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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Briefe und Tagebücher des deutschen Volkes aus Rricgszeiten

"Gedulde dich ein weniges, Merge," sagte er, indem er sich erhob, "ich bin
gleich wieder hier." Damit verließ er die Kammer.

Nach einer kleinen Weile kam er zurück und gab ihr schweigend den Schlüssel-
bund, der all die Jahre über seinem Bette gehangen hatte.

Sie nahm ihn wortlos und befestigte ihn an ihrem Gürtel. Aber ihre
Hände zitterten dabei, und ihre Augen leuchteten.

Und als sie dann beide nach dem Kinde sahen, bemerkten sie, wie es sich
mit staunenden Blicken über einen Kasten beugte, den es in einem unbewachten
Moment aus dem Schranke genommen und geöffnet hatte. Es wandte sich scheu
nach den Eltern um, da diese ihm aber ermutigend zunickten, griff es behutsam
hinein und zeigte ihnen glückstrahlend den Paradiesvogel.

Ende.




Vriese und Tagebücher des deutschen Volkes
aus Ariegszeiten
von Geh. Reg.-Rat v, Ubisch

Zu der in Heft 14 des Jahrgangs 1910 der Grenzboten angeregten
und jetzt in Preußen behördlich aufgenommenen Sammlung von Briefen
und Tagebüchern aus Kriegszeiten wird uns nachstehender Brief zur
Die Schriftltg. Veröffentlichung übergeben.

ochgeehrte Frau! Ich habe die Ehre, Ihnen den Empfang des
Kriegstagebuchs Ihres verewigten Bruders zu bestätigen, daß ich
der Kgl. Bibliothek übergeben habe. Tief ergriffen habe ich diese
treuen, nicht einen einzigen Tag unterbrochenen Aufzeichnungen
gelesen, bis sie am Morgen des 30. Oktober fast in dem Augenblick
abbrechen, wo dieser herrliche Mann bei le Bourget den Heldentod fand. Ich
habe aber auch von diesem schlichten, nur in den Höhepunkten über die Erlebnisse
und Sorgen eines Kompagnie-Chefs hinausgehenden Tagebuch einen starken künst¬
lerischen Eindruck erhalten; die große Anschaulichkeit, die starke seelische Spannung,
die Einheit zwischen Darstellung und Darsteller haben etwas homerisches. Ihre
Patriotische Darbringung verdient den höchsten Dank; Ihre Trennungswehmut
wie andrerseits Ihre Freude, das Buch nun in sicherster Hut zu wissen, muß
man von Herzen mitfühlen!

Sie betätigen Ihre Teilnahme für die vom Herrn Kultusminister angeordnete
Sammlung der Briefe und Tagebücher aus Kriegszeiten weiter dadurch, daß Sie
einige Zweifel behoben wünschen, zu denen der in Ihrem heimischen Kreisblatt
enthaltene Aufruf geführt hat. Dieser Aufruf ist allerdings, wie viele andere auch,
SU unvollständig ausgefallen. Ich beantworte Ihre Fragen:

1. Diese als wichtige zeitgenössische Quelle erkannten Schriftstücke aus Kriegs¬
zeiten sollen gesammelt werden, damit sie nicht allmählich verloren gehen. Kann
später das hierfür geeignete Material der Forschung zugänglich werden, so wird es


Briefe und Tagebücher des deutschen Volkes aus Rricgszeiten

„Gedulde dich ein weniges, Merge," sagte er, indem er sich erhob, „ich bin
gleich wieder hier." Damit verließ er die Kammer.

Nach einer kleinen Weile kam er zurück und gab ihr schweigend den Schlüssel-
bund, der all die Jahre über seinem Bette gehangen hatte.

Sie nahm ihn wortlos und befestigte ihn an ihrem Gürtel. Aber ihre
Hände zitterten dabei, und ihre Augen leuchteten.

Und als sie dann beide nach dem Kinde sahen, bemerkten sie, wie es sich
mit staunenden Blicken über einen Kasten beugte, den es in einem unbewachten
Moment aus dem Schranke genommen und geöffnet hatte. Es wandte sich scheu
nach den Eltern um, da diese ihm aber ermutigend zunickten, griff es behutsam
hinein und zeigte ihnen glückstrahlend den Paradiesvogel.

Ende.




