Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.Die Freirechtsbervegung von Amtsrichter I)r, Ernst Sontag artim Luther hat in seinen Tischreden einmal gesagt: "Aber ihr Grenzboten II 1911 43
Die Freirechtsbervegung von Amtsrichter I)r, Ernst Sontag artim Luther hat in seinen Tischreden einmal gesagt: „Aber ihr Grenzboten II 1911 43
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0349" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/318632"/> <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341893_318282/figures/grenzboten_341893_318282_318632_000.jpg"/><lb/> </div> </div> <div n="1"> <head> Die Freirechtsbervegung<lb/><note type="byline"> von Amtsrichter I)r, Ernst Sontag</note></head><lb/> <p xml:id="ID_1573" next="#ID_1574"> artim Luther hat in seinen Tischreden einmal gesagt: „Aber ihr<lb/> Juristen werdet auch einen Luther nötig haben wie die Theologen!"<lb/> Seit dieser Prophezeiung sind Jahrhunderte vergangen, ohne daß es<lb/> den Anschein gewonnen hätte, als werde die Rechtsentwicklung Luther<lb/> recht geben. In: Gegenteil, die von Savigny begründete historische<lb/> Rechtsschule hat die juristische Wissenschaft in ihrem Festhalten an der starren,<lb/> überkommenen Pandektologie, in dem Richten nach römischem Recht, so wie es<lb/> Glossatoren und Postglossatoren verstanden oder mißverstanden haben, bestärkt.<lb/> Wohl stand im Kampf gegen die historische Schule eine so glänzende Persönlichkeit<lb/> wie Rudolf Jhering auf und schleuderte in seinem „Scherz und Ernst in der<lb/> Jurisprudenz" die vernichtenden Pfeile seines Spottes gegen die juristischen Zöpfe<lb/> des Doktrinarismus und einer weltfremden Begriffsjurisprudenz, wohl wies er<lb/> in seinem „Zweck im Recht" bereits auf die praktischen Aufgaben und Interessen,<lb/> denen das Recht zu dienen habe, hin. Allein noch verhallte seine Stimme im<lb/> Streite. Zwar traten Franz Adickes, O. Bähr, Better, Kohler u. a. in seine<lb/> Fußstapfen; allein von der großen Masse der Theoretiker wie Praktiker blieben<lb/> diese Anfänge einer Bewegung unbeachtet. Einen größeren Erfolg hatte sie<lb/> zunächst in Frankreich mit dem großzügigen Buche Genus .Mstliocio et'Iiitei--<lb/> prötation" (Paris 1899). Es folgten in Österreich Eugen Ehrlich 1903 mit<lb/> seiner bedeutenden Schrift über „Freie Rechtsfindung und freie Rechtswissen¬<lb/> schaft", in Deutschland Stammler, Staupe und vor allem 1906 Gnaeus Flavius<lb/> (hinter welchem Pseudonym sich or. Kantorowicz in Freiburg i. B. birgt) mit<lb/> seinem viel diskutierte,: Buche „Der Kampf um die Rechtswissenschaft". War<lb/> bis dahin die Bewegung in den Kreisen der Theoretiker geblieben, so riß alle<lb/> Praktiker, soweit sie überhaupt für eine Tätigkeit über das Handwerksmäßige</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II 1911 43</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0349]
[Abbildung]
Die Freirechtsbervegung
von Amtsrichter I)r, Ernst Sontag
artim Luther hat in seinen Tischreden einmal gesagt: „Aber ihr
Juristen werdet auch einen Luther nötig haben wie die Theologen!"
Seit dieser Prophezeiung sind Jahrhunderte vergangen, ohne daß es
den Anschein gewonnen hätte, als werde die Rechtsentwicklung Luther
recht geben. In: Gegenteil, die von Savigny begründete historische
Rechtsschule hat die juristische Wissenschaft in ihrem Festhalten an der starren,
überkommenen Pandektologie, in dem Richten nach römischem Recht, so wie es
Glossatoren und Postglossatoren verstanden oder mißverstanden haben, bestärkt.
Wohl stand im Kampf gegen die historische Schule eine so glänzende Persönlichkeit
wie Rudolf Jhering auf und schleuderte in seinem „Scherz und Ernst in der
Jurisprudenz" die vernichtenden Pfeile seines Spottes gegen die juristischen Zöpfe
des Doktrinarismus und einer weltfremden Begriffsjurisprudenz, wohl wies er
in seinem „Zweck im Recht" bereits auf die praktischen Aufgaben und Interessen,
denen das Recht zu dienen habe, hin. Allein noch verhallte seine Stimme im
Streite. Zwar traten Franz Adickes, O. Bähr, Better, Kohler u. a. in seine
Fußstapfen; allein von der großen Masse der Theoretiker wie Praktiker blieben
diese Anfänge einer Bewegung unbeachtet. Einen größeren Erfolg hatte sie
zunächst in Frankreich mit dem großzügigen Buche Genus .Mstliocio et'Iiitei--
prötation" (Paris 1899). Es folgten in Österreich Eugen Ehrlich 1903 mit
seiner bedeutenden Schrift über „Freie Rechtsfindung und freie Rechtswissen¬
schaft", in Deutschland Stammler, Staupe und vor allem 1906 Gnaeus Flavius
(hinter welchem Pseudonym sich or. Kantorowicz in Freiburg i. B. birgt) mit
seinem viel diskutierte,: Buche „Der Kampf um die Rechtswissenschaft". War
bis dahin die Bewegung in den Kreisen der Theoretiker geblieben, so riß alle
Praktiker, soweit sie überhaupt für eine Tätigkeit über das Handwerksmäßige
Grenzboten II 1911 43
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |