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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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Wir machen auf den der heutigen Gesamtauflage beiliegenden Prospekt der Verlags¬
buchhandlung Georg Bondi, Berlin ^V. 62, über Theobald Ziegler: "Die geistigen und
sozialen Strömungen des 19. Jahrhunderts" hierdurch besonders aufmerksam.

(Llsaß-lothringischer
Nationalbund und Nationalismus
von in. Wintcrberg

in April dieses Jahres wurde in Heft 16 der Grenzboten die
Gründung, Entwicklung und politische Bedeutung des elsa߬
lothringischen Zentrums besprochen. Die Abhandlung kam zu dem
zusammenfassenden Urteil, die Zentrumsbewegung, die ursprünglich
auch vom politischen Gegner als eine Förderung des Deutschtums
in Elsaß-Lothringen begrüßt werden konnte, habe durch eigene Schuld des reichs-
ländischen Zentrums dahin geführt, daß dieses heute mit Recht als national
unzuverlässig und als Schutz antideutscher und undeutscher Bestrebungen gelte,
und daß dieser Vorwurf zu Recht bestehe, so lange die Partei sich nicht ent¬
schließen könne, im eigenen Haus Ordnung zu schaffen, d. h. die Nationalisten
aus ihren Reihen zu entfernen.

Das elsaß-lothringische Zentrum hat sich gegen eine derartige Beurteilung
seines politischen und nationalen Charakters zwar stets zur Wehr gesetzt und
das Bestehen einer nationalistischen Richtung innerhalb seiner Organisation
bestritten, aber die Ereignisse, die seit der Annahme der Verfafsungsreform im
politischen Leben Elsaß-Lothringens eingetreten sind, haben schneller, als man
erwarten konnte, die Richtigkeit jenes Urteils bestätigt.

Aus der Mitte des elsaß-lothringischen Zentrums, gefördert von der
Mehrzahl seiner Abgeordneten, ist im Juni dieses Jahres, wenige Tage nach der
Annahme des Verfassungsgesetzes, ein neues Parteigebilde hervorgegangen, das
unter dem Namen "Elsaß-lothringischer Nationalbund" alle Elemente der alt-
elsaß-lothringischen Bevölkerung zusammenfassen will, die in der bewußten Ab¬
lehnung jeder innigeren Verschmelzung mit dem Deutschen Reiche und dem
Deutschtum, dasür aber in um so innigerer Pflege aller kulturellen, wirtschaft¬
lichen, gesellschaftlichen und auch politischen Beziehungen zu Frankreich das Heil
des erträumten autonomen Staates Elsaß-Lothringen erblicken.


Grenzboten III 1911 68


Wir machen auf den der heutigen Gesamtauflage beiliegenden Prospekt der Verlags¬
buchhandlung Georg Bondi, Berlin ^V. 62, über Theobald Ziegler: „Die geistigen und
sozialen Strömungen des 19. Jahrhunderts" hierdurch besonders aufmerksam.

(Llsaß-lothringischer
Nationalbund und Nationalismus
von in. Wintcrberg

in April dieses Jahres wurde in Heft 16 der Grenzboten die
Gründung, Entwicklung und politische Bedeutung des elsa߬
lothringischen Zentrums besprochen. Die Abhandlung kam zu dem
zusammenfassenden Urteil, die Zentrumsbewegung, die ursprünglich
auch vom politischen Gegner als eine Förderung des Deutschtums
in Elsaß-Lothringen begrüßt werden konnte, habe durch eigene Schuld des reichs-
ländischen Zentrums dahin geführt, daß dieses heute mit Recht als national
unzuverlässig und als Schutz antideutscher und undeutscher Bestrebungen gelte,
und daß dieser Vorwurf zu Recht bestehe, so lange die Partei sich nicht ent¬
schließen könne, im eigenen Haus Ordnung zu schaffen, d. h. die Nationalisten
aus ihren Reihen zu entfernen.

