Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Rcichsspicgcl

ist aus den deutsch-russischen Beziehungen verbannt und England erneut als
Zwischenträger bloßgestellt.

Wir wünschten, es gelänge Herrn von Kiderlen auch an anderer Stelle die
verderbliche Tätigkeit der englischen Diplomatie bloszulegen, es gelänge ihm
nachzuweisen, wie es wieder England in erster Linie ist, das die deutsch-französischen
Verhandlungen stört, und wie von englischer Seite jedes Moment gewissenlos
aber klug ausgenutzt wird, um Deutschland in einen Krieg mit Frankreich zu Hetzen.

Leider wird die Tätigkeit der deutschen Diplomatie durch die Stellung¬
nahme der nationalen Presse in Deutschland im Marokkohandel empfindlich
beeinträchtigt. Ich verkenne durchaus nicht den Wert, den besonders die in
der Presse zutage getretene Einmütigkeit im Hinblick auf die innerpolitische
Lage hat, aber ich möchte sie auch nicht überschätzt wissen; ich kann nicht
glauben, daß sie einen günstigen Einfluß auf die deutsch-französischen Ver¬
handlungen ausübt. In unserer Presse kommt vielfach eine Stimmungsmache
beteiligter Kreise zum Ausdruck, die wahrscheinlich nicht hätte so verheerend wirken
können, wenn überall die verantwortlichen Persönlichkeiten in den Redaktionen am
Platze gewesen wären. Aber wie es so der Sommer mit sich bringt: die Chefs
weilen in den Ferien, die saure Gurke regiert. Das beste Beispiel für die
Richtigkeit meiner Auffassung liegt in der geradezu unverständlichen Entgleisung
der Post, die deren Herausgeber gern ungeschehen machen würde. Solche an
Gewissenlosigkeit streifende Fehler sind seitens der deutschen Presse zu Dutzenden
begangen worden und der Katzenjammer wird wahrscheinlich nicht ausbleiben,
auch bei den Lesern nicht, die sich dem Taumel der Presse widerstandslos hin¬
gegeben haben. Ob die Presse in dieser Situation gut abschneidet, soll hier nicht
untersucht werden; vielleicht gibt demnächst eine Betrachtung über die innerpolitische
G. Li. Lage bessere Gelegenheit dazu.

Herr Generalmajor v. Loebell schreibt uns:

"Fest steht schon jetzt, daß die Zeitungsartikel, in denen übertriebene Forde¬
rungen vertreten wurden, Deutschland nicht, dem Auslande aber zum Vorteil
gereichten; handelt es sich doch nicht um Forderungen eines Siegers nach einem
glücklichen Kriege. Und selbst nach einem solchen werden den Sieger Weltpolitik,
vorangegangene Abmachungen und Verträge zur Mäßigung bei seinen Forderungen
zwingen. Durch derartige Artikel wurden Hoffnungen erweckt, die zu erfüllen
gar nicht in der Absicht der Regierung gelegen hat. Andererseits konnte aber die
Regierung aus der Haltung der nationalen Presse auch entnehmen, daß der Friede um
jeden Preis nicht den Anschauungen des deutschen Volkes entsprach; das gibt der Re¬
gierung besondern Rückhalt bei den Verhandlungen über die Marokkofrage. Es kam für
Deutschland darauf an, für den tatsächlichen Bruch der Algecirasakte von Frankreich
eine Entschädigung zu erhalten. Hierbei legte die Regierung den größten Wert
auf die Sicherung der Freiheit für den deutschen Handel in Marokko, nebenher
lief die Kompensationsfrage. Wünschenswert wäre es, wenn der Landerwerb durch
Kompensation derart ausfiele, daß die Kosten, die jeder Erwerb von Kolonialland
in sich schließt, gedeckt werden. Auch müßten sich in späteren Jahren die Mehr-


Rcichsspicgcl

ist aus den deutsch-russischen Beziehungen verbannt und England erneut als
Zwischenträger bloßgestellt.

