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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Grillparzcrs Gsterreichertum

Die Entstehung und der Zweck dieser Biographie lassen es als selbst¬
verständlich erscheinen, daß hier jede schroffe Einzelmeinung, sodann auch jedes
bevorzugende Betonen einer besonderen Tätigkeit oder Eigenschaft des Dichters
vermieden wurde, und so erhält man denn auch das leidenschaftslos gemalte
Bild eines deutschen Klassikers, das nur einige spezifisch österreichische Züge
aufweist. Dennoch -- und das ist also nicht auf das Konto des Ehrhard-
Neckerschen Werkes zu setzen -- wirkte ein Punkt, der mich bei der Lektüre ein¬
zelner Grillvarzerdichtungen immer mit Staunen erfüllt hat, in dieser lichten
Zusammenrückung seines ganzen Schaffens geradezu überwältigend auf mich.
Ich vergaß fast, daß ich es mit einem deutschen Dichter zu tun hatte, nur ein
Österreicher und nichts als ein Österreicher blieb. Man verstehe dies recht.
Die deutsche Generation, die jetzt in Blüte und Reife steht, ist nach 1870
geboren, der Begriff des Reiches, wie es damals zusammengeschlossen wurde,
ihr überkommen und eingeprägt, und unsereiner muß schon etwa zwischen
Berchtesgaden und Salzburg wandern und vor den Grenzpfählen stutzen, die
dort ein völlig Gleiches an Land, Leuten, Sitte, Sprache in zwei Nationen
teilen, um zu begreife", daß Natur und Geschichte zu sehr verschiedenen Glie¬
derungen gelangen können, um zu verstehen, daß "die blanke unverstümmelte
hochwüchsige Germania", für die Uhland in: Frankfurter Parlament eintrat,
wenn ein unmöglicher, so doch ein allernatürlichster Traum war. Ist der gro߬
deutsche Gedanke aber in politischer Beziehung hierzulande geschwunden, so ist
er im ästhetischen und kulturellen Sinn vollauf geblieben. Deutschland ist reich
an Stämmen und Dialekten, und wo ein Dichter den Stoff aus seiner unmittel¬
baren Umgebung und Gegenwart nimmt, wo er die Volkssprache seiner engeren
Heimat spricht (und Form und Gedanke sind nicht wie Kleid und Körper zu
trennen!), da nennt man ihn wohl einen schwäbischen oder einen plattdeutschen
oder einen österreichischen Dichter; aber das ist dann doch nur die nähere
Bezeichnung, sozusagen der dichterische Vorname des Mannes, und sein selbst¬
verständlicher Familienname ist der des Deutschen. Auch Grillparzer selber
hätte niemals auf diesen Namen des deutschen Dichters verzichtet. Auf deutscher
Klassik fußte sein Schaffen, das wußte er sehr wohl, und als ihm Goethe in
Weimar die Hand reichte, da überwältigte den jungen Wiener das Gefühl, vor
seinem Meister zu stehen, so sehr, daß er in Tränen ausbrach. Und dennoch:
man kann bei Grillparzer, der nicht im Dialekt schreibt, der selten die Gegen¬
wart unmittelbar wiedergibt, mehr als bei dem ganz wienerischen Raimund
den Deutschen über dem Österreicher vergessen.

Und nun ist dies so merkwürdig: Österreichertum wird überall aufs stärkste
spürbar, und forscht man ernstlich nach, so will sich der Grund der Erscheinung
nicht leicht ergeben. Die Stoffwahl? Gewiß, drei große Historiendramen sind
der österreichischen Geschichte entnommen, in der Lyrik, der zarten Erzählung
vom "Armen Spielmann", in der Autobiographie, den politischen und ästhetischen
Studien kommt österreichische Gegenwart unmittelbar zu Wort, das tiefsinnigste


Grillparzcrs Gsterreichertum

Die Entstehung und der Zweck dieser Biographie lassen es als selbst¬
verständlich erscheinen, daß hier jede schroffe Einzelmeinung, sodann auch jedes
bevorzugende Betonen einer besonderen Tätigkeit oder Eigenschaft des Dichters
vermieden wurde, und so erhält man denn auch das leidenschaftslos gemalte
Bild eines deutschen Klassikers, das nur einige spezifisch österreichische Züge
aufweist. Dennoch — und das ist also nicht auf das Konto des Ehrhard-
Neckerschen Werkes zu setzen — wirkte ein Punkt, der mich bei der Lektüre ein¬
zelner Grillvarzerdichtungen immer mit Staunen erfüllt hat, in dieser lichten
Zusammenrückung seines ganzen Schaffens geradezu überwältigend auf mich.
Ich vergaß fast, daß ich es mit einem deutschen Dichter zu tun hatte, nur ein
Österreicher und nichts als ein Österreicher blieb. Man verstehe dies recht.
Die deutsche Generation, die jetzt in Blüte und Reife steht, ist nach 1870
geboren, der Begriff des Reiches, wie es damals zusammengeschlossen wurde,
ihr überkommen und eingeprägt, und unsereiner muß schon etwa zwischen
Berchtesgaden und Salzburg wandern und vor den Grenzpfählen stutzen, die
dort ein völlig Gleiches an Land, Leuten, Sitte, Sprache in zwei Nationen
teilen, um zu begreife», daß Natur und Geschichte zu sehr verschiedenen Glie¬
derungen gelangen können, um zu verstehen, daß „die blanke unverstümmelte
hochwüchsige Germania", für die Uhland in: Frankfurter Parlament eintrat,
wenn ein unmöglicher, so doch ein allernatürlichster Traum war. Ist der gro߬
deutsche Gedanke aber in politischer Beziehung hierzulande geschwunden, so ist
er im ästhetischen und kulturellen Sinn vollauf geblieben. Deutschland ist reich
an Stämmen und Dialekten, und wo ein Dichter den Stoff aus seiner unmittel¬
baren Umgebung und Gegenwart nimmt, wo er die Volkssprache seiner engeren
Heimat spricht (und Form und Gedanke sind nicht wie Kleid und Körper zu
trennen!), da nennt man ihn wohl einen schwäbischen oder einen plattdeutschen
oder einen österreichischen Dichter; aber das ist dann doch nur die nähere
Bezeichnung, sozusagen der dichterische Vorname des Mannes, und sein selbst¬
verständlicher Familienname ist der des Deutschen. Auch Grillparzer selber
hätte niemals auf diesen Namen des deutschen Dichters verzichtet. Auf deutscher
Klassik fußte sein Schaffen, das wußte er sehr wohl, und als ihm Goethe in
Weimar die Hand reichte, da überwältigte den jungen Wiener das Gefühl, vor
seinem Meister zu stehen, so sehr, daß er in Tränen ausbrach. Und dennoch:
man kann bei Grillparzer, der nicht im Dialekt schreibt, der selten die Gegen¬
wart unmittelbar wiedergibt, mehr als bei dem ganz wienerischen Raimund
den Deutschen über dem Österreicher vergessen.

