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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Reichsspiegel

Kredittavitnl in ungenügender Höhe zu Gebote. Niemand denkt daran, diese
Prämisse einmal auf ihre Nichtigkeit zu prüfen. Die Voraussetzung ist aber
falsch, grundfalsch. Nicht Mangel, sondern- Überfluß an Realkredit
verschuldet jene beklagenswerten Zustände, ein Überfluß an Kredit freilich, der
in ein falsches Bett geleitet wird, der nicht der Produktion, sondern der Speku¬
lation zur Verfügung gestellt wird. normalerweise sollte der durch die Hypo¬
thekenbanken gewährte Kredit ein Produktivkredit sein, zur Erstellung neuer
wirtschaftlicher Werte dienen. Nur insoweit das der Fall, ist der Hypothekar¬
kredit ein wirtschaftlich wertvoller und hat die Allgemeinheit ein Interesse an
seiner Ausgestaltung und Regulierung. Dagegen wohnt dem bloßen Besitzkredit
keine Bedeutung für die Gesamtheit inne; er schafft keine neuen produktiven
Werte; er dient zunächst nur zur Mobilisierung des Gruudstückswertes; für die
Gesamtbilanz der Nation ist er ohne Bedeutung, da Forderung und Schuld sich
ausgleichen. Er kann aber sogar nachteilig wirken, wenn diese Mobilisierung
dazu führt, für den einen Spekulations- oder Konjunkturgewiun zu realisieren
und mit den Verpflichtungen einen anderen (den Besitznachfolger oder Käufer)
zu belasten. Nun dient aber der städtische Hypothekarkredit in erster Linie der
Terrninspekulntiou, erst in zweiter der produktiven Bautätigkeit. Weil dieBoden-
spekulation auf deu ersten und größten Teil dieses Kredits Beschlag legt, kommt
die Bautätigkeit zu kurz und fehlt es ihr an Mitteln. Damit aber nicht genug!
Nur weil der Hypothekarkredit der Bodenspekulation so leicht und in solchem
Umfang zu Gebote steht (sobald sie uur dazu übergeht, bauen zu lassen), hat sie
einen solchen Umfang annehmen können, wie wir dies in den Großstädten, und
vor allem in Berlin, vor Augen sehen. Die hypothekarische Beleihung, die
zunächst den Grund und Boden, in zweiter Linie das Gebäude erfaßt, ist ein
nie versagendes Mittel, die spekulativen Gewinne zu realisieren und sicherzu¬
stellen, und zwar auf Kosten des Besitznachfolgers, der mit diesen unproduktiven
Lasten beschwert bleibt. Nach der Höhe der Lasten muß er aber die not¬
wendigen Einnahmen bemessen; daher die Steigung der Wohnungsmieten und
die unerschwinglichen Preise für die Läden, die eine stete Gefahr für die wirt¬
schaftliche Existenz der Inhaber bilden und durch die Erhöhung der Unkosten
eine allgemeine Preissteigerung aller Lebensbedürfnisse herbeiführen. So ist
also nur dieses Übermaß leicht zur Verfügung stehenden Hypothckarkredites schuld
an deu Miseren der großstädtischen Wohnungsverhültnisse. Die Verteuerung
des Grund und Bodens, die ohne diese Ordnung des Hypothekarkredits nicht
entfernt in diesem Umfang eintreten könnte, zwingt zur möglichsten Ausnutzung
in Form der Mietskaserne, die teuren Mieter bedingen Überfüllung und all das
mannigfache Wohnungselend. Von diesem Gesichtspunkt aus darf man berechtigte
Zweifel hegen, ob die Existenz und die Tätigkeit unserer Hypothekenbanken eine
volkswirtschaftlich segensreiche ist. Denn sie sind es in erster Linie, die der
städtischen Bodenspekulation die ungeheuren Kapitalien zur Verfügung stellen.
