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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Ein deutsches Auswcmdermiasamt

Erinnerung an sein Heimatland in abfülliger Kritik seines Vaterlandes erschöpft.
Kulturdünger für fremde Nationen! Man war lange Zeit geneigt, diese
Charakteristik des Deutschen im Auslande für ein besonderes Lob, für eine
Anerkennung seiner Tüchtigkeit und Gediegenheit zu halten. Gibt es etwas
Anspruchsloseres als diese Verkeilung ihrer Bedeutung?

In einem Aufsatz über Sprache, Volkstum und Menschenwert (Politisch-
Anthropologische Nenne 1910 Ur. 8) untersuchte auch Dr. Alfred P. Schultz-
Monticello den Kulturwert der Deutschen in Amerika. Dabei kam er nach
gründlicher Erörterung aller Verhältnisse und sinngemäßer Verwertung statistischen
Materials zu folgendem Schlüsse: "Man sage nicht, die Deutsch-Amerikaner
wären gute Bürger, ein Lob, daß Expräsident Roosevelt ja oft genug auch
den Negern gezollt hat. Dies bedeutet nur, daß sie ihre Steuern zahlen und
weder ins Zuchthaus noch in die Irrenanstalt gehören: ist also eine rein
negative Anerkennung. Menschen deutscher Abkunft haben das Recht und die
Pflicht, mehr zu leisten! Man hat gesagt, die Deutsch-Amerikaner hätten ihre
ganze Kraft dem Aufbau des Landes gewidmet und darum in geistigen
Bestrebungen nichts geleistet. Die Deutsch-Amerikaner waren an dein Ausbau
des Landes nicht mehr beteiligt als die Angelsachsen, und doch hat die gleiche
Tätigkeit letztere nicht mit absoluter Unfruchtbarkeit geschlagen. Die entsetzliche
geistige Öde, in der das Deutsch-Amerikancrtum lebt, finden wir nur bei ganz
minderwertigen Völkern wieder. Es kann nach dein Gesagten nicht bezweifelt
werden, daß, so ungeheuerlich es erscheinen mag, die Deutsch-Amerikaner nicht
nur umgeartet, sondern entartet sind." Prof. Göbel schreibt: "Warum haben
die vielen Millionen Deutsch-Amerikaner für das höhere geistige Leben Amerikas
so wenig geleistet? Weil sie mit dem Aufgeben der Muttersprache die Quelle
verschüttet haben, aus der die geistige Tätigkeit unbewußt fließt. Statt dieses
Land damit zu bereichern, haben sie ihr großes Erbe schmählich vergeudet. . .
Nur wenn sie ihre Sprache wahre", werden sie Kräfte im Lande sein, auf die
das Heimatland wie das Mutterland stolz sein können. Im anderen Fall ver¬
siegen nicht nur alle ihre höheren Fähigkeiten, sondern sie versinken auch in
rassischer Beziehung in ein allgemeines Völkerchaos und verfallen der voll¬
kommenen Degeneration."

"Bei Skat, Bier und Gemütlichkeit webt man des Deutschtums Todeskleid"
klagt in bitterem Spott ein anderer Kenner der deutsch-amerikmnschen Verhält¬
nisse; jedenfalls steht das eine unanzweifelbar fest, daß die deutschen Aus¬
wanderer in Amerika, zumal in Nordamerika, dem Deutschtum in der Regel
verloren gehen, auch wenn sie äußerlich deutsche Staatsbürger geblieben sind.
Nur in größeren Ansiedlungen und Städten mit überwiegend deutscher
Bevölkerung erhalten sie sich ihre Sprache und ihre Kultur etwas länger als
sonstwo, wenn das Deutschtum durch Organisationen, zu denen die deutschen
Gesangvereine und Klubs meist nicht gehören, durch Schulen und deutsche
Missions- und Kirchengemeinden systematisch gepflegt wird. Von vornherein


Grenzboten II 1911 ^7
Ein deutsches Auswcmdermiasamt

Erinnerung an sein Heimatland in abfülliger Kritik seines Vaterlandes erschöpft.
Kulturdünger für fremde Nationen! Man war lange Zeit geneigt, diese
Charakteristik des Deutschen im Auslande für ein besonderes Lob, für eine
Anerkennung seiner Tüchtigkeit und Gediegenheit zu halten. Gibt es etwas
Anspruchsloseres als diese Verkeilung ihrer Bedeutung?

