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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

nötig, daß durch schriftliche Anklagen und
Eröffnnngsbcschlüsse, durch Beobachtung bon
Ladungs- und sonstigen Fristen dick Zeit ver¬
geudet wird. Die äußerste Schleunigkeit des
Verfahrens läßt sich erzielen, wenn eine
jederzeit bereite Polizei und ein jederzeit
bereiter Richter vorhanden ist. Aller Voraus¬
sicht nach würden nicht einmal die Kosten
vermehrt, sondern vermindert Werden, wenn
ein ganz schleuniges Verfahren eingeführt
würde. Denn die Erfahrung lehrt, daß
gerade durch ein langsames Vorgehen viele
an sich unnötige Schritte der Behörden -- man
denke nur an die zahlreichen unnötigen Ver¬
nehmungen -- verursacht werdeu, welche ein
uninnßiges Anschwellen der Kosten bewirken.
Auch die Zuverlässigkeit der Untersuchung
würde regelmäßig durch ein schnelles Ein¬
schreiten nur gewinnen, -- Der Vorschlag
mag radikal erscheinen: Aber ich behaupte,
es würde möglich und für den Täter wie den
Staat ini allgemeinen nützlich sein, wenn
man den Täter mit den etwa erforderlichen
Zeugen möglichst sogleich nach der Tat
-- wenigstens in den allernächsten Tagen --
vor den zuständigen Richter brächte, Ovschvn
ein solches schnelles Aerfahren nicht in allen
Sachen angängig sein wird, so doch un¬
bestreitbar in sehr vielen. Und mit diesen
vielen, ganz schleunig erledigten Sachen wird
recht viel Gutes gewonnen werden. Selbst¬
verständlich muß für umsichtige Beamte in
genügender Zahl gesorgt werden, die sich
jedoch in Deutschland werden leicht beschaffen
lassen. Es werden sich sogar durchaus hin¬
reichende Erkundigungen über Charakter und
häusliche Verhältnisse der Beschuldigten in
kürzester Zeit einholen lassen.

Es wurde schon angedeutet: Eine wesent¬
liche Vorbedingung für die Schlcunigkeit des
Verfahrens ist die Befreiung des Richters von
allen Förmlichkeiten. Aber auch abgesehen
bon der Beschleunigung des Verfahrens
werden mir fast alle Praktiker darin recht
"eben, daß für die Mehrzahl der Jugend-
strcifsnchen jedes formelle Verfahren nicht nur

[Spaltenumbruch]

überflüssig, sondern höchst schädlich ist. Die
Jugend hat keinen Sinn für die Formen,
sondern nur für das Materielle, das rein
Sachliche. Mit ruhigsten Gewissen kann man
die Meinung vertreten, daß "Anklage", "Er¬
öffnungsbeschluß", auch daß Staatsanwalt
und Verteidiger für fast alle Jugendstrnfsachen
entbehrlich sind. Es genügt ein verständiger
und erfahrener Richter mit ruhigem Sinn
und warmem Herzen vollständig -- für leichte
und für die bei weitem meisten schweren
Fälle. Beispielsweise könnte ein erfahrener
Amtsrichter -- oder Nmtsgerichtsrat -- sehr
Wohl einen bei einem Einbruchsdiebstahl
ertappten -- geständigen oder klar über¬
führten -- Jungen sofort nach der ersten
gründlichen Vernehmung aburteilen. Eltern
oder Vormünder, die übrigens recht oft der
Sache teilncchmslos gegenüberstehen, könnte
man zuziehen. Schöffen braucht der Jugend¬
richter aber nicht als Beisitzer. Und daß eine
öffentliche Verhandlung vor ungeladenem
Publikum bei der Jugend vermieden werden
muß, darüber ist man sich gegenwärtig so
ziemlich einig.

Zu den schädlichen Förmlichkeiten gehört
vor allem auch die Einrichtung der sogenannten
"Rechtsmitttel". Das erste Urteil' sollte in
allen klaren Fällen much das letzte sein! Dein
Richter müßte es freistehen, gleich in seinem
Urteil dessen Anfechtbarkeit auszuschließen und
das Urteil selbst für rechtskräftig und sofort
vollstreckbar zu erklären. Mau kaun ihm
anderseits gesetzlich die Möglichkeit belassen,
dies nicht zu tun, also für gewisse nicht völlig
bedcnkenfreie Fälle eine Anfechtung seines
Urteils und eine erneute Prüfung des Sach¬
verhalts zu gestatten. Aber für die vielen
klaren Fälle muß der Richter in die Lage
versetzt werden, die erkannte Strafe -- auch
gegen den Willen des Verurteilten -- sogleich
im Anschluß um die Verurteilung zu voll¬
strecken. Das würde ein der Jugend ver¬
ständliches Verfahren sein.

