Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.Reichsspiegol fahren, so lange sie keinerlei generelle Abkommen für das ganze Reich schließen, Nun höre ich den Einwand: aber die Ostmark! Es ist das in der Tat Reichsspiegol fahren, so lange sie keinerlei generelle Abkommen für das ganze Reich schließen, Nun höre ich den Einwand: aber die Ostmark! Es ist das in der Tat <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0210" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/319811"/> <fw type="header" place="top"> Reichsspiegol</fw><lb/> <p xml:id="ID_862" prev="#ID_861"> fahren, so lange sie keinerlei generelle Abkommen für das ganze Reich schließen,<lb/> sondern die Entscheidung von Fall zu Fall treffen. Sie blieben damit ihrem<lb/> historischen Grundsatz treu. Den Forderungen des Augenblicks aber entsprächen<lb/> sie am besten, wenn sie den Ausgleich finden könnten zwischen den Bedürfnissen<lb/> des Staates und denen der einzelnen Staatsbürger. Ein solcher Ausgleich aber<lb/> wäre nur denkbar, wenn die Konservativen, besser wie es geschieht, den Erforder¬<lb/> nissen der Zeit entgegenkämen und wenn sie ihren Widerstand an durchgreifenden<lb/> Wirtschaftsreformen aufgeben wollten. Das ist aber nicht der Fall. Nicht<lb/> persönliche Gegensätze zwischen den Herren v. Heydebrand und Bassermann trennen<lb/> die Parteien, wie verbreitet wird, sondern die tiefgehende Verschiedenheit der<lb/> Auffassungen über die Bedürfnisse der Nation. Vielleicht aber lehrt der Ausgang<lb/> der Wahlfchlacht die Notwendigkeit der Aussöhnung, die dann freilich auch im<lb/> Interesse der Gesamtheit läge.</p><lb/> <p xml:id="ID_863" next="#ID_864"> Nun höre ich den Einwand: aber die Ostmark! Es ist das in der Tat<lb/> der wundeste Punkt der uationalliberalen Stellung. Das Auftreten der National¬<lb/> liberalen in Posen und Westpreußen mit eigenen Organisationen war geeignet,<lb/> in die gegen das Polentum geeinten Deutschen Unfrieden zu tragen. Besonders<lb/> schmerzlich wird solches von allen denen empfunden werden, die für die Aus¬<lb/> breitung des Deutschtums in der Ostmark kämpfen. Dennoch scheint es, als<lb/> müsse auch diese Störung mit in Kauf genommen werden, nachdem die national-<lb/> liberale Partei sich als diejenige erwiesen hat, die von allen bürgerlichen Par¬<lb/> teien am konsequentesten an den Mitteln festhält, die zur Germanisierung des<lb/> Ostens notwendig erscheinen. Der Freisinn hat die Ostmarkenpolitik durch über¬<lb/> große Rücksichtnahme auf die städtische handeltreibende Bevölkerung gehemmt,<lb/> die Konservativen Endellscher Färbung haben zu häusig und gezwungen durch<lb/> die Schwierigkeit, Landarbeiter zu erhalten, das Interesse des Großgrundbesitzes<lb/> über das der deutschen Nationalität gestellt. Die Nationalliberalen allein —<lb/> wenn von den Parteilosen abgesehen wird — haben den national und volkswirt¬<lb/> schaftlich gleich einwandfreien Standpunkt eingenommen, daß es die Zahl der<lb/> deutscheu Bewohner ist, die vor allen Dingen darüber entscheidet, ob die Ost¬<lb/> mark deutsch bleiben soll oder nicht. Unter dem Druck chauvinistischer Regungen<lb/> ist man leider ini Jahre 1903 zur Annahme des Enteignungsgesetzes gekommen,<lb/> das, obwohl unter konservativer Mitwirkung geboren, die Konservativen beun¬<lb/> ruhigen mußte, sobald diese einigermaßen kühl über alle Konsequenzen dieser<lb/> Durchbrechung des Eigentumsprinzips nachdachten. Jetzt steht dies Gesetz<lb/> trennend zwischen den Konservativen und Nationalliberalen der Ostmark, weil<lb/> die Nationalliberalen für seine Anwendung eintreten, während die Konservativen<lb/> es unter Führung der Majoratsbesitzer perhorreszieren. Nun scheint es aber<lb/> doch in der Ostmark eine Brücke des Verständnisses zu geben. Die Negierung<lb/> glaubt einen Weg gefunden zu haben, auf dem das Ziel der Ost marken-<lb/> Politik sicherer erreicht werden soll als durch das Mittel der Enteignung.<lb/> Wenn nicht alle Anzeichen trügen, will die Regierung die Bevölkerungsfrage</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0210]
