Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches [Beginn Spaltensatz] Jnknlanz nennen würde. Auf den Passcigier- Doch gibt es noch einen Chorus der Billig¬ Jonathan Swift schickte seinen Gulliver Schulen sind, seit einem Jahrzehnt etwa, Jeder hat in seinem Hause das Recht, Veruntreuungen. Was noch zu Menschen¬ Maßgebliches und Unmaßgebliches [Beginn Spaltensatz] Jnknlanz nennen würde. Auf den Passcigier- Doch gibt es noch einen Chorus der Billig¬ Jonathan Swift schickte seinen Gulliver Schulen sind, seit einem Jahrzehnt etwa, Jeder hat in seinem Hause das Recht, Veruntreuungen. Was noch zu Menschen¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0581" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/319528"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <cb type="start"/> <p xml:id="ID_2772" prev="#ID_2771"> Jnknlanz nennen würde. Auf den Passcigier-<lb/> dampfern mit Dcmevrogflagge bekommt so<lb/> leicht kein Deutscher eine Kabine, ehe nicht<lb/> der letzte landsmännische Anspruch erfüllt<lb/> ist, und die ländlichen Verpflegungshäuser<lb/> schränken zwar nicht den Preis, Wohl aber<lb/> die Leistungen unbefangen ein, wenn nur<lb/> noch Deutsche zu befriedigen sind. Das Wieder¬<lb/> erscheinen dänischer Gäste bewirkt dann Prompt<lb/> eine vorteilhafte Umwälzung, und es freut<lb/> den Wundermilden Besitzer ovenein, wenn<lb/> naive Klagen, die zu den Ohren der An¬<lb/> kömmlinge dringen, seinen Ruf als Patrioten<lb/> bekräftigen.</p> <p xml:id="ID_2773"> Doch gibt es noch einen Chorus der Billig¬<lb/> denkenden. Sie meinen, all dergleichen sei<lb/> Gefühlssymptom, und zwar eins mit tragischer<lb/> Note: Furcht und Abscheu. Der Abscheu<lb/> datiere von DüPPel und Alsen, die Furcht<lb/> betreffe die Zukunft. Deutschland habe so<lb/> viele Schiffe, Menschen, und weite Taschen<lb/> überdies. Allein die Einwendung ist an sich<lb/> ungenügend. Schon der alte Ernst Moritz<lb/> Arndt hat den dünischen Charakter im Ver¬<lb/> kehr mit uns auf die heut noch zutreffende<lb/> Weise skizziert.</p> <p xml:id="ID_2774" next="#ID_2775"> Jonathan Swift schickte seinen Gulliver<lb/> nicht nur nach Lilliput, sondern auch zu den<lb/> Riesen. Sie waren gutmütiger als sie aus¬<lb/> sahen, aber es fiel dem Helden schwer, das<lb/> immer vorweg anzunehmen. Ein solcher<lb/> Gulliver unter den europäischen Nationen<lb/> wohnt am Oeresund, ist alt dabei geworden,<lb/> hat sich mit vielen verständigen Dingen ver¬<lb/> ständig beschäftigt, Haus, Hof, Garten treff¬<lb/> lich gepflegt und sogar gelernt, in perspek¬<lb/> tivischer Entfernung lebende Völker dreist zu<lb/> betrachten. Nur die Riesen nahebei, die<lb/> machen ihn heimlich in seinen ewigen Kinder¬<lb/> schuhen erzittern. Er lehrt seine Sprossen, und<lb/> diese lehren die Enkel, daß Giganten ein Exzeß<lb/> der Natur und bestimmt wären, eines Tages<lb/> den Hals gerade vor Gullivers Tür zu brechen.<lb/> Bis dahin jedoch dürfe man sie nicht gerade¬<lb/> hin reizen, sondern nur bei ihrer Dummheit<lb/> fassen, wo es irgend geschehen könne. Jahr¬<lb/> zehnte hindurch gab eS sogar eine Gulliver-<lb/> Politik am Oeresund, bestimmt, die Riesen<lb/> gegeneinander in Harnisch zu treiben. Das<lb/> hat aufgehört, aber national ist die Erinne¬<lb/> rung daran geblieben, und aus den dänischen</p> <cb/><lb/> <p xml:id="ID_2775" prev="#ID_2774"> Schulen sind, seit einem Jahrzehnt etwa,<lb/> deutscher Schriftduktus und deutscher Sprach¬<lb/> unterricht verbannt worden.