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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Polen und Rom nach ^s?o

Katastrophe des Abbruchs der Beziehungen zwischen Rom und Rußland Hinter¬
grund und den für den praktischen Effekt wichtigsten Akzent.

Doch PapstPius der Neunte starb im Jahre 1878, und nach seinem Hinscheiden
wurden seine Waffen stumpf. Allerdings ließ man in Preußen wie in Rußland
auch nach mit der Bekämpfung Roms und seiner Einrichtungen. Der Sozialismus,
der Terrorismus, der Nihilismus hatten ihr Haupt erhoben. Die Katholiken
konnten ihre passive oder oppositionelle Haltung, welche sie in innerpolitischen
Dingen befolgten, aufgeben, da man diese im großen ganzen als Elemente der
Ordnung anzusehenden Volksteile zum positiven Schutz der sozialen Verfassung
heranziehen wollte.

Papst Leo der Dreizehnte hatte keine Neigung, den wenig erfreulichen
Nachlaß seines Vorgängers politisch weiter zu verfolgen. Leo sah seine Haupt¬
aufgabe in der Regelung der römischen Frage. Er legte in diesem Sinne den
diplomatischen Vertretungen der Mächte beim päpstlichen Stuhle sehr große
Wichtigkeit bei und machte sich, unter voller Ausnutzung des neuen persönlichen
Moments, daran, zunächst mit Preußen und Rußland die diplomatischen Be¬
ziehungen wiederherzustellen. Das gelang ihm und war jedenfalls eine öffent¬
liche und eklatante Mehrung des Prestiges des Papsttums.

Nun war den Mächten, so geschickt Leo der Dreizehnte sich ihnen auch zu
nähern und sie an sich zu ziehen vermocht hatte, doch vor allem daran gelegen,
für ihre inneren kirchlichen Anliegen den Papst zu Willen zu haben. Leo der
Dreizehnte zeigte hierbei wenigstens den guten Willen, Er verhandelte konziliant
und suchte nach einem praktischen mockus vivencki, wo er grundsätzlich nicht
entgegenkommen konnte. Auf die polnische Sache kam er Preußen gegenüber
möglichst wenig zurück; als im Oktober 1878 das Gericht in Birnbaum den
Kardinal Ledochowski wieder einmal verurteilen mußte wegen seiner von Rom
aus begangenen Verletzung der Maigesetze und "mißbräuchlicher" Jurisdiktion
gegen Geistliche der Diözese Gnesen-Posen, legte Leo der Dreizehnte wenige
Wochen später auf die verletzten Gefühle der preußischen Regierung ein Pflaster,
indem er die Enzyklika gegen die revolutionären Bestrebungen schrieb. Hin¬
gegen kam er der russischen Negierung, als diese von ihm forderte, daß die
religiöse Sache von der polnisch-nationalen um jeden Preis in Polen gesondert
gehalten werden müsse, hierin grundsätzlich und später auch praktisch entgegen.
Galt es doch die im Jahre 1882 tatsächlich abgeschlossene Konvention zugunsten
einer Reorganisation der katholischen Kirche in Rußland durchzubringen und
mit Nußland jene Fühlung zu gewinnen, die Kardinal Rampolla bei einer
Audienz, die Leo der Dreizehnte einmal gleichzeitig dem Botschafter Frankreichs
und dem Gesandten Rußlands (Jsvolski) gewährte, in die Worte kleidete: Das
ist unser Dreibund, Rußland. Vatikan. Frankreich. Leo lag allerdings nichts
daran, die Polen, deren Ärger wegen des Paktierens des Vatikans mit den
Regierungen Rußlands und Preußens sich sehr bald auch in Kritiken am Papste
Luft machte, zu verstimmen. Als 1883 ein päpstlicher Delegat, der heutige


Grenzboten IV 1911 ^
Polen und Rom nach ^s?o

Katastrophe des Abbruchs der Beziehungen zwischen Rom und Rußland Hinter¬
grund und den für den praktischen Effekt wichtigsten Akzent.

Doch PapstPius der Neunte starb im Jahre 1878, und nach seinem Hinscheiden
wurden seine Waffen stumpf. Allerdings ließ man in Preußen wie in Rußland
auch nach mit der Bekämpfung Roms und seiner Einrichtungen. Der Sozialismus,
der Terrorismus, der Nihilismus hatten ihr Haupt erhoben. Die Katholiken
konnten ihre passive oder oppositionelle Haltung, welche sie in innerpolitischen
Dingen befolgten, aufgeben, da man diese im großen ganzen als Elemente der
Ordnung anzusehenden Volksteile zum positiven Schutz der sozialen Verfassung
heranziehen wollte.

Papst Leo der Dreizehnte hatte keine Neigung, den wenig erfreulichen
Nachlaß seines Vorgängers politisch weiter zu verfolgen. Leo sah seine Haupt¬
aufgabe in der Regelung der römischen Frage. Er legte in diesem Sinne den
diplomatischen Vertretungen der Mächte beim päpstlichen Stuhle sehr große
Wichtigkeit bei und machte sich, unter voller Ausnutzung des neuen persönlichen
Moments, daran, zunächst mit Preußen und Rußland die diplomatischen Be¬
ziehungen wiederherzustellen. Das gelang ihm und war jedenfalls eine öffent¬
liche und eklatante Mehrung des Prestiges des Papsttums.

