Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.Rcichsspiegcl unabhängig von den Besprechungen mit den anderen maßgebenden Parteien eine Fürst Bülow sah die ihm zufallende wichtigste Aufgabe in der inneren Rcichsspiegcl unabhängig von den Besprechungen mit den anderen maßgebenden Parteien eine Fürst Bülow sah die ihm zufallende wichtigste Aufgabe in der inneren <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0553" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/318836"/> <fw type="header" place="top"> Rcichsspiegcl</fw><lb/> <p xml:id="ID_3247" prev="#ID_3246"> unabhängig von den Besprechungen mit den anderen maßgebenden Parteien eine<lb/> Einigung innerhalb der Zentrumspartei stattgefunden hätte. Wie sich dann im Laufe<lb/> der parlamentarischen Bearbeitung des Entwurfs die definitive Mehrheit im Gesamt¬<lb/> reichstag bildet, das liegt schließlich auch wieder beim Zentrum, je nachdem dieses<lb/> sich bei seinein Votum mehr auf den demokratischen als auf den aristokratischen<lb/> Flügel seiner Organisation stützt. Formell herrscht das monarchisch-konstitutionelle<lb/> System, formell geht der „Einfluß" des Zentrums auch „durch das Medium des<lb/> Königlichen Ministeriums", aber, und darauf kommt es an: das Ministerium<lb/> scheint nur solange das Medium bilden zu können, solange es mit der Zentrums¬<lb/> partei in der allgemeinen Richtung der Politik einig geht. Weicht diese Richtung<lb/> von den dem Zentrum vorschwebenden Zielen ab, dann ignoriert es das Medium<lb/> und ruht uicht eher, als bis der Monarch einen dem Zentrum genehmeren<lb/> Mann gefunden hat. Damit aber fällt die andere Säule der Beweisführung<lb/> Hintzes zusammen. Hintze bezeichnet zutreffend als ein wichtiges Merkmal für<lb/> das monarchisch-konstitutionelle System die Freiheit des Monarchen, sich seine<lb/> Minister nach eigenem Ermessen zu ernennen. Wir meinen, mit der Ernennung<lb/> ist es nicht abgetan; der Monarch muß auch — sollte Hintzes Auffassung mit der<lb/> Praxis übereinstimmen — imstande sein, den von ihm ernannten Minister zu<lb/> halten. Ist aber der „Einfluß" einer und zwar immer wieder derselben Partei<lb/> auf die Negierung so groß, daß diese keinen Schritt tun kann, ohne deren Ein¬<lb/> verständnis für eine beabsichtigte Aktion zu besitzen, dann sind die Grenzen des<lb/> monarchisch-konstitutionellen Systems überschritten, zum mindesten arg verwischt.<lb/> Und wie der Luftschiffer sich in der Höhe vor den verschwommenen Rändern der<lb/> Kumuluswolken fürchtet, so muß der Staatsmann gerade auf dein Gebiete der<lb/> Verfassung verschwommene Grenzen fürchten. Dort sammelt sich die Elektrizität<lb/> der Atmosphäre, und von dort zuckt gerade der zündende Strahl, der den kühnen<lb/> Flieger zerschmettert.</p><lb/> <p xml:id="ID_3248" next="#ID_3249"> Fürst Bülow sah die ihm zufallende wichtigste Aufgabe in der inneren<lb/> Reichspolitik in der Beseitigung dieser für die Krone gleich unwürdigen wie gefähr¬<lb/> lichen Zustände, und man muß es ihm lassen, daß er wie ein Löwe gekämpft<lb/> hat, um zu seinem Ziele zu gelangen. Die Zeit von der Gründung der deutschen<lb/> Vereinigung an bis zur letzten Reichstagsauflösung ist erfüllt von öffentlichen und<lb/> heimlichen Kämpfen der Regierung um die Befreiung aus dem Zentrumsjoch.<lb/> Die Mittel waren dabei recht wechselnd, und es wurden sogar Dinge gut geheißen,<lb/> die in scharfem Widerspruch zu der altpreußischen Beamtentradition stehen.<lb/> In Rheinland und Westfalen weiß man davon einiges zu erzählen. Bis zum<lb/> Jahre 1906 waren alle diese Versuche von der sichtbaren Tendenz getragen, das<lb/> monarchisch-konstitutionelle System wieder in voller Reinheit herzustellen. Fürst<lb/> Bülow sträubte sich damals gegen jede Matzregel, die auch nur den Anschein erwecken<lb/> konnte, daß die Entwicklung zum Parlamentarismus führe, und sann auf Mittel,<lb/> das auch von ihm als möglich gefürchtete abzuwenden. Er wurde in seiner ab¬<lb/> lehnenden Haltung durch das Beharren der Sozialdemokratie im Radikalismus,<lb/> aber auch durch Zeichen der Annäherung zwischen den bürgerlichen Parteien<lb/> bestärkt. Im Block hoffte er die glückliche Kombination gefunden zu haben, die<lb/> eine Demokratisierung der Regierungsform verhindern würde. Als er sich aber<lb/> in diesem Glauben getäuscht sah, da erkannte er, ob mit oder ohne Behagen ist</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0553]