</p> <p xml:id="ID_2776"> Jeder hat in seinem Hause das Recht,<lb/> zu tun, was ihm gefällt und gut scheint. Er<lb/> kann alle Türen und Fenster schließen, sich<lb/> dann vor den Spiegel stellen und sagen, er<lb/> wäre jetzt der riesigste Riese zwischen beiden<lb/> Brandmauern. Aber die Erziehung zu künst¬<lb/> lichem Hochmut und zur Praktischen Betätigung<lb/> zweckloser Unfreundlichkeiten macht erst recht<lb/> klein, und, was noch hinderlicher werden<lb/> kann, es vereitelt Sympathien, für die sonst<lb/> der Boden da sein würde. Was die dänische<lb/> Presse über die deutschen Besucher für Be¬<lb/> trachtungen anzustellen liebt, ist mehr und<lb/> mehr aufgefallen. Wir aber haben es fertig<lb/> gebracht, vor nicht langer Zeit die Sommer¬<lb/> wirte und ihren Anhang in einem deutschen<lb/> Mittelgebirge nachhaltig zu bekehren. Seit¬<lb/> dem herrscht dort wirkliche Kulanz. ES wäre<lb/> doppelt empfehlenswert, wenn im kommenden<lb/> Sommer die „Wurstdeutschen" auch einmal<lb/> das Land, wo sie so heißen, überschlugen<lb/> und den Erfolg anderwärts abwarteten.</p> <note type="byline"> D. O.</note> </div> <div n="3"> <head> Veruntreuungen.</head> <p xml:id="ID_2777" next="#ID_2778"> Was noch zu Menschen¬<lb/> gedenken Aufregung erweckte und das ganze<lb/> Land beschäftigte, geht heut als Tagesvegebnis,<lb/> dem morgen ein gleiches folgen wird, ohne<lb/> tiefere Spur vorüber. Als vor dreißig Jahren<lb/> ein gewisser Jander mehrere Hunderttausende<lb/> — oder waren eS nicht einmal so viele —<lb/> unterschlagen hatte und geflohen war, folgte<lb/> man der langwierigen Suche mit höchster<lb/> Spannung, und halb Berlin war dann bei<lb/> seiner Einbringung um den Stettiner Bahnhof<lb/> versammelt. Jung und Alt sang den Gassen¬<lb/> hauer mit, der dieses Exemplum behandelte.<lb/> Wenige Jahre darauf stand der Kassierer eines<lb/> großen Leipziger Hauses vorGericht und wollte,<lb/> im Zorn über die mangelnde Geneigtheit der<lb/> Richter für mildernde Umstände, dann geltend<lb/> machen, daß alle seine Vorgänger auf dem<lb/> Posten nicht treuer gewesen seien als er, der<lb/> Pechvogel. Aber nun seien sie angesehene<lb/> Männer.. .; die Entrüstung des Gerichts¬<lb/> hofes schnitt dem Angeklagten das Wort ab.<lb/> Heute würde zwar das Tribunal ebensowenig<lb/> auf dieses naheliegende Manöver eingehen,<lb/> aber man ist nach anderer Richtung schärfer</p> <cb type="end"/><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0581]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Jnknlanz nennen würde. Auf den Passcigier-
dampfern mit Dcmevrogflagge bekommt so
leicht kein Deutscher eine Kabine, ehe nicht
der letzte landsmännische Anspruch erfüllt
ist, und die ländlichen Verpflegungshäuser
schränken zwar nicht den Preis, Wohl aber
die Leistungen unbefangen ein, wenn nur
noch Deutsche zu befriedigen sind. Das Wieder¬
erscheinen dänischer Gäste bewirkt dann Prompt
eine vorteilhafte Umwälzung, und es freut
den Wundermilden Besitzer ovenein, wenn
naive Klagen, die zu den Ohren der An¬
kömmlinge dringen, seinen Ruf als Patrioten
bekräftigen.
Doch gibt es noch einen Chorus der Billig¬
denkenden. Sie meinen, all dergleichen sei
Gefühlssymptom, und zwar eins mit tragischer
Note: Furcht und Abscheu. Der Abscheu
datiere von DüPPel und Alsen, die Furcht
betreffe die Zukunft. Deutschland habe so
viele Schiffe, Menschen, und weite Taschen
überdies. Allein die Einwendung ist an sich
ungenügend. Schon der alte Ernst Moritz
Arndt hat den dünischen Charakter im Ver¬
kehr mit uns auf die heut noch zutreffende
Weise skizziert.
