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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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ist, die der Führung des napoleonischen
Heeres eigen waren. Von den französischen
Marschällen hatte im Jahre 1306 nur Berthier
das 60. Lebensjahr überschritten.

Mit dem damals 37jährigen Napoleon
waren gleichaltrig Lannes, Rey und Soult;
Murat zählte 39, Bernndotte 4g, Massena 48,
Augerenu 49 Jahre; jünger als Napoleon
waren Davout mit 36 und Marmont
.mit urir 32 Lebensjahren. Wen kann es
wundernehmen, daß bor solcher welten-
stürmenden Jugendkraft die bedächtige,
altersschwache Führung des Preußischen Heeres
wie ein Kartenhaus bor dem Winde zu¬
sammenbrach!

So wenig die Feldherrneigenschaften an
sich an das Lebensalter gebunden sind, so
dürfen wir doch nie nußer acht lassen, daß
zur erfolgreichen Ausführung der kühnen
Ideen eines gottbegnadeter Feldherrn zum
mindesten wagemutige und Selbsttätige Unter¬
führer nötig sind, daß diese auch befähigt sein
müssen, beim Versagen der obersten Heeres¬
leitung die Operationen zu einem leidlich
guten Ende zu führen. Wieviel heutzutage
im Kriege auf die Selbsttätigkeit der Unter¬
führer ankommt, beweisen unsere eigenen
Kriegserfahrungen bon 1866 und 1870
ebenso wie die des russisch-japanischen
Krieges. Am Schlüsse des ersten Teiles der
deutscheu Ausgabe des russischen Generalstabs¬
werkes heißt es: "Der ganze Verlauf des
Feldzuges zeigt, daß die russischen Niederlagen
nicht widrigen Verhältnissen, nicht materieller
und auch nur in sehr geringem Maße
moralischer Überlegenheit des Gegners zuzu¬
schreiben sind, sondern in erster Linie, man
kann sagen einzig und allein, dem Mangel
der Führung an Verantwortuugsfreudigkeit,
an frischem, kühnem Wagemut." Wo sich bei
den Russen eine Spur bon Selbsttätigkeit
und Unternehmungsgeist zeigte, wurde sie
schleunigst bon oben zerstört. Dieser ver¬
hängnisvolle Einfluß der oberen Führer bis
zur obersten Heeresleitung erhält eine ganz
besondere Beleuchtung, wenn man sich daran
erinnert, daß ein russischer Militörschriftstcller,
Geuercilleutnaut Wolde, es war, der lange
bor dem Kriege in einem Buche über die
Ursachen der Siege und Niederlagen im
Kriege 1370 in ausgezeichneter Weise den

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entscheidenden Anteil der'Selbsttätigkeit der
Unterführer an den deutschen Siegen nach¬
gewiesen hat.

Alle Kriegserfahrungen stimmen darin
überein, daß die erste Bedingung des Sieges
in der Führung liegt, und daß mit dem
Anwachsen der Heere der Selbsttätigkeit der
Unterführer eine entscheidende Bedeutung zu¬
kommt. Wird dies anerkannt, so ist die
logische Folge, daß die wichtigste Kriegs¬
borbereitung neben der Schaffung
des Heeres selbst die Heranbildung
solcher Führer ist, wie sie für die
heutige Kriegführung mit Massen¬
heeren nötig sind. Als hervorstechendste
Eigenschaften der Führer sind nach allen
modernen Kriegserfnhrungen Bemntwortungs-
freude, Wagemut und Selbsttätigkeit anzu¬
sehen; und diese sind, besonders in langen
Friedensjayren, mehr der Jugend als dein
Alter eigentümlich. Nun erleben wir in
solchen Zeiten die eigenartige Erscheinung,
daß im Volke ebenso wie in den Parlamenten
Einmütigkeit herrscht, wenn es sich darum
handelt, dem Heere die neuesten Errungen¬
schaften der Technik nutzbar zu machen, daß
aber in weiten Kreisen das Verständnis für
die Bedeutung der richtigen Heranbildung
von Führern fehlt. Man glaubt der vater¬
ländischen Pflicht genügt zu haben, wenn
man den Offizieren im Frieden ein leidliches
Auskommen gewährt, ihnen die Möglichkeit
zu wissenschaftlicher Vor- und Weiterbildung
gibt und sie am schlaffe ihrer Laufbahn
wenigstens vor den drückendsten Nahrungs¬
sorgen schützt. Damit ist für den Krieg noch
wenig getan. Bor allem muß Vorsorge ge¬
troffen werden, daß bei den Führern im
Kriege diejenigen Charaktereigenschaften an¬
getroffen werden, auf denen in erster Linie
die Führerleistuugen beruhen, d. h. wir müssen
sorgen, daß wir junge Führer schaffen und
durch die Art des Friedensdienstes nicht die
Charaktereigenschaften totschlagen, die wir im
Kriege dringend brauchen.