Und nun ist dies so merkwürdig: Österreichertum wird überall aufs stärkste
spürbar, und forscht man ernstlich nach, so will sich der Grund der Erscheinung
nicht leicht ergeben. Die Stoffwahl? Gewiß, drei große Historiendramen sind
der österreichischen Geschichte entnommen, in der Lyrik, der zarten Erzählung
vom „Armen Spielmann", in der Autobiographie, den politischen und ästhetischen
Studien kommt österreichische Gegenwart unmittelbar zu Wort, das tiefsinnigste


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[0307] Grillparzcrs Gsterreichertum Die Entstehung und der Zweck dieser Biographie lassen es als selbst¬ verständlich erscheinen, daß hier jede schroffe Einzelmeinung, sodann auch jedes bevorzugende Betonen einer besonderen Tätigkeit oder Eigenschaft des Dichters vermieden wurde, und so erhält man denn auch das leidenschaftslos gemalte Bild eines deutschen Klassikers, das nur einige spezifisch österreichische Züge aufweist. Dennoch — und das ist also nicht auf das Konto des Ehrhard- Neckerschen Werkes zu setzen — wirkte ein Punkt, der mich bei der Lektüre ein¬ zelner Grillvarzerdichtungen immer mit Staunen erfüllt hat, in dieser lichten Zusammenrückung seines ganzen Schaffens geradezu überwältigend auf mich. Ich vergaß fast, daß ich es mit einem deutschen Dichter zu tun hatte, nur ein Österreicher und nichts als ein Österreicher blieb. Man verstehe dies recht. Die deutsche Generation, die jetzt in Blüte und Reife steht, ist nach 1870 geboren, der Begriff des Reiches, wie es damals zusammengeschlossen wurde, ihr überkommen und eingeprägt, und unsereiner muß schon etwa zwischen Berchtesgaden und Salzburg wandern und vor den Grenzpfählen stutzen, die dort ein völlig Gleiches an Land, Leuten, Sitte, Sprache in zwei Nationen teilen, um zu begreife», daß Natur und Geschichte zu sehr verschiedenen Glie¬ derungen gelangen können, um zu verstehen, daß „die blanke unverstümmelte hochwüchsige Germania", für die Uhland in: Frankfurter Parlament eintrat, wenn ein unmöglicher, so doch ein allernatürlichster Traum war. Ist der gro߬ deutsche Gedanke aber in politischer Beziehung hierzulande geschwunden, so ist er im ästhetischen und kulturellen Sinn vollauf geblieben. Deutschland ist reich an Stämmen und Dialekten, und wo ein Dichter den Stoff aus seiner unmittel¬ baren Umgebung und Gegenwart nimmt, wo er die Volkssprache seiner engeren Heimat spricht (und Form und Gedanke sind nicht wie Kleid und Körper zu trennen!), da nennt man ihn wohl einen schwäbischen oder einen plattdeutschen oder einen österreichischen Dichter; aber das ist dann doch nur die nähere Bezeichnung, sozusagen der dichterische Vorname des Mannes, und sein selbst¬ verständlicher Familienname ist der des Deutschen. Auch Grillparzer selber hätte niemals auf diesen Namen des deutschen Dichters verzichtet. Auf deutscher Klassik fußte sein Schaffen, das wußte er sehr wohl, und als ihm Goethe in Weimar die Hand reichte, da überwältigte den jungen Wiener das Gefühl, vor seinem Meister zu stehen, so sehr, daß er in Tränen ausbrach. Und dennoch: man kann bei Grillparzer, der nicht im Dialekt schreibt, der selten die Gegen¬ wart unmittelbar wiedergibt, mehr als bei dem ganz wienerischen Raimund den Deutschen über dem Österreicher vergessen. Und nun ist dies so merkwürdig: Österreichertum wird überall aufs stärkste spürbar, und forscht man ernstlich nach, so will sich der Grund der Erscheinung nicht leicht ergeben. Die Stoffwahl? Gewiß, drei große Historiendramen sind der österreichischen Geschichte entnommen, in der Lyrik, der zarten Erzählung vom „Armen Spielmann", in der Autobiographie, den politischen und ästhetischen Studien kommt österreichische Gegenwart unmittelbar zu Wort, das tiefsinnigste

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/307>, abgerufen am 23.07.2024.