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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Die Sode der Lumpe

Die Augen schauten an mir vorbei der Stadt entgegen Hinter mir hörte
ich galoppieren: ein geschmeidiger Bursche sprengte an mir vorbei und parierte
sein ungesatteltes Pferd vor dem Lehmwall, der den Hofraum umgab. --

Tiefer schritt ich zwischen die Maulwurfshügel hinein; Hunde kläfften hinter
mir her, und ab und zu schleuderte eine Kinderhand einen Stein gegen mich. Aber
die Trunkenbolde, die entlang taumelnd mir begegneten, wichen mir aus; wo ich
eine Frage stellte, erhielt ich eine Antwort, bald höflich, bald kurz angebunden,
aber immer ohne Feindseligkeit.

Es war mir, als hörte ich Schüsse. Ein Mann, der auch aufgehorcht hatte,
bestätigte mir das. "Es werden Kosaken sein, sie wollten schon lange dein Alexander
Matwejewitsch das Haus einreihen, weißt du, Herr, an der Ecke das." "Und
warum einreihen?" "Ja, entschuldige, Herr, wir haben kein Recht auf den Boden."
Dann setzte er verschmitzt lächelnd hinzu: "Aber sie schaffend nichtI Jedes Jahr
reißen sie ein halbes Dutzend ein, aber hundert entstehen neu. Am Ende gehört's
uns doch, Herr, das Haus und der Boden." "Dann sieh mal zu, daß das deine
nicht unter dem halben Dutzend ist, Onkelchen!" "Gott gebe es, gnädiger Herr!"
Ich gab ihm einen Rubel, "zur Einrichtung", nachdem er mir heilig versprochen
hatte, ihn nicht zu versaufen.

Als ich zurückwanderte, stieg Feuer und Rauch in der Richtung der
Stadt auf. Vor den Maulwurfshaufen nahe der Ecke drängten sich die zerlumpten
Gestalten der Bewohner, heftig miteinander redend. Zwei Kosaken, fast stehend
im hohen Sattel, die Knute mit dem bleigefüllten Ende mit gestrecktem Arm gerade
nach unten haltend, blickten scharf auf den Weg, den ich kam.

Ich ging gleichmütig an ihnen vorbei und sie wagten nicht, dem europäisch
Gekleideten den Zugang zu verwehren. Als ich auf den ringsum von Kosaken
abgesperrten Raum zwischen den Maulwurfshügeln und dem Rande der Stadt
hinaustrat, sah ich das brennende Eckhaus. Eben fiel die rote Blume versengt
zur Erde, dann stürzte das ausgebrannte Gebäude in sich zusammen.

Doch noch etwas sah ich, das mir ans Herz griff. Aus dem Boden aus¬
gestreckt lagen nebeneinander der Bursche und das Mädchen von vorhin. Ihm
hatte ein wuchtiger Hieb die Schädeldecke zertrümmert und aus ihrer entblößten
Brust sickerte rotes Blut aus einem Kugelloch. Sie hatten Haus, Liebe und Leben
verteidigt gegen das Gesetz. Die Königin der wilden Stadt war tot, aber die
Stadt der Lumpe selbst lebte, sie wird sich durchsetzen, wachsen und eines Tages
anerkannt werden, wie es andere Teile der werdenden Großstadt vordem getan. --




Die Sode der Lumpe

Die Augen schauten an mir vorbei der Stadt entgegen Hinter mir hörte
ich galoppieren: ein geschmeidiger Bursche sprengte an mir vorbei und parierte
sein ungesatteltes Pferd vor dem Lehmwall, der den Hofraum umgab. —

Tiefer schritt ich zwischen die Maulwurfshügel hinein; Hunde kläfften hinter
mir her, und ab und zu schleuderte eine Kinderhand einen Stein gegen mich. Aber
die Trunkenbolde, die entlang taumelnd mir begegneten, wichen mir aus; wo ich
eine Frage stellte, erhielt ich eine Antwort, bald höflich, bald kurz angebunden,
aber immer ohne Feindseligkeit.

Es war mir, als hörte ich Schüsse. Ein Mann, der auch aufgehorcht hatte,
bestätigte mir das. „Es werden Kosaken sein, sie wollten schon lange dein Alexander
Matwejewitsch das Haus einreihen, weißt du, Herr, an der Ecke das." „Und
warum einreihen?" „Ja, entschuldige, Herr, wir haben kein Recht auf den Boden."
Dann setzte er verschmitzt lächelnd hinzu: „Aber sie schaffend nichtI Jedes Jahr
reißen sie ein halbes Dutzend ein, aber hundert entstehen neu. Am Ende gehört's
uns doch, Herr, das Haus und der Boden." „Dann sieh mal zu, daß das deine
nicht unter dem halben Dutzend ist, Onkelchen!" „Gott gebe es, gnädiger Herr!"
Ich gab ihm einen Rubel, „zur Einrichtung", nachdem er mir heilig versprochen
hatte, ihn nicht zu versaufen.