In einem Aufsatz über Sprache, Volkstum und Menschenwert (Politisch-
Anthropologische Nenne 1910 Ur. 8) untersuchte auch Dr. Alfred P. Schultz-
Monticello den Kulturwert der Deutschen in Amerika. Dabei kam er nach
gründlicher Erörterung aller Verhältnisse und sinngemäßer Verwertung statistischen
Materials zu folgendem Schlüsse: „Man sage nicht, die Deutsch-Amerikaner
wären gute Bürger, ein Lob, daß Expräsident Roosevelt ja oft genug auch
den Negern gezollt hat. Dies bedeutet nur, daß sie ihre Steuern zahlen und
weder ins Zuchthaus noch in die Irrenanstalt gehören: ist also eine rein
negative Anerkennung. Menschen deutscher Abkunft haben das Recht und die
Pflicht, mehr zu leisten! Man hat gesagt, die Deutsch-Amerikaner hätten ihre
ganze Kraft dem Aufbau des Landes gewidmet und darum in geistigen
Bestrebungen nichts geleistet. Die Deutsch-Amerikaner waren an dein Ausbau
des Landes nicht mehr beteiligt als die Angelsachsen, und doch hat die gleiche
Tätigkeit letztere nicht mit absoluter Unfruchtbarkeit geschlagen. Die entsetzliche
geistige Öde, in der das Deutsch-Amerikancrtum lebt, finden wir nur bei ganz
minderwertigen Völkern wieder. Es kann nach dein Gesagten nicht bezweifelt
werden, daß, so ungeheuerlich es erscheinen mag, die Deutsch-Amerikaner nicht
nur umgeartet, sondern entartet sind." Prof. Göbel schreibt: „Warum haben
die vielen Millionen Deutsch-Amerikaner für das höhere geistige Leben Amerikas
so wenig geleistet? Weil sie mit dem Aufgeben der Muttersprache die Quelle
verschüttet haben, aus der die geistige Tätigkeit unbewußt fließt. Statt dieses
Land damit zu bereichern, haben sie ihr großes Erbe schmählich vergeudet. . .
Nur wenn sie ihre Sprache wahre», werden sie Kräfte im Lande sein, auf die
das Heimatland wie das Mutterland stolz sein können. Im anderen Fall ver¬
siegen nicht nur alle ihre höheren Fähigkeiten, sondern sie versinken auch in
rassischer Beziehung in ein allgemeines Völkerchaos und verfallen der voll¬
kommenen Degeneration."

„Bei Skat, Bier und Gemütlichkeit webt man des Deutschtums Todeskleid"
klagt in bitterem Spott ein anderer Kenner der deutsch-amerikmnschen Verhält¬
nisse; jedenfalls steht das eine unanzweifelbar fest, daß die deutschen Aus¬
wanderer in Amerika, zumal in Nordamerika, dem Deutschtum in der Regel
verloren gehen, auch wenn sie äußerlich deutsche Staatsbürger geblieben sind.
Nur in größeren Ansiedlungen und Städten mit überwiegend deutscher
Bevölkerung erhalten sie sich ihre Sprache und ihre Kultur etwas länger als
sonstwo, wenn das Deutschtum durch Organisationen, zu denen die deutschen
Gesangvereine und Klubs meist nicht gehören, durch Schulen und deutsche
Missions- und Kirchengemeinden systematisch gepflegt wird. Von vornherein