Rcichsspiegcl
unabhängig von den Besprechungen mit den anderen maßgebenden Parteien eine
Einigung innerhalb der Zentrumspartei stattgefunden hätte. Wie sich dann im Laufe
der parlamentarischen Bearbeitung des Entwurfs die definitive Mehrheit im Gesamt¬
reichstag bildet, das liegt schließlich auch wieder beim Zentrum, je nachdem dieses
sich bei seinein Votum mehr auf den demokratischen als auf den aristokratischen
Flügel seiner Organisation stützt. Formell herrscht das monarchisch-konstitutionelle
System, formell geht der „Einfluß" des Zentrums auch „durch das Medium des
Königlichen Ministeriums", aber, und darauf kommt es an: das Ministerium
scheint nur solange das Medium bilden zu können, solange es mit der Zentrums¬
partei in der allgemeinen Richtung der Politik einig geht. Weicht diese Richtung
von den dem Zentrum vorschwebenden Zielen ab, dann ignoriert es das Medium
und ruht uicht eher, als bis der Monarch einen dem Zentrum genehmeren
Mann gefunden hat. Damit aber fällt die andere Säule der Beweisführung
Hintzes zusammen. Hintze bezeichnet zutreffend als ein wichtiges Merkmal für
das monarchisch-konstitutionelle System die Freiheit des Monarchen, sich seine
Minister nach eigenem Ermessen zu ernennen. Wir meinen, mit der Ernennung
ist es nicht abgetan; der Monarch muß auch — sollte Hintzes Auffassung mit der
Praxis übereinstimmen — imstande sein, den von ihm ernannten Minister zu
halten. Ist aber der „Einfluß" einer und zwar immer wieder derselben Partei
auf die Negierung so groß, daß diese keinen Schritt tun kann, ohne deren Ein¬
verständnis für eine beabsichtigte Aktion zu besitzen, dann sind die Grenzen des
monarchisch-konstitutionellen Systems überschritten, zum mindesten arg verwischt.
Und wie der Luftschiffer sich in der Höhe vor den verschwommenen Rändern der
Kumuluswolken fürchtet, so muß der Staatsmann gerade auf dein Gebiete der
Verfassung verschwommene Grenzen fürchten. Dort sammelt sich die Elektrizität
der Atmosphäre, und von dort zuckt gerade der zündende Strahl, der den kühnen
Flieger zerschmettert.
Fürst Bülow sah die ihm zufallende wichtigste Aufgabe in der inneren
Reichspolitik in der Beseitigung dieser für die Krone gleich unwürdigen wie gefähr¬
lichen Zustände, und man muß es ihm lassen, daß er wie ein Löwe gekämpft
hat, um zu seinem Ziele zu gelangen. Die Zeit von der Gründung der deutschen
Vereinigung an bis zur letzten Reichstagsauflösung ist erfüllt von öffentlichen und
heimlichen Kämpfen der Regierung um die Befreiung aus dem Zentrumsjoch.
Die Mittel waren dabei recht wechselnd, und es wurden sogar Dinge gut geheißen,
die in scharfem Widerspruch zu der altpreußischen Beamtentradition stehen.
In Rheinland und Westfalen weiß man davon einiges zu erzählen. Bis zum
Jahre 1906 waren alle diese Versuche von der sichtbaren Tendenz getragen, das
monarchisch-konstitutionelle System wieder in voller Reinheit herzustellen. Fürst
Bülow sträubte sich damals gegen jede Matzregel, die auch nur den Anschein erwecken
konnte, daß die Entwicklung zum Parlamentarismus führe, und sann auf Mittel,
das auch von ihm als möglich gefürchtete abzuwenden. Er wurde in seiner ab¬
lehnenden Haltung durch das Beharren der Sozialdemokratie im Radikalismus,
aber auch durch Zeichen der Annäherung zwischen den bürgerlichen Parteien
bestärkt. Im Block hoffte er die glückliche Kombination gefunden zu haben, die
eine Demokratisierung der Regierungsform verhindern würde. Als er sich aber
in diesem Glauben getäuscht sah, da erkannte er, ob mit oder ohne Behagen ist
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