Man vergegenwärtige sich nur, daß die deutschen Hypothekenbanken einen Pfand-


Reichsspiegel

Kredittavitnl in ungenügender Höhe zu Gebote. Niemand denkt daran, diese
Prämisse einmal auf ihre Nichtigkeit zu prüfen. Die Voraussetzung ist aber
falsch, grundfalsch. Nicht Mangel, sondern- Überfluß an Realkredit
verschuldet jene beklagenswerten Zustände, ein Überfluß an Kredit freilich, der
in ein falsches Bett geleitet wird, der nicht der Produktion, sondern der Speku¬
lation zur Verfügung gestellt wird. normalerweise sollte der durch die Hypo¬
thekenbanken gewährte Kredit ein Produktivkredit sein, zur Erstellung neuer
wirtschaftlicher Werte dienen. Nur insoweit das der Fall, ist der Hypothekar¬
kredit ein wirtschaftlich wertvoller und hat die Allgemeinheit ein Interesse an
seiner Ausgestaltung und Regulierung. Dagegen wohnt dem bloßen Besitzkredit
keine Bedeutung für die Gesamtheit inne; er schafft keine neuen produktiven
Werte; er dient zunächst nur zur Mobilisierung des Gruudstückswertes; für die
Gesamtbilanz der Nation ist er ohne Bedeutung, da Forderung und Schuld sich
ausgleichen. Er kann aber sogar nachteilig wirken, wenn diese Mobilisierung
dazu führt, für den einen Spekulations- oder Konjunkturgewiun zu realisieren
und mit den Verpflichtungen einen anderen (den Besitznachfolger oder Käufer)
zu belasten. Nun dient aber der städtische Hypothekarkredit in erster Linie der
Terrninspekulntiou, erst in zweiter der produktiven Bautätigkeit. Weil dieBoden-
spekulation auf deu ersten und größten Teil dieses Kredits Beschlag legt, kommt
die Bautätigkeit zu kurz und fehlt es ihr an Mitteln. Damit aber nicht genug!
Nur weil der Hypothekarkredit der Bodenspekulation so leicht und in solchem
Umfang zu Gebote steht (sobald sie uur dazu übergeht, bauen zu lassen), hat sie
einen solchen Umfang annehmen können, wie wir dies in den Großstädten, und
vor allem in Berlin, vor Augen sehen. Die hypothekarische Beleihung, die
zunächst den Grund und Boden, in zweiter Linie das Gebäude erfaßt, ist ein
nie versagendes Mittel, die spekulativen Gewinne zu realisieren und sicherzu¬
stellen, und zwar auf Kosten des Besitznachfolgers, der mit diesen unproduktiven
Lasten beschwert bleibt. Nach der Höhe der Lasten muß er aber die not¬
wendigen Einnahmen bemessen; daher die Steigung der Wohnungsmieten und
die unerschwinglichen Preise für die Läden, die eine stete Gefahr für die wirt¬
schaftliche Existenz der Inhaber bilden und durch die Erhöhung der Unkosten
eine allgemeine Preissteigerung aller Lebensbedürfnisse herbeiführen. So ist
also nur dieses Übermaß leicht zur Verfügung stehenden Hypothckarkredites schuld
an deu Miseren der großstädtischen Wohnungsverhültnisse. Die Verteuerung
des Grund und Bodens, die ohne diese Ordnung des Hypothekarkredits nicht
entfernt in diesem Umfang eintreten könnte, zwingt zur möglichsten Ausnutzung
in Form der Mietskaserne, die teuren Mieter bedingen Überfüllung und all das
mannigfache Wohnungselend. Von diesem Gesichtspunkt aus darf man berechtigte
Zweifel hegen, ob die Existenz und die Tätigkeit unserer Hypothekenbanken eine
volkswirtschaftlich segensreiche ist. Denn sie sind es in erster Linie, die der
städtischen Bodenspekulation die ungeheuren Kapitalien zur Verfügung stellen.
