Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.Reichssxicgel ist so groß, daß selbst Söhne von Ansiedlern, die in der Ostmark Land zu Reichssxicgel ist so groß, daß selbst Söhne von Ansiedlern, die in der Ostmark Land zu <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0055" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/318338"/> <fw type="header" place="top"> Reichssxicgel</fw><lb/> <p xml:id="ID_220" prev="#ID_219"> ist so groß, daß selbst Söhne von Ansiedlern, die in der Ostmark Land zu<lb/> erwerben trachten, zur Abwanderung gezwungen werden, gar nicht zu reden von<lb/> den Hunderten Kauflustigen, die aus dem Westen kommend abgewiesen werden<lb/> müssen. Warum wird das Ansiedlungswerk nicht fortgesetzt? Zwei Antworten<lb/> gibt es darauf nur: entweder sieht die preußische Regierung in den Polen<lb/> keine Gefahr mehr für den Bestand des Staates, oder sie erklärt den Zusammen¬<lb/> bruch, das Fiasko des Siedlungswerkes. Hans Delbrück, der Berliner Historiker<lb/> und Wortführer der Opposition gegen eine aktive Polenpolitik, erklärte das An¬<lb/> siedlungswerk am 14. März d. Is. im Tag für bankrott. Eine Begründung für seine<lb/> Auffassung gibt er aber nicht, sondern begnügt sich mit der Wiederholung seiner<lb/> alten Anklagen gegen den „Hakatismus". Herr Delbrück hat auch sonst eine eigen¬<lb/> artige Auffassung vou den Zielen der deutschen Ostmarkenpolitik. „.. . Die urspüng-<lb/> liche Idee war", so schreibt er, „eine sich in mäßigen Grenzen haltende Verstärkung<lb/> des Deutschtums. Das Gesetz stellte ja nicht mehr als hundert Millionen<lb/> Mark zur Verfügung. Erst als man sah, daß damit nichts auszurichten war,<lb/> wurde der Plan durch immer neue Bewilligungen erweitert, aber immer mit<lb/> der Idee, daß einmal Schluß gemacht werde. Dieser Zeitpunkt ist jetzt in<lb/> Aussicht, und die Enttäuschung besteht deshalb nicht sowohl darin, daß endlich<lb/> das Ende erreicht ist, als darin, daß der ungeheure Aufwand nicht nur nichts<lb/> genützt, sondern sogar dem Polentum mehr Vorteil gebracht hat als dem<lb/> Deutschtum." Die letzte Behauptung entspricht nicht ganz den Tatsachen. Ich<lb/> kenne die Ostmark aus eigener Anschauung seit mehr als zwanzig Jahren und<lb/> habe den dem Delbrückschen entgegengesetzten Eindruck im Jahre 1908 in den<lb/> Grenzboten ausführlich geschildert und begründet; ich habe auch die Ursachen<lb/> erwähnt, weshalb eine Erstarkung des Polentums sich trotz dessen tatsächlichen<lb/> Rückganges bemerkbar macht. Eine Stärkung des Polentums ist in Wirklichkeit nur<lb/> eingetreten in den Städten, weil die Entwicklung der deutschen Wirtschaft im<lb/> engen Zusammenhange mit der deutschen Sozialpolitik und der polnischen<lb/> Nüchternheit und Sparsamkeit die Bildung eines städtischen Mittelstandes von<lb/> unten herauf besonders begünstigt. Zugegeben sei auch, daß das Geld der<lb/> Ansiedlungskommission die angedeutete Entwicklung noch befruchtet hat. Aber<lb/> das Kolonisationswerk wird dadurch weder aufgehalten noch beeinträchtigt. Im<lb/> Gegenteil, die gute wirtschaftliche Entwicklung der Städte sichert den Kolonisten<lb/> kaufkräftige Abnehmer für ihre Erzeugnisse. Da aber die Städte der Ostmark<lb/> zumeist ohne Industrie sind, also der Handel aus die landwirtschaftlichen Produkte<lb/> angewiesen ist, so ist anzunehmen, daß die Städte sich um so schneller in<lb/> deutsche Siedlungen umwandeln werden, je größer die Zahl der deutschen<lb/> Produzenten wird. Dazu gehört aber Zeit und sorgfältige Ausnutzung aller<lb/> sich bietenden Gelegenheiten. Nicht von der Kolonisation ablassen, sondern sie<lb/> fördern mit allen der Regierung zur Verfügung gestellten Mitteln, das ist die<lb/> Lehre, die wir aus der bisherigen Entwicklung des Ansiedlnngswerkes<lb/> ziehen.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0055]
