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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Vsfene Tür oder Interessensphäre?

Heute spielen in der Weltwirtschaftspolitik andere handelspolitische Begriffe
eine weit wesentlichere Rolle als die alte Gegenüberstellung von Schutzzoll und
Freihandel. Heute operieren wir mit besonderer Vorliebe mit dem Begriff der
"offenen Tür". Irren wir nicht, so ist das Wort englischen Ursprungs. Aber
sprach man früher von der "opsn äoor", so ist gegenwärtig die offene Tür
vor allem im Sprachschatze der deutschen Diplomatie zu finden. Das ist kein
Zufall; denn tatsächlich ist England durchaus nicht mehr der Hüter der offenen
Tür, als den es sich ehedem ausgegeben hat. Noch bevor in England selbst die
letzten Enscheidungen darüber fallen, ob das Stammland zum Schutzzoll über¬
gehen soll, hat England draußen auf dem Weltmarkte die Politik der offenen Tür
verlassen und ist in steigendem Umfange übergegangen zu der Politik der Interessen¬
sphären, an deren Eingang die offene Tür für Wettbewerber zugeschlagen wird.

Der wirtschaftspolitische Begriff der Interessensphäre ist uns Deutschen
durch England insbesondere klar gemacht worden bei seinem Streben, das
Aangtsetal zu einer britischen Interessensphäre zu stempeln und dort den deutschen
Wettbewerb auszuschalten. Wir haben uns dieser Tendenz mit Entschiedenheit
und auch mit einem gewissen, durch Englands Bindung im Burenkriege begünstigten
Erfolg widersetzt. In dem Uangtseabkommen zwischen Deutschland und England,
das während des Burenkrieges getroffen wurde, siegte -- zum mindesten auf
dem Papier -- die deutsche Politik der offenen Tür über die englische Politik
der Interessensphären. Freilich hat England, nachdem es die Fesseln des
Burenkrieges abgestreift hatte, nichts unversucht gelassen, in der Praxis doch
seinem alten Streben wieder zum Siege zu verhelfen. Ihm sollte nicht zuletzt
der Zug nach Tibet in das tiefste Hinterland des Uangsetales dienen, der unter
anderem bezweckte, daß von Tibet aus der Zugang nach der chinesischen Provinz
Szetschuan und so weiter hinab ins Dangsetal beherrscht und gesichert werden
sollte. Das englisch-russische Tibetabkommen und Chinas reaktivierte Politik in
Tibet haben England hier noch nicht recht zum Ziele gelangen lassen; um so
eifriger aber ist es bemüht, einstweilen die Provinz Szetschuan -- in der es
beiläufig an Betätigung deutschen Unternehmungsgeistes durchaus nicht gefehlt
hat -- zu einer englischen Interessensphäre zu stempeln und ihr dann nach und
nach die Provinzen am Mittel- und Unterlaufe des Uangtse anzugliedern.

In neuerer Zeit ist Englands Jnteressensphärenpolitik mit ihren Abschließungs-
tendenzen dann am klarsten zutage getreten in dem russisch-persischen Abkommen
und in der weiteren Handhabung der englischen Politik in Persien. Es ist ja
aus den jüngsten Tagen hinlänglich bekannt, in welchem Maße England sich
dagegen gewehrt hat, daß die deutschen Interessen in Persien eine Förderung
und Ausdehnung erfahren könnten. Das eifrige Streben Englands geht über
die Grenzen Persiens hinaus dahin, den Persischen Meerbusen und den Unter¬
lauf des Euphrat und Tigris gleichfalls zur englischen Interessensphäre zu stempeln.

Als seinerzeit England daran ging, sich zum ersten Male mit Rußland
über die persische Frage zu verständigen, äußerten mißtrauische deutsche Politiker


Vsfene Tür oder Interessensphäre?

Heute spielen in der Weltwirtschaftspolitik andere handelspolitische Begriffe
eine weit wesentlichere Rolle als die alte Gegenüberstellung von Schutzzoll und
Freihandel. Heute operieren wir mit besonderer Vorliebe mit dem Begriff der
„offenen Tür". Irren wir nicht, so ist das Wort englischen Ursprungs. Aber
sprach man früher von der „opsn äoor", so ist gegenwärtig die offene Tür
vor allem im Sprachschatze der deutschen Diplomatie zu finden. Das ist kein
Zufall; denn tatsächlich ist England durchaus nicht mehr der Hüter der offenen
Tür, als den es sich ehedem ausgegeben hat. Noch bevor in England selbst die
letzten Enscheidungen darüber fallen, ob das Stammland zum Schutzzoll über¬
gehen soll, hat England draußen auf dem Weltmarkte die Politik der offenen Tür
verlassen und ist in steigendem Umfange übergegangen zu der Politik der Interessen¬
sphären, an deren Eingang die offene Tür für Wettbewerber zugeschlagen wird.

