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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Briefe aus China

1500000 Mark gekauft hat, und zwar für die Dauer von vier Jahren. Wenn
er so lange am Leben bleibt, macht er ein gar nicht zu verachtendes Geschäft,
denn sein Amt wirft ihm jährlich das Sümmchen von 360000 Taels, also
720000 Mark ab. Sein Vorgänger beging die Unvorsichtigkeit, bereits nach
einer Amtstätigkeit von dreiviertel Jahren diese Welt mit jener zu "verwechseln".
Das darf man natürlich nicht tun.

Gestern, also am darauffolgenden Tage, waren wir auf einem Diner bei
dem Grafen Buttler, ebenfalls H.'s zu Ehren. Ich war ungebildet genug,
die Trüffeln im ersten Moment für Kastanien zu halten, merkte aber meinen
Irrtum noch rechtzeitig und ließ sie ungeschält. Es hat eben nicht jeder die
Erfahrung eines Trüffelschweins. Besagter Graf Buttler ist ein Nachkomme
des Wallensteinschen und Vertreter der Firma Krupp. Während also jener mit
Kanonen machte, macht dieser in Kanonen -- 8in trsn8it Zlorm muncZi. Aber¬
mals wurde der Magen satter als der Geist, der hier überhaupt eine quantitö
nöAliZeable zu sein scheint.

Gestern am Tage besuchten wir die mit Recht weltberühmte Missionsstation
der Jesuiten in Sikawei, und was ich dort mit eigenen Augen gesehen habe,
überstieg alle meine Erwartungen. Was hier geleistet wird, ist nicht nur gro߬
artig, sondern groß, menschlich groß. Die meisten der Patres und Schwestern
sind Franzosen, und es ist nur ein Deutscher unter ihnen, ein Pater v. Bodmann,
der sich in seiner chinesischen Tracht (alle Patres gehen chinesisch gekleidet, die
Schwestern nicht) mit seinem stattlichen blonden Zopf recht seltsam ausnahm.
Er führte uns drei Stunden lang mit unermüdlicher Liebenswürdigkeit herum,
doch ist die Anstalt so riesengroß, fast eine ganze Stadt für sich, daß wir nur
einen Teil, und auch diesen leider nur ziemlich flüchtig besichtigen konnten.

In der Frauen- und Mädchenabteilung wurden wir von der Gehilfin der
mörL 8upeneurs herumgeführt, einer schon ältlichen Französin, die mich in
ihren: Äußeren und in ihrem ganzen Wesen ungemein an Mama erinnerte.
Sie hatte in ihrer schlichten und dabei so herzlichen Freundlichkeit, in ihrem von
Sentimentalität und Süßlichkeit gänzlich freien Wesen etwas unbeschreiblich'An-
ziehendes und zugleich Ehrfurchtgebietendes. Und ergreifend war es anzusehen,
mit welch' mütterlicher Freundlichkeit sie alle behandelte, und mit welch' ehr¬
erbietiger kindlicher Liebe und Vertraulichkeit sich alle, Groß und Klein, an sie
schmiegten. Nicht weniger als sechshundert weibliche Insassen beherbergt
dieser Teil der Anstalt. Da sind Findet- und Waisenkinder, eine Abteilung
für meist hoffnungslos kranke Kinder, die aufopfernd gepflegt werden, eine Ab¬
teilung, wo Krüppel, Blinde und Taubstumme (Mädchen, Frauen und Kinder)
spinnen, flechten und weben. Mehrere taubgeborene Kinder wurden uns
vorgeführt, bei denen es mit dem besten Erfolge geglückt war, das Sprach¬
vermögen herzustellen. In einem besonderen Hause waren ausschließlich Stickerinnen
beschäftigt, die bewundernswert schöne Stickereien anfertigten, wiederum andere waren
mit Teppichfabrikation und Anfertigung künstlicher Blumen beschäftigt usw. Auch die


Briefe aus China

1500000 Mark gekauft hat, und zwar für die Dauer von vier Jahren. Wenn
er so lange am Leben bleibt, macht er ein gar nicht zu verachtendes Geschäft,
denn sein Amt wirft ihm jährlich das Sümmchen von 360000 Taels, also
720000 Mark ab. Sein Vorgänger beging die Unvorsichtigkeit, bereits nach
einer Amtstätigkeit von dreiviertel Jahren diese Welt mit jener zu „verwechseln".
Das darf man natürlich nicht tun.

