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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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Reichsspiegel

Verträge vorüber ist, verhandelt werden muß, um die durch das Abkommen von
1909 gewährleistete wirtschaftliche Gleichberechtigung endlich zur Tat werden
zu lassen.

Es handelt sich nicht um Besitzergreifung, um einen Flottenstützpunkt, es
handelt sich nur um allerdings für Deutschland sehr wichtige wirtschaftliche Fragen
zwischen Frankreich und Deutschland allein. Diese Fragen sind für Frankreich
mehr von politischem Interesse, für Deutschland rein wirtschaftliche. Auf den aus
politischen Gründen zu erbauenden Straßen, Bahnen, Kanälen, Häfen, Post-
und Telegraphenlinien sind Gleichberechtigung und Gleichbehandlung zu gewähr¬
leisten und nicht, wie bisher, durch Schikanen aller Art seitens der Franzosen,
da wo sie die Macht dazu haben, sich anmaßen oder durch Beeinflussung
scherifischer Behörden ausüben, beim Leichtern und Laden, bei Zollabfertigung und
Transport, beimLanderwerb, beiHandelsgeschäften, beiAusübung erworbener Rechte
die Ausführung fast unmöglich zu machen. Es sind dort aber auch gemeinsame
Aufgaben zu lösen. Wenn dann noch zur wirtschaftlichen Erschließung der scharf
abgegrenzte, außerhalb der geographisch-politischen Interessensphäre Frankreichs
und Spaniens liegende Teil Marokkos, der Agadir und das Susgebiet umfaßt,
Deutschland geöffnet würde, wäre für die Zukunft die Reibungsmöglichkeit ver¬
mindert, Frankreichs Bewegungsfreiheit erweitert, die Selbständigkeit des Sultans
nicht berührt und der erste Schritt zu einer politischen Annäherung beider Mächte
getan. Es gilt Garantien und Kautelen für die Sicherung unserer wirtschaft¬
lichen Unternehmungen in allen Teilen Marokkos von Frankreich zu erwirken,
denn in allen Teilen steckt deutsche Arbeit, deutsches Kapital. Der Zeitpunkt
hierfür ist der denkbar günstigste. Bei Schließung des Abkommens von 1909
war Frankreich wohl im Gefühl mancher kurz vorher erkannten Heeresschäden
zu Zugeständnissen geneigt, die Erfüllung aber hing ganz von: guten Willen
seiner in Marokko amtierenden oder von diesen abhängigen scherifischen Organe
ab, auch war sie fast unkontrollierbar. Jetzt fühlen sich beide Mächte beim
Geben und Nehmen gleich stark, beide stützen sich auf ebenbürtige Heere von
gleicher Stärke, mit gleich guter Bewaffnung. Wichtige Werte lasten sich freilich
im voraus nicht einschätzen. Mehr denn je gehört zu einem Millionenheer ein
Feldherr gleich Napoleon und sein Stern. Der Krieg ist und bleibt daher das
letzte Mittel, nur die ultima ratio, die Erkenntnis fördert sachliches Verhandeln.
Zu den vielen Detailfragen gehören allerdings Sachverständige, über die Frank¬
reich durch jahrelangen Aufenthalt und weil es hierzu auch interessierte Kauf¬
leute heranzieht, in größerer Zahl verfügt. Von Vorteil ist es, daß die beiden
Botschafter in Paris und Berlin von Amts wegen sich jahrelang mit den ein¬
schläglichen Fragen beschäftigt haben. Und nachdem Exzellenz v. Schoen den
ersten energischen Schritt seines Nachfolgers in Paris zu vertreten hatte, wird er
sich überzeugt haben, daß sich Zuvorkommenheit mit Energie verbinden läßt.
So werden die Verhandlungen in Fluß kommen. Ihr Ergebnis kann eine
Generalmajor z, s, v. Loebell- große Friedenstat bedeuten.


