bei uns) längst durch¬
brochen. Nur in den deutschen Staaten behauptet die Landeskirche noch dies
Monopol der Bildung evangelischer Gemeinden in der Form, daß sie die evan¬
gelische Kirche des Landes ist, die zu ihr gehörigen Gemeinden die evangelischen
Gemeinden des Staatsgebietes darstellen.

Der Staat behandelt hierbei die evangelische Kirche genau so wie die
katholische, ohne auf den Wesensunterschied zwischen beiden Rücksicht zu nehmen.
Wie er als katholische Gemeinden nur die anerkennt, die sich mit der Hierarchie
in Einklang finden (abgesehen von einem leisen Schwanken gegenüber den alt¬
katholischen Gemeinden nach dem Vatikanum), so gewährt er die Privilegien
einer evangelischen Gemeinde nur denen, die das landesherrliche Kirchenregiment
als solche beglaubigt. Und doch ist diese Haltung dort und hier vou sehr ver¬
schiedener Bedeutung. Wenn der Staat von den katholischen Gemeinden die
Unterwerfung unter die Hierarchie verlangt, so behandelt er sie nach deren
eigenem Lebensgesetz, nach einem Gesetz, das sie als katholische Christen kraft
ihrer Religion verpflichtet. Für die evangelischen Gemeinden aber gibt es kein
göttliches Kirchenrecht, keine im Glauben begründete Verfassung, keine moralische
oder religiöse Pflicht zur Unterordnung unter das landesherrliche Kirchcn-
regiment. Wie kommt also der Staat dazu, die Anerkennung einer evan¬
gelischen Gemeinde an diese Bedingung zu knüpfen? Das ist ein viel weiter
gehender Eingriff in ihre Freiheit, als sich ans Rücksichten der Staatswohlfahrt
rechtfertigen läßt.


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[0480] Religionsfreiheit und Airchenrefonn Und — es ist fast unbegreiflich — auch es bedarf dazu noch in jedem einzelnen Falle der Mitwirkung einer rein staatlichen Behörde. Eine Gemeindebildung von unten her, ohne Genehmigung des landesherrlichen Kirchenregiments, ohne Anerkennung der vou ihm aufgestellten Normen, ist verboten. Wohl können die einzelnen austreten und dann einen religiösen Verein bilden unter der Lebens¬ behinderung, wie ich sie oben geschildert habe, aber sie sind für den Staat dann Dissidenten, nicht evangelische Christen, und ihre Gemeinde entbehrt aller der Sicherungen und Schutzwehren, die die landeskirchliche Gemeinde besitzt. Wir sind das einzige Land der Welt, in dem ein solches Monopol noch besteht. Daß in England mehr als die Hälfte der Bevölkerung in Gemeinden lebt, die aus eigener Initiative, von unten her, gebildet sind, daß deren Gliedern auch nicht der geringste staatsbürgerliche Nachteil erwächst, daß ihre Organisationen, ihre Diener, ihre Gebäude in allen öffentlich rechtlichen Beziehungen denen der Limren ol Lu^lana gleichgestellt siud, ist bekannt. Weniger vielleicht, wie leicht selbst innerhalb der Kirche von England jede Privatperson Kirchen bauen und Geistliche berufen kann, freilich unter äußerer Anerkennung des Lomrnon Präger Look, aber eben doch mit einer herrlichen Freiheit in der Gestaltung des Gottesdienstes und der sozialen Betätigung. In Holland aber und in den nordischen Reichen ist das Monopol der Staatskirche durch blühende Freikirchen, durch Freigemeinden, Wahlgcmeinden, Grundtvigianismus und Innere Mission (die dort etwas anderes bedeutet als bei uns) längst durch¬ brochen. Nur in den deutschen Staaten behauptet die Landeskirche noch dies Monopol der Bildung evangelischer Gemeinden in der Form, daß sie die evan¬ gelische Kirche des Landes ist, die zu ihr gehörigen Gemeinden die evangelischen Gemeinden des Staatsgebietes darstellen. Der Staat behandelt hierbei die evangelische Kirche genau so wie die katholische, ohne auf den Wesensunterschied zwischen beiden Rücksicht zu nehmen. Wie er als katholische Gemeinden nur die anerkennt, die sich mit der Hierarchie in Einklang finden (abgesehen von einem leisen Schwanken gegenüber den alt¬ katholischen Gemeinden nach dem Vatikanum), so gewährt er die Privilegien einer evangelischen Gemeinde nur denen, die das landesherrliche Kirchenregiment als solche beglaubigt. Und doch ist diese Haltung dort und hier vou sehr ver¬ schiedener Bedeutung. Wenn der Staat von den katholischen Gemeinden die Unterwerfung unter die Hierarchie verlangt, so behandelt er sie nach deren eigenem Lebensgesetz, nach einem Gesetz, das sie als katholische Christen kraft ihrer Religion verpflichtet. Für die evangelischen Gemeinden aber gibt es kein göttliches Kirchenrecht, keine im Glauben begründete Verfassung, keine moralische oder religiöse Pflicht zur Unterordnung unter das landesherrliche Kirchcn- regiment. Wie kommt also der Staat dazu, die Anerkennung einer evan¬ gelischen Gemeinde an diese Bedingung zu knüpfen? Das ist ein viel weiter gehender Eingriff in ihre Freiheit, als sich ans Rücksichten der Staatswohlfahrt rechtfertigen läßt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/480>, abgerufen am 23.07.2024.