Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.Rcichssxiegel konnte sie zwei Tage früher das tun, was sie getan, und brauchte es nicht bis Am 29. Juni ist in Straßburg der "Elsaß-Lothringische Nationalbund" In amtlichen Kreisen wird der Bewegung keine große Bedeutung bei¬ Rcichssxiegel konnte sie zwei Tage früher das tun, was sie getan, und brauchte es nicht bis Am 29. Juni ist in Straßburg der „Elsaß-Lothringische Nationalbund" In amtlichen Kreisen wird der Bewegung keine große Bedeutung bei¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0054" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/319003"/> <fw type="header" place="top"> Rcichssxiegel</fw><lb/> <p xml:id="ID_776" prev="#ID_775"> konnte sie zwei Tage früher das tun, was sie getan, und brauchte es nicht bis<lb/> zur Festsetzung auf die Tagesordnung kommen lassen. Nun sie es doch getan,<lb/> hat sie wieder einmal unnötig von ihrem Kredite drangegeben und die Spaltung<lb/> zwischen den bürgerlichen Parteien, insonderheit zwischen Konservativen und<lb/> Nationalliberalen, vertieft. Damit aber zeigt die Regierung, wie völlig un¬<lb/> selbständig sie in der Leitung der Geschäfte ist, und wie sie eine Politik von<lb/> Fall zu Fall sührt ohne Initiative und ohne Richtlinien. Eine solche Politik<lb/> kann nicht zur Beruhigung und zum Ausgleich führen, sondern muß die Gegen¬<lb/> sätze vertiefen.</p><lb/> <p xml:id="ID_777"> Am 29. Juni ist in Straßburg der „Elsaß-Lothringische Nationalbund"<lb/> ins Leben getreten. Blumenthal, Preis; und Wetterlö sind seine Väter. Das<lb/> Programm des Bundes dürfte daher niemanden überraschen. Es fordert:<lb/> volle Autonomie; Landesbeamte, die die landesübliche Sprache beherrschen;<lb/> einheimischen Bewerbern ist der Zutritt im weitesten Maße zu ermöglichen;<lb/> Sparsamste Finanzpolitik; Abschaffung der Überweisungen an Preußen aus den<lb/> Erträgnissen der Zölle; Verweigerung jedes neuen Kredits für Heer, Marine<lb/> und höheres Beamtentum; Beteiligung am Gewinn aus den Reichseisenbahnen<lb/> in Elsaß-Lothringen; Pflege des französischen Sprachunterrichtes in den Volks¬<lb/> schulen; Amnestie der Refraktäre, die vor 1890 das Land verlassen haben;<lb/> Einstellung der Rekruten in elsaß-lothringische Regimenter; wirksame Vertretung<lb/> von Ackerbau, Industrie, Handel und Gewerbe; wirtschaftliche Bahnbauten, die<lb/> nicht mehr nach strategischen Rücksichten angelegt werden sollen; Berücksichtigung<lb/> der einheimischen Firmen bei Submissionen; Einführung der .Konsulate; Aufent¬<lb/> haltserleichterung der ausgewanderten Elsaß-Lothringer; Pflege des nuits an pa88ö.</p><lb/> <p xml:id="ID_778"> In amtlichen Kreisen wird der Bewegung keine große Bedeutung bei¬<lb/> gemessen, weil sich angeblich das elsaß-lothringische Zentrum ihr nicht an¬<lb/> geschlossen habe. Ich fürchte, diese Auffassung ist mehr von dem Wunsche, daß<lb/> es so sein möge, als von den Tatsachen diktiert. Die Geschichte des elsa߬<lb/> lothringischen Zentrums, die den Lesern der Grenzboten in Heft 16 d. Is.<lb/> vorgeführt wurde, 'läßt eher den entgegengesetzten Schluß zu. Wie dem auch<lb/> sei: die Vorgänge in den Reichslanden bedürfen der aufmerksamsten Beobachtung,<lb/> auch wenn die Regierung noch so beruhigende Mitteilungen von dorther verbreitet.<lb/> Eingestandenermaßen benutzen die Franzosenfreunde die neuen politischen Zu¬<lb/> stände, um ihren Einfluß nach Möglichkeit zu stärken, und das Zentrum hat<lb/> bisher noch nicht das ernste Wollen gezeigt, sich den: Separatismus zu wider¬<lb/> setzen. Eine wirkliche Wendung zum Besseren, d. h. eine Bekehrung der Elsässer<lb/> zum Reichsgedanken, kann ich mir nur durch die Vermittlung der Sozial¬<lb/> demokratie versprechen, die dank dem dem Lande zugebilligten Wahlrechte keine<lb/> unerhebliche Bedeutung für die weitere Entwicklung der deutsch-reichsländischen<lb/> Beziehungen haben dürfte. Diese Hoffnung wird wohl auch die deutsche Reichs¬<lb/> regierung geleitet haben, als sie sich entschloß, mit der sozialdemokratischen<lb/> Reichstagsfraktion zu verhandeln.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0054]