Grenzvoten III 1911 18
Reichsspiegel

Verträge vorüber ist, verhandelt werden muß, um die durch das Abkommen von
1909 gewährleistete wirtschaftliche Gleichberechtigung endlich zur Tat werden
zu lassen.

Es handelt sich nicht um Besitzergreifung, um einen Flottenstützpunkt, es
handelt sich nur um allerdings für Deutschland sehr wichtige wirtschaftliche Fragen
zwischen Frankreich und Deutschland allein. Diese Fragen sind für Frankreich
mehr von politischem Interesse, für Deutschland rein wirtschaftliche. Auf den aus
politischen Gründen zu erbauenden Straßen, Bahnen, Kanälen, Häfen, Post-
und Telegraphenlinien sind Gleichberechtigung und Gleichbehandlung zu gewähr¬
leisten und nicht, wie bisher, durch Schikanen aller Art seitens der Franzosen,
da wo sie die Macht dazu haben, sich anmaßen oder durch Beeinflussung
scherifischer Behörden ausüben, beim Leichtern und Laden, bei Zollabfertigung und
Transport, beimLanderwerb, beiHandelsgeschäften, beiAusübung erworbener Rechte
die Ausführung fast unmöglich zu machen. Es sind dort aber auch gemeinsame
Aufgaben zu lösen. Wenn dann noch zur wirtschaftlichen Erschließung der scharf
abgegrenzte, außerhalb der geographisch-politischen Interessensphäre Frankreichs
und Spaniens liegende Teil Marokkos, der Agadir und das Susgebiet umfaßt,
Deutschland geöffnet würde, wäre für die Zukunft die Reibungsmöglichkeit ver¬
mindert, Frankreichs Bewegungsfreiheit erweitert, die Selbständigkeit des Sultans
nicht berührt und der erste Schritt zu einer politischen Annäherung beider Mächte
getan. Es gilt Garantien und Kautelen für die Sicherung unserer wirtschaft¬
lichen Unternehmungen in allen Teilen Marokkos von Frankreich zu erwirken,
denn in allen Teilen steckt deutsche Arbeit, deutsches Kapital. Der Zeitpunkt
hierfür ist der denkbar günstigste. Bei Schließung des Abkommens von 1909
war Frankreich wohl im Gefühl mancher kurz vorher erkannten Heeresschäden
zu Zugeständnissen geneigt, die Erfüllung aber hing ganz von: guten Willen
seiner in Marokko amtierenden oder von diesen abhängigen scherifischen Organe
ab, auch war sie fast unkontrollierbar. Jetzt fühlen sich beide Mächte beim
Geben und Nehmen gleich stark, beide stützen sich auf ebenbürtige Heere von
gleicher Stärke, mit gleich guter Bewaffnung. Wichtige Werte lasten sich freilich
im voraus nicht einschätzen. Mehr denn je gehört zu einem Millionenheer ein
Feldherr gleich Napoleon und sein Stern. Der Krieg ist und bleibt daher das
letzte Mittel, nur die ultima ratio, die Erkenntnis fördert sachliches Verhandeln.
Zu den vielen Detailfragen gehören allerdings Sachverständige, über die Frank¬
reich durch jahrelangen Aufenthalt und weil es hierzu auch interessierte Kauf¬
leute heranzieht, in größerer Zahl verfügt. Von Vorteil ist es, daß die beiden
Botschafter in Paris und Berlin von Amts wegen sich jahrelang mit den ein¬
schläglichen Fragen beschäftigt haben. Und nachdem Exzellenz v. Schoen den
ersten energischen Schritt seines Nachfolgers in Paris zu vertreten hatte, wird er
sich überzeugt haben, daß sich Zuvorkommenheit mit Energie verbinden läßt.
So werden die Verhandlungen in Fluß kommen. Ihr Ergebnis kann eine
Generalmajor z, s, v. Loebell- große Friedenstat bedeuten.