Der wirtschaftspolitische Begriff der Interessensphäre ist uns Deutschen
durch England insbesondere klar gemacht worden bei seinem Streben, das
Aangtsetal zu einer britischen Interessensphäre zu stempeln und dort den deutschen
Wettbewerb auszuschalten. Wir haben uns dieser Tendenz mit Entschiedenheit
und auch mit einem gewissen, durch Englands Bindung im Burenkriege begünstigten
Erfolg widersetzt. In dem Uangtseabkommen zwischen Deutschland und England,
das während des Burenkrieges getroffen wurde, siegte — zum mindesten auf
dem Papier — die deutsche Politik der offenen Tür über die englische Politik
der Interessensphären. Freilich hat England, nachdem es die Fesseln des
Burenkrieges abgestreift hatte, nichts unversucht gelassen, in der Praxis doch
seinem alten Streben wieder zum Siege zu verhelfen. Ihm sollte nicht zuletzt
der Zug nach Tibet in das tiefste Hinterland des Uangsetales dienen, der unter
anderem bezweckte, daß von Tibet aus der Zugang nach der chinesischen Provinz
Szetschuan und so weiter hinab ins Dangsetal beherrscht und gesichert werden
sollte. Das englisch-russische Tibetabkommen und Chinas reaktivierte Politik in
Tibet haben England hier noch nicht recht zum Ziele gelangen lassen; um so
eifriger aber ist es bemüht, einstweilen die Provinz Szetschuan — in der es
beiläufig an Betätigung deutschen Unternehmungsgeistes durchaus nicht gefehlt
hat — zu einer englischen Interessensphäre zu stempeln und ihr dann nach und
nach die Provinzen am Mittel- und Unterlaufe des Uangtse anzugliedern.

In neuerer Zeit ist Englands Jnteressensphärenpolitik mit ihren Abschließungs-
tendenzen dann am klarsten zutage getreten in dem russisch-persischen Abkommen
und in der weiteren Handhabung der englischen Politik in Persien. Es ist ja
aus den jüngsten Tagen hinlänglich bekannt, in welchem Maße England sich
dagegen gewehrt hat, daß die deutschen Interessen in Persien eine Förderung
und Ausdehnung erfahren könnten. Das eifrige Streben Englands geht über
die Grenzen Persiens hinaus dahin, den Persischen Meerbusen und den Unter¬
lauf des Euphrat und Tigris gleichfalls zur englischen Interessensphäre zu stempeln.

Als seinerzeit England daran ging, sich zum ersten Male mit Rußland
über die persische Frage zu verständigen, äußerten mißtrauische deutsche Politiker


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[0446] Vsfene Tür oder Interessensphäre? Heute spielen in der Weltwirtschaftspolitik andere handelspolitische Begriffe eine weit wesentlichere Rolle als die alte Gegenüberstellung von Schutzzoll und Freihandel. Heute operieren wir mit besonderer Vorliebe mit dem Begriff der „offenen Tür". Irren wir nicht, so ist das Wort englischen Ursprungs. Aber sprach man früher von der „opsn äoor", so ist gegenwärtig die offene Tür vor allem im Sprachschatze der deutschen Diplomatie zu finden. Das ist kein Zufall; denn tatsächlich ist England durchaus nicht mehr der Hüter der offenen Tür, als den es sich ehedem ausgegeben hat. Noch bevor in England selbst die letzten Enscheidungen darüber fallen, ob das Stammland zum Schutzzoll über¬ gehen soll, hat England draußen auf dem Weltmarkte die Politik der offenen Tür verlassen und ist in steigendem Umfange übergegangen zu der Politik der Interessen¬ sphären, an deren Eingang die offene Tür für Wettbewerber zugeschlagen wird. Der wirtschaftspolitische Begriff der Interessensphäre ist uns Deutschen durch England insbesondere klar gemacht worden bei seinem Streben, das Aangtsetal zu einer britischen Interessensphäre zu stempeln und dort den deutschen Wettbewerb auszuschalten. Wir haben uns dieser Tendenz mit Entschiedenheit und auch mit einem gewissen, durch Englands Bindung im Burenkriege begünstigten Erfolg widersetzt. In dem Uangtseabkommen zwischen Deutschland und England, das während des Burenkrieges getroffen wurde, siegte — zum mindesten auf dem Papier — die deutsche Politik der offenen Tür über die englische Politik der Interessensphären. Freilich hat England, nachdem es die Fesseln des Burenkrieges abgestreift hatte, nichts unversucht gelassen, in der Praxis doch seinem alten Streben wieder zum Siege zu verhelfen. Ihm sollte nicht zuletzt der Zug nach Tibet in das tiefste Hinterland des Uangsetales dienen, der unter anderem bezweckte, daß von Tibet aus der Zugang nach der chinesischen Provinz Szetschuan und so weiter hinab ins Dangsetal beherrscht und gesichert werden sollte. Das englisch-russische Tibetabkommen und Chinas reaktivierte Politik in Tibet haben England hier noch nicht recht zum Ziele gelangen lassen; um so eifriger aber ist es bemüht, einstweilen die Provinz Szetschuan — in der es beiläufig an Betätigung deutschen Unternehmungsgeistes durchaus nicht gefehlt hat — zu einer englischen Interessensphäre zu stempeln und ihr dann nach und nach die Provinzen am Mittel- und Unterlaufe des Uangtse anzugliedern. In neuerer Zeit ist Englands Jnteressensphärenpolitik mit ihren Abschließungs- tendenzen dann am klarsten zutage getreten in dem russisch-persischen Abkommen und in der weiteren Handhabung der englischen Politik in Persien. Es ist ja aus den jüngsten Tagen hinlänglich bekannt, in welchem Maße England sich dagegen gewehrt hat, daß die deutschen Interessen in Persien eine Förderung und Ausdehnung erfahren könnten. Das eifrige Streben Englands geht über die Grenzen Persiens hinaus dahin, den Persischen Meerbusen und den Unter¬ lauf des Euphrat und Tigris gleichfalls zur englischen Interessensphäre zu stempeln. Als seinerzeit England daran ging, sich zum ersten Male mit Rußland über die persische Frage zu verständigen, äußerten mißtrauische deutsche Politiker

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/446>, abgerufen am 28.09.2024.