Wir wünschten, es gelänge Herrn von Kiderlen auch an anderer Stelle die
verderbliche Tätigkeit der englischen Diplomatie bloszulegen, es gelänge ihm
nachzuweisen, wie es wieder England in erster Linie ist, das die deutsch-französischen
Verhandlungen stört, und wie von englischer Seite jedes Moment gewissenlos
aber klug ausgenutzt wird, um Deutschland in einen Krieg mit Frankreich zu Hetzen.

Leider wird die Tätigkeit der deutschen Diplomatie durch die Stellung¬
nahme der nationalen Presse in Deutschland im Marokkohandel empfindlich
beeinträchtigt. Ich verkenne durchaus nicht den Wert, den besonders die in
der Presse zutage getretene Einmütigkeit im Hinblick auf die innerpolitische
Lage hat, aber ich möchte sie auch nicht überschätzt wissen; ich kann nicht
glauben, daß sie einen günstigen Einfluß auf die deutsch-französischen Ver¬
handlungen ausübt. In unserer Presse kommt vielfach eine Stimmungsmache
beteiligter Kreise zum Ausdruck, die wahrscheinlich nicht hätte so verheerend wirken
können, wenn überall die verantwortlichen Persönlichkeiten in den Redaktionen am
Platze gewesen wären. Aber wie es so der Sommer mit sich bringt: die Chefs
weilen in den Ferien, die saure Gurke regiert. Das beste Beispiel für die
Richtigkeit meiner Auffassung liegt in der geradezu unverständlichen Entgleisung
der Post, die deren Herausgeber gern ungeschehen machen würde. Solche an
Gewissenlosigkeit streifende Fehler sind seitens der deutschen Presse zu Dutzenden
begangen worden und der Katzenjammer wird wahrscheinlich nicht ausbleiben,
auch bei den Lesern nicht, die sich dem Taumel der Presse widerstandslos hin¬
gegeben haben. Ob die Presse in dieser Situation gut abschneidet, soll hier nicht
untersucht werden; vielleicht gibt demnächst eine Betrachtung über die innerpolitische
G. Li. Lage bessere Gelegenheit dazu.

Herr Generalmajor v. Loebell schreibt uns:

