Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Neue Faktoren und Tendenzen in der lveltpolitik

Flagge gebracht werden; insbesondere hat Japan in neuester Zeit seine
Beziehungen zu Südamerika gepflegt. Neue Linien sind in den letzten Jahren
eröffnet worden, auf denen in östlicher Richtung chinesische und japanische Aus¬
wanderer und Stückgut befördert werden, in westlicher Richtung Salpeter aus
Chile, Baumwolle und Wolle aus Peru. Die Japaner haben sich aber nicht
mit den wirtschaftlichen Beziehungen nach der Westküste von Südamerika begnügt,
sondern vielmehr auch nach den Ländern an der Ostküste neue Beziehungen
gesucht und in Südbrasilien sowohl wie in Argentinien Ansätze zur Kolonisation
unternommen. Gerade diese Auswanderung ist es, die schon manchen amerikanisch¬
japanischen Konflikt gezeitigt hat.

Nicht nur durch unseren eigenen Jnselbesitz im Stillen Ozean, sondern als
Weltmacht überhaupt sind wir lebhaft an diesem Ringen interessiert -- wie
schließlich jede Weltmacht an dem möglichen Zusammenstoße anderer Weltmächte,
auch, wie nicht noch einmal wiederholt zu werde" braucht, mit Rücksicht auf
unsere Interessen am ostasiatischen Markt, die dort einer einseitigen japanischen
Vormacht- und Monopolstellung zuwiderlaufen. -- Noch näher erscheint das
meerbeherrschende Albion an diesem Wettkampfe interessiert, obwohl oder weil
es im Stillen Ozean durchaus nicht mehr die uneingeschränkte Rolle des Meer¬
beherrschers spielt. Die Konkurrenz Japans und die Konkurrenz der Vereinigten
Staaten ist in England, wenn man auch nicht offen darüber spricht, selbst¬
verständlich nicht weniger gefürchtet als die Deutschlands. Im Gegenteil I Jene
beiden Länder bedrohen viel unmittelbarer englische Kolonialinteressen; aber um
sich einseitig mit der Konkurrenz Deutschlands beschäftigen zu können, muß man
in England gerade wünschen, daß Japan und Amerika einander nicht nur in
Schach halten, sondern womöglich durch das Zukunftsringen im Stillen Ozean
einander gegenseitig schwere Wunden beibringen. Eben diese Sachlage aber
muß Deutschland wiederum wünschen lassen, daß die amerikanischen und japa¬
nischen Kräfte nicht bis zur gegenseitigen Vernichtung aufeinanderprallen, von
der nur England den großen Vorteil haben würde, sondern daß jene Wett¬
bewerber stark genug bleiben, um eine ausgesprochene englische Vormachtstellung
nicht aufkommen zu lassen.

Von Natur hat jedes aufstrebende Staatswesen die Tendenz, seinen Macht¬
bereich auszudehnen über dasjenige Verkehrsgebiet, das seinen wirtschaftlichen
Bedürfnissen Befriedigung zu gewähren verspricht"). Mit zunehmender Be¬
völkerungszahl und Bevölkerungsdichtigkeit, mit vermehrter Kenntnis von der
Erdoberflüche und mit steigender Ausbildung der Verkehrsmittel entwickelt sich
die Großräumigkeit, in der diese Tendenz sich betätigt.

In neuerer Zeit verkörpern insbesondere England und Nußland die beiden
gegensätzlichen Grundtendenzen expansiver Weltpolitik: England den Drang
übers Meer, Nußland den Drang ans Meer. Nußland gliedert immer neue



*) Ausführlicheres über diese Frage in meinem Aufsatz: "Geographische Mrundungs-
tendenzen in der Weltpolitik/' Geogr. Zeitschrift 1911, Heft 1.
Neue Faktoren und Tendenzen in der lveltpolitik

