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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Beleidigung durch die Presse

der Schuld- und Strafftage erschöpft. Den "guten Ruf" eines Menschen "wieder
herzustellen" ist doch wahrlich die Aufgabe der Strafgerichte nicht.

Die Kommission des Reichstags hatte deshalb, ehe sie die Bestimmung in
zweiter Lesung gänzlich ablehnte, mit gutem Grunde beschlossen, daß in solchem
Falle eine Beweisaufnahme über die behauptete und verbreitete Tatsache über¬
haupt unzulässig ist. Und auf dem gleichen Standpunkte steht auch der Vor¬
entwurf zu einem neuen deutschen Strafgesetzbuch. Dies allein -- so wenig es
auch den Beleidigten unbedingt befriedigt -- würde juristisch haltbar sein. Dann
aber darf eines nicht vergessen werden: Die wahrheitsgemäße, selbst wenn sie
reine Privatsachen betrifft, darf doch keineswegs mit derselben Strafe belegt
werden, wie die nicht erweislich wahre üble Nachrede. Muß der Richter mit
der Möglichkeit rechnen, daß die Behauptung der Wahrheit entspreche, ihre
Wahrheitsgemäße also unterstellen, so wird die Strafe zweifellos nur ganz
gering sein dürfen. Ist es doch anerkannten Rechtes, daß der Wahrheitsbeweis
dort, wo schon wegen formaler Beleidigung zu strafen ist (§ 192 des Se. G. B.).
einen obligatorischen Strafmilderungsgrund darstellt und deshalb nicht abgeschnitten
werden darf. Die Regelung des Entwurfes, auf die öffentliche Behauptung rein
privater ehrenrühriger Tatsachen finde, gleichgültig, ob wahr oder nicht erweislich
wahr, der Strafrahmen des § 186 (sogar in der oben getadelten Erweiterung)
Anwendung, ist demnach durchaus zurückzuweisen. Das Höchstmaß der Strafe
für solchen Fall darf meines Erachtens unbedingt nur ganz gering sein.

Wird nun aber das Strafmaß entsprechend herabgesetzt, so würde dies
einmal im Gegensatz zur Absicht des Gesetzgebers wirken als ganz unzweckmäßige
Privilegierung der öffentlichen Behauptung von ehrenrühriger Tatsachen, die
nur das Privatleben betreffen und öffentliche Interessen nicht berühren; und zum
anderen würde dem Gesetz naturgemäß nur eine geringe Abschreckungskraft inne-
wohnen. Wage man also ab: wenig wirksamer Strafschutz auf der einen,
eine schwere Beeinträchtigung der anständigen Presse in der Verfolgung
von Mißständen auf der anderen Seite, so meine ich, kann kein Zweifel sein,
welches von beiden gewichtiger ist. Die vorgeschlagene Bestimmung ist also
abzulehnen.

Was aber wirklich not tut, ist im Gegenteil die Hebung der Rechte der Presse
zu Nutzen der breiten Allgemeinheit, ist die Anerkennung des Grundsatzes, daß
der Presse die Wahrnehmung der berechtigten Interessen der Allgemeinheit nicht
nur. was niemand in Abrede stellt, als moralische Pflicht, sondern auch, was
mit Unrecht bestritten wird, als unveräußerliches Recht zukommt. Eine Änderung
des §193 wäre zu diesem Zwecke vielleicht nicht einmal nötig. Denn die Ansicht
des Reichsgerichts, die dem Redakteur das Recht zur Wahrnehmung öffentlicher,
die Allgemeinheit angehender Interessen abspricht, ist in Wahrheit unrichtig: das
ist die in der Wissenschaft des Strafrechts überwiegend vertretene Überzeugung.
Die Rechtsprechung des Reichsgerichts aber nötigt zu einer Änderung des Gesetzes.
Dahingehende Anträge liegen dem Reichstage zur dritten Lesung der Novelle


Beleidigung durch die Presse

der Schuld- und Strafftage erschöpft. Den „guten Ruf" eines Menschen „wieder
herzustellen" ist doch wahrlich die Aufgabe der Strafgerichte nicht.

Die Kommission des Reichstags hatte deshalb, ehe sie die Bestimmung in
zweiter Lesung gänzlich ablehnte, mit gutem Grunde beschlossen, daß in solchem
Falle eine Beweisaufnahme über die behauptete und verbreitete Tatsache über¬
haupt unzulässig ist. Und auf dem gleichen Standpunkte steht auch der Vor¬
entwurf zu einem neuen deutschen Strafgesetzbuch. Dies allein — so wenig es
auch den Beleidigten unbedingt befriedigt — würde juristisch haltbar sein. Dann
aber darf eines nicht vergessen werden: Die wahrheitsgemäße, selbst wenn sie
reine Privatsachen betrifft, darf doch keineswegs mit derselben Strafe belegt
werden, wie die nicht erweislich wahre üble Nachrede. Muß der Richter mit
der Möglichkeit rechnen, daß die Behauptung der Wahrheit entspreche, ihre
Wahrheitsgemäße also unterstellen, so wird die Strafe zweifellos nur ganz
gering sein dürfen. Ist es doch anerkannten Rechtes, daß der Wahrheitsbeweis
dort, wo schon wegen formaler Beleidigung zu strafen ist (§ 192 des Se. G. B.).
einen obligatorischen Strafmilderungsgrund darstellt und deshalb nicht abgeschnitten
werden darf. Die Regelung des Entwurfes, auf die öffentliche Behauptung rein
privater ehrenrühriger Tatsachen finde, gleichgültig, ob wahr oder nicht erweislich
wahr, der Strafrahmen des § 186 (sogar in der oben getadelten Erweiterung)
Anwendung, ist demnach durchaus zurückzuweisen. Das Höchstmaß der Strafe
für solchen Fall darf meines Erachtens unbedingt nur ganz gering sein.

