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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Reichsspiegel

Bis zum Jahre 1907 stand Großbritannien an der Spitze aller Länder, mit
denen Deutschland Handelsbeziehungen unterhält, und erst im Jahre 1908 ist
es hinter den Vereinigten Staaten von Amerika zurückgeblieben. Der Gesamt¬
warenumsatz mit Großbritannien erreichte 1908 den Betrag von 1494,3 Millionen
Mark gegenüber 2037 Millionen Mark im Jahre 1907, während der Güterumsatz
mit den Vereinigten Staaten von Amerika 1907 einen Wert von 1971,5 Millionen
Mark und 1908 einen Wert von 1790,1 Millionen Mark hatte. In der Einfuhr
stand Großbritannien mit 9,1 Prozent der deutschen Gesamteinfuhr hinter den
Vereinigten Staaten (17,6 Prozent), dem europäischen Rußland (12,3 Prozent)
und Österreich-Ungarn (9,8 Prozent) an vierter Stelle; in der Ausfuhr nahm
es mit 15,6 Prozent die erste Stelle ein. Dabei ist jedoch zu beachten, daß
aus und über Großbritannien weit mehr Waren bezogen werden, als die deutsche
Einfuhrstatistik nachweist, weil ein großer Teil der in London, Liverpool usw.
gekauften Waren in überseeischen Ländern erzeugt oder hergestellt und daher
nach den bestehenden Vorschriften für diese angeschrieben wird; dies ist namentlich
der Fall bei Wolle aus dem Australischen Bunde und Neuseeland, bei Kautschuk
aus Brasilien usw. Für das Jahr 1910 ist in der deutschen Handelsstatistik
die Ausfuhr aus Großbritannien und seinen Kolonien und Besitzungen auf
1733 Millionen Mark dem Werte nach angegeben worden, das sind 19 bis
20 Prozent unserer gesamten Wareneinfuhr. Unsere Warenausfuhr nach Gro߬
britannien und seinen Kolonien und Besitzungen betrug 1393 Millionen Mark an
Wert und erreichte damit 18 bis 19 Prozent unserer gesamten Warenausfuhr.

Deutschland ist Englands bester Kunde in Europa, und der Verlust des
deutschen Marktes würde für die englische Volkswirtschaft geradezu verhängnisvoll
sein. Eine englische Zeitschrift, der Economist, schrieb darüber vor einiger Zeit
verständnisvoll: "Wir brauchen Deutschland als Kunden und Deutschland braucht
uns, und wenn es einer der beiden Nationen gelingen würde, die andere zu
benachteiligen, so würde sie selbst schwer darunter zu leiden haben." England
hat in der Tat allen Grund, mit der Entwicklung, die der deutsch-englische
Handelsverkehr in den letzten Jahren genommen hat, zufrieden zu sein, und
wenn in der englischen Presse seinerzeit der neue Zolltarif und die neuen
Handelsverträge Deutschlands als für den englischen Handel nachteilig bezeichnet
wurden, so haben die Ergebnisse des beiderseitigen Handels gezeigt, daß diese
Meinung völlig unzutreffend ist; der Handelsverkehr zwischen den beiden Ländern
folgte im wesentlichen den Bahnen, die die Weltwirtschaft überhaupt durchlaufen
hat: während das Jahr 1907 unter dem Einflüsse der angespannten Tätigkeit
aller wirtschaftlichen Kräfte stand, machte sich im folgenden Jahre der fast auf
allen Gebieten einsetzende Rückgang geltend; demgemäß weist auch der deutsch¬
britische Verkehr fast durchweg für 1908 geringere Zahlen auf als für 1907.
Die weitere Entwicklung ist bereits gekennzeichnet worden.

Ob und wann es zu einer endgültigen handelsvertragsmäßigen Regelung
der deutsch-britischen Handelsbeziehungen kommen wird, steht dahin; ebenso läßt


Reichsspiegel

Bis zum Jahre 1907 stand Großbritannien an der Spitze aller Länder, mit
denen Deutschland Handelsbeziehungen unterhält, und erst im Jahre 1908 ist
es hinter den Vereinigten Staaten von Amerika zurückgeblieben. Der Gesamt¬
warenumsatz mit Großbritannien erreichte 1908 den Betrag von 1494,3 Millionen
Mark gegenüber 2037 Millionen Mark im Jahre 1907, während der Güterumsatz
mit den Vereinigten Staaten von Amerika 1907 einen Wert von 1971,5 Millionen
Mark und 1908 einen Wert von 1790,1 Millionen Mark hatte. In der Einfuhr
stand Großbritannien mit 9,1 Prozent der deutschen Gesamteinfuhr hinter den
Vereinigten Staaten (17,6 Prozent), dem europäischen Rußland (12,3 Prozent)
und Österreich-Ungarn (9,8 Prozent) an vierter Stelle; in der Ausfuhr nahm
es mit 15,6 Prozent die erste Stelle ein. Dabei ist jedoch zu beachten, daß
aus und über Großbritannien weit mehr Waren bezogen werden, als die deutsche
Einfuhrstatistik nachweist, weil ein großer Teil der in London, Liverpool usw.
gekauften Waren in überseeischen Ländern erzeugt oder hergestellt und daher
nach den bestehenden Vorschriften für diese angeschrieben wird; dies ist namentlich
der Fall bei Wolle aus dem Australischen Bunde und Neuseeland, bei Kautschuk
aus Brasilien usw. Für das Jahr 1910 ist in der deutschen Handelsstatistik
die Ausfuhr aus Großbritannien und seinen Kolonien und Besitzungen auf
1733 Millionen Mark dem Werte nach angegeben worden, das sind 19 bis
20 Prozent unserer gesamten Wareneinfuhr. Unsere Warenausfuhr nach Gro߬
britannien und seinen Kolonien und Besitzungen betrug 1393 Millionen Mark an
Wert und erreichte damit 18 bis 19 Prozent unserer gesamten Warenausfuhr.

