Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Reichsbank und Geldumlauf

trachtung. Offenbar handelt es sich also um eine Erscheinung, deren Ursachen
in gewissen Verschiebungen unseres Wirtschaftslebens zu suchen sind, Verschiebungen,
die erst in allerjüngster Zeit sich in verstärktem Maße fühlbar machen. Dies
wird auch durch die Ausweisziffern der Reichsbank belegt. Das Krisenjahr
hatte am 31. Dezember den bis dahin höchsten Wechselbestand der Reichsbank
mit etwa 1445 Millionen gebracht. Es war dies nach allgemeiner Auffassung
eine durch die damalige Geld- und Kreditnot bedingte Ausnahmeerscheinung.
Wer hätte vermuten sollen, daß schon am 30. September 1909 unter ganz
normalen Umständen und bei einem Zinsfuß von 4 Prozent der Wechselbestand
etwa 90 Millionen höher sein und der Notenumlauf auf mehr als 2 Milliarden
ansteigen werde?

Die Gründe für diesen außerordentlich gesteigerten Bedarf nach Zahlungs¬
mitteln liegen nun nicht -- wie man vermuten könnte -- in der Ausdehnung
und dem Aufschwung des Erwerbslebens, insbesondere nicht in einer Zunahme
dauernder Kreditbedürfnisse. Dagegen spricht schon der normale Stand des
Zinsfußes; dem widerspricht auch der nach Überwindung des Zahlungstermines
regelmäßig eintretende rasche Rückfluß und die in den Zwischenzeiten normale
Inanspruchnahme der Reichsbank. Die Durchschnittsziffern der Wechsel- und
Lombardanlage und des Notenumlaufs bewegen sich zwar von 1908 bis 1910
aufwärts, bleiben aber hinter denen des Jahres 1907 zurück. Dabei ist zu
berücksichtigen, daß der Durchschnitt durch die außerordentlich hohen Posten der
Quartalsausweise ungünstig beeinflußt wird. Es liegt also -- verglichen mit
früheren Perioden -- eine außergewöhnliche Anspannung an den Quartalsterminen
vor, welche nicht auf Gründe allgemeiner wirtschaftlicher Natur zurückzuführen
ist. Diese Anspannung ist so bedeutend, daß sie die prozentuale Notendeckung
um mehr als ein Drittel sinken läßt. In der letzten Märzwoche hat sich die
Bardeckung von 89,5 Prozent auf 56,7 Prozent, in der letzten Juniwoche von
90,2 Prozent auf 60,4, in der letzten Septemberwoche von 69,3 auf 44,9
Prozent ermäßigt, in früheren Terminen ist die Bardeckung sogar noch stärker,
bis auf 40,3 Prozent, gesunken. Setzt sich also die Steigerung des Quartals¬
bedarfs in der gleichen Weise fort, so liegt die Gefahr nahe, daß die Grenze
der gesetzlichen Dritteldeckung erreicht werden könnte. Dann bliebe nur die
Wahl, die Tätigkeit der Reichsbank ausgeschaltet zu sehen, oder das Bankgesetz
zu verletzen oder zu suspendieren, Möglichkeiten, die ohne schwere wirtschaftliche
Erschütterungen nicht denkbar sind. Es gilt also in der Tat hier vorzubeugen.




Reichsbank und Geldumlauf

trachtung. Offenbar handelt es sich also um eine Erscheinung, deren Ursachen
in gewissen Verschiebungen unseres Wirtschaftslebens zu suchen sind, Verschiebungen,
die erst in allerjüngster Zeit sich in verstärktem Maße fühlbar machen. Dies
wird auch durch die Ausweisziffern der Reichsbank belegt. Das Krisenjahr
hatte am 31. Dezember den bis dahin höchsten Wechselbestand der Reichsbank
mit etwa 1445 Millionen gebracht. Es war dies nach allgemeiner Auffassung
eine durch die damalige Geld- und Kreditnot bedingte Ausnahmeerscheinung.
Wer hätte vermuten sollen, daß schon am 30. September 1909 unter ganz
normalen Umständen und bei einem Zinsfuß von 4 Prozent der Wechselbestand
etwa 90 Millionen höher sein und der Notenumlauf auf mehr als 2 Milliarden
ansteigen werde?

