Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

dem sich der kleine Mann wie der Bourgeois
für den Frieden und die Ordnung, in der
jedes Gewerbe gedieh, zu Dank verpflichtet
fühlte. Soweit die Angehörigen dieser neuen
Klassen Nichtitnliker waren, haben sie ja
dieses Gefühl überhaupt niemals gekannt.
Für den ganzen Orient verstand sich die Auf¬
fassung des mächtigsten Mannes als eines
monarchischen Autokraten von vornherein von
selbst. Im Westen aber ist der Kaiserkult,
wenigstens anfangs, weder hündischer Servi¬
lismus uoch abergläubischer Götzendienst,
sondern die dem Altertum natürliche Form
der Anerkennung der Verdienste des Augustus
gewesen, der Popularität, deren er sich zu
erfreuen hatte. Ihm selbst lag diese Auf¬
fassung seiner Stellung sehr fern, wie Ferrero
bei vielen Gelegenheiten nachweist. Nur
gezwungen durch das Verhalten des ver¬
kommenen Senats, dessen Mitglieder nicht
einmal durch Strafgesetze zum Besuch der
Sitzungen gebracht werden konnten, hat
Augustus eine Regierungsfunktion nach der
andern auf sich genommen und jede als eine
so schwere Last empfunden, daß er in den
letzten Jahren seines Lebens mit dem Ge¬
danken umging, sich durch den Hungertod
der Qual zu entziehen. "Während er nur
mit gekreuzten Armen hätte Ansehen brauchen,
wie der Zersetzungsprozeß innerhalb der
Aristokratie und des Senats seinen ungestörten
Fortgang nahm, um schließlich von selbst mit
seiner Familie zur leitenden Stelle empor¬
gehoben zu werden, wo ihm Rom, Italien
und das Reich zu Füßen lagen, scheute er im
Gegenteil keine Anstrengungen und tat das
Äußerste, um der Aristokratie neues Leben
einzuhauchen und deu Niedergang des Senats
aufzuhalten, also gerade die zu stärken, die,
wie dies stets der Fall, das hauptsächlichste
Hindernis für die Begründung einer Monarchie
waren." Diese seine Bemühungen hatten
keinen Erfolg, aber der Staat ist deswegen
nicht zugrunde gegangen. Die materiellen
Interessen bon Millionen Menschen, denen der
Staat vollkommen gleichgültig war und die
keinerlei Politisches Ziel verfolgten, kein Ver¬
ständnis für Politik hatten, regenerierten den
Staat, den die Aristokratie im Stich gelassen
hatte, auf neuer Grundlage durch das Netz
wirtschaftlicher Beziehungen, das sie um die

[Spaltenumbruch]

Länder dieses großen, das ganze Mittelmeer
einschließenden Freiyandelsgebiets woben.
Diesen Prozeß hat Augustus so wenig wie
irgendein anderer Politiker bemerkt und ab¬
sichtlich gefördert, aber bei allen sonstigen
Mißerfolgen seiner persönlichen Politik, meint
unser Autor, hätten doch zwei Elemente dieser
Politik sich lebenskräftig erwiesen- das gallo-
germnnische und das republikanische. Die
Fürsorge für Gallien, dessen Schutz auch der
Hnuptbeweggrund für die Expeditionen ins
Innere Germaniens war, hatten dieses Land
zu einer Stütze deS Kaisertums gemacht, die
Rom noch auf drei Jahrhunderte die Herrschaft
sicherte; und die republikanische Vorstellung,
die -- im Gegensatz zur orienwlische", den
Staat als Eigentum einer Dynastie auf-
fassenden -- den Staat als ein unteilbares
Ganzes, als eine res publica, als die An¬
gelegenheit der Gesamtheit betrachtet, habe
die Orientnlisiernng Italiens aufgehalten.
Am ersten dieser Elemente hätte noch seine
weltgeschichtliche Bedeutung hervorgehoben
werden können: daß es daS romnnisierte
Gallien gewesen ist, welches durch das Franken¬
reich, genauer gesagt durch die Wirtschafts-
verfcissuug des fränkischen Großguts, den
Germanen die antike Kultur übermittelt hat.
Die Darstellung des zweiten aber bedarf für
weniger unterrichtete Leser uach zwei Seiten
hin einer Ergänzung. Erstens muß Republik
hier uicht im technischen Sinne als republi¬
kanische Verfassung, sondern im wörtlichen
Sinne von res publica verstanden werden,
der den badischen Bauer, welcher 1848 die
Republik mit dein Großherzog an der Spitze
forderte, klüger erscheinen läßt als die Hoch¬
gebildeten, die ihn verspotteten. Und zweitens
darf man die Germanen, deren Fürsten eben¬
falls einige Jahrhunderte hindurch ihre Ge¬
biete als Privntbesitz, als große Guts-
herrschafteu bebrütete haben, nicht auf eine
Stufe stellen mit den Orientalen oder
Byzantinern. Die Staaten der Germanen
haben nnr deswegen die feudale Gestalt an¬
genommen, weil sie nicht gleich denen der
Gräkolatiner aus Stndtbürgerschnften, sondern
bei der anfänglich geringen Zahl und Be¬
deutung der Städte aus GrosWitSherrschaften
hervorgegangen sind. Wie weit die Germanen
von jener orientalische" Knechtseligkeit entfernt