Alle unsere Bestrebungen, die auf Fö rderung
des Offtzierkorps abzielen, dürfen nicht von
kleinen Friedeiisrücksichten eingegeben oder
beschränkt werden; sie müssen in erster Linie
den Forderungen des Krieges Rechnung
G. tragen.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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ist, die der Führung des napoleonischen
Heeres eigen waren. Von den französischen
Marschällen hatte im Jahre 1306 nur Berthier
das 60. Lebensjahr überschritten.

Mit dem damals 37jährigen Napoleon
waren gleichaltrig Lannes, Rey und Soult;
Murat zählte 39, Bernndotte 4g, Massena 48,
Augerenu 49 Jahre; jünger als Napoleon
waren Davout mit 36 und Marmont
.mit urir 32 Lebensjahren. Wen kann es
wundernehmen, daß bor solcher welten-
stürmenden Jugendkraft die bedächtige,
altersschwache Führung des Preußischen Heeres
wie ein Kartenhaus bor dem Winde zu¬
sammenbrach!

So wenig die Feldherrneigenschaften an
sich an das Lebensalter gebunden sind, so
dürfen wir doch nie nußer acht lassen, daß
zur erfolgreichen Ausführung der kühnen
Ideen eines gottbegnadeter Feldherrn zum
mindesten wagemutige und Selbsttätige Unter¬
führer nötig sind, daß diese auch befähigt sein
müssen, beim Versagen der obersten Heeres¬
leitung die Operationen zu einem leidlich
guten Ende zu führen. Wieviel heutzutage
im Kriege auf die Selbsttätigkeit der Unter¬
führer ankommt, beweisen unsere eigenen
Kriegserfahrungen bon 1866 und 1870
ebenso wie die des russisch-japanischen
Krieges. Am Schlüsse des ersten Teiles der
deutscheu Ausgabe des russischen Generalstabs¬
werkes heißt es: „Der ganze Verlauf des
Feldzuges zeigt, daß die russischen Niederlagen
nicht widrigen Verhältnissen, nicht materieller
und auch nur in sehr geringem Maße
moralischer Überlegenheit des Gegners zuzu¬
schreiben sind, sondern in erster Linie, man
kann sagen einzig und allein, dem Mangel
der Führung an Verantwortuugsfreudigkeit,
an frischem, kühnem Wagemut." Wo sich bei
den Russen eine Spur bon Selbsttätigkeit
und Unternehmungsgeist zeigte, wurde sie
schleunigst bon oben zerstört. Dieser ver¬
hängnisvolle Einfluß der oberen Führer bis
zur obersten Heeresleitung erhält eine ganz
besondere Beleuchtung, wenn man sich daran
erinnert, daß ein russischer Militörschriftstcller,
Geuercilleutnaut Wolde, es war, der lange
bor dem Kriege in einem Buche über die
Ursachen der Siege und Niederlagen im
Kriege 1370 in ausgezeichneter Weise den

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entscheidenden Anteil der'Selbsttätigkeit der
Unterführer an den deutschen Siegen nach¬
gewiesen hat.