Flagge gebracht werden; insbesondere hat Japan in neuester Zeit seine
Beziehungen zu Südamerika gepflegt. Neue Linien sind in den letzten Jahren
eröffnet worden, auf denen in östlicher Richtung chinesische und japanische Aus¬
wanderer und Stückgut befördert werden, in westlicher Richtung Salpeter aus
Chile, Baumwolle und Wolle aus Peru. Die Japaner haben sich aber nicht
mit den wirtschaftlichen Beziehungen nach der Westküste von Südamerika begnügt,
sondern vielmehr auch nach den Ländern an der Ostküste neue Beziehungen
gesucht und in Südbrasilien sowohl wie in Argentinien Ansätze zur Kolonisation
unternommen. Gerade diese Auswanderung ist es, die schon manchen amerikanisch¬
japanischen Konflikt gezeitigt hat.

Nicht nur durch unseren eigenen Jnselbesitz im Stillen Ozean, sondern als
Weltmacht überhaupt sind wir lebhaft an diesem Ringen interessiert — wie
schließlich jede Weltmacht an dem möglichen Zusammenstoße anderer Weltmächte,
auch, wie nicht noch einmal wiederholt zu werde» braucht, mit Rücksicht auf
unsere Interessen am ostasiatischen Markt, die dort einer einseitigen japanischen
Vormacht- und Monopolstellung zuwiderlaufen. — Noch näher erscheint das
meerbeherrschende Albion an diesem Wettkampfe interessiert, obwohl oder weil
es im Stillen Ozean durchaus nicht mehr die uneingeschränkte Rolle des Meer¬
beherrschers spielt. Die Konkurrenz Japans und die Konkurrenz der Vereinigten
Staaten ist in England, wenn man auch nicht offen darüber spricht, selbst¬
verständlich nicht weniger gefürchtet als die Deutschlands. Im Gegenteil I Jene
beiden Länder bedrohen viel unmittelbarer englische Kolonialinteressen; aber um
sich einseitig mit der Konkurrenz Deutschlands beschäftigen zu können, muß man
in England gerade wünschen, daß Japan und Amerika einander nicht nur in
Schach halten, sondern womöglich durch das Zukunftsringen im Stillen Ozean
einander gegenseitig schwere Wunden beibringen. Eben diese Sachlage aber
muß Deutschland wiederum wünschen lassen, daß die amerikanischen und japa¬
nischen Kräfte nicht bis zur gegenseitigen Vernichtung aufeinanderprallen, von
der nur England den großen Vorteil haben würde, sondern daß jene Wett¬
bewerber stark genug bleiben, um eine ausgesprochene englische Vormachtstellung
nicht aufkommen zu lassen.

Von Natur hat jedes aufstrebende Staatswesen die Tendenz, seinen Macht¬
bereich auszudehnen über dasjenige Verkehrsgebiet, das seinen wirtschaftlichen
Bedürfnissen Befriedigung zu gewähren verspricht"). Mit zunehmender Be¬
völkerungszahl und Bevölkerungsdichtigkeit, mit vermehrter Kenntnis von der
Erdoberflüche und mit steigender Ausbildung der Verkehrsmittel entwickelt sich
die Großräumigkeit, in der diese Tendenz sich betätigt.

In neuerer Zeit verkörpern insbesondere England und Nußland die beiden
gegensätzlichen Grundtendenzen expansiver Weltpolitik: England den Drang
übers Meer, Nußland den Drang ans Meer. Nußland gliedert immer neue