Deutschland ist Englands bester Kunde in Europa, und der Verlust des
deutschen Marktes würde für die englische Volkswirtschaft geradezu verhängnisvoll
sein. Eine englische Zeitschrift, der Economist, schrieb darüber vor einiger Zeit
verständnisvoll: „Wir brauchen Deutschland als Kunden und Deutschland braucht
uns, und wenn es einer der beiden Nationen gelingen würde, die andere zu
benachteiligen, so würde sie selbst schwer darunter zu leiden haben." England
hat in der Tat allen Grund, mit der Entwicklung, die der deutsch-englische
Handelsverkehr in den letzten Jahren genommen hat, zufrieden zu sein, und
wenn in der englischen Presse seinerzeit der neue Zolltarif und die neuen
Handelsverträge Deutschlands als für den englischen Handel nachteilig bezeichnet
wurden, so haben die Ergebnisse des beiderseitigen Handels gezeigt, daß diese
Meinung völlig unzutreffend ist; der Handelsverkehr zwischen den beiden Ländern
folgte im wesentlichen den Bahnen, die die Weltwirtschaft überhaupt durchlaufen
hat: während das Jahr 1907 unter dem Einflüsse der angespannten Tätigkeit
aller wirtschaftlichen Kräfte stand, machte sich im folgenden Jahre der fast auf
allen Gebieten einsetzende Rückgang geltend; demgemäß weist auch der deutsch¬
britische Verkehr fast durchweg für 1908 geringere Zahlen auf als für 1907.
Die weitere Entwicklung ist bereits gekennzeichnet worden.

Ob und wann es zu einer endgültigen handelsvertragsmäßigen Regelung
der deutsch-britischen Handelsbeziehungen kommen wird, steht dahin; ebenso läßt


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[0468] Reichsspiegel Bis zum Jahre 1907 stand Großbritannien an der Spitze aller Länder, mit denen Deutschland Handelsbeziehungen unterhält, und erst im Jahre 1908 ist es hinter den Vereinigten Staaten von Amerika zurückgeblieben. Der Gesamt¬ warenumsatz mit Großbritannien erreichte 1908 den Betrag von 1494,3 Millionen Mark gegenüber 2037 Millionen Mark im Jahre 1907, während der Güterumsatz mit den Vereinigten Staaten von Amerika 1907 einen Wert von 1971,5 Millionen Mark und 1908 einen Wert von 1790,1 Millionen Mark hatte. In der Einfuhr stand Großbritannien mit 9,1 Prozent der deutschen Gesamteinfuhr hinter den Vereinigten Staaten (17,6 Prozent), dem europäischen Rußland (12,3 Prozent) und Österreich-Ungarn (9,8 Prozent) an vierter Stelle; in der Ausfuhr nahm es mit 15,6 Prozent die erste Stelle ein. Dabei ist jedoch zu beachten, daß aus und über Großbritannien weit mehr Waren bezogen werden, als die deutsche Einfuhrstatistik nachweist, weil ein großer Teil der in London, Liverpool usw. gekauften Waren in überseeischen Ländern erzeugt oder hergestellt und daher nach den bestehenden Vorschriften für diese angeschrieben wird; dies ist namentlich der Fall bei Wolle aus dem Australischen Bunde und Neuseeland, bei Kautschuk aus Brasilien usw. Für das Jahr 1910 ist in der deutschen Handelsstatistik die Ausfuhr aus Großbritannien und seinen Kolonien und Besitzungen auf 1733 Millionen Mark dem Werte nach angegeben worden, das sind 19 bis 20 Prozent unserer gesamten Wareneinfuhr. Unsere Warenausfuhr nach Gro߬ britannien und seinen Kolonien und Besitzungen betrug 1393 Millionen Mark an Wert und erreichte damit 18 bis 19 Prozent unserer gesamten Warenausfuhr. Deutschland ist Englands bester Kunde in Europa, und der Verlust des deutschen Marktes würde für die englische Volkswirtschaft geradezu verhängnisvoll sein. Eine englische Zeitschrift, der Economist, schrieb darüber vor einiger Zeit verständnisvoll: „Wir brauchen Deutschland als Kunden und Deutschland braucht uns, und wenn es einer der beiden Nationen gelingen würde, die andere zu benachteiligen, so würde sie selbst schwer darunter zu leiden haben." England hat in der Tat allen Grund, mit der Entwicklung, die der deutsch-englische Handelsverkehr in den letzten Jahren genommen hat, zufrieden zu sein, und wenn in der englischen Presse seinerzeit der neue Zolltarif und die neuen Handelsverträge Deutschlands als für den englischen Handel nachteilig bezeichnet wurden, so haben die Ergebnisse des beiderseitigen Handels gezeigt, daß diese Meinung völlig unzutreffend ist; der Handelsverkehr zwischen den beiden Ländern folgte im wesentlichen den Bahnen, die die Weltwirtschaft überhaupt durchlaufen hat: während das Jahr 1907 unter dem Einflüsse der angespannten Tätigkeit aller wirtschaftlichen Kräfte stand, machte sich im folgenden Jahre der fast auf allen Gebieten einsetzende Rückgang geltend; demgemäß weist auch der deutsch¬ britische Verkehr fast durchweg für 1908 geringere Zahlen auf als für 1907. Die weitere Entwicklung ist bereits gekennzeichnet worden. Ob und wann es zu einer endgültigen handelsvertragsmäßigen Regelung der deutsch-britischen Handelsbeziehungen kommen wird, steht dahin; ebenso läßt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/468>, abgerufen am 23.07.2024.