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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Das Glück des Hauses Rottland

ließ. Sie richtete sich auf und lauschte eine Weile, ehe sie sich erhob und den
Riegel zurückschob. Draußen standen die Mädchen aus dem Dorfe, die gekommen
waren, die Freundin zum Feste zu schmücken. Sie brachten die Krone aus ver¬
goldetem Messingblech, die das Muttergottesbild in der Kirche an solchen Tagen
Herleihen mußte, und den Brautstrauß aus Buchs, Rosmarin und Rauschgold.

Die kleine Schar drang lärmend und lachend in die Kammer. Nur das "Vor-
bräutchen", ein zehnjähriges Dirnlein, das eine Krone aus Draht und Seiden¬
blumen auf dem straffgescheitelten Haar trug, sah so ernst und feierlich aus, als
ob alle diese Vorbereitungen ihm selbst gegolten hätten. Merge beugte sich zu dem
Kinde nieder, hob es empor und küßte es. Da vermochte die Kleine ihre Rührung
nicht mehr zu bemeistern, und dicke Tränen rannen ihr unaufhaltsam über
die Wangen.

"Mußt nicht kreischen, Libu," versuchte die Braut ihr kleines Ebenbild zu
trösten, "ich geh' ja nicht aus der Welt. Mußt mich zu Rottland fleißig besuchen,
willst du?"

"Ist nicht darum, daß ich kreisch'," schluchzte das Dirnlein.

"Was ist's denn?" fragte Merge.

"Ich sag's nicht," erklärte das Kind, indem es sich mit beiden Handrücken
die Augen zu trocknen bemühte.

"Wenn du es sagst, darfst du auch nach Rottland kommen und die Birnen
abtun helfen."!

Libu kämpfte einen schweren inneren Kampf. Endlich faßte sie sich ein Herz
und sagte:

"Mir ist leid, daß du einen so Steinalten bekommst."

Da lachten die Mädchen laut auf, aber Merge blieb stumm und wurde ernst.
Sie ging an den Brunnen und wusch sich, während die Freundinnen sich über
das Brautkleid hermachten und die schwere Seide bewundernd betasteten.

Als die Braut wieder in die Kammer trat, begannen die Mädchen sie
anzukleiden und zu schmücken. Ihre schweren Flechten wurden gelöst, und das
schwarze Haar wurde solange gekämmt, bis es wie ein weicher, leichtgewellter
Mantel über Schulter und Rücken niederwallte. Da man mit dem städtischen
Gewände und allem, was dazu gehörte, nicht recht umzugehen verstand, zog sich
die Zeremonie des Ankleidens sehr in die Länge. Merge, die ohne die Beihilfe
der Mädchen schneller fertig geworden wäre, ließ die Tortur geduldig über sich
ergehen. Sie beteiligte sich nicht an den derben Scherzen der Freundinnen, aber
sie weinte auch nicht, wie es die Sitte eigentlich forderte. Das machte den Mädchen
Sorge, und mehr als eine dachte an die alte Regel, daß die Tränen, die nicht
vor der Hochzeit geweint werden, nach der Hochzeit fließen müssen.

Die Toilette der Braut war kaum beendet, als sich der Bräutigam mit den
männlichen Gästen auf dem Hofe einstellte. Herr Salentin sah in seinem Staats-
kleide festlich und würdevoll aus, und der Ernst, der auf seinem blühenden Antlitz
lag, entsprach durchaus der Bedeutung des Augenblicks. Aber die Hitze des
Julimorgens machte ihm zu schaffen, und der Schweiß perlte in schweren Tropfen
unter der schwarzen Roßhaarperücke hervor.

Die vier Musikanten, die man aus der Stadt verschrieben hatte, stimmten
den "Stillen Jakob" an, und während sich die Gesellschaft zu Paaren ordnete,


Das Glück des Hauses Rottland

ließ. Sie richtete sich auf und lauschte eine Weile, ehe sie sich erhob und den
Riegel zurückschob. Draußen standen die Mädchen aus dem Dorfe, die gekommen
waren, die Freundin zum Feste zu schmücken. Sie brachten die Krone aus ver¬
goldetem Messingblech, die das Muttergottesbild in der Kirche an solchen Tagen
Herleihen mußte, und den Brautstrauß aus Buchs, Rosmarin und Rauschgold.

Die kleine Schar drang lärmend und lachend in die Kammer. Nur das „Vor-
bräutchen", ein zehnjähriges Dirnlein, das eine Krone aus Draht und Seiden¬
blumen auf dem straffgescheitelten Haar trug, sah so ernst und feierlich aus, als
ob alle diese Vorbereitungen ihm selbst gegolten hätten. Merge beugte sich zu dem
Kinde nieder, hob es empor und küßte es. Da vermochte die Kleine ihre Rührung
nicht mehr zu bemeistern, und dicke Tränen rannen ihr unaufhaltsam über
die Wangen.

„Mußt nicht kreischen, Libu," versuchte die Braut ihr kleines Ebenbild zu
trösten, „ich geh' ja nicht aus der Welt. Mußt mich zu Rottland fleißig besuchen,
willst du?"

„Ist nicht darum, daß ich kreisch'," schluchzte das Dirnlein.

„Was ist's denn?" fragte Merge.

„Ich sag's nicht," erklärte das Kind, indem es sich mit beiden Handrücken
die Augen zu trocknen bemühte.

„Wenn du es sagst, darfst du auch nach Rottland kommen und die Birnen
abtun helfen."!

Libu kämpfte einen schweren inneren Kampf. Endlich faßte sie sich ein Herz
und sagte:

„Mir ist leid, daß du einen so Steinalten bekommst."