Alle Kriegserfahrungen stimmen darin
überein, daß die erste Bedingung des Sieges
in der Führung liegt, und daß mit dem
Anwachsen der Heere der Selbsttätigkeit der
Unterführer eine entscheidende Bedeutung zu¬
kommt. Wird dies anerkannt, so ist die
logische Folge, daß die wichtigste Kriegs¬
borbereitung neben der Schaffung
des Heeres selbst die Heranbildung
solcher Führer ist, wie sie für die
heutige Kriegführung mit Massen¬
heeren nötig sind. Als hervorstechendste
Eigenschaften der Führer sind nach allen
modernen Kriegserfnhrungen Bemntwortungs-
freude, Wagemut und Selbsttätigkeit anzu¬
sehen; und diese sind, besonders in langen
Friedensjayren, mehr der Jugend als dein
Alter eigentümlich. Nun erleben wir in
solchen Zeiten die eigenartige Erscheinung,
daß im Volke ebenso wie in den Parlamenten
Einmütigkeit herrscht, wenn es sich darum
handelt, dem Heere die neuesten Errungen¬
schaften der Technik nutzbar zu machen, daß
aber in weiten Kreisen das Verständnis für
die Bedeutung der richtigen Heranbildung
von Führern fehlt. Man glaubt der vater¬
ländischen Pflicht genügt zu haben, wenn
man den Offizieren im Frieden ein leidliches
Auskommen gewährt, ihnen die Möglichkeit
zu wissenschaftlicher Vor- und Weiterbildung
gibt und sie am schlaffe ihrer Laufbahn
wenigstens vor den drückendsten Nahrungs¬
sorgen schützt. Damit ist für den Krieg noch
wenig getan. Bor allem muß Vorsorge ge¬
troffen werden, daß bei den Führern im
Kriege diejenigen Charaktereigenschaften an¬
getroffen werden, auf denen in erster Linie
die Führerleistuugen beruhen, d. h. wir müssen
sorgen, daß wir junge Führer schaffen und
durch die Art des Friedensdienstes nicht die
Charaktereigenschaften totschlagen, die wir im
Kriege dringend brauchen.

Alle unsere Bestrebungen, die auf Fö rderung
des Offtzierkorps abzielen, dürfen nicht von
kleinen Friedeiisrücksichten eingegeben oder
beschränkt werden; sie müssen in erster Linie
den Forderungen des Krieges Rechnung
G. tragen.