Als ich zurückwanderte, stieg Feuer und Rauch in der Richtung der
Stadt auf. Vor den Maulwurfshaufen nahe der Ecke drängten sich die zerlumpten
Gestalten der Bewohner, heftig miteinander redend. Zwei Kosaken, fast stehend
im hohen Sattel, die Knute mit dem bleigefüllten Ende mit gestrecktem Arm gerade
nach unten haltend, blickten scharf auf den Weg, den ich kam.

Ich ging gleichmütig an ihnen vorbei und sie wagten nicht, dem europäisch
Gekleideten den Zugang zu verwehren. Als ich auf den ringsum von Kosaken
abgesperrten Raum zwischen den Maulwurfshügeln und dem Rande der Stadt
hinaustrat, sah ich das brennende Eckhaus. Eben fiel die rote Blume versengt
zur Erde, dann stürzte das ausgebrannte Gebäude in sich zusammen.

Doch noch etwas sah ich, das mir ans Herz griff. Aus dem Boden aus¬
gestreckt lagen nebeneinander der Bursche und das Mädchen von vorhin. Ihm
hatte ein wuchtiger Hieb die Schädeldecke zertrümmert und aus ihrer entblößten
Brust sickerte rotes Blut aus einem Kugelloch. Sie hatten Haus, Liebe und Leben
verteidigt gegen das Gesetz. Die Königin der wilden Stadt war tot, aber die
Stadt der Lumpe selbst lebte, sie wird sich durchsetzen, wachsen und eines Tages
anerkannt werden, wie es andere Teile der werdenden Großstadt vordem getan. —




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[0094] Die Sode der Lumpe Die Augen schauten an mir vorbei der Stadt entgegen Hinter mir hörte ich galoppieren: ein geschmeidiger Bursche sprengte an mir vorbei und parierte sein ungesatteltes Pferd vor dem Lehmwall, der den Hofraum umgab. — Tiefer schritt ich zwischen die Maulwurfshügel hinein; Hunde kläfften hinter mir her, und ab und zu schleuderte eine Kinderhand einen Stein gegen mich. Aber die Trunkenbolde, die entlang taumelnd mir begegneten, wichen mir aus; wo ich eine Frage stellte, erhielt ich eine Antwort, bald höflich, bald kurz angebunden, aber immer ohne Feindseligkeit. Es war mir, als hörte ich Schüsse. Ein Mann, der auch aufgehorcht hatte, bestätigte mir das. „Es werden Kosaken sein, sie wollten schon lange dein Alexander Matwejewitsch das Haus einreihen, weißt du, Herr, an der Ecke das." „Und warum einreihen?" „Ja, entschuldige, Herr, wir haben kein Recht auf den Boden." Dann setzte er verschmitzt lächelnd hinzu: „Aber sie schaffend nichtI Jedes Jahr reißen sie ein halbes Dutzend ein, aber hundert entstehen neu. Am Ende gehört's uns doch, Herr, das Haus und der Boden." „Dann sieh mal zu, daß das deine nicht unter dem halben Dutzend ist, Onkelchen!" „Gott gebe es, gnädiger Herr!" Ich gab ihm einen Rubel, „zur Einrichtung", nachdem er mir heilig versprochen hatte, ihn nicht zu versaufen. Als ich zurückwanderte, stieg Feuer und Rauch in der Richtung der Stadt auf. Vor den Maulwurfshaufen nahe der Ecke drängten sich die zerlumpten Gestalten der Bewohner, heftig miteinander redend. Zwei Kosaken, fast stehend im hohen Sattel, die Knute mit dem bleigefüllten Ende mit gestrecktem Arm gerade nach unten haltend, blickten scharf auf den Weg, den ich kam. Ich ging gleichmütig an ihnen vorbei und sie wagten nicht, dem europäisch Gekleideten den Zugang zu verwehren. Als ich auf den ringsum von Kosaken abgesperrten Raum zwischen den Maulwurfshügeln und dem Rande der Stadt hinaustrat, sah ich das brennende Eckhaus. Eben fiel die rote Blume versengt zur Erde, dann stürzte das ausgebrannte Gebäude in sich zusammen. Doch noch etwas sah ich, das mir ans Herz griff. Aus dem Boden aus¬ gestreckt lagen nebeneinander der Bursche und das Mädchen von vorhin. Ihm hatte ein wuchtiger Hieb die Schädeldecke zertrümmert und aus ihrer entblößten Brust sickerte rotes Blut aus einem Kugelloch. Sie hatten Haus, Liebe und Leben verteidigt gegen das Gesetz. Die Königin der wilden Stadt war tot, aber die Stadt der Lumpe selbst lebte, sie wird sich durchsetzen, wachsen und eines Tages anerkannt werden, wie es andere Teile der werdenden Großstadt vordem getan. —

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/94>, abgerufen am 28.09.2024.