[Ende Spaltensatz]
Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

dem sich der kleine Mann wie der Bourgeois
für den Frieden und die Ordnung, in der
jedes Gewerbe gedieh, zu Dank verpflichtet
fühlte. Soweit die Angehörigen dieser neuen
Klassen Nichtitnliker waren, haben sie ja
dieses Gefühl überhaupt niemals gekannt.
Für den ganzen Orient verstand sich die Auf¬
fassung des mächtigsten Mannes als eines
monarchischen Autokraten von vornherein von
selbst. Im Westen aber ist der Kaiserkult,
wenigstens anfangs, weder hündischer Servi¬
lismus uoch abergläubischer Götzendienst,
sondern die dem Altertum natürliche Form
der Anerkennung der Verdienste des Augustus
gewesen, der Popularität, deren er sich zu
erfreuen hatte. Ihm selbst lag diese Auf¬
fassung seiner Stellung sehr fern, wie Ferrero
bei vielen Gelegenheiten nachweist. Nur
gezwungen durch das Verhalten des ver¬
kommenen Senats, dessen Mitglieder nicht
einmal durch Strafgesetze zum Besuch der
Sitzungen gebracht werden konnten, hat
Augustus eine Regierungsfunktion nach der
andern auf sich genommen und jede als eine
so schwere Last empfunden, daß er in den
letzten Jahren seines Lebens mit dem Ge¬
danken umging, sich durch den Hungertod
der Qual zu entziehen. „Während er nur
mit gekreuzten Armen hätte Ansehen brauchen,
wie der Zersetzungsprozeß innerhalb der
Aristokratie und des Senats seinen ungestörten
Fortgang nahm, um schließlich von selbst mit
seiner Familie zur leitenden Stelle empor¬
gehoben zu werden, wo ihm Rom, Italien
und das Reich zu Füßen lagen, scheute er im
Gegenteil keine Anstrengungen und tat das
Äußerste, um der Aristokratie neues Leben
einzuhauchen und deu Niedergang des Senats
aufzuhalten, also gerade die zu stärken, die,
wie dies stets der Fall, das hauptsächlichste
Hindernis für die Begründung einer Monarchie
waren." Diese seine Bemühungen hatten
keinen Erfolg, aber der Staat ist deswegen
nicht zugrunde gegangen. Die materiellen
Interessen bon Millionen Menschen, denen der
Staat vollkommen gleichgültig war und die
keinerlei Politisches Ziel verfolgten, kein Ver¬
ständnis für Politik hatten, regenerierten den
Staat, den die Aristokratie im Stich gelassen
hatte, auf neuer Grundlage durch das Netz
wirtschaftlicher Beziehungen, das sie um die

[Spaltenumbruch]