Nun war den Mächten, so geschickt Leo der Dreizehnte sich ihnen auch zu
nähern und sie an sich zu ziehen vermocht hatte, doch vor allem daran gelegen,
für ihre inneren kirchlichen Anliegen den Papst zu Willen zu haben. Leo der
Dreizehnte zeigte hierbei wenigstens den guten Willen, Er verhandelte konziliant
und suchte nach einem praktischen mockus vivencki, wo er grundsätzlich nicht
entgegenkommen konnte. Auf die polnische Sache kam er Preußen gegenüber
möglichst wenig zurück; als im Oktober 1878 das Gericht in Birnbaum den
Kardinal Ledochowski wieder einmal verurteilen mußte wegen seiner von Rom
aus begangenen Verletzung der Maigesetze und „mißbräuchlicher" Jurisdiktion
gegen Geistliche der Diözese Gnesen-Posen, legte Leo der Dreizehnte wenige
Wochen später auf die verletzten Gefühle der preußischen Regierung ein Pflaster,
indem er die Enzyklika gegen die revolutionären Bestrebungen schrieb. Hin¬
gegen kam er der russischen Negierung, als diese von ihm forderte, daß die
religiöse Sache von der polnisch-nationalen um jeden Preis in Polen gesondert
gehalten werden müsse, hierin grundsätzlich und später auch praktisch entgegen.
Galt es doch die im Jahre 1882 tatsächlich abgeschlossene Konvention zugunsten
einer Reorganisation der katholischen Kirche in Rußland durchzubringen und
mit Nußland jene Fühlung zu gewinnen, die Kardinal Rampolla bei einer
Audienz, die Leo der Dreizehnte einmal gleichzeitig dem Botschafter Frankreichs
und dem Gesandten Rußlands (Jsvolski) gewährte, in die Worte kleidete: Das
ist unser Dreibund, Rußland. Vatikan. Frankreich. Leo lag allerdings nichts
daran, die Polen, deren Ärger wegen des Paktierens des Vatikans mit den
Regierungen Rußlands und Preußens sich sehr bald auch in Kritiken am Papste
Luft machte, zu verstimmen. Als 1883 ein päpstlicher Delegat, der heutige


Grenzboten IV 1911 ^
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[0385] Polen und Rom nach ^s?o Katastrophe des Abbruchs der Beziehungen zwischen Rom und Rußland Hinter¬ grund und den für den praktischen Effekt wichtigsten Akzent. Doch PapstPius der Neunte starb im Jahre 1878, und nach seinem Hinscheiden wurden seine Waffen stumpf. Allerdings ließ man in Preußen wie in Rußland auch nach mit der Bekämpfung Roms und seiner Einrichtungen. Der Sozialismus, der Terrorismus, der Nihilismus hatten ihr Haupt erhoben. Die Katholiken konnten ihre passive oder oppositionelle Haltung, welche sie in innerpolitischen Dingen befolgten, aufgeben, da man diese im großen ganzen als Elemente der Ordnung anzusehenden Volksteile zum positiven Schutz der sozialen Verfassung heranziehen wollte. Papst Leo der Dreizehnte hatte keine Neigung, den wenig erfreulichen Nachlaß seines Vorgängers politisch weiter zu verfolgen. Leo sah seine Haupt¬ aufgabe in der Regelung der römischen Frage. Er legte in diesem Sinne den diplomatischen Vertretungen der Mächte beim päpstlichen Stuhle sehr große Wichtigkeit bei und machte sich, unter voller Ausnutzung des neuen persönlichen Moments, daran, zunächst mit Preußen und Rußland die diplomatischen Be¬ ziehungen wiederherzustellen. Das gelang ihm und war jedenfalls eine öffent¬ liche und eklatante Mehrung des Prestiges des Papsttums. Nun war den Mächten, so geschickt Leo der Dreizehnte sich ihnen auch zu nähern und sie an sich zu ziehen vermocht hatte, doch vor allem daran gelegen, für ihre inneren kirchlichen Anliegen den Papst zu Willen zu haben. Leo der Dreizehnte zeigte hierbei wenigstens den guten Willen, Er verhandelte konziliant und suchte nach einem praktischen mockus vivencki, wo er grundsätzlich nicht entgegenkommen konnte. Auf die polnische Sache kam er Preußen gegenüber möglichst wenig zurück; als im Oktober 1878 das Gericht in Birnbaum den Kardinal Ledochowski wieder einmal verurteilen mußte wegen seiner von Rom aus begangenen Verletzung der Maigesetze und „mißbräuchlicher" Jurisdiktion gegen Geistliche der Diözese Gnesen-Posen, legte Leo der Dreizehnte wenige Wochen später auf die verletzten Gefühle der preußischen Regierung ein Pflaster, indem er die Enzyklika gegen die revolutionären Bestrebungen schrieb. Hin¬ gegen kam er der russischen Negierung, als diese von ihm forderte, daß die religiöse Sache von der polnisch-nationalen um jeden Preis in Polen gesondert gehalten werden müsse, hierin grundsätzlich und später auch praktisch entgegen. Galt es doch die im Jahre 1882 tatsächlich abgeschlossene Konvention zugunsten einer Reorganisation der katholischen Kirche in Rußland durchzubringen und mit Nußland jene Fühlung zu gewinnen, die Kardinal Rampolla bei einer Audienz, die Leo der Dreizehnte einmal gleichzeitig dem Botschafter Frankreichs und dem Gesandten Rußlands (Jsvolski) gewährte, in die Worte kleidete: Das ist unser Dreibund, Rußland. Vatikan. Frankreich. Leo lag allerdings nichts daran, die Polen, deren Ärger wegen des Paktierens des Vatikans mit den Regierungen Rußlands und Preußens sich sehr bald auch in Kritiken am Papste Luft machte, zu verstimmen. Als 1883 ein päpstlicher Delegat, der heutige Grenzboten IV 1911 ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/385>, abgerufen am 26.08.2024.