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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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Elsaß-lothringischer Nationalbund und Nationalismus

Der Zweig der nationalistischen Bewegung, dem von der Presse die meiste
Aufmerksamkeit geschenkt wird, ist naturgemäß der politische. Der politische
Nationalismus, der am 25. Juni d. Is. im Nationalbund eine feste äußere
Form erhalten hat, ging von Colmar aus. Seine Führer waren seit 1896
bzw. 1898 die Herren Wetterlö und Preiß. So lange der reichsländische
Klerikalismus keine feste, an ein bestimmtes Programm gebundene politische
Organisation besaß, konnten diese beiden mit großer agitatorischer Gewandtheit
ausgerüsteten Herren in ihm und mit ihm ihre besonderen nationalen Ziele
verfolgen. Auf Widerstand stießen sie in diesen Kreisen nicht. Aber es gelang
ihnen auch nicht, sich über eine vorwiegend lokale Bedeutung emporzuschwingen.

Die Gründung des elsaß-lothringischen Zentrums im Jahre 1902 änderte
ihre Lage. Im Anschluß an das altdeutsche Zentrum schlug der reichsländische
Klerikalismus einen Weg ein, der zum Ausgleich der Gegensätze zwischen Alt-
Elsaß-Lothringern und Altdeutschen sowie zur Preisgabe der Absonderung gegen¬
über der Reichspolitik führen mußte. Auf diesem Wege wollten weder Wetterlö
und Preiß noch die übrigen Politiker, die sich inzwischen um sie geschart hatten,
mitgehen. Anderseits war die Zentrumsbewegung damals in Elsaß-Lothringen
zu stark, ihre Anhänger waren zu gut gerüstet und zu energisch, als daß der un¬
organisierte Nationalismus ihnen erfolgreich hätte Widerstand leisten können. So
machten sie bei innerem Widerstreben zwar äußerlich mit, benutzten aber, und
das war die glänzendste Leistung ihrer Taktik, die neugeschaffene große und bis
zu einem gewissen Grade einheitliche Organisation dazu, die Kreise, an die sie
bis dahin gar nicht hatten gelangen können, für ihre nationalistischen Ideen zu
gewinnen. So schlug die Bewegung, die bei etwas Entschlossenheit und Einsicht
der Gründer und Führer des elsaß-lothringischen Zentrums dem Nationalismus
hätte verderblich werden müssen, zu seinem Vorteil aus, weil das Zentrum aus
Angst, Mandate im Reichstag und Landesausschuß zu verlieren, nicht wagte,
den Trennungsstrich zwischen seinen aufrichtigen Freunden und den natio¬
nalistischen Mitläufern zu ziehen.

Wie notwendig diese Scheidung nicht nur aus nationalen, sondern auch
aus parteitaktischen Gründen gewesen wäre, bewiesen die Vorgänge bei der
Beratung und nach der Annahme der Verfassungsreform. Nicht auf fort¬
schrittliche Entwicklung der staatlichen Verhältnisse Elsaß-Lothringens an sich
kam es den Nationalisten an, sondern auf die Schaffung eines Staates, in
dessen innere Gestaltung das Reich noch weniger hinein zu reden gehabt hätte,
als in die der Bundesstaaten. Politisch undurchführbare und staatsrechtlich
ganz unhaltbare Vorschläge wurden von ihrer Seite gemacht. Die Republik
wurde gefordert, eine elsaß-lothringische Ä88emblöe Longtituante sollte die
Verfassungsfrage lösen, die Jnstruierung der Bundesratsbevollmächtigten sollte
durch den Landtag erfolgen, der Statthalter sollte auf Lebenszeit ernannt werden
und aus eigenem Recht die Minister ernennen usw., und als man sah, daß
die Verfassungsreform über die Grenzen der Souveränitätsfrage ganz sicher


Elsaß-lothringischer Nationalbund und Nationalismus

Der Zweig der nationalistischen Bewegung, dem von der Presse die meiste
Aufmerksamkeit geschenkt wird, ist naturgemäß der politische. Der politische
Nationalismus, der am 25. Juni d. Is. im Nationalbund eine feste äußere
Form erhalten hat, ging von Colmar aus. Seine Führer waren seit 1896
bzw. 1898 die Herren Wetterlö und Preiß. So lange der reichsländische
Klerikalismus keine feste, an ein bestimmtes Programm gebundene politische
Organisation besaß, konnten diese beiden mit großer agitatorischer Gewandtheit
ausgerüsteten Herren in ihm und mit ihm ihre besonderen nationalen Ziele
verfolgen. Auf Widerstand stießen sie in diesen Kreisen nicht. Aber es gelang
ihnen auch nicht, sich über eine vorwiegend lokale Bedeutung emporzuschwingen.

Die Gründung des elsaß-lothringischen Zentrums im Jahre 1902 änderte
ihre Lage. Im Anschluß an das altdeutsche Zentrum schlug der reichsländische
Klerikalismus einen Weg ein, der zum Ausgleich der Gegensätze zwischen Alt-
Elsaß-Lothringern und Altdeutschen sowie zur Preisgabe der Absonderung gegen¬
über der Reichspolitik führen mußte. Auf diesem Wege wollten weder Wetterlö
und Preiß noch die übrigen Politiker, die sich inzwischen um sie geschart hatten,
mitgehen. Anderseits war die Zentrumsbewegung damals in Elsaß-Lothringen
zu stark, ihre Anhänger waren zu gut gerüstet und zu energisch, als daß der un¬
organisierte Nationalismus ihnen erfolgreich hätte Widerstand leisten können. So
machten sie bei innerem Widerstreben zwar äußerlich mit, benutzten aber, und
das war die glänzendste Leistung ihrer Taktik, die neugeschaffene große und bis
zu einem gewissen Grade einheitliche Organisation dazu, die Kreise, an die sie
bis dahin gar nicht hatten gelangen können, für ihre nationalistischen Ideen zu
gewinnen. So schlug die Bewegung, die bei etwas Entschlossenheit und Einsicht
der Gründer und Führer des elsaß-lothringischen Zentrums dem Nationalismus
hätte verderblich werden müssen, zu seinem Vorteil aus, weil das Zentrum aus
Angst, Mandate im Reichstag und Landesausschuß zu verlieren, nicht wagte,
den Trennungsstrich zwischen seinen aufrichtigen Freunden und den natio¬
nalistischen Mitläufern zu ziehen.