*) Ausführlicheres über diese Frage in meinem Aufsatz: „Geographische Mrundungs-
tendenzen in der Weltpolitik/' Geogr. Zeitschrift 1911, Heft 1.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0015" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/318964"/>
          <fw type="header" place="top"> Neue Faktoren und Tendenzen in der lveltpolitik</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_24" prev="#ID_23"> Flagge gebracht werden; insbesondere hat Japan in neuester Zeit seine<lb/>
Beziehungen zu Südamerika gepflegt. Neue Linien sind in den letzten Jahren<lb/>
eröffnet worden, auf denen in östlicher Richtung chinesische und japanische Aus¬<lb/>
wanderer und Stückgut befördert werden, in westlicher Richtung Salpeter aus<lb/>
Chile, Baumwolle und Wolle aus Peru. Die Japaner haben sich aber nicht<lb/>
mit den wirtschaftlichen Beziehungen nach der Westküste von Südamerika begnügt,<lb/>
sondern vielmehr auch nach den Ländern an der Ostküste neue Beziehungen<lb/>
gesucht und in Südbrasilien sowohl wie in Argentinien Ansätze zur Kolonisation<lb/>
unternommen. Gerade diese Auswanderung ist es, die schon manchen amerikanisch¬<lb/>
japanischen Konflikt gezeitigt hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_25"> Nicht nur durch unseren eigenen Jnselbesitz im Stillen Ozean, sondern als<lb/>
Weltmacht überhaupt sind wir lebhaft an diesem Ringen interessiert &#x2014; wie<lb/>
schließlich jede Weltmacht an dem möglichen Zusammenstoße anderer Weltmächte,<lb/>
auch, wie nicht noch einmal wiederholt zu werde» braucht, mit Rücksicht auf<lb/>
unsere Interessen am ostasiatischen Markt, die dort einer einseitigen japanischen<lb/>
Vormacht- und Monopolstellung zuwiderlaufen. &#x2014; Noch näher erscheint das<lb/>
meerbeherrschende Albion an diesem Wettkampfe interessiert, obwohl oder weil<lb/>
es im Stillen Ozean durchaus nicht mehr die uneingeschränkte Rolle des Meer¬<lb/>
beherrschers spielt. Die Konkurrenz Japans und die Konkurrenz der Vereinigten<lb/>
Staaten ist in England, wenn man auch nicht offen darüber spricht, selbst¬<lb/>
verständlich nicht weniger gefürchtet als die Deutschlands. Im Gegenteil I Jene<lb/>
beiden Länder bedrohen viel unmittelbarer englische Kolonialinteressen; aber um<lb/>
sich einseitig mit der Konkurrenz Deutschlands beschäftigen zu können, muß man<lb/>
in England gerade wünschen, daß Japan und Amerika einander nicht nur in<lb/>
Schach halten, sondern womöglich durch das Zukunftsringen im Stillen Ozean<lb/>
einander gegenseitig schwere Wunden beibringen. Eben diese Sachlage aber<lb/>
muß Deutschland wiederum wünschen lassen, daß die amerikanischen und japa¬<lb/>
nischen Kräfte nicht bis zur gegenseitigen Vernichtung aufeinanderprallen, von<lb/>
der nur England den großen Vorteil haben würde, sondern daß jene Wett¬<lb/>
bewerber stark genug bleiben, um eine ausgesprochene englische Vormachtstellung<lb/>
nicht aufkommen zu lassen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_26"> Von Natur hat jedes aufstrebende Staatswesen die Tendenz, seinen Macht¬<lb/>
bereich auszudehnen über dasjenige Verkehrsgebiet, das seinen wirtschaftlichen<lb/>
Bedürfnissen Befriedigung zu gewähren verspricht"). Mit zunehmender Be¬<lb/>
völkerungszahl und Bevölkerungsdichtigkeit, mit vermehrter Kenntnis von der<lb/>
Erdoberflüche und mit steigender Ausbildung der Verkehrsmittel entwickelt sich<lb/>
die Großräumigkeit, in der diese Tendenz sich betätigt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_27" next="#ID_28"> In neuerer Zeit verkörpern insbesondere England und Nußland die beiden<lb/>
gegensätzlichen Grundtendenzen expansiver Weltpolitik: England den Drang<lb/>