„Fest steht schon jetzt, daß die Zeitungsartikel, in denen übertriebene Forde¬
rungen vertreten wurden, Deutschland nicht, dem Auslande aber zum Vorteil
gereichten; handelt es sich doch nicht um Forderungen eines Siegers nach einem
glücklichen Kriege. Und selbst nach einem solchen werden den Sieger Weltpolitik,
vorangegangene Abmachungen und Verträge zur Mäßigung bei seinen Forderungen
zwingen. Durch derartige Artikel wurden Hoffnungen erweckt, die zu erfüllen
gar nicht in der Absicht der Regierung gelegen hat. Andererseits konnte aber die
Regierung aus der Haltung der nationalen Presse auch entnehmen, daß der Friede um
jeden Preis nicht den Anschauungen des deutschen Volkes entsprach; das gibt der Re¬
gierung besondern Rückhalt bei den Verhandlungen über die Marokkofrage. Es kam für
Deutschland darauf an, für den tatsächlichen Bruch der Algecirasakte von Frankreich
eine Entschädigung zu erhalten. Hierbei legte die Regierung den größten Wert
auf die Sicherung der Freiheit für den deutschen Handel in Marokko, nebenher
lief die Kompensationsfrage. Wünschenswert wäre es, wenn der Landerwerb durch
Kompensation derart ausfiele, daß die Kosten, die jeder Erwerb von Kolonialland
in sich schließt, gedeckt werden. Auch müßten sich in späteren Jahren die Mehr-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0390" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/319337"/>
            <fw type="header" place="top"> Rcichsspicgcl</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1952" prev="#ID_1951"> ist aus den deutsch-russischen Beziehungen verbannt und England erneut als<lb/>
Zwischenträger bloßgestellt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1953"> Wir wünschten, es gelänge Herrn von Kiderlen auch an anderer Stelle die<lb/>
verderbliche Tätigkeit der englischen Diplomatie bloszulegen, es gelänge ihm<lb/>
nachzuweisen, wie es wieder England in erster Linie ist, das die deutsch-französischen<lb/>
Verhandlungen stört, und wie von englischer Seite jedes Moment gewissenlos<lb/>
aber klug ausgenutzt wird, um Deutschland in einen Krieg mit Frankreich zu Hetzen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1954"> Leider wird die Tätigkeit der deutschen Diplomatie durch die Stellung¬<lb/>
nahme der nationalen Presse in Deutschland im Marokkohandel empfindlich<lb/>
beeinträchtigt. Ich verkenne durchaus nicht den Wert, den besonders die in<lb/>
der Presse zutage getretene Einmütigkeit im Hinblick auf die innerpolitische<lb/>
Lage hat, aber ich möchte sie auch nicht überschätzt wissen; ich kann nicht<lb/>
glauben, daß sie einen günstigen Einfluß auf die deutsch-französischen Ver¬<lb/>
handlungen ausübt. In unserer Presse kommt vielfach eine Stimmungsmache<lb/>
beteiligter Kreise zum Ausdruck, die wahrscheinlich nicht hätte so verheerend wirken<lb/>
können, wenn überall die verantwortlichen Persönlichkeiten in den Redaktionen am<lb/>
Platze gewesen wären. Aber wie es so der Sommer mit sich bringt: die Chefs<lb/>
weilen in den Ferien, die saure Gurke regiert. Das beste Beispiel für die<lb/>
Richtigkeit meiner Auffassung liegt in der geradezu unverständlichen Entgleisung<lb/>
der Post, die deren Herausgeber gern ungeschehen machen würde. Solche an<lb/>
Gewissenlosigkeit streifende Fehler sind seitens der deutschen Presse zu Dutzenden<lb/>
begangen worden und der Katzenjammer wird wahrscheinlich nicht ausbleiben,<lb/>
auch bei den Lesern nicht, die sich dem Taumel der Presse widerstandslos hin¬<lb/>
gegeben haben. Ob die Presse in dieser Situation gut abschneidet, soll hier nicht<lb/>
untersucht werden; vielleicht gibt demnächst eine Betrachtung über die innerpolitische<lb/><note type="byline"> G. Li.</note> Lage bessere Gelegenheit dazu. </p><lb/>
            <p xml:id="ID_1955"> Herr Generalmajor v. Loebell schreibt uns:</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1956" next="#ID_1957"> &#x201E;Fest steht schon jetzt, daß die Zeitungsartikel, in denen übertriebene Forde¬<lb/>
rungen vertreten wurden, Deutschland nicht, dem Auslande aber zum Vorteil<lb/>
gereichten; handelt es sich doch nicht um Forderungen eines Siegers nach einem<lb/>
glücklichen Kriege. Und selbst nach einem solchen werden den Sieger Weltpolitik,<lb/>
vorangegangene Abmachungen und Verträge zur Mäßigung bei seinen Forderungen<lb/>
zwingen. Durch derartige Artikel wurden Hoffnungen erweckt, die zu erfüllen<lb/>