Länder dieses großen, das ganze Mittelmeer
einschließenden Freiyandelsgebiets woben.
Diesen Prozeß hat Augustus so wenig wie
irgendein anderer Politiker bemerkt und ab¬
sichtlich gefördert, aber bei allen sonstigen
Mißerfolgen seiner persönlichen Politik, meint
unser Autor, hätten doch zwei Elemente dieser
Politik sich lebenskräftig erwiesen- das gallo-
germnnische und das republikanische. Die
Fürsorge für Gallien, dessen Schutz auch der
Hnuptbeweggrund für die Expeditionen ins
Innere Germaniens war, hatten dieses Land
zu einer Stütze deS Kaisertums gemacht, die
Rom noch auf drei Jahrhunderte die Herrschaft
sicherte; und die republikanische Vorstellung,
die — im Gegensatz zur orienwlische», den
Staat als Eigentum einer Dynastie auf-
fassenden — den Staat als ein unteilbares
Ganzes, als eine res publica, als die An¬
gelegenheit der Gesamtheit betrachtet, habe
die Orientnlisiernng Italiens aufgehalten.
Am ersten dieser Elemente hätte noch seine
weltgeschichtliche Bedeutung hervorgehoben
werden können: daß es daS romnnisierte
Gallien gewesen ist, welches durch das Franken¬
reich, genauer gesagt durch die Wirtschafts-
verfcissuug des fränkischen Großguts, den
Germanen die antike Kultur übermittelt hat.
Die Darstellung des zweiten aber bedarf für
weniger unterrichtete Leser uach zwei Seiten
hin einer Ergänzung. Erstens muß Republik
hier uicht im technischen Sinne als republi¬
kanische Verfassung, sondern im wörtlichen
Sinne von res publica verstanden werden,
der den badischen Bauer, welcher 1848 die
Republik mit dein Großherzog an der Spitze
forderte, klüger erscheinen läßt als die Hoch¬
gebildeten, die ihn verspotteten. Und zweitens
darf man die Germanen, deren Fürsten eben¬
falls einige Jahrhunderte hindurch ihre Ge¬
biete als Privntbesitz, als große Guts-
herrschafteu bebrütete haben, nicht auf eine
Stufe stellen mit den Orientalen oder
Byzantinern. Die Staaten der Germanen
haben nnr deswegen die feudale Gestalt an¬
genommen, weil sie nicht gleich denen der
Gräkolatiner aus Stndtbürgerschnften, sondern
bei der anfänglich geringen Zahl und Be¬
deutung der Städte aus GrosWitSherrschaften
hervorgegangen sind. Wie weit die Germanen
von jener orientalische» Knechtseligkeit entfernt