Grenzvoten III 1911 18
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[0149] Reichsspiegel Verträge vorüber ist, verhandelt werden muß, um die durch das Abkommen von 1909 gewährleistete wirtschaftliche Gleichberechtigung endlich zur Tat werden zu lassen. Es handelt sich nicht um Besitzergreifung, um einen Flottenstützpunkt, es handelt sich nur um allerdings für Deutschland sehr wichtige wirtschaftliche Fragen zwischen Frankreich und Deutschland allein. Diese Fragen sind für Frankreich mehr von politischem Interesse, für Deutschland rein wirtschaftliche. Auf den aus politischen Gründen zu erbauenden Straßen, Bahnen, Kanälen, Häfen, Post- und Telegraphenlinien sind Gleichberechtigung und Gleichbehandlung zu gewähr¬ leisten und nicht, wie bisher, durch Schikanen aller Art seitens der Franzosen, da wo sie die Macht dazu haben, sich anmaßen oder durch Beeinflussung scherifischer Behörden ausüben, beim Leichtern und Laden, bei Zollabfertigung und Transport, beimLanderwerb, beiHandelsgeschäften, beiAusübung erworbener Rechte die Ausführung fast unmöglich zu machen. Es sind dort aber auch gemeinsame Aufgaben zu lösen. Wenn dann noch zur wirtschaftlichen Erschließung der scharf abgegrenzte, außerhalb der geographisch-politischen Interessensphäre Frankreichs und Spaniens liegende Teil Marokkos, der Agadir und das Susgebiet umfaßt, Deutschland geöffnet würde, wäre für die Zukunft die Reibungsmöglichkeit ver¬ mindert, Frankreichs Bewegungsfreiheit erweitert, die Selbständigkeit des Sultans nicht berührt und der erste Schritt zu einer politischen Annäherung beider Mächte getan. Es gilt Garantien und Kautelen für die Sicherung unserer wirtschaft¬ lichen Unternehmungen in allen Teilen Marokkos von Frankreich zu erwirken, denn in allen Teilen steckt deutsche Arbeit, deutsches Kapital. Der Zeitpunkt hierfür ist der denkbar günstigste. Bei Schließung des Abkommens von 1909 war Frankreich wohl im Gefühl mancher kurz vorher erkannten Heeresschäden zu Zugeständnissen geneigt, die Erfüllung aber hing ganz von: guten Willen seiner in Marokko amtierenden oder von diesen abhängigen scherifischen Organe ab, auch war sie fast unkontrollierbar. Jetzt fühlen sich beide Mächte beim Geben und Nehmen gleich stark, beide stützen sich auf ebenbürtige Heere von gleicher Stärke, mit gleich guter Bewaffnung. Wichtige Werte lasten sich freilich im voraus nicht einschätzen. Mehr denn je gehört zu einem Millionenheer ein Feldherr gleich Napoleon und sein Stern. Der Krieg ist und bleibt daher das letzte Mittel, nur die ultima ratio, die Erkenntnis fördert sachliches Verhandeln. Zu den vielen Detailfragen gehören allerdings Sachverständige, über die Frank¬ reich durch jahrelangen Aufenthalt und weil es hierzu auch interessierte Kauf¬ leute heranzieht, in größerer Zahl verfügt. Von Vorteil ist es, daß die beiden Botschafter in Paris und Berlin von Amts wegen sich jahrelang mit den ein¬ schläglichen Fragen beschäftigt haben. Und nachdem Exzellenz v. Schoen den ersten energischen Schritt seines Nachfolgers in Paris zu vertreten hatte, wird er sich überzeugt haben, daß sich Zuvorkommenheit mit Energie verbinden läßt. So werden die Verhandlungen in Fluß kommen. Ihr Ergebnis kann eine Generalmajor z, s, v. Loebell- große Friedenstat bedeuten. Grenzvoten III 1911 18

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/149>, abgerufen am 29.12.2024.