Wird nun aber das Strafmaß entsprechend herabgesetzt, so würde dies
einmal im Gegensatz zur Absicht des Gesetzgebers wirken als ganz unzweckmäßige
Privilegierung der öffentlichen Behauptung von ehrenrühriger Tatsachen, die
nur das Privatleben betreffen und öffentliche Interessen nicht berühren; und zum
anderen würde dem Gesetz naturgemäß nur eine geringe Abschreckungskraft inne-
wohnen. Wage man also ab: wenig wirksamer Strafschutz auf der einen,
eine schwere Beeinträchtigung der anständigen Presse in der Verfolgung
von Mißständen auf der anderen Seite, so meine ich, kann kein Zweifel sein,
welches von beiden gewichtiger ist. Die vorgeschlagene Bestimmung ist also
abzulehnen.

Was aber wirklich not tut, ist im Gegenteil die Hebung der Rechte der Presse
zu Nutzen der breiten Allgemeinheit, ist die Anerkennung des Grundsatzes, daß
der Presse die Wahrnehmung der berechtigten Interessen der Allgemeinheit nicht
nur. was niemand in Abrede stellt, als moralische Pflicht, sondern auch, was
mit Unrecht bestritten wird, als unveräußerliches Recht zukommt. Eine Änderung
des §193 wäre zu diesem Zwecke vielleicht nicht einmal nötig. Denn die Ansicht
des Reichsgerichts, die dem Redakteur das Recht zur Wahrnehmung öffentlicher,
die Allgemeinheit angehender Interessen abspricht, ist in Wahrheit unrichtig: das
ist die in der Wissenschaft des Strafrechts überwiegend vertretene Überzeugung.
Die Rechtsprechung des Reichsgerichts aber nötigt zu einer Änderung des Gesetzes.
Dahingehende Anträge liegen dem Reichstage zur dritten Lesung der Novelle


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[0322] Beleidigung durch die Presse der Schuld- und Strafftage erschöpft. Den „guten Ruf" eines Menschen „wieder herzustellen" ist doch wahrlich die Aufgabe der Strafgerichte nicht. Die Kommission des Reichstags hatte deshalb, ehe sie die Bestimmung in zweiter Lesung gänzlich ablehnte, mit gutem Grunde beschlossen, daß in solchem Falle eine Beweisaufnahme über die behauptete und verbreitete Tatsache über¬ haupt unzulässig ist. Und auf dem gleichen Standpunkte steht auch der Vor¬ entwurf zu einem neuen deutschen Strafgesetzbuch. Dies allein — so wenig es auch den Beleidigten unbedingt befriedigt — würde juristisch haltbar sein. Dann aber darf eines nicht vergessen werden: Die wahrheitsgemäße, selbst wenn sie reine Privatsachen betrifft, darf doch keineswegs mit derselben Strafe belegt werden, wie die nicht erweislich wahre üble Nachrede. Muß der Richter mit der Möglichkeit rechnen, daß die Behauptung der Wahrheit entspreche, ihre Wahrheitsgemäße also unterstellen, so wird die Strafe zweifellos nur ganz gering sein dürfen. Ist es doch anerkannten Rechtes, daß der Wahrheitsbeweis dort, wo schon wegen formaler Beleidigung zu strafen ist (§ 192 des Se. G. B.). einen obligatorischen Strafmilderungsgrund darstellt und deshalb nicht abgeschnitten werden darf. Die Regelung des Entwurfes, auf die öffentliche Behauptung rein privater ehrenrühriger Tatsachen finde, gleichgültig, ob wahr oder nicht erweislich wahr, der Strafrahmen des § 186 (sogar in der oben getadelten Erweiterung) Anwendung, ist demnach durchaus zurückzuweisen. Das Höchstmaß der Strafe für solchen Fall darf meines Erachtens unbedingt nur ganz gering sein. Wird nun aber das Strafmaß entsprechend herabgesetzt, so würde dies einmal im Gegensatz zur Absicht des Gesetzgebers wirken als ganz unzweckmäßige Privilegierung der öffentlichen Behauptung von ehrenrühriger Tatsachen, die nur das Privatleben betreffen und öffentliche Interessen nicht berühren; und zum anderen würde dem Gesetz naturgemäß nur eine geringe Abschreckungskraft inne- wohnen. Wage man also ab: wenig wirksamer Strafschutz auf der einen, eine schwere Beeinträchtigung der anständigen Presse in der Verfolgung von Mißständen auf der anderen Seite, so meine ich, kann kein Zweifel sein, welches von beiden gewichtiger ist. Die vorgeschlagene Bestimmung ist also abzulehnen. Was aber wirklich not tut, ist im Gegenteil die Hebung der Rechte der Presse zu Nutzen der breiten Allgemeinheit, ist die Anerkennung des Grundsatzes, daß der Presse die Wahrnehmung der berechtigten Interessen der Allgemeinheit nicht nur. was niemand in Abrede stellt, als moralische Pflicht, sondern auch, was mit Unrecht bestritten wird, als unveräußerliches Recht zukommt. Eine Änderung des §193 wäre zu diesem Zwecke vielleicht nicht einmal nötig. Denn die Ansicht des Reichsgerichts, die dem Redakteur das Recht zur Wahrnehmung öffentlicher, die Allgemeinheit angehender Interessen abspricht, ist in Wahrheit unrichtig: das ist die in der Wissenschaft des Strafrechts überwiegend vertretene Überzeugung. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts aber nötigt zu einer Änderung des Gesetzes. Dahingehende Anträge liegen dem Reichstage zur dritten Lesung der Novelle

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/322>, abgerufen am 25.08.2024.