Reichsspiegol
fahren, so lange sie keinerlei generelle Abkommen für das ganze Reich schließen,
sondern die Entscheidung von Fall zu Fall treffen. Sie blieben damit ihrem
historischen Grundsatz treu. Den Forderungen des Augenblicks aber entsprächen
sie am besten, wenn sie den Ausgleich finden könnten zwischen den Bedürfnissen
des Staates und denen der einzelnen Staatsbürger. Ein solcher Ausgleich aber
wäre nur denkbar, wenn die Konservativen, besser wie es geschieht, den Erforder¬
nissen der Zeit entgegenkämen und wenn sie ihren Widerstand an durchgreifenden
Wirtschaftsreformen aufgeben wollten. Das ist aber nicht der Fall. Nicht
persönliche Gegensätze zwischen den Herren v. Heydebrand und Bassermann trennen
die Parteien, wie verbreitet wird, sondern die tiefgehende Verschiedenheit der
Auffassungen über die Bedürfnisse der Nation. Vielleicht aber lehrt der Ausgang
der Wahlfchlacht die Notwendigkeit der Aussöhnung, die dann freilich auch im
Interesse der Gesamtheit läge.
Nun höre ich den Einwand: aber die Ostmark! Es ist das in der Tat
der wundeste Punkt der uationalliberalen Stellung. Das Auftreten der National¬
liberalen in Posen und Westpreußen mit eigenen Organisationen war geeignet,
in die gegen das Polentum geeinten Deutschen Unfrieden zu tragen. Besonders
schmerzlich wird solches von allen denen empfunden werden, die für die Aus¬
breitung des Deutschtums in der Ostmark kämpfen. Dennoch scheint es, als
müsse auch diese Störung mit in Kauf genommen werden, nachdem die national-
liberale Partei sich als diejenige erwiesen hat, die von allen bürgerlichen Par¬
teien am konsequentesten an den Mitteln festhält, die zur Germanisierung des
Ostens notwendig erscheinen. Der Freisinn hat die Ostmarkenpolitik durch über¬
große Rücksichtnahme auf die städtische handeltreibende Bevölkerung gehemmt,
die Konservativen Endellscher Färbung haben zu häusig und gezwungen durch
die Schwierigkeit, Landarbeiter zu erhalten, das Interesse des Großgrundbesitzes
über das der deutschen Nationalität gestellt. Die Nationalliberalen allein —
wenn von den Parteilosen abgesehen wird — haben den national und volkswirt¬
schaftlich gleich einwandfreien Standpunkt eingenommen, daß es die Zahl der
deutscheu Bewohner ist, die vor allen Dingen darüber entscheidet, ob die Ost¬
mark deutsch bleiben soll oder nicht. Unter dem Druck chauvinistischer Regungen
ist man leider ini Jahre 1903 zur Annahme des Enteignungsgesetzes gekommen,
das, obwohl unter konservativer Mitwirkung geboren, die Konservativen beun¬
ruhigen mußte, sobald diese einigermaßen kühl über alle Konsequenzen dieser
Durchbrechung des Eigentumsprinzips nachdachten. Jetzt steht dies Gesetz
trennend zwischen den Konservativen und Nationalliberalen der Ostmark, weil
die Nationalliberalen für seine Anwendung eintreten, während die Konservativen
es unter Führung der Majoratsbesitzer perhorreszieren. Nun scheint es aber
doch in der Ostmark eine Brücke des Verständnisses zu geben. Die Negierung
glaubt einen Weg gefunden zu haben, auf dem das Ziel der Ost marken-
Politik sicherer erreicht werden soll als durch das Mittel der Enteignung.
Wenn nicht alle Anzeichen trügen, will die Regierung die Bevölkerungsfrage
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