Die Gründe für diesen außerordentlich gesteigerten Bedarf nach Zahlungs¬
mitteln liegen nun nicht — wie man vermuten könnte — in der Ausdehnung
und dem Aufschwung des Erwerbslebens, insbesondere nicht in einer Zunahme
dauernder Kreditbedürfnisse. Dagegen spricht schon der normale Stand des
Zinsfußes; dem widerspricht auch der nach Überwindung des Zahlungstermines
regelmäßig eintretende rasche Rückfluß und die in den Zwischenzeiten normale
Inanspruchnahme der Reichsbank. Die Durchschnittsziffern der Wechsel- und
Lombardanlage und des Notenumlaufs bewegen sich zwar von 1908 bis 1910
aufwärts, bleiben aber hinter denen des Jahres 1907 zurück. Dabei ist zu
berücksichtigen, daß der Durchschnitt durch die außerordentlich hohen Posten der
Quartalsausweise ungünstig beeinflußt wird. Es liegt also — verglichen mit
früheren Perioden — eine außergewöhnliche Anspannung an den Quartalsterminen
vor, welche nicht auf Gründe allgemeiner wirtschaftlicher Natur zurückzuführen
ist. Diese Anspannung ist so bedeutend, daß sie die prozentuale Notendeckung
um mehr als ein Drittel sinken läßt. In der letzten Märzwoche hat sich die
Bardeckung von 89,5 Prozent auf 56,7 Prozent, in der letzten Juniwoche von
90,2 Prozent auf 60,4, in der letzten Septemberwoche von 69,3 auf 44,9
Prozent ermäßigt, in früheren Terminen ist die Bardeckung sogar noch stärker,
bis auf 40,3 Prozent, gesunken. Setzt sich also die Steigerung des Quartals¬
bedarfs in der gleichen Weise fort, so liegt die Gefahr nahe, daß die Grenze
der gesetzlichen Dritteldeckung erreicht werden könnte. Dann bliebe nur die
Wahl, die Tätigkeit der Reichsbank ausgeschaltet zu sehen, oder das Bankgesetz
zu verletzen oder zu suspendieren, Möglichkeiten, die ohne schwere wirtschaftliche
Erschütterungen nicht denkbar sind. Es gilt also in der Tat hier vorzubeugen.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0188" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/319789"/>
          <fw type="header" place="top"> Reichsbank und Geldumlauf</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_739" prev="#ID_738"> trachtung. Offenbar handelt es sich also um eine Erscheinung, deren Ursachen<lb/>
in gewissen Verschiebungen unseres Wirtschaftslebens zu suchen sind, Verschiebungen,<lb/>
die erst in allerjüngster Zeit sich in verstärktem Maße fühlbar machen. Dies<lb/>
wird auch durch die Ausweisziffern der Reichsbank belegt. Das Krisenjahr<lb/>
hatte am 31. Dezember den bis dahin höchsten Wechselbestand der Reichsbank<lb/>
mit etwa 1445 Millionen gebracht. Es war dies nach allgemeiner Auffassung<lb/>
eine durch die damalige Geld- und Kreditnot bedingte Ausnahmeerscheinung.<lb/>
Wer hätte vermuten sollen, daß schon am 30. September 1909 unter ganz<lb/>
normalen Umständen und bei einem Zinsfuß von 4 Prozent der Wechselbestand<lb/>
etwa 90 Millionen höher sein und der Notenumlauf auf mehr als 2 Milliarden<lb/>
ansteigen werde?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_740"> Die Gründe für diesen außerordentlich gesteigerten Bedarf nach Zahlungs¬<lb/>
mitteln liegen nun nicht &#x2014; wie man vermuten könnte &#x2014; in der Ausdehnung<lb/>
und dem Aufschwung des Erwerbslebens, insbesondere nicht in einer Zunahme<lb/>
dauernder Kreditbedürfnisse. Dagegen spricht schon der normale Stand des<lb/>
Zinsfußes; dem widerspricht auch der nach Überwindung des Zahlungstermines<lb/>
regelmäßig eintretende rasche Rückfluß und die in den Zwischenzeiten normale<lb/>
Inanspruchnahme der Reichsbank. Die Durchschnittsziffern der Wechsel- und<lb/>
Lombardanlage und des Notenumlaufs bewegen sich zwar von 1908 bis 1910<lb/>
aufwärts, bleiben aber hinter denen des Jahres 1907 zurück. Dabei ist zu<lb/>
berücksichtigen, daß der Durchschnitt durch die außerordentlich hohen Posten der<lb/>
Quartalsausweise ungünstig beeinflußt wird. Es liegt also &#x2014; verglichen mit<lb/>