Jonathan Swift schickte seinen Gulliver
nicht nur nach Lilliput, sondern auch zu den
Riesen. Sie waren gutmütiger als sie aus¬
sahen, aber es fiel dem Helden schwer, das
immer vorweg anzunehmen. Ein solcher
Gulliver unter den europäischen Nationen
wohnt am Oeresund, ist alt dabei geworden,
hat sich mit vielen verständigen Dingen ver¬
ständig beschäftigt, Haus, Hof, Garten treff¬
lich gepflegt und sogar gelernt, in perspek¬
tivischer Entfernung lebende Völker dreist zu
betrachten. Nur die Riesen nahebei, die
machen ihn heimlich in seinen ewigen Kinder¬
schuhen erzittern. Er lehrt seine Sprossen, und
diese lehren die Enkel, daß Giganten ein Exzeß
der Natur und bestimmt wären, eines Tages
den Hals gerade vor Gullivers Tür zu brechen.
Bis dahin jedoch dürfe man sie nicht gerade¬
hin reizen, sondern nur bei ihrer Dummheit
fassen, wo es irgend geschehen könne. Jahr¬
zehnte hindurch gab eS sogar eine Gulliver-
Politik am Oeresund, bestimmt, die Riesen
gegeneinander in Harnisch zu treiben. Das
hat aufgehört, aber national ist die Erinne¬
rung daran geblieben, und aus den dänischen
Schulen sind, seit einem Jahrzehnt etwa,
deutscher Schriftduktus und deutscher Sprach¬
unterricht verbannt worden.
Jeder hat in seinem Hause das Recht,
zu tun, was ihm gefällt und gut scheint. Er
kann alle Türen und Fenster schließen, sich
dann vor den Spiegel stellen und sagen, er
wäre jetzt der riesigste Riese zwischen beiden
Brandmauern. Aber die Erziehung zu künst¬
lichem Hochmut und zur Praktischen Betätigung
zweckloser Unfreundlichkeiten macht erst recht
klein, und, was noch hinderlicher werden
kann, es vereitelt Sympathien, für die sonst
der Boden da sein würde. Was die dänische
Presse über die deutschen Besucher für Be¬
trachtungen anzustellen liebt, ist mehr und
mehr aufgefallen. Wir aber haben es fertig
gebracht, vor nicht langer Zeit die Sommer¬
wirte und ihren Anhang in einem deutschen
Mittelgebirge nachhaltig zu bekehren. Seit¬
dem herrscht dort wirkliche Kulanz. ES wäre
doppelt empfehlenswert, wenn im kommenden
Sommer die „Wurstdeutschen" auch einmal
das Land, wo sie so heißen, überschlugen
und den Erfolg anderwärts abwarteten.
D. O. Veruntreuungen. Was noch zu Menschen¬
gedenken Aufregung erweckte und das ganze
Land beschäftigte, geht heut als Tagesvegebnis,
dem morgen ein gleiches folgen wird, ohne
tiefere Spur vorüber. Als vor dreißig Jahren
ein gewisser Jander mehrere Hunderttausende
— oder waren eS nicht einmal so viele —
unterschlagen hatte und geflohen war, folgte
man der langwierigen Suche mit höchster
Spannung, und halb Berlin war dann bei
seiner Einbringung um den Stettiner Bahnhof
versammelt. Jung und Alt sang den Gassen¬
hauer mit, der dieses Exemplum behandelte.
Wenige Jahre darauf stand der Kassierer eines
großen Leipziger Hauses vorGericht und wollte,
im Zorn über die mangelnde Geneigtheit der
Richter für mildernde Umstände, dann geltend
machen, daß alle seine Vorgänger auf dem
Posten nicht treuer gewesen seien als er, der
Pechvogel. Aber nun seien sie angesehene
Männer.. .; die Entrüstung des Gerichts¬
hofes schnitt dem Angeklagten das Wort ab.
Heute würde zwar das Tribunal ebensowenig
auf dieses naheliegende Manöver eingehen,
aber man ist nach anderer Richtung schärfer
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