Wie notwendig diese Scheidung nicht nur aus nationalen, sondern auch
aus parteitaktischen Gründen gewesen wäre, bewiesen die Vorgänge bei der
Beratung und nach der Annahme der Verfassungsreform. Nicht auf fort¬
schrittliche Entwicklung der staatlichen Verhältnisse Elsaß-Lothringens an sich
kam es den Nationalisten an, sondern auf die Schaffung eines Staates, in
dessen innere Gestaltung das Reich noch weniger hinein zu reden gehabt hätte,
als in die der Bundesstaaten. Politisch undurchführbare und staatsrechtlich
ganz unhaltbare Vorschläge wurden von ihrer Seite gemacht. Die Republik
wurde gefordert, eine elsaß-lothringische Ä88emblöe Longtituante sollte die
Verfassungsfrage lösen, die Jnstruierung der Bundesratsbevollmächtigten sollte
durch den Landtag erfolgen, der Statthalter sollte auf Lebenszeit ernannt werden
und aus eigenem Recht die Minister ernennen usw., und als man sah, daß
die Verfassungsreform über die Grenzen der Souveränitätsfrage ganz sicher


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[0547] Elsaß-lothringischer Nationalbund und Nationalismus Der Zweig der nationalistischen Bewegung, dem von der Presse die meiste Aufmerksamkeit geschenkt wird, ist naturgemäß der politische. Der politische Nationalismus, der am 25. Juni d. Is. im Nationalbund eine feste äußere Form erhalten hat, ging von Colmar aus. Seine Führer waren seit 1896 bzw. 1898 die Herren Wetterlö und Preiß. So lange der reichsländische Klerikalismus keine feste, an ein bestimmtes Programm gebundene politische Organisation besaß, konnten diese beiden mit großer agitatorischer Gewandtheit ausgerüsteten Herren in ihm und mit ihm ihre besonderen nationalen Ziele verfolgen. Auf Widerstand stießen sie in diesen Kreisen nicht. Aber es gelang ihnen auch nicht, sich über eine vorwiegend lokale Bedeutung emporzuschwingen. Die Gründung des elsaß-lothringischen Zentrums im Jahre 1902 änderte ihre Lage. Im Anschluß an das altdeutsche Zentrum schlug der reichsländische Klerikalismus einen Weg ein, der zum Ausgleich der Gegensätze zwischen Alt- Elsaß-Lothringern und Altdeutschen sowie zur Preisgabe der Absonderung gegen¬ über der Reichspolitik führen mußte. Auf diesem Wege wollten weder Wetterlö und Preiß noch die übrigen Politiker, die sich inzwischen um sie geschart hatten, mitgehen. Anderseits war die Zentrumsbewegung damals in Elsaß-Lothringen zu stark, ihre Anhänger waren zu gut gerüstet und zu energisch, als daß der un¬ organisierte Nationalismus ihnen erfolgreich hätte Widerstand leisten können. So machten sie bei innerem Widerstreben zwar äußerlich mit, benutzten aber, und das war die glänzendste Leistung ihrer Taktik, die neugeschaffene große und bis zu einem gewissen Grade einheitliche Organisation dazu, die Kreise, an die sie bis dahin gar nicht hatten gelangen können, für ihre nationalistischen Ideen zu gewinnen. So schlug die Bewegung, die bei etwas Entschlossenheit und Einsicht der Gründer und Führer des elsaß-lothringischen Zentrums dem Nationalismus hätte verderblich werden müssen, zu seinem Vorteil aus, weil das Zentrum aus Angst, Mandate im Reichstag und Landesausschuß zu verlieren, nicht wagte, den Trennungsstrich zwischen seinen aufrichtigen Freunden und den natio¬ nalistischen Mitläufern zu ziehen. Wie notwendig diese Scheidung nicht nur aus nationalen, sondern auch aus parteitaktischen Gründen gewesen wäre, bewiesen die Vorgänge bei der Beratung und nach der Annahme der Verfassungsreform. Nicht auf fort¬ schrittliche Entwicklung der staatlichen Verhältnisse Elsaß-Lothringens an sich kam es den Nationalisten an, sondern auf die Schaffung eines Staates, in dessen innere Gestaltung das Reich noch weniger hinein zu reden gehabt hätte, als in die der Bundesstaaten. Politisch undurchführbare und staatsrechtlich ganz unhaltbare Vorschläge wurden von ihrer Seite gemacht. Die Republik wurde gefordert, eine elsaß-lothringische Ä88emblöe Longtituante sollte die Verfassungsfrage lösen, die Jnstruierung der Bundesratsbevollmächtigten sollte durch den Landtag erfolgen, der Statthalter sollte auf Lebenszeit ernannt werden und aus eigenem Recht die Minister ernennen usw., und als man sah, daß die Verfassungsreform über die Grenzen der Souveränitätsfrage ganz sicher

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/547>, abgerufen am 04.01.2025.