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[0436] Maßgebliches und Unmaßgebliches ist, die der Führung des napoleonischen Heeres eigen waren. Von den französischen Marschällen hatte im Jahre 1306 nur Berthier das 60. Lebensjahr überschritten. Mit dem damals 37jährigen Napoleon waren gleichaltrig Lannes, Rey und Soult; Murat zählte 39, Bernndotte 4g, Massena 48, Augerenu 49 Jahre; jünger als Napoleon waren Davout mit 36 und Marmont .mit urir 32 Lebensjahren. Wen kann es wundernehmen, daß bor solcher welten- stürmenden Jugendkraft die bedächtige, altersschwache Führung des Preußischen Heeres wie ein Kartenhaus bor dem Winde zu¬ sammenbrach! So wenig die Feldherrneigenschaften an sich an das Lebensalter gebunden sind, so dürfen wir doch nie nußer acht lassen, daß zur erfolgreichen Ausführung der kühnen Ideen eines gottbegnadeter Feldherrn zum mindesten wagemutige und Selbsttätige Unter¬ führer nötig sind, daß diese auch befähigt sein müssen, beim Versagen der obersten Heeres¬ leitung die Operationen zu einem leidlich guten Ende zu führen. Wieviel heutzutage im Kriege auf die Selbsttätigkeit der Unter¬ führer ankommt, beweisen unsere eigenen Kriegserfahrungen bon 1866 und 1870 ebenso wie die des russisch-japanischen Krieges. Am Schlüsse des ersten Teiles der deutscheu Ausgabe des russischen Generalstabs¬ werkes heißt es: „Der ganze Verlauf des Feldzuges zeigt, daß die russischen Niederlagen nicht widrigen Verhältnissen, nicht materieller und auch nur in sehr geringem Maße moralischer Überlegenheit des Gegners zuzu¬ schreiben sind, sondern in erster Linie, man kann sagen einzig und allein, dem Mangel der Führung an Verantwortuugsfreudigkeit, an frischem, kühnem Wagemut." Wo sich bei den Russen eine Spur bon Selbsttätigkeit und Unternehmungsgeist zeigte, wurde sie schleunigst bon oben zerstört. Dieser ver¬ hängnisvolle Einfluß der oberen Führer bis zur obersten Heeresleitung erhält eine ganz besondere Beleuchtung, wenn man sich daran erinnert, daß ein russischer Militörschriftstcller, Geuercilleutnaut Wolde, es war, der lange bor dem Kriege in einem Buche über die Ursachen der Siege und Niederlagen im Kriege 1370 in ausgezeichneter Weise den entscheidenden Anteil der'Selbsttätigkeit der Unterführer an den deutschen Siegen nach¬ gewiesen hat. Alle Kriegserfahrungen stimmen darin überein, daß die erste Bedingung des Sieges in der Führung liegt, und daß mit dem Anwachsen der Heere der Selbsttätigkeit der Unterführer eine entscheidende Bedeutung zu¬ kommt. Wird dies anerkannt, so ist die logische Folge, daß die wichtigste Kriegs¬ borbereitung neben der Schaffung des Heeres selbst die Heranbildung solcher Führer ist, wie sie für die heutige Kriegführung mit Massen¬ heeren nötig sind. Als hervorstechendste Eigenschaften der Führer sind nach allen modernen Kriegserfnhrungen Bemntwortungs- freude, Wagemut und Selbsttätigkeit anzu¬ sehen; und diese sind, besonders in langen Friedensjayren, mehr der Jugend als dein Alter eigentümlich. Nun erleben wir in solchen Zeiten die eigenartige Erscheinung, daß im Volke ebenso wie in den Parlamenten Einmütigkeit herrscht, wenn es sich darum handelt, dem Heere die neuesten Errungen¬ schaften der Technik nutzbar zu machen, daß aber in weiten Kreisen das Verständnis für die Bedeutung der richtigen Heranbildung von Führern fehlt. Man glaubt der vater¬ ländischen Pflicht genügt zu haben, wenn man den Offizieren im Frieden ein leidliches Auskommen gewährt, ihnen die Möglichkeit zu wissenschaftlicher Vor- und Weiterbildung gibt und sie am schlaffe ihrer Laufbahn wenigstens vor den drückendsten Nahrungs¬ sorgen schützt. Damit ist für den Krieg noch wenig getan. Bor allem muß Vorsorge ge¬ troffen werden, daß bei den Führern im Kriege diejenigen Charaktereigenschaften an¬ getroffen werden, auf denen in erster Linie die Führerleistuugen beruhen, d. h. wir müssen sorgen, daß wir junge Führer schaffen und durch die Art des Friedensdienstes nicht die Charaktereigenschaften totschlagen, die wir im Kriege dringend brauchen. Alle unsere Bestrebungen, die auf Fö rderung des Offtzierkorps abzielen, dürfen nicht von kleinen Friedeiisrücksichten eingegeben oder beschränkt werden; sie müssen in erster Linie den Forderungen des Krieges Rechnung G. tragen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/436>, abgerufen am 03.07.2024.