Das elsaß-lothringische Zentrum hat sich gegen eine derartige Beurteilung
seines politischen und nationalen Charakters zwar stets zur Wehr gesetzt und
das Bestehen einer nationalistischen Richtung innerhalb seiner Organisation
bestritten, aber die Ereignisse, die seit der Annahme der Verfafsungsreform im
politischen Leben Elsaß-Lothringens eingetreten sind, haben schneller, als man
erwarten konnte, die Richtigkeit jenes Urteils bestätigt.

Aus der Mitte des elsaß-lothringischen Zentrums, gefördert von der
Mehrzahl seiner Abgeordneten, ist im Juni dieses Jahres, wenige Tage nach der
Annahme des Verfassungsgesetzes, ein neues Parteigebilde hervorgegangen, das
unter dem Namen „Elsaß-lothringischer Nationalbund" alle Elemente der alt-
elsaß-lothringischen Bevölkerung zusammenfassen will, die in der bewußten Ab¬
lehnung jeder innigeren Verschmelzung mit dem Deutschen Reiche und dem
Deutschtum, dasür aber in um so innigerer Pflege aller kulturellen, wirtschaft¬
lichen, gesellschaftlichen und auch politischen Beziehungen zu Frankreich das Heil
des erträumten autonomen Staates Elsaß-Lothringen erblicken.


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[0545] [Abbildung] Wir machen auf den der heutigen Gesamtauflage beiliegenden Prospekt der Verlags¬ buchhandlung Georg Bondi, Berlin ^V. 62, über Theobald Ziegler: „Die geistigen und sozialen Strömungen des 19. Jahrhunderts" hierdurch besonders aufmerksam. (Llsaß-lothringischer Nationalbund und Nationalismus von in. Wintcrberg in April dieses Jahres wurde in Heft 16 der Grenzboten die Gründung, Entwicklung und politische Bedeutung des elsa߬ lothringischen Zentrums besprochen. Die Abhandlung kam zu dem zusammenfassenden Urteil, die Zentrumsbewegung, die ursprünglich auch vom politischen Gegner als eine Förderung des Deutschtums in Elsaß-Lothringen begrüßt werden konnte, habe durch eigene Schuld des reichs- ländischen Zentrums dahin geführt, daß dieses heute mit Recht als national unzuverlässig und als Schutz antideutscher und undeutscher Bestrebungen gelte, und daß dieser Vorwurf zu Recht bestehe, so lange die Partei sich nicht ent¬ schließen könne, im eigenen Haus Ordnung zu schaffen, d. h. die Nationalisten aus ihren Reihen zu entfernen. Das elsaß-lothringische Zentrum hat sich gegen eine derartige Beurteilung seines politischen und nationalen Charakters zwar stets zur Wehr gesetzt und das Bestehen einer nationalistischen Richtung innerhalb seiner Organisation bestritten, aber die Ereignisse, die seit der Annahme der Verfafsungsreform im politischen Leben Elsaß-Lothringens eingetreten sind, haben schneller, als man erwarten konnte, die Richtigkeit jenes Urteils bestätigt. Aus der Mitte des elsaß-lothringischen Zentrums, gefördert von der Mehrzahl seiner Abgeordneten, ist im Juni dieses Jahres, wenige Tage nach der Annahme des Verfassungsgesetzes, ein neues Parteigebilde hervorgegangen, das unter dem Namen „Elsaß-lothringischer Nationalbund" alle Elemente der alt- elsaß-lothringischen Bevölkerung zusammenfassen will, die in der bewußten Ab¬ lehnung jeder innigeren Verschmelzung mit dem Deutschen Reiche und dem Deutschtum, dasür aber in um so innigerer Pflege aller kulturellen, wirtschaft¬ lichen, gesellschaftlichen und auch politischen Beziehungen zu Frankreich das Heil des erträumten autonomen Staates Elsaß-Lothringen erblicken. Grenzboten III 1911 68

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/545>, abgerufen am 04.01.2025.