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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Polen und Rom nach is?o

als die vatikanischen Beziehungen zu Rußland in die Brüche gegangen waren,
eine Reise nach Starowics in Galizien unternommen, "um in einer dortigen
Kirche ein Madonnenbild zu krönen"; in Wahrheit aber war der Zweck der
Reise nur die Veranstaltung glänz- und stimmungsvoller Feste in Starowics,
in Leopoli und in Krakau, die den galizischen Ruthenen die Reize des römischen
Katholizismus nahe bringen und sie vom Schisma fort in den Schoß der
römischen Kirche führen sollten. Nebenbei gaben diese Feste Gelegenheit, die
polnische Aristokratie Galiziens nachdrücklich für die kirchlichen Interessen ihrer
Volksgenossen in Nußland zu erwärmen.

Mit den Russen war die Kunst Roms in polnischen Geschäften auf ein
totes Geleise gelangt. Nach den vielen Beschwerden über einzelne Maßnahmen
der russischen Negierung gegen katholische Geistliche, Einrichtungen und Besitz¬
tümer und nach der brüsten päpstlichen Auseinandersetzung mit dem russischen Ge¬
schäftsträger ging es der römischen Kirche noch'schlimmer als zuvor. Auch in
Rußland unternahm man nach dem Vorbilde Preußens, mit dem man sich
damals übrigens in der äußeren Politik sehr gut stand, mit Rom einen "Kultur¬
kampf". Man bedürfte in Rußland nur eben einer oberflächlichen Erwägung
des Ergebnisses des vatikanischen Konzils, um Frontstellung gegen Rom ein¬
zunehmen. Es war der russischen Orthodoxie willkommen, Rom einmal zu
zeigen, wer von beiden in Rußland Herr sei.

Wie namentlich aus einer, in einem Notbuch der Vereinigten Staaten von
Nordamerika enthaltenen objektiven Sammlung amtlicher Materialien erhellt, befahl
1872/73 der Prokurator des si. Synods und Minister des öffentlichen Unter¬
richts, Graf Tolstoi, seinen untergeordneten Organen, dahin zu wirken, daß die
230 000 Griechisch-Nnierten, welche noch in Litauen lebten, baldigst zur griechischen
Orthodoxie "zurückkehren."

In einer Enzyklika vom 23. Mai 1874 an die ruthenischen Bischöfe brand¬
markte Pius der Neunte die Ereignisse von Chelm. Einen Monat zuvor hatte
Tolstoi ein Rundschreiben erlassen, welches dem römisch-katholischen Klerus verbot,
an sogenannten Missionen teilzunehmen und mit Katholiken von "slawischen"
l?nu3 in 8ÄLN3 zu kommunizieren. Man erkannte jedoch bald, daß man gro߬
zügigere Mittel ergreifen mußte, um zum Ziele zu kommen. Der damalige
"Administrator der Diözese Chelm" und Apostat Popiel war sich klar, daß eine
Regulierung der Grenze Polens einen Hauptschritt zur RussifMtion der Unierten
bedeuten würde. War doch namentlich der Bezirk Chelm im Jahre 1839 dem
Ruin der griechisch-unierten Kirche in Litauen nur darum entgangen, weil er
ein Teil des Königreichs Polen war und als solcher dessen Privilegien, an die
die Polen nicht ruhig rühren ließen, mit genoß! In dem Versuch, diesen östlichen
Teil, in dem die Unierten ihre Wohnsitze hatten, vom polnischen Gebiete abzu¬
trennen und dem eigentlichen Rußland einzuverleiben, fand Popiel die Unter¬
stützung des Generalgouverueurs Berg, der aber zu rasch verstarb, um das Ziel
erreicht zu sehen. Im Jahre 1875 war man soweit gekommen, daß der Über-


Polen und Rom nach is?o

als die vatikanischen Beziehungen zu Rußland in die Brüche gegangen waren,
eine Reise nach Starowics in Galizien unternommen, „um in einer dortigen
Kirche ein Madonnenbild zu krönen"; in Wahrheit aber war der Zweck der
Reise nur die Veranstaltung glänz- und stimmungsvoller Feste in Starowics,
in Leopoli und in Krakau, die den galizischen Ruthenen die Reize des römischen
Katholizismus nahe bringen und sie vom Schisma fort in den Schoß der
römischen Kirche führen sollten. Nebenbei gaben diese Feste Gelegenheit, die
polnische Aristokratie Galiziens nachdrücklich für die kirchlichen Interessen ihrer
Volksgenossen in Nußland zu erwärmen.

Mit den Russen war die Kunst Roms in polnischen Geschäften auf ein
totes Geleise gelangt. Nach den vielen Beschwerden über einzelne Maßnahmen
der russischen Negierung gegen katholische Geistliche, Einrichtungen und Besitz¬
tümer und nach der brüsten päpstlichen Auseinandersetzung mit dem russischen Ge¬
schäftsträger ging es der römischen Kirche noch'schlimmer als zuvor. Auch in
Rußland unternahm man nach dem Vorbilde Preußens, mit dem man sich
damals übrigens in der äußeren Politik sehr gut stand, mit Rom einen „Kultur¬
kampf". Man bedürfte in Rußland nur eben einer oberflächlichen Erwägung
des Ergebnisses des vatikanischen Konzils, um Frontstellung gegen Rom ein¬
zunehmen. Es war der russischen Orthodoxie willkommen, Rom einmal zu
zeigen, wer von beiden in Rußland Herr sei.

Wie namentlich aus einer, in einem Notbuch der Vereinigten Staaten von
Nordamerika enthaltenen objektiven Sammlung amtlicher Materialien erhellt, befahl
1872/73 der Prokurator des si. Synods und Minister des öffentlichen Unter¬
richts, Graf Tolstoi, seinen untergeordneten Organen, dahin zu wirken, daß die
230 000 Griechisch-Nnierten, welche noch in Litauen lebten, baldigst zur griechischen
Orthodoxie „zurückkehren."

In einer Enzyklika vom 23. Mai 1874 an die ruthenischen Bischöfe brand¬
markte Pius der Neunte die Ereignisse von Chelm. Einen Monat zuvor hatte
Tolstoi ein Rundschreiben erlassen, welches dem römisch-katholischen Klerus verbot,
an sogenannten Missionen teilzunehmen und mit Katholiken von „slawischen"
l?nu3 in 8ÄLN3 zu kommunizieren. Man erkannte jedoch bald, daß man gro߬
zügigere Mittel ergreifen mußte, um zum Ziele zu kommen. Der damalige
„Administrator der Diözese Chelm" und Apostat Popiel war sich klar, daß eine
Regulierung der Grenze Polens einen Hauptschritt zur RussifMtion der Unierten
bedeuten würde. War doch namentlich der Bezirk Chelm im Jahre 1839 dem
Ruin der griechisch-unierten Kirche in Litauen nur darum entgangen, weil er
ein Teil des Königreichs Polen war und als solcher dessen Privilegien, an die
die Polen nicht ruhig rühren ließen, mit genoß! In dem Versuch, diesen östlichen
Teil, in dem die Unierten ihre Wohnsitze hatten, vom polnischen Gebiete abzu¬
trennen und dem eigentlichen Rußland einzuverleiben, fand Popiel die Unter¬
stützung des Generalgouverueurs Berg, der aber zu rasch verstarb, um das Ziel
erreicht zu sehen. Im Jahre 1875 war man soweit gekommen, daß der Über-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/381>, abgerufen am 23.07.2024.