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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Ivilhelm Steinhausen, ein religiöser Maler

selbst der Teufel am Boden hat nichts Knirschendes, nur etwas aus Gebrochen¬
heit dumpf Grollendes. So kann dies Blatt wirklich als Wandschmuck dienen,
ohne die schlichte Freundlichkeit eines Mädchenzimmers zu unterbrechen. Gerade
dieser trotz aller eindringlichen Bestimmtheit leisen und schlichten Sprache wegen
sollten Steinhausens Lithographien als Wandschmuck verbreiteter sein. Gewiß sind
auch technisch unschöne, eigentümlich verschwommene Blätter darunter, wie der
Christus im Weinberg, dessen liebevoll und sachte prüfende Handbewegung
immerhin so eigentümlich suggestiv wirkt; aber auch so schlichte überzeugende
Darstellungen finden sich, wie Christus und der Blindgeborene, wo der Zu¬
sammenklang der glatten Seeflächen mit der sanften Gebärde des Heilands eine
so beruhigende Wirkung ausübt, oder das Blatt Christus und der reiche Jüng¬
ling, der hier weder ein vornehmer, kostümtreu hingestellter Römer oder Grieche,
noch ein moderner Gutsbesitzer- oder Fabrikantensohn ist, wie ihn Abbe kon-
seauenterweise hätte darstellen müssen, sondern der richtige schöngelockte Märchen¬
jüngling in kostbarem Brokat und Pelzwerk. Und besonders hingewiesen sei
noch auf das monumentale, leider in vielen unzulänglichen Reproduktionen ver¬
breitete Blatt "Christi Seepredigt", oder auf jene ernste Mahnung an Erwachsene
"Der Größte im Himmelreich", mit den groß charakterisierten Vertretern der
Lebensalter, dem milden Christus und dem Kindlein, das ohne zu ahnen, welch
ernste Wahrheit es den Erwachsenen zur Anschauung bringt, getrost und harmlos
zum Bilde hinaussieht.

Zum Schluß noch einige Worte, um Steinhausens Realismus zu ver¬
teidigen. Nicht als ob er an sich der Verteidigung bedürfte, sind doch Dürer
und Rembrandt ebenfalls Realisten gewesen, aber gerade in den Kreisen, in
denen Steinhausens Kunst am ehesten Aufnahme finden sollte, besteht gegen
realistische Bilder noch immer ein starkes Vorurteil, das allerdings zum Teil
durch wirklich abstoßende Übertreibungen ungereifter oder der bloßen Sensation
nachgebender Künstler hervorgerufen sein mag. Aber es ist ein großer Unter¬
schied, ob man das Häßliche aufsucht oder es als etwas Selbstverständliches
behandelt. Das letztere tut Steinhausen. Er liebt die Welt, wie sie ist, er
lehnt es in echt christlicher Demut ab, irgend etwas schöner machen zu wollen,
als Gott es geschaffen hat; und er hat selber das bedeutungsvolle Wort
gesprochen: "Wer nicht das Sichtbare heiß und innig liebt, kann es nicht zum
Träger der Geistigen machen". Und dient nicht das Vorhandensein des Hä߬
lichen erst recht dazu, die große, allumfassende Liebe dessen, der die Mühseligen
und Beladenen zu sich berief, der mit Zöllnern und Sündern an einem Tische
saß, zum siegreichen Ausdruck zu bringen? Auch liegt es nicht im Wesen des
Deutschen, zu dem siegbringenden Gott zu beten, der Deutsche braucht Christus,
den leiderfahrenen, aber eben deshalb alles verstehenden starken Freund. Und
darum sei uns Steinhausens Kunst als echter und wahrer Ausdruck christlicher Em¬
pfindung gepriesen.




Ivilhelm Steinhausen, ein religiöser Maler

selbst der Teufel am Boden hat nichts Knirschendes, nur etwas aus Gebrochen¬
heit dumpf Grollendes. So kann dies Blatt wirklich als Wandschmuck dienen,
ohne die schlichte Freundlichkeit eines Mädchenzimmers zu unterbrechen. Gerade
dieser trotz aller eindringlichen Bestimmtheit leisen und schlichten Sprache wegen
sollten Steinhausens Lithographien als Wandschmuck verbreiteter sein. Gewiß sind
auch technisch unschöne, eigentümlich verschwommene Blätter darunter, wie der
Christus im Weinberg, dessen liebevoll und sachte prüfende Handbewegung
immerhin so eigentümlich suggestiv wirkt; aber auch so schlichte überzeugende
Darstellungen finden sich, wie Christus und der Blindgeborene, wo der Zu¬
sammenklang der glatten Seeflächen mit der sanften Gebärde des Heilands eine
so beruhigende Wirkung ausübt, oder das Blatt Christus und der reiche Jüng¬
ling, der hier weder ein vornehmer, kostümtreu hingestellter Römer oder Grieche,
noch ein moderner Gutsbesitzer- oder Fabrikantensohn ist, wie ihn Abbe kon-
seauenterweise hätte darstellen müssen, sondern der richtige schöngelockte Märchen¬
jüngling in kostbarem Brokat und Pelzwerk. Und besonders hingewiesen sei
noch auf das monumentale, leider in vielen unzulänglichen Reproduktionen ver¬
breitete Blatt „Christi Seepredigt", oder auf jene ernste Mahnung an Erwachsene
„Der Größte im Himmelreich", mit den groß charakterisierten Vertretern der
Lebensalter, dem milden Christus und dem Kindlein, das ohne zu ahnen, welch
ernste Wahrheit es den Erwachsenen zur Anschauung bringt, getrost und harmlos
zum Bilde hinaussieht.