Gestern, also am darauffolgenden Tage, waren wir auf einem Diner bei
dem Grafen Buttler, ebenfalls H.'s zu Ehren. Ich war ungebildet genug,
die Trüffeln im ersten Moment für Kastanien zu halten, merkte aber meinen
Irrtum noch rechtzeitig und ließ sie ungeschält. Es hat eben nicht jeder die
Erfahrung eines Trüffelschweins. Besagter Graf Buttler ist ein Nachkomme
des Wallensteinschen und Vertreter der Firma Krupp. Während also jener mit
Kanonen machte, macht dieser in Kanonen — 8in trsn8it Zlorm muncZi. Aber¬
mals wurde der Magen satter als der Geist, der hier überhaupt eine quantitö
nöAliZeable zu sein scheint.

Gestern am Tage besuchten wir die mit Recht weltberühmte Missionsstation
der Jesuiten in Sikawei, und was ich dort mit eigenen Augen gesehen habe,
überstieg alle meine Erwartungen. Was hier geleistet wird, ist nicht nur gro߬
artig, sondern groß, menschlich groß. Die meisten der Patres und Schwestern
sind Franzosen, und es ist nur ein Deutscher unter ihnen, ein Pater v. Bodmann,
der sich in seiner chinesischen Tracht (alle Patres gehen chinesisch gekleidet, die
Schwestern nicht) mit seinem stattlichen blonden Zopf recht seltsam ausnahm.
Er führte uns drei Stunden lang mit unermüdlicher Liebenswürdigkeit herum,
doch ist die Anstalt so riesengroß, fast eine ganze Stadt für sich, daß wir nur
einen Teil, und auch diesen leider nur ziemlich flüchtig besichtigen konnten.

In der Frauen- und Mädchenabteilung wurden wir von der Gehilfin der
mörL 8upeneurs herumgeführt, einer schon ältlichen Französin, die mich in
ihren: Äußeren und in ihrem ganzen Wesen ungemein an Mama erinnerte.
Sie hatte in ihrer schlichten und dabei so herzlichen Freundlichkeit, in ihrem von
Sentimentalität und Süßlichkeit gänzlich freien Wesen etwas unbeschreiblich'An-
ziehendes und zugleich Ehrfurchtgebietendes. Und ergreifend war es anzusehen,
mit welch' mütterlicher Freundlichkeit sie alle behandelte, und mit welch' ehr¬
erbietiger kindlicher Liebe und Vertraulichkeit sich alle, Groß und Klein, an sie
schmiegten. Nicht weniger als sechshundert weibliche Insassen beherbergt
dieser Teil der Anstalt. Da sind Findet- und Waisenkinder, eine Abteilung
für meist hoffnungslos kranke Kinder, die aufopfernd gepflegt werden, eine Ab¬
teilung, wo Krüppel, Blinde und Taubstumme (Mädchen, Frauen und Kinder)
spinnen, flechten und weben. Mehrere taubgeborene Kinder wurden uns
vorgeführt, bei denen es mit dem besten Erfolge geglückt war, das Sprach¬
vermögen herzustellen. In einem besonderen Hause waren ausschließlich Stickerinnen
beschäftigt, die bewundernswert schöne Stickereien anfertigten, wiederum andere waren
mit Teppichfabrikation und Anfertigung künstlicher Blumen beschäftigt usw. Auch die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/398>, abgerufen am 23.07.2024.