Reichssxicgel
ist so groß, daß selbst Söhne von Ansiedlern, die in der Ostmark Land zu
erwerben trachten, zur Abwanderung gezwungen werden, gar nicht zu reden von
den Hunderten Kauflustigen, die aus dem Westen kommend abgewiesen werden
müssen. Warum wird das Ansiedlungswerk nicht fortgesetzt? Zwei Antworten
gibt es darauf nur: entweder sieht die preußische Regierung in den Polen
keine Gefahr mehr für den Bestand des Staates, oder sie erklärt den Zusammen¬
bruch, das Fiasko des Siedlungswerkes. Hans Delbrück, der Berliner Historiker
und Wortführer der Opposition gegen eine aktive Polenpolitik, erklärte das An¬
siedlungswerk am 14. März d. Is. im Tag für bankrott. Eine Begründung für seine
Auffassung gibt er aber nicht, sondern begnügt sich mit der Wiederholung seiner
alten Anklagen gegen den „Hakatismus". Herr Delbrück hat auch sonst eine eigen¬
artige Auffassung vou den Zielen der deutschen Ostmarkenpolitik. „.. . Die urspüng-
liche Idee war", so schreibt er, „eine sich in mäßigen Grenzen haltende Verstärkung
des Deutschtums. Das Gesetz stellte ja nicht mehr als hundert Millionen
Mark zur Verfügung. Erst als man sah, daß damit nichts auszurichten war,
wurde der Plan durch immer neue Bewilligungen erweitert, aber immer mit
der Idee, daß einmal Schluß gemacht werde. Dieser Zeitpunkt ist jetzt in
Aussicht, und die Enttäuschung besteht deshalb nicht sowohl darin, daß endlich
das Ende erreicht ist, als darin, daß der ungeheure Aufwand nicht nur nichts
genützt, sondern sogar dem Polentum mehr Vorteil gebracht hat als dem
Deutschtum." Die letzte Behauptung entspricht nicht ganz den Tatsachen. Ich
kenne die Ostmark aus eigener Anschauung seit mehr als zwanzig Jahren und
habe den dem Delbrückschen entgegengesetzten Eindruck im Jahre 1908 in den
Grenzboten ausführlich geschildert und begründet; ich habe auch die Ursachen
erwähnt, weshalb eine Erstarkung des Polentums sich trotz dessen tatsächlichen
Rückganges bemerkbar macht. Eine Stärkung des Polentums ist in Wirklichkeit nur
eingetreten in den Städten, weil die Entwicklung der deutschen Wirtschaft im
engen Zusammenhange mit der deutschen Sozialpolitik und der polnischen
Nüchternheit und Sparsamkeit die Bildung eines städtischen Mittelstandes von
unten herauf besonders begünstigt. Zugegeben sei auch, daß das Geld der
Ansiedlungskommission die angedeutete Entwicklung noch befruchtet hat. Aber
das Kolonisationswerk wird dadurch weder aufgehalten noch beeinträchtigt. Im
Gegenteil, die gute wirtschaftliche Entwicklung der Städte sichert den Kolonisten
kaufkräftige Abnehmer für ihre Erzeugnisse. Da aber die Städte der Ostmark
zumeist ohne Industrie sind, also der Handel aus die landwirtschaftlichen Produkte
angewiesen ist, so ist anzunehmen, daß die Städte sich um so schneller in
deutsche Siedlungen umwandeln werden, je größer die Zahl der deutschen
Produzenten wird. Dazu gehört aber Zeit und sorgfältige Ausnutzung aller
sich bietenden Gelegenheiten. Nicht von der Kolonisation ablassen, sondern sie
fördern mit allen der Regierung zur Verfügung gestellten Mitteln, das ist die
Lehre, die wir aus der bisherigen Entwicklung des Ansiedlnngswerkes
ziehen.
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