Zum Schluß noch einige Worte, um Steinhausens Realismus zu ver¬
teidigen. Nicht als ob er an sich der Verteidigung bedürfte, sind doch Dürer
und Rembrandt ebenfalls Realisten gewesen, aber gerade in den Kreisen, in
denen Steinhausens Kunst am ehesten Aufnahme finden sollte, besteht gegen
realistische Bilder noch immer ein starkes Vorurteil, das allerdings zum Teil
durch wirklich abstoßende Übertreibungen ungereifter oder der bloßen Sensation
nachgebender Künstler hervorgerufen sein mag. Aber es ist ein großer Unter¬
schied, ob man das Häßliche aufsucht oder es als etwas Selbstverständliches
behandelt. Das letztere tut Steinhausen. Er liebt die Welt, wie sie ist, er
lehnt es in echt christlicher Demut ab, irgend etwas schöner machen zu wollen,
als Gott es geschaffen hat; und er hat selber das bedeutungsvolle Wort
gesprochen: „Wer nicht das Sichtbare heiß und innig liebt, kann es nicht zum
Träger der Geistigen machen". Und dient nicht das Vorhandensein des Hä߬
lichen erst recht dazu, die große, allumfassende Liebe dessen, der die Mühseligen
und Beladenen zu sich berief, der mit Zöllnern und Sündern an einem Tische
saß, zum siegreichen Ausdruck zu bringen? Auch liegt es nicht im Wesen des
Deutschen, zu dem siegbringenden Gott zu beten, der Deutsche braucht Christus,
den leiderfahrenen, aber eben deshalb alles verstehenden starken Freund. Und
darum sei uns Steinhausens Kunst als echter und wahrer Ausdruck christlicher Em¬
pfindung gepriesen.




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[0226] Ivilhelm Steinhausen, ein religiöser Maler selbst der Teufel am Boden hat nichts Knirschendes, nur etwas aus Gebrochen¬ heit dumpf Grollendes. So kann dies Blatt wirklich als Wandschmuck dienen, ohne die schlichte Freundlichkeit eines Mädchenzimmers zu unterbrechen. Gerade dieser trotz aller eindringlichen Bestimmtheit leisen und schlichten Sprache wegen sollten Steinhausens Lithographien als Wandschmuck verbreiteter sein. Gewiß sind auch technisch unschöne, eigentümlich verschwommene Blätter darunter, wie der Christus im Weinberg, dessen liebevoll und sachte prüfende Handbewegung immerhin so eigentümlich suggestiv wirkt; aber auch so schlichte überzeugende Darstellungen finden sich, wie Christus und der Blindgeborene, wo der Zu¬ sammenklang der glatten Seeflächen mit der sanften Gebärde des Heilands eine so beruhigende Wirkung ausübt, oder das Blatt Christus und der reiche Jüng¬ ling, der hier weder ein vornehmer, kostümtreu hingestellter Römer oder Grieche, noch ein moderner Gutsbesitzer- oder Fabrikantensohn ist, wie ihn Abbe kon- seauenterweise hätte darstellen müssen, sondern der richtige schöngelockte Märchen¬ jüngling in kostbarem Brokat und Pelzwerk. Und besonders hingewiesen sei noch auf das monumentale, leider in vielen unzulänglichen Reproduktionen ver¬ breitete Blatt „Christi Seepredigt", oder auf jene ernste Mahnung an Erwachsene „Der Größte im Himmelreich", mit den groß charakterisierten Vertretern der Lebensalter, dem milden Christus und dem Kindlein, das ohne zu ahnen, welch ernste Wahrheit es den Erwachsenen zur Anschauung bringt, getrost und harmlos zum Bilde hinaussieht. Zum Schluß noch einige Worte, um Steinhausens Realismus zu ver¬ teidigen. Nicht als ob er an sich der Verteidigung bedürfte, sind doch Dürer und Rembrandt ebenfalls Realisten gewesen, aber gerade in den Kreisen, in denen Steinhausens Kunst am ehesten Aufnahme finden sollte, besteht gegen realistische Bilder noch immer ein starkes Vorurteil, das allerdings zum Teil durch wirklich abstoßende Übertreibungen ungereifter oder der bloßen Sensation nachgebender Künstler hervorgerufen sein mag. Aber es ist ein großer Unter¬ schied, ob man das Häßliche aufsucht oder es als etwas Selbstverständliches behandelt. Das letztere tut Steinhausen. Er liebt die Welt, wie sie ist, er lehnt es in echt christlicher Demut ab, irgend etwas schöner machen zu wollen, als Gott es geschaffen hat; und er hat selber das bedeutungsvolle Wort gesprochen: „Wer nicht das Sichtbare heiß und innig liebt, kann es nicht zum Träger der Geistigen machen". Und dient nicht das Vorhandensein des Hä߬ lichen erst recht dazu, die große, allumfassende Liebe dessen, der die Mühseligen und Beladenen zu sich berief, der mit Zöllnern und Sündern an einem Tische saß, zum siegreichen Ausdruck zu bringen? Auch liegt es nicht im Wesen des Deutschen, zu dem siegbringenden Gott zu beten, der Deutsche braucht Christus, den leiderfahrenen, aber eben deshalb alles verstehenden starken Freund. Und darum sei uns Steinhausens Kunst als echter und wahrer Ausdruck christlicher Em¬ pfindung gepriesen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/226>, abgerufen am 23.07.2024.