Man vergegenwärtige sich nur, daß die deutschen Hypothekenbanken einen Pfand-


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[0650] Reichsspiegel Kredittavitnl in ungenügender Höhe zu Gebote. Niemand denkt daran, diese Prämisse einmal auf ihre Nichtigkeit zu prüfen. Die Voraussetzung ist aber falsch, grundfalsch. Nicht Mangel, sondern- Überfluß an Realkredit verschuldet jene beklagenswerten Zustände, ein Überfluß an Kredit freilich, der in ein falsches Bett geleitet wird, der nicht der Produktion, sondern der Speku¬ lation zur Verfügung gestellt wird. normalerweise sollte der durch die Hypo¬ thekenbanken gewährte Kredit ein Produktivkredit sein, zur Erstellung neuer wirtschaftlicher Werte dienen. Nur insoweit das der Fall, ist der Hypothekar¬ kredit ein wirtschaftlich wertvoller und hat die Allgemeinheit ein Interesse an seiner Ausgestaltung und Regulierung. Dagegen wohnt dem bloßen Besitzkredit keine Bedeutung für die Gesamtheit inne; er schafft keine neuen produktiven Werte; er dient zunächst nur zur Mobilisierung des Gruudstückswertes; für die Gesamtbilanz der Nation ist er ohne Bedeutung, da Forderung und Schuld sich ausgleichen. Er kann aber sogar nachteilig wirken, wenn diese Mobilisierung dazu führt, für den einen Spekulations- oder Konjunkturgewiun zu realisieren und mit den Verpflichtungen einen anderen (den Besitznachfolger oder Käufer) zu belasten. Nun dient aber der städtische Hypothekarkredit in erster Linie der Terrninspekulntiou, erst in zweiter der produktiven Bautätigkeit. Weil dieBoden- spekulation auf deu ersten und größten Teil dieses Kredits Beschlag legt, kommt die Bautätigkeit zu kurz und fehlt es ihr an Mitteln. Damit aber nicht genug! Nur weil der Hypothekarkredit der Bodenspekulation so leicht und in solchem Umfang zu Gebote steht (sobald sie uur dazu übergeht, bauen zu lassen), hat sie einen solchen Umfang annehmen können, wie wir dies in den Großstädten, und vor allem in Berlin, vor Augen sehen. Die hypothekarische Beleihung, die zunächst den Grund und Boden, in zweiter Linie das Gebäude erfaßt, ist ein nie versagendes Mittel, die spekulativen Gewinne zu realisieren und sicherzu¬ stellen, und zwar auf Kosten des Besitznachfolgers, der mit diesen unproduktiven Lasten beschwert bleibt. Nach der Höhe der Lasten muß er aber die not¬ wendigen Einnahmen bemessen; daher die Steigung der Wohnungsmieten und die unerschwinglichen Preise für die Läden, die eine stete Gefahr für die wirt¬ schaftliche Existenz der Inhaber bilden und durch die Erhöhung der Unkosten eine allgemeine Preissteigerung aller Lebensbedürfnisse herbeiführen. So ist also nur dieses Übermaß leicht zur Verfügung stehenden Hypothckarkredites schuld an deu Miseren der großstädtischen Wohnungsverhültnisse. Die Verteuerung des Grund und Bodens, die ohne diese Ordnung des Hypothekarkredits nicht entfernt in diesem Umfang eintreten könnte, zwingt zur möglichsten Ausnutzung in Form der Mietskaserne, die teuren Mieter bedingen Überfüllung und all das mannigfache Wohnungselend. Von diesem Gesichtspunkt aus darf man berechtigte Zweifel hegen, ob die Existenz und die Tätigkeit unserer Hypothekenbanken eine volkswirtschaftlich segensreiche ist. Denn sie sind es in erster Linie, die der städtischen Bodenspekulation die ungeheuren Kapitalien zur Verfügung stellen. Man vergegenwärtige sich nur, daß die deutschen Hypothekenbanken einen Pfand-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/650>, abgerufen am 26.06.2024.