gar nicht in der Absicht der Regierung gelegen hat. Andererseits konnte aber die<lb/>
Regierung aus der Haltung der nationalen Presse auch entnehmen, daß der Friede um<lb/>
jeden Preis nicht den Anschauungen des deutschen Volkes entsprach; das gibt der Re¬<lb/>
gierung besondern Rückhalt bei den Verhandlungen über die Marokkofrage. Es kam für<lb/>
Deutschland darauf an, für den tatsächlichen Bruch der Algecirasakte von Frankreich<lb/>
eine Entschädigung zu erhalten. Hierbei legte die Regierung den größten Wert<lb/>
auf die Sicherung der Freiheit für den deutschen Handel in Marokko, nebenher<lb/>
lief die Kompensationsfrage. Wünschenswert wäre es, wenn der Landerwerb durch<lb/>
Kompensation derart ausfiele, daß die Kosten, die jeder Erwerb von Kolonialland<lb/>
in sich schließt, gedeckt werden. Auch müßten sich in späteren Jahren die Mehr-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0390] Rcichsspicgcl ist aus den deutsch-russischen Beziehungen verbannt und England erneut als Zwischenträger bloßgestellt. Wir wünschten, es gelänge Herrn von Kiderlen auch an anderer Stelle die verderbliche Tätigkeit der englischen Diplomatie bloszulegen, es gelänge ihm nachzuweisen, wie es wieder England in erster Linie ist, das die deutsch-französischen Verhandlungen stört, und wie von englischer Seite jedes Moment gewissenlos aber klug ausgenutzt wird, um Deutschland in einen Krieg mit Frankreich zu Hetzen. Leider wird die Tätigkeit der deutschen Diplomatie durch die Stellung¬ nahme der nationalen Presse in Deutschland im Marokkohandel empfindlich beeinträchtigt. Ich verkenne durchaus nicht den Wert, den besonders die in der Presse zutage getretene Einmütigkeit im Hinblick auf die innerpolitische Lage hat, aber ich möchte sie auch nicht überschätzt wissen; ich kann nicht glauben, daß sie einen günstigen Einfluß auf die deutsch-französischen Ver¬ handlungen ausübt. In unserer Presse kommt vielfach eine Stimmungsmache beteiligter Kreise zum Ausdruck, die wahrscheinlich nicht hätte so verheerend wirken können, wenn überall die verantwortlichen Persönlichkeiten in den Redaktionen am Platze gewesen wären. Aber wie es so der Sommer mit sich bringt: die Chefs weilen in den Ferien, die saure Gurke regiert. Das beste Beispiel für die Richtigkeit meiner Auffassung liegt in der geradezu unverständlichen Entgleisung der Post, die deren Herausgeber gern ungeschehen machen würde. Solche an Gewissenlosigkeit streifende Fehler sind seitens der deutschen Presse zu Dutzenden begangen worden und der Katzenjammer wird wahrscheinlich nicht ausbleiben, auch bei den Lesern nicht, die sich dem Taumel der Presse widerstandslos hin¬ gegeben haben. Ob die Presse in dieser Situation gut abschneidet, soll hier nicht untersucht werden; vielleicht gibt demnächst eine Betrachtung über die innerpolitische G. Li. Lage bessere Gelegenheit dazu. Herr Generalmajor v. Loebell schreibt uns: „Fest steht schon jetzt, daß die Zeitungsartikel, in denen übertriebene Forde¬ rungen vertreten wurden, Deutschland nicht, dem Auslande aber zum Vorteil gereichten; handelt es sich doch nicht um Forderungen eines Siegers nach einem glücklichen Kriege. Und selbst nach einem solchen werden den Sieger Weltpolitik, vorangegangene Abmachungen und Verträge zur Mäßigung bei seinen Forderungen zwingen. Durch derartige Artikel wurden Hoffnungen erweckt, die zu erfüllen gar nicht in der Absicht der Regierung gelegen hat. Andererseits konnte aber die Regierung aus der Haltung der nationalen Presse auch entnehmen, daß der Friede um jeden Preis nicht den Anschauungen des deutschen Volkes entsprach; das gibt der Re¬ gierung besondern Rückhalt bei den Verhandlungen über die Marokkofrage. Es kam für Deutschland darauf an, für den tatsächlichen Bruch der Algecirasakte von Frankreich eine Entschädigung zu erhalten. Hierbei legte die Regierung den größten Wert auf die Sicherung der Freiheit für den deutschen Handel in Marokko, nebenher lief die Kompensationsfrage. Wünschenswert wäre es, wenn der Landerwerb durch Kompensation derart ausfiele, daß die Kosten, die jeder Erwerb von Kolonialland in sich schließt, gedeckt werden. Auch müßten sich in späteren Jahren die Mehr-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/390
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/390>, abgerufen am 29.12.2024.