Grenzboten II 1911 ^7
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[0621] Ein deutsches Auswcmdermiasamt Erinnerung an sein Heimatland in abfülliger Kritik seines Vaterlandes erschöpft. Kulturdünger für fremde Nationen! Man war lange Zeit geneigt, diese Charakteristik des Deutschen im Auslande für ein besonderes Lob, für eine Anerkennung seiner Tüchtigkeit und Gediegenheit zu halten. Gibt es etwas Anspruchsloseres als diese Verkeilung ihrer Bedeutung? In einem Aufsatz über Sprache, Volkstum und Menschenwert (Politisch- Anthropologische Nenne 1910 Ur. 8) untersuchte auch Dr. Alfred P. Schultz- Monticello den Kulturwert der Deutschen in Amerika. Dabei kam er nach gründlicher Erörterung aller Verhältnisse und sinngemäßer Verwertung statistischen Materials zu folgendem Schlüsse: „Man sage nicht, die Deutsch-Amerikaner wären gute Bürger, ein Lob, daß Expräsident Roosevelt ja oft genug auch den Negern gezollt hat. Dies bedeutet nur, daß sie ihre Steuern zahlen und weder ins Zuchthaus noch in die Irrenanstalt gehören: ist also eine rein negative Anerkennung. Menschen deutscher Abkunft haben das Recht und die Pflicht, mehr zu leisten! Man hat gesagt, die Deutsch-Amerikaner hätten ihre ganze Kraft dem Aufbau des Landes gewidmet und darum in geistigen Bestrebungen nichts geleistet. Die Deutsch-Amerikaner waren an dein Ausbau des Landes nicht mehr beteiligt als die Angelsachsen, und doch hat die gleiche Tätigkeit letztere nicht mit absoluter Unfruchtbarkeit geschlagen. Die entsetzliche geistige Öde, in der das Deutsch-Amerikancrtum lebt, finden wir nur bei ganz minderwertigen Völkern wieder. Es kann nach dein Gesagten nicht bezweifelt werden, daß, so ungeheuerlich es erscheinen mag, die Deutsch-Amerikaner nicht nur umgeartet, sondern entartet sind." Prof. Göbel schreibt: „Warum haben die vielen Millionen Deutsch-Amerikaner für das höhere geistige Leben Amerikas so wenig geleistet? Weil sie mit dem Aufgeben der Muttersprache die Quelle verschüttet haben, aus der die geistige Tätigkeit unbewußt fließt. Statt dieses Land damit zu bereichern, haben sie ihr großes Erbe schmählich vergeudet. . . Nur wenn sie ihre Sprache wahre», werden sie Kräfte im Lande sein, auf die das Heimatland wie das Mutterland stolz sein können. Im anderen Fall ver¬ siegen nicht nur alle ihre höheren Fähigkeiten, sondern sie versinken auch in rassischer Beziehung in ein allgemeines Völkerchaos und verfallen der voll¬ kommenen Degeneration." „Bei Skat, Bier und Gemütlichkeit webt man des Deutschtums Todeskleid" klagt in bitterem Spott ein anderer Kenner der deutsch-amerikmnschen Verhält¬ nisse; jedenfalls steht das eine unanzweifelbar fest, daß die deutschen Aus¬ wanderer in Amerika, zumal in Nordamerika, dem Deutschtum in der Regel verloren gehen, auch wenn sie äußerlich deutsche Staatsbürger geblieben sind. Nur in größeren Ansiedlungen und Städten mit überwiegend deutscher Bevölkerung erhalten sie sich ihre Sprache und ihre Kultur etwas länger als sonstwo, wenn das Deutschtum durch Organisationen, zu denen die deutschen Gesangvereine und Klubs meist nicht gehören, durch Schulen und deutsche Missions- und Kirchengemeinden systematisch gepflegt wird. Von vornherein Grenzboten II 1911 ^7

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/621>, abgerufen am 26.06.2024.