Vriese und Tagebücher des deutschen Volkes
aus Ariegszeiten
von Geh. Reg.-Rat v, Ubisch

Zu der in Heft 14 des Jahrgangs 1910 der Grenzboten angeregten
und jetzt in Preußen behördlich aufgenommenen Sammlung von Briefen
und Tagebüchern aus Kriegszeiten wird uns nachstehender Brief zur
Die Schriftltg. Veröffentlichung übergeben.

ochgeehrte Frau! Ich habe die Ehre, Ihnen den Empfang des
Kriegstagebuchs Ihres verewigten Bruders zu bestätigen, daß ich
der Kgl. Bibliothek übergeben habe. Tief ergriffen habe ich diese
treuen, nicht einen einzigen Tag unterbrochenen Aufzeichnungen
gelesen, bis sie am Morgen des 30. Oktober fast in dem Augenblick
abbrechen, wo dieser herrliche Mann bei le Bourget den Heldentod fand. Ich
habe aber auch von diesem schlichten, nur in den Höhepunkten über die Erlebnisse
und Sorgen eines Kompagnie-Chefs hinausgehenden Tagebuch einen starken künst¬
lerischen Eindruck erhalten; die große Anschaulichkeit, die starke seelische Spannung,
die Einheit zwischen Darstellung und Darsteller haben etwas homerisches. Ihre
Patriotische Darbringung verdient den höchsten Dank; Ihre Trennungswehmut
wie andrerseits Ihre Freude, das Buch nun in sicherster Hut zu wissen, muß
man von Herzen mitfühlen!

Sie betätigen Ihre Teilnahme für die vom Herrn Kultusminister angeordnete
Sammlung der Briefe und Tagebücher aus Kriegszeiten weiter dadurch, daß Sie
einige Zweifel behoben wünschen, zu denen der in Ihrem heimischen Kreisblatt
enthaltene Aufruf geführt hat. Dieser Aufruf ist allerdings, wie viele andere auch,
SU unvollständig ausgefallen. Ich beantworte Ihre Fragen:

1. Diese als wichtige zeitgenössische Quelle erkannten Schriftstücke aus Kriegs¬
zeiten sollen gesammelt werden, damit sie nicht allmählich verloren gehen. Kann
später das hierfür geeignete Material der Forschung zugänglich werden, so wird es


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[0453] Briefe und Tagebücher des deutschen Volkes aus Rricgszeiten „Gedulde dich ein weniges, Merge," sagte er, indem er sich erhob, „ich bin gleich wieder hier." Damit verließ er die Kammer. Nach einer kleinen Weile kam er zurück und gab ihr schweigend den Schlüssel- bund, der all die Jahre über seinem Bette gehangen hatte. Sie nahm ihn wortlos und befestigte ihn an ihrem Gürtel. Aber ihre Hände zitterten dabei, und ihre Augen leuchteten. Und als sie dann beide nach dem Kinde sahen, bemerkten sie, wie es sich mit staunenden Blicken über einen Kasten beugte, den es in einem unbewachten Moment aus dem Schranke genommen und geöffnet hatte. Es wandte sich scheu nach den Eltern um, da diese ihm aber ermutigend zunickten, griff es behutsam hinein und zeigte ihnen glückstrahlend den Paradiesvogel. Ende. Vriese und Tagebücher des deutschen Volkes aus Ariegszeiten von Geh. Reg.-Rat v, Ubisch Zu der in Heft 14 des Jahrgangs 1910 der Grenzboten angeregten und jetzt in Preußen behördlich aufgenommenen Sammlung von Briefen und Tagebüchern aus Kriegszeiten wird uns nachstehender Brief zur Die Schriftltg. Veröffentlichung übergeben. ochgeehrte Frau! Ich habe die Ehre, Ihnen den Empfang des Kriegstagebuchs Ihres verewigten Bruders zu bestätigen, daß ich der Kgl. Bibliothek übergeben habe. Tief ergriffen habe ich diese treuen, nicht einen einzigen Tag unterbrochenen Aufzeichnungen gelesen, bis sie am Morgen des 30. Oktober fast in dem Augenblick abbrechen, wo dieser herrliche Mann bei le Bourget den Heldentod fand. Ich habe aber auch von diesem schlichten, nur in den Höhepunkten über die Erlebnisse und Sorgen eines Kompagnie-Chefs hinausgehenden Tagebuch einen starken künst¬ lerischen Eindruck erhalten; die große Anschaulichkeit, die starke seelische Spannung, die Einheit zwischen Darstellung und Darsteller haben etwas homerisches. Ihre Patriotische Darbringung verdient den höchsten Dank; Ihre Trennungswehmut wie andrerseits Ihre Freude, das Buch nun in sicherster Hut zu wissen, muß man von Herzen mitfühlen! Sie betätigen Ihre Teilnahme für die vom Herrn Kultusminister angeordnete Sammlung der Briefe und Tagebücher aus Kriegszeiten weiter dadurch, daß Sie einige Zweifel behoben wünschen, zu denen der in Ihrem heimischen Kreisblatt enthaltene Aufruf geführt hat. Dieser Aufruf ist allerdings, wie viele andere auch, SU unvollständig ausgefallen. Ich beantworte Ihre Fragen: 1. Diese als wichtige zeitgenössische Quelle erkannten Schriftstücke aus Kriegs¬ zeiten sollen gesammelt werden, damit sie nicht allmählich verloren gehen. Kann später das hierfür geeignete Material der Forschung zugänglich werden, so wird es

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Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/453>, abgerufen am 23.07.2024.