Lnndgerichtsrat L?.,
Vorsitzender einer Jngendstrastnmmer [Ende Spaltensatz]


Grenzboten II 191108
Maßgebliches und Unmaßgebliches

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nötig, daß durch schriftliche Anklagen und
Eröffnnngsbcschlüsse, durch Beobachtung bon
Ladungs- und sonstigen Fristen dick Zeit ver¬
geudet wird. Die äußerste Schleunigkeit des
Verfahrens läßt sich erzielen, wenn eine
jederzeit bereite Polizei und ein jederzeit
bereiter Richter vorhanden ist. Aller Voraus¬
sicht nach würden nicht einmal die Kosten
vermehrt, sondern vermindert Werden, wenn
ein ganz schleuniges Verfahren eingeführt
würde. Denn die Erfahrung lehrt, daß
gerade durch ein langsames Vorgehen viele
an sich unnötige Schritte der Behörden — man
denke nur an die zahlreichen unnötigen Ver¬
nehmungen — verursacht werdeu, welche ein
uninnßiges Anschwellen der Kosten bewirken.
Auch die Zuverlässigkeit der Untersuchung
würde regelmäßig durch ein schnelles Ein¬
schreiten nur gewinnen, — Der Vorschlag
mag radikal erscheinen: Aber ich behaupte,
es würde möglich und für den Täter wie den
Staat ini allgemeinen nützlich sein, wenn
man den Täter mit den etwa erforderlichen
Zeugen möglichst sogleich nach der Tat
— wenigstens in den allernächsten Tagen —
vor den zuständigen Richter brächte, Ovschvn
ein solches schnelles Aerfahren nicht in allen
Sachen angängig sein wird, so doch un¬
bestreitbar in sehr vielen. Und mit diesen
vielen, ganz schleunig erledigten Sachen wird
recht viel Gutes gewonnen werden. Selbst¬
verständlich muß für umsichtige Beamte in
genügender Zahl gesorgt werden, die sich
jedoch in Deutschland werden leicht beschaffen
lassen. Es werden sich sogar durchaus hin¬
reichende Erkundigungen über Charakter und
häusliche Verhältnisse der Beschuldigten in
kürzester Zeit einholen lassen.

Es wurde schon angedeutet: Eine wesent¬
liche Vorbedingung für die Schlcunigkeit des
Verfahrens ist die Befreiung des Richters von
allen Förmlichkeiten. Aber auch abgesehen
bon der Beschleunigung des Verfahrens
werden mir fast alle Praktiker darin recht
»eben, daß für die Mehrzahl der Jugend-
strcifsnchen jedes formelle Verfahren nicht nur

[Spaltenumbruch]

überflüssig, sondern höchst schädlich ist. Die
Jugend hat keinen Sinn für die Formen,
sondern nur für das Materielle, das rein
Sachliche. Mit ruhigsten Gewissen kann man
die Meinung vertreten, daß „Anklage", „Er¬
öffnungsbeschluß", auch daß Staatsanwalt
und Verteidiger für fast alle Jugendstrnfsachen
entbehrlich sind. Es genügt ein verständiger
und erfahrener Richter mit ruhigem Sinn
und warmem Herzen vollständig — für leichte
und für die bei weitem meisten schweren
Fälle. Beispielsweise könnte ein erfahrener
Amtsrichter — oder Nmtsgerichtsrat — sehr
Wohl einen bei einem Einbruchsdiebstahl
ertappten — geständigen oder klar über¬
führten — Jungen sofort nach der ersten
gründlichen Vernehmung aburteilen. Eltern
oder Vormünder, die übrigens recht oft der
Sache teilncchmslos gegenüberstehen, könnte
man zuziehen. Schöffen braucht der Jugend¬
richter aber nicht als Beisitzer. Und daß eine
öffentliche Verhandlung vor ungeladenem
Publikum bei der Jugend vermieden werden
muß, darüber ist man sich gegenwärtig so
ziemlich einig.

Zu den schädlichen Förmlichkeiten gehört
vor allem auch die Einrichtung der sogenannten
„Rechtsmitttel". Das erste Urteil' sollte in
allen klaren Fällen much das letzte sein! Dein
Richter müßte es freistehen, gleich in seinem
Urteil dessen Anfechtbarkeit auszuschließen und
das Urteil selbst für rechtskräftig und sofort
vollstreckbar zu erklären. Mau kaun ihm
anderseits gesetzlich die Möglichkeit belassen,
dies nicht zu tun, also für gewisse nicht völlig
bedcnkenfreie Fälle eine Anfechtung seines
Urteils und eine erneute Prüfung des Sach¬
verhalts zu gestatten. Aber für die vielen
klaren Fälle muß der Richter in die Lage
versetzt werden, die erkannte Strafe — auch
gegen den Willen des Verurteilten — sogleich
im Anschluß um die Verurteilung zu voll¬
strecken. Das würde ein der Jugend ver¬
ständliches Verfahren sein.