Da lachten die Mädchen laut auf, aber Merge blieb stumm und wurde ernst.
Sie ging an den Brunnen und wusch sich, während die Freundinnen sich über
das Brautkleid hermachten und die schwere Seide bewundernd betasteten.

Als die Braut wieder in die Kammer trat, begannen die Mädchen sie
anzukleiden und zu schmücken. Ihre schweren Flechten wurden gelöst, und das
schwarze Haar wurde solange gekämmt, bis es wie ein weicher, leichtgewellter
Mantel über Schulter und Rücken niederwallte. Da man mit dem städtischen
Gewände und allem, was dazu gehörte, nicht recht umzugehen verstand, zog sich
die Zeremonie des Ankleidens sehr in die Länge. Merge, die ohne die Beihilfe
der Mädchen schneller fertig geworden wäre, ließ die Tortur geduldig über sich
ergehen. Sie beteiligte sich nicht an den derben Scherzen der Freundinnen, aber
sie weinte auch nicht, wie es die Sitte eigentlich forderte. Das machte den Mädchen
Sorge, und mehr als eine dachte an die alte Regel, daß die Tränen, die nicht
vor der Hochzeit geweint werden, nach der Hochzeit fließen müssen.

Die Toilette der Braut war kaum beendet, als sich der Bräutigam mit den
männlichen Gästen auf dem Hofe einstellte. Herr Salentin sah in seinem Staats-
kleide festlich und würdevoll aus, und der Ernst, der auf seinem blühenden Antlitz
lag, entsprach durchaus der Bedeutung des Augenblicks. Aber die Hitze des
Julimorgens machte ihm zu schaffen, und der Schweiß perlte in schweren Tropfen
unter der schwarzen Roßhaarperücke hervor.

Die vier Musikanten, die man aus der Stadt verschrieben hatte, stimmten
den „Stillen Jakob" an, und während sich die Gesellschaft zu Paaren ordnete,


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[0236] Das Glück des Hauses Rottland ließ. Sie richtete sich auf und lauschte eine Weile, ehe sie sich erhob und den Riegel zurückschob. Draußen standen die Mädchen aus dem Dorfe, die gekommen waren, die Freundin zum Feste zu schmücken. Sie brachten die Krone aus ver¬ goldetem Messingblech, die das Muttergottesbild in der Kirche an solchen Tagen Herleihen mußte, und den Brautstrauß aus Buchs, Rosmarin und Rauschgold. Die kleine Schar drang lärmend und lachend in die Kammer. Nur das „Vor- bräutchen", ein zehnjähriges Dirnlein, das eine Krone aus Draht und Seiden¬ blumen auf dem straffgescheitelten Haar trug, sah so ernst und feierlich aus, als ob alle diese Vorbereitungen ihm selbst gegolten hätten. Merge beugte sich zu dem Kinde nieder, hob es empor und küßte es. Da vermochte die Kleine ihre Rührung nicht mehr zu bemeistern, und dicke Tränen rannen ihr unaufhaltsam über die Wangen. „Mußt nicht kreischen, Libu," versuchte die Braut ihr kleines Ebenbild zu trösten, „ich geh' ja nicht aus der Welt. Mußt mich zu Rottland fleißig besuchen, willst du?" „Ist nicht darum, daß ich kreisch'," schluchzte das Dirnlein. „Was ist's denn?" fragte Merge. „Ich sag's nicht," erklärte das Kind, indem es sich mit beiden Handrücken die Augen zu trocknen bemühte. „Wenn du es sagst, darfst du auch nach Rottland kommen und die Birnen abtun helfen."! Libu kämpfte einen schweren inneren Kampf. Endlich faßte sie sich ein Herz und sagte: „Mir ist leid, daß du einen so Steinalten bekommst." Da lachten die Mädchen laut auf, aber Merge blieb stumm und wurde ernst. Sie ging an den Brunnen und wusch sich, während die Freundinnen sich über das Brautkleid hermachten und die schwere Seide bewundernd betasteten. Als die Braut wieder in die Kammer trat, begannen die Mädchen sie anzukleiden und zu schmücken. Ihre schweren Flechten wurden gelöst, und das schwarze Haar wurde solange gekämmt, bis es wie ein weicher, leichtgewellter Mantel über Schulter und Rücken niederwallte. Da man mit dem städtischen Gewände und allem, was dazu gehörte, nicht recht umzugehen verstand, zog sich die Zeremonie des Ankleidens sehr in die Länge. Merge, die ohne die Beihilfe der Mädchen schneller fertig geworden wäre, ließ die Tortur geduldig über sich ergehen. Sie beteiligte sich nicht an den derben Scherzen der Freundinnen, aber sie weinte auch nicht, wie es die Sitte eigentlich forderte. Das machte den Mädchen Sorge, und mehr als eine dachte an die alte Regel, daß die Tränen, die nicht vor der Hochzeit geweint werden, nach der Hochzeit fließen müssen. Die Toilette der Braut war kaum beendet, als sich der Bräutigam mit den männlichen Gästen auf dem Hofe einstellte. Herr Salentin sah in seinem Staats- kleide festlich und würdevoll aus, und der Ernst, der auf seinem blühenden Antlitz lag, entsprach durchaus der Bedeutung des Augenblicks. Aber die Hitze des Julimorgens machte ihm zu schaffen, und der Schweiß perlte in schweren Tropfen unter der schwarzen Roßhaarperücke hervor. Die vier Musikanten, die man aus der Stadt verschrieben hatte, stimmten den „Stillen Jakob" an, und während sich die Gesellschaft zu Paaren ordnete,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/236>, abgerufen am 23.07.2024.