[Ende Spaltensatz]
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0377" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/318660"/>
            <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/>
            <cb type="start"/>
            <p xml:id="ID_1654" prev="#ID_1653" next="#ID_1655"> dem sich der kleine Mann wie der Bourgeois<lb/>
für den Frieden und die Ordnung, in der<lb/>
jedes Gewerbe gedieh, zu Dank verpflichtet<lb/>
fühlte. Soweit die Angehörigen dieser neuen<lb/>
Klassen Nichtitnliker waren, haben sie ja<lb/>
dieses Gefühl überhaupt niemals gekannt.<lb/>
Für den ganzen Orient verstand sich die Auf¬<lb/>
fassung des mächtigsten Mannes als eines<lb/>
monarchischen Autokraten von vornherein von<lb/>
selbst. Im Westen aber ist der Kaiserkult,<lb/>
wenigstens anfangs, weder hündischer Servi¬<lb/>
lismus uoch abergläubischer Götzendienst,<lb/>
sondern die dem Altertum natürliche Form<lb/>
der Anerkennung der Verdienste des Augustus<lb/>
gewesen, der Popularität, deren er sich zu<lb/>
erfreuen hatte. Ihm selbst lag diese Auf¬<lb/>
fassung seiner Stellung sehr fern, wie Ferrero<lb/>
bei vielen Gelegenheiten nachweist. Nur<lb/>
gezwungen durch das Verhalten des ver¬<lb/>
kommenen Senats, dessen Mitglieder nicht<lb/>
einmal durch Strafgesetze zum Besuch der<lb/>
Sitzungen gebracht werden konnten, hat<lb/>
Augustus eine Regierungsfunktion nach der<lb/>
andern auf sich genommen und jede als eine<lb/>
so schwere Last empfunden, daß er in den<lb/>
letzten Jahren seines Lebens mit dem Ge¬<lb/>
danken umging, sich durch den Hungertod<lb/>
der Qual zu entziehen. &#x201E;Während er nur<lb/>
mit gekreuzten Armen hätte Ansehen brauchen,<lb/>
wie der Zersetzungsprozeß innerhalb der<lb/>
Aristokratie und des Senats seinen ungestörten<lb/>
Fortgang nahm, um schließlich von selbst mit<lb/>
seiner Familie zur leitenden Stelle empor¬<lb/>
gehoben zu werden, wo ihm Rom, Italien<lb/>
und das Reich zu Füßen lagen, scheute er im<lb/>
Gegenteil keine Anstrengungen und tat das<lb/>
Äußerste, um der Aristokratie neues Leben<lb/>
einzuhauchen und deu Niedergang des Senats<lb/>
aufzuhalten, also gerade die zu stärken, die,<lb/>
wie dies stets der Fall, das hauptsächlichste<lb/>
Hindernis für die Begründung einer Monarchie<lb/>
waren." Diese seine Bemühungen hatten<lb/>
keinen Erfolg, aber der Staat ist deswegen<lb/>
nicht zugrunde gegangen. Die materiellen<lb/>
Interessen bon Millionen Menschen, denen der<lb/>
Staat vollkommen gleichgültig war und die<lb/>
keinerlei Politisches Ziel verfolgten, kein Ver¬<lb/>
ständnis für Politik hatten, regenerierten den<lb/>
Staat, den die Aristokratie im Stich gelassen<lb/>
hatte, auf neuer Grundlage durch das Netz<lb/>
wirtschaftlicher Beziehungen, das sie um die</p>
            <cb/><lb/>
            <p xml:id="ID_1655" prev="#ID_1654" next="#ID_1656"> Länder dieses großen, das ganze Mittelmeer<lb/>
einschließenden Freiyandelsgebiets woben.<lb/>
Diesen Prozeß hat Augustus so wenig wie<lb/>
irgendein anderer Politiker bemerkt und ab¬<lb/>
sichtlich gefördert, aber bei allen sonstigen<lb/>
Mißerfolgen seiner persönlichen Politik, meint<lb/>
unser Autor, hätten doch zwei Elemente dieser<lb/>
Politik sich lebenskräftig erwiesen- das gallo-<lb/>
germnnische und das republikanische. Die<lb/>
Fürsorge für Gallien, dessen Schutz auch der<lb/>
Hnuptbeweggrund für die Expeditionen ins<lb/>
Innere Germaniens war, hatten dieses Land<lb/>
zu einer Stütze deS Kaisertums gemacht, die<lb/>
Rom noch auf drei Jahrhunderte die Herrschaft<lb/>
sicherte; und die republikanische Vorstellung,<lb/>
die &#x2014; im Gegensatz zur orienwlische», den<lb/>
Staat als Eigentum einer Dynastie auf-<lb/>
fassenden &#x2014; den Staat als ein unteilbares<lb/>
Ganzes, als eine res publica, als die An¬<lb/>
gelegenheit der Gesamtheit betrachtet, habe<lb/>
die Orientnlisiernng Italiens aufgehalten.<lb/>
Am ersten dieser Elemente hätte noch seine<lb/>
weltgeschichtliche Bedeutung hervorgehoben<lb/>
werden können: daß es daS romnnisierte<lb/>
Gallien gewesen ist, welches durch das Franken¬<lb/>
reich, genauer gesagt durch die Wirtschafts-<lb/>
verfcissuug des fränkischen Großguts, den<lb/>
Germanen die antike Kultur übermittelt hat.<lb/>
Die Darstellung des zweiten aber bedarf für<lb/>
weniger unterrichtete Leser uach zwei Seiten<lb/>
hin einer Ergänzung. Erstens muß Republik<lb/>
hier uicht im technischen Sinne als republi¬<lb/>
kanische Verfassung, sondern im wörtlichen<lb/>
Sinne von res publica verstanden werden,<lb/>
der den badischen Bauer, welcher 1848 die<lb/>
Republik mit dein Großherzog an der Spitze<lb/>
forderte, klüger erscheinen läßt als die Hoch¬<lb/>
gebildeten, die ihn verspotteten. Und zweitens<lb/>
darf man die Germanen, deren Fürsten eben¬<lb/>
falls einige Jahrhunderte hindurch ihre Ge¬<lb/>
biete als Privntbesitz, als große Guts-<lb/>
herrschafteu bebrütete haben, nicht auf eine<lb/>
Stufe stellen mit den Orientalen oder<lb/>
Byzantinern. Die Staaten der Germanen<lb/>