Rcichssxiegel
konnte sie zwei Tage früher das tun, was sie getan, und brauchte es nicht bis
zur Festsetzung auf die Tagesordnung kommen lassen. Nun sie es doch getan,
hat sie wieder einmal unnötig von ihrem Kredite drangegeben und die Spaltung
zwischen den bürgerlichen Parteien, insonderheit zwischen Konservativen und
Nationalliberalen, vertieft. Damit aber zeigt die Regierung, wie völlig un¬
selbständig sie in der Leitung der Geschäfte ist, und wie sie eine Politik von
Fall zu Fall sührt ohne Initiative und ohne Richtlinien. Eine solche Politik
kann nicht zur Beruhigung und zum Ausgleich führen, sondern muß die Gegen¬
sätze vertiefen.
Am 29. Juni ist in Straßburg der „Elsaß-Lothringische Nationalbund"
ins Leben getreten. Blumenthal, Preis; und Wetterlö sind seine Väter. Das
Programm des Bundes dürfte daher niemanden überraschen. Es fordert:
volle Autonomie; Landesbeamte, die die landesübliche Sprache beherrschen;
einheimischen Bewerbern ist der Zutritt im weitesten Maße zu ermöglichen;
Sparsamste Finanzpolitik; Abschaffung der Überweisungen an Preußen aus den
Erträgnissen der Zölle; Verweigerung jedes neuen Kredits für Heer, Marine
und höheres Beamtentum; Beteiligung am Gewinn aus den Reichseisenbahnen
in Elsaß-Lothringen; Pflege des französischen Sprachunterrichtes in den Volks¬
schulen; Amnestie der Refraktäre, die vor 1890 das Land verlassen haben;
Einstellung der Rekruten in elsaß-lothringische Regimenter; wirksame Vertretung
von Ackerbau, Industrie, Handel und Gewerbe; wirtschaftliche Bahnbauten, die
nicht mehr nach strategischen Rücksichten angelegt werden sollen; Berücksichtigung
der einheimischen Firmen bei Submissionen; Einführung der .Konsulate; Aufent¬
haltserleichterung der ausgewanderten Elsaß-Lothringer; Pflege des nuits an pa88ö.
In amtlichen Kreisen wird der Bewegung keine große Bedeutung bei¬
gemessen, weil sich angeblich das elsaß-lothringische Zentrum ihr nicht an¬
geschlossen habe. Ich fürchte, diese Auffassung ist mehr von dem Wunsche, daß
es so sein möge, als von den Tatsachen diktiert. Die Geschichte des elsa߬
lothringischen Zentrums, die den Lesern der Grenzboten in Heft 16 d. Is.
vorgeführt wurde, 'läßt eher den entgegengesetzten Schluß zu. Wie dem auch
sei: die Vorgänge in den Reichslanden bedürfen der aufmerksamsten Beobachtung,
auch wenn die Regierung noch so beruhigende Mitteilungen von dorther verbreitet.
Eingestandenermaßen benutzen die Franzosenfreunde die neuen politischen Zu¬
stände, um ihren Einfluß nach Möglichkeit zu stärken, und das Zentrum hat
bisher noch nicht das ernste Wollen gezeigt, sich den: Separatismus zu wider¬
setzen. Eine wirkliche Wendung zum Besseren, d. h. eine Bekehrung der Elsässer
zum Reichsgedanken, kann ich mir nur durch die Vermittlung der Sozial¬
demokratie versprechen, die dank dem dem Lande zugebilligten Wahlrechte keine
unerhebliche Bedeutung für die weitere Entwicklung der deutsch-reichsländischen
Beziehungen haben dürfte. Diese Hoffnung wird wohl auch die deutsche Reichs¬
regierung geleitet haben, als sie sich entschloß, mit der sozialdemokratischen
Reichstagsfraktion zu verhandeln.
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