früheren Perioden &#x2014; eine außergewöhnliche Anspannung an den Quartalsterminen<lb/>
vor, welche nicht auf Gründe allgemeiner wirtschaftlicher Natur zurückzuführen<lb/>
ist. Diese Anspannung ist so bedeutend, daß sie die prozentuale Notendeckung<lb/>
um mehr als ein Drittel sinken läßt. In der letzten Märzwoche hat sich die<lb/>
Bardeckung von 89,5 Prozent auf 56,7 Prozent, in der letzten Juniwoche von<lb/>
90,2 Prozent auf 60,4, in der letzten Septemberwoche von 69,3 auf 44,9<lb/>
Prozent ermäßigt, in früheren Terminen ist die Bardeckung sogar noch stärker,<lb/>
bis auf 40,3 Prozent, gesunken. Setzt sich also die Steigerung des Quartals¬<lb/>
bedarfs in der gleichen Weise fort, so liegt die Gefahr nahe, daß die Grenze<lb/>
der gesetzlichen Dritteldeckung erreicht werden könnte. Dann bliebe nur die<lb/>
Wahl, die Tätigkeit der Reichsbank ausgeschaltet zu sehen, oder das Bankgesetz<lb/>
zu verletzen oder zu suspendieren, Möglichkeiten, die ohne schwere wirtschaftliche<lb/>
Erschütterungen nicht denkbar sind.  Es gilt also in der Tat hier vorzubeugen.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0188] Reichsbank und Geldumlauf trachtung. Offenbar handelt es sich also um eine Erscheinung, deren Ursachen in gewissen Verschiebungen unseres Wirtschaftslebens zu suchen sind, Verschiebungen, die erst in allerjüngster Zeit sich in verstärktem Maße fühlbar machen. Dies wird auch durch die Ausweisziffern der Reichsbank belegt. Das Krisenjahr hatte am 31. Dezember den bis dahin höchsten Wechselbestand der Reichsbank mit etwa 1445 Millionen gebracht. Es war dies nach allgemeiner Auffassung eine durch die damalige Geld- und Kreditnot bedingte Ausnahmeerscheinung. Wer hätte vermuten sollen, daß schon am 30. September 1909 unter ganz normalen Umständen und bei einem Zinsfuß von 4 Prozent der Wechselbestand etwa 90 Millionen höher sein und der Notenumlauf auf mehr als 2 Milliarden ansteigen werde? Die Gründe für diesen außerordentlich gesteigerten Bedarf nach Zahlungs¬ mitteln liegen nun nicht — wie man vermuten könnte — in der Ausdehnung und dem Aufschwung des Erwerbslebens, insbesondere nicht in einer Zunahme dauernder Kreditbedürfnisse. Dagegen spricht schon der normale Stand des Zinsfußes; dem widerspricht auch der nach Überwindung des Zahlungstermines regelmäßig eintretende rasche Rückfluß und die in den Zwischenzeiten normale Inanspruchnahme der Reichsbank. Die Durchschnittsziffern der Wechsel- und Lombardanlage und des Notenumlaufs bewegen sich zwar von 1908 bis 1910 aufwärts, bleiben aber hinter denen des Jahres 1907 zurück. Dabei ist zu berücksichtigen, daß der Durchschnitt durch die außerordentlich hohen Posten der Quartalsausweise ungünstig beeinflußt wird. Es liegt also — verglichen mit früheren Perioden — eine außergewöhnliche Anspannung an den Quartalsterminen vor, welche nicht auf Gründe allgemeiner wirtschaftlicher Natur zurückzuführen ist. Diese Anspannung ist so bedeutend, daß sie die prozentuale Notendeckung um mehr als ein Drittel sinken läßt. In der letzten Märzwoche hat sich die Bardeckung von 89,5 Prozent auf 56,7 Prozent, in der letzten Juniwoche von 90,2 Prozent auf 60,4, in der letzten Septemberwoche von 69,3 auf 44,9 Prozent ermäßigt, in früheren Terminen ist die Bardeckung sogar noch stärker, bis auf 40,3 Prozent, gesunken. Setzt sich also die Steigerung des Quartals¬ bedarfs in der gleichen Weise fort, so liegt die Gefahr nahe, daß die Grenze der gesetzlichen Dritteldeckung erreicht werden könnte. Dann bliebe nur die Wahl, die Tätigkeit der Reichsbank ausgeschaltet zu sehen, oder das Bankgesetz zu verletzen oder zu suspendieren, Möglichkeiten, die ohne schwere wirtschaftliche Erschütterungen nicht denkbar sind. Es gilt also in der Tat hier vorzubeugen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/188
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/188>, abgerufen am 23.07.2024.