Lnndgerichtsrat L?.,
Vorsitzender einer Jngendstrastnmmer [Ende Spaltensatz]


Grenzboten II 191108
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[0549] Maßgebliches und Unmaßgebliches nötig, daß durch schriftliche Anklagen und Eröffnnngsbcschlüsse, durch Beobachtung bon Ladungs- und sonstigen Fristen dick Zeit ver¬ geudet wird. Die äußerste Schleunigkeit des Verfahrens läßt sich erzielen, wenn eine jederzeit bereite Polizei und ein jederzeit bereiter Richter vorhanden ist. Aller Voraus¬ sicht nach würden nicht einmal die Kosten vermehrt, sondern vermindert Werden, wenn ein ganz schleuniges Verfahren eingeführt würde. Denn die Erfahrung lehrt, daß gerade durch ein langsames Vorgehen viele an sich unnötige Schritte der Behörden — man denke nur an die zahlreichen unnötigen Ver¬ nehmungen — verursacht werdeu, welche ein uninnßiges Anschwellen der Kosten bewirken. Auch die Zuverlässigkeit der Untersuchung würde regelmäßig durch ein schnelles Ein¬ schreiten nur gewinnen, — Der Vorschlag mag radikal erscheinen: Aber ich behaupte, es würde möglich und für den Täter wie den Staat ini allgemeinen nützlich sein, wenn man den Täter mit den etwa erforderlichen Zeugen möglichst sogleich nach der Tat — wenigstens in den allernächsten Tagen — vor den zuständigen Richter brächte, Ovschvn ein solches schnelles Aerfahren nicht in allen Sachen angängig sein wird, so doch un¬ bestreitbar in sehr vielen. Und mit diesen vielen, ganz schleunig erledigten Sachen wird recht viel Gutes gewonnen werden. Selbst¬ verständlich muß für umsichtige Beamte in genügender Zahl gesorgt werden, die sich jedoch in Deutschland werden leicht beschaffen lassen. Es werden sich sogar durchaus hin¬ reichende Erkundigungen über Charakter und häusliche Verhältnisse der Beschuldigten in kürzester Zeit einholen lassen. Es wurde schon angedeutet: Eine wesent¬ liche Vorbedingung für die Schlcunigkeit des Verfahrens ist die Befreiung des Richters von allen Förmlichkeiten. Aber auch abgesehen bon der Beschleunigung des Verfahrens werden mir fast alle Praktiker darin recht »eben, daß für die Mehrzahl der Jugend- strcifsnchen jedes formelle Verfahren nicht nur überflüssig, sondern höchst schädlich ist. Die Jugend hat keinen Sinn für die Formen, sondern nur für das Materielle, das rein Sachliche. Mit ruhigsten Gewissen kann man die Meinung vertreten, daß „Anklage", „Er¬ öffnungsbeschluß", auch daß Staatsanwalt und Verteidiger für fast alle Jugendstrnfsachen entbehrlich sind. Es genügt ein verständiger und erfahrener Richter mit ruhigem Sinn und warmem Herzen vollständig — für leichte und für die bei weitem meisten schweren Fälle. Beispielsweise könnte ein erfahrener Amtsrichter — oder Nmtsgerichtsrat — sehr Wohl einen bei einem Einbruchsdiebstahl ertappten — geständigen oder klar über¬ führten — Jungen sofort nach der ersten gründlichen Vernehmung aburteilen. Eltern oder Vormünder, die übrigens recht oft der Sache teilncchmslos gegenüberstehen, könnte man zuziehen. Schöffen braucht der Jugend¬ richter aber nicht als Beisitzer. Und daß eine öffentliche Verhandlung vor ungeladenem Publikum bei der Jugend vermieden werden muß, darüber ist man sich gegenwärtig so ziemlich einig. Zu den schädlichen Förmlichkeiten gehört vor allem auch die Einrichtung der sogenannten „Rechtsmitttel". Das erste Urteil' sollte in allen klaren Fällen much das letzte sein! Dein Richter müßte es freistehen, gleich in seinem Urteil dessen Anfechtbarkeit auszuschließen und das Urteil selbst für rechtskräftig und sofort vollstreckbar zu erklären. Mau kaun ihm anderseits gesetzlich die Möglichkeit belassen, dies nicht zu tun, also für gewisse nicht völlig bedcnkenfreie Fälle eine Anfechtung seines Urteils und eine erneute Prüfung des Sach¬ verhalts zu gestatten. Aber für die vielen klaren Fälle muß der Richter in die Lage versetzt werden, die erkannte Strafe — auch gegen den Willen des Verurteilten — sogleich im Anschluß um die Verurteilung zu voll¬ strecken. Das würde ein der Jugend ver¬ ständliches Verfahren sein. Lnndgerichtsrat L?., Vorsitzender einer Jngendstrastnmmer Grenzboten II 191108

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/549>, abgerufen am 26.06.2024.