übers Meer, Nußland den Drang ans Meer. Nußland gliedert immer neue</p><lb/>
          <note xml:id="FID_4" place="foot"> *) Ausführlicheres über diese Frage in meinem Aufsatz: &#x201E;Geographische Mrundungs-<lb/>
tendenzen in der Weltpolitik/'  Geogr. Zeitschrift 1911, Heft 1.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0015] Neue Faktoren und Tendenzen in der lveltpolitik Flagge gebracht werden; insbesondere hat Japan in neuester Zeit seine Beziehungen zu Südamerika gepflegt. Neue Linien sind in den letzten Jahren eröffnet worden, auf denen in östlicher Richtung chinesische und japanische Aus¬ wanderer und Stückgut befördert werden, in westlicher Richtung Salpeter aus Chile, Baumwolle und Wolle aus Peru. Die Japaner haben sich aber nicht mit den wirtschaftlichen Beziehungen nach der Westküste von Südamerika begnügt, sondern vielmehr auch nach den Ländern an der Ostküste neue Beziehungen gesucht und in Südbrasilien sowohl wie in Argentinien Ansätze zur Kolonisation unternommen. Gerade diese Auswanderung ist es, die schon manchen amerikanisch¬ japanischen Konflikt gezeitigt hat. Nicht nur durch unseren eigenen Jnselbesitz im Stillen Ozean, sondern als Weltmacht überhaupt sind wir lebhaft an diesem Ringen interessiert — wie schließlich jede Weltmacht an dem möglichen Zusammenstoße anderer Weltmächte, auch, wie nicht noch einmal wiederholt zu werde» braucht, mit Rücksicht auf unsere Interessen am ostasiatischen Markt, die dort einer einseitigen japanischen Vormacht- und Monopolstellung zuwiderlaufen. — Noch näher erscheint das meerbeherrschende Albion an diesem Wettkampfe interessiert, obwohl oder weil es im Stillen Ozean durchaus nicht mehr die uneingeschränkte Rolle des Meer¬ beherrschers spielt. Die Konkurrenz Japans und die Konkurrenz der Vereinigten Staaten ist in England, wenn man auch nicht offen darüber spricht, selbst¬ verständlich nicht weniger gefürchtet als die Deutschlands. Im Gegenteil I Jene beiden Länder bedrohen viel unmittelbarer englische Kolonialinteressen; aber um sich einseitig mit der Konkurrenz Deutschlands beschäftigen zu können, muß man in England gerade wünschen, daß Japan und Amerika einander nicht nur in Schach halten, sondern womöglich durch das Zukunftsringen im Stillen Ozean einander gegenseitig schwere Wunden beibringen. Eben diese Sachlage aber muß Deutschland wiederum wünschen lassen, daß die amerikanischen und japa¬ nischen Kräfte nicht bis zur gegenseitigen Vernichtung aufeinanderprallen, von der nur England den großen Vorteil haben würde, sondern daß jene Wett¬ bewerber stark genug bleiben, um eine ausgesprochene englische Vormachtstellung nicht aufkommen zu lassen. Von Natur hat jedes aufstrebende Staatswesen die Tendenz, seinen Macht¬ bereich auszudehnen über dasjenige Verkehrsgebiet, das seinen wirtschaftlichen Bedürfnissen Befriedigung zu gewähren verspricht"). Mit zunehmender Be¬ völkerungszahl und Bevölkerungsdichtigkeit, mit vermehrter Kenntnis von der Erdoberflüche und mit steigender Ausbildung der Verkehrsmittel entwickelt sich die Großräumigkeit, in der diese Tendenz sich betätigt. In neuerer Zeit verkörpern insbesondere England und Nußland die beiden gegensätzlichen Grundtendenzen expansiver Weltpolitik: England den Drang übers Meer, Nußland den Drang ans Meer. Nußland gliedert immer neue *) Ausführlicheres über diese Frage in meinem Aufsatz: „Geographische Mrundungs- tendenzen in der Weltpolitik/' Geogr. Zeitschrift 1911, Heft 1.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/15
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/15>, abgerufen am 29.12.2024.