haben nnr deswegen die feudale Gestalt an¬<lb/>
genommen, weil sie nicht gleich denen der<lb/>
Gräkolatiner aus Stndtbürgerschnften, sondern<lb/>
bei der anfänglich geringen Zahl und Be¬<lb/>
deutung der Städte aus GrosWitSherrschaften<lb/>
hervorgegangen sind. Wie weit die Germanen<lb/>
von jener orientalische» Knechtseligkeit entfernt</p>
            <cb type="end"/><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0377] Maßgebliches und Unmaßgebliches dem sich der kleine Mann wie der Bourgeois für den Frieden und die Ordnung, in der jedes Gewerbe gedieh, zu Dank verpflichtet fühlte. Soweit die Angehörigen dieser neuen Klassen Nichtitnliker waren, haben sie ja dieses Gefühl überhaupt niemals gekannt. Für den ganzen Orient verstand sich die Auf¬ fassung des mächtigsten Mannes als eines monarchischen Autokraten von vornherein von selbst. Im Westen aber ist der Kaiserkult, wenigstens anfangs, weder hündischer Servi¬ lismus uoch abergläubischer Götzendienst, sondern die dem Altertum natürliche Form der Anerkennung der Verdienste des Augustus gewesen, der Popularität, deren er sich zu erfreuen hatte. Ihm selbst lag diese Auf¬ fassung seiner Stellung sehr fern, wie Ferrero bei vielen Gelegenheiten nachweist. Nur gezwungen durch das Verhalten des ver¬ kommenen Senats, dessen Mitglieder nicht einmal durch Strafgesetze zum Besuch der Sitzungen gebracht werden konnten, hat Augustus eine Regierungsfunktion nach der andern auf sich genommen und jede als eine so schwere Last empfunden, daß er in den letzten Jahren seines Lebens mit dem Ge¬ danken umging, sich durch den Hungertod der Qual zu entziehen. „Während er nur mit gekreuzten Armen hätte Ansehen brauchen, wie der Zersetzungsprozeß innerhalb der Aristokratie und des Senats seinen ungestörten Fortgang nahm, um schließlich von selbst mit seiner Familie zur leitenden Stelle empor¬ gehoben zu werden, wo ihm Rom, Italien und das Reich zu Füßen lagen, scheute er im Gegenteil keine Anstrengungen und tat das Äußerste, um der Aristokratie neues Leben einzuhauchen und deu Niedergang des Senats aufzuhalten, also gerade die zu stärken, die, wie dies stets der Fall, das hauptsächlichste Hindernis für die Begründung einer Monarchie waren." Diese seine Bemühungen hatten keinen Erfolg, aber der Staat ist deswegen nicht zugrunde gegangen. Die materiellen Interessen bon Millionen Menschen, denen der Staat vollkommen gleichgültig war und die keinerlei Politisches Ziel verfolgten, kein Ver¬ ständnis für Politik hatten, regenerierten den Staat, den die Aristokratie im Stich gelassen hatte, auf neuer Grundlage durch das Netz wirtschaftlicher Beziehungen, das sie um die Länder dieses großen, das ganze Mittelmeer einschließenden Freiyandelsgebiets woben. Diesen Prozeß hat Augustus so wenig wie irgendein anderer Politiker bemerkt und ab¬ sichtlich gefördert, aber bei allen sonstigen Mißerfolgen seiner persönlichen Politik, meint unser Autor, hätten doch zwei Elemente dieser Politik sich lebenskräftig erwiesen- das gallo- germnnische und das republikanische. Die Fürsorge für Gallien, dessen Schutz auch der Hnuptbeweggrund für die Expeditionen ins Innere Germaniens war, hatten dieses Land zu einer Stütze deS Kaisertums gemacht, die Rom noch auf drei Jahrhunderte die Herrschaft sicherte; und die republikanische Vorstellung, die — im Gegensatz zur orienwlische», den Staat als Eigentum einer Dynastie auf- fassenden — den Staat als ein unteilbares Ganzes, als eine res publica, als die An¬ gelegenheit der Gesamtheit betrachtet, habe die Orientnlisiernng Italiens aufgehalten. Am ersten dieser Elemente hätte noch seine weltgeschichtliche Bedeutung hervorgehoben werden können: daß es daS romnnisierte Gallien gewesen ist, welches durch das Franken¬ reich, genauer gesagt durch die Wirtschafts- verfcissuug des fränkischen Großguts, den Germanen die antike Kultur übermittelt hat. Die Darstellung des zweiten aber bedarf für weniger unterrichtete Leser uach zwei Seiten hin einer Ergänzung. Erstens muß Republik hier uicht im technischen Sinne als republi¬ kanische Verfassung, sondern im wörtlichen Sinne von res publica verstanden werden, der den badischen Bauer, welcher 1848 die Republik mit dein Großherzog an der Spitze forderte, klüger erscheinen läßt als die Hoch¬ gebildeten, die ihn verspotteten. Und zweitens darf man die Germanen, deren Fürsten eben¬ falls einige Jahrhunderte hindurch ihre Ge¬ biete als Privntbesitz, als große Guts- herrschafteu bebrütete haben, nicht auf eine Stufe stellen mit den Orientalen oder Byzantinern. Die Staaten der Germanen haben nnr deswegen die feudale Gestalt an¬ genommen, weil sie nicht gleich denen der Gräkolatiner aus Stndtbürgerschnften, sondern bei der anfänglich geringen Zahl und Be¬ deutung der Städte aus GrosWitSherrschaften hervorgegangen sind. Wie weit die Germanen von jener orientalische» Knechtseligkeit entfernt

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/377
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/377>, abgerufen am 26.06.2024.