Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.Reichsspiegel praktischen Zweck erreichen soll, als die Macht des elsaß-lothringischen Zentrums Wenn nicht alle Zeichen trügen, so würde auch das preußische Zentrum gegen Am Mittwoch meldete die norddeutsche Allgemeine Zeitung, die königliche Nun aber gibt es doch noch einen Gesichtspunkt, der den gewiß schwer¬ Reichsspiegel praktischen Zweck erreichen soll, als die Macht des elsaß-lothringischen Zentrums Wenn nicht alle Zeichen trügen, so würde auch das preußische Zentrum gegen Am Mittwoch meldete die norddeutsche Allgemeine Zeitung, die königliche Nun aber gibt es doch noch einen Gesichtspunkt, der den gewiß schwer¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0246" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/318529"/> <fw type="header" place="top"> Reichsspiegel</fw><lb/> <p xml:id="ID_1241" prev="#ID_1240"> praktischen Zweck erreichen soll, als die Macht des elsaß-lothringischen Zentrums<lb/> noch mehr zu vergrößern. Im Leitartikel des Heftes 16 der Grenzboten ist an der<lb/> Hand der Tatsachen gezeigt worden, wie das Zentrum in den Reichslanden aussieht.<lb/> Aus den Darlegungen geht klar hervor, daß selbst Freunde eines Zusammengehens<lb/> mit dem preußischen Zentrum jedes Zusammenwirken mit dem reichsländischen<lb/> von der Hand weisen müssen, weil ihm auch nicht ein Fünkchen dessen innewohnt,<lb/> was unsere konservativen Parteien glauben beim preußischen Zentrum entdeckt zu<lb/> haben. „Der Name Zentrum", so endigt der erwähnte Aufsatz, „hat heute im<lb/> elsaß-lothringischen Klerikalismus gesiegt, nicht aber das Programm des Zentrums..."<lb/> Bei dieser Lage der Dinge darf sich der Herr Reichskanzler auf einen harten<lb/> Kampf im Reichstage gefaßt machen; bleibt er bei den Forderungen des Zentrums<lb/> stehen, dann dürfte auch bei den liberalen Parteien der letzte Rest des Interesses<lb/> an der reichsländischen Verfassungsreform zu dieser Zeit verloren gehen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1242"> Wenn nicht alle Zeichen trügen, so würde auch das preußische Zentrum gegen<lb/> die Zurücknahme der elsaß-lothringischen Gesetzentwürfe keine größeren<lb/> Bedenken erheben.</p><lb/> <p xml:id="ID_1243"> Am Mittwoch meldete die norddeutsche Allgemeine Zeitung, die königliche<lb/> Staatsregierung habe gegen die Überführung der irdischen Überreste des<lb/> ehemaligen Erzbischofs von Posen und Gnesen Ledochowski von Rom<lb/> nach Posen und deren Beisetzung im dortigen Dom nichts einzuwenden. Die<lb/> Vorbereitungen zu dieser Erlaubnis sind sehr vorsichtig betrieben worden, so daß<lb/> die Ostmarkenpolitiker erst in letzter Stunde und nachdem es für die preußische<lb/> Regierung ein Zurück nicht mehr gab, von dem Entschluß Kunde erhielten. Wie<lb/> nicht anders zu erwarten, hat die Nachricht Kopfschütteln und Entrüstung bei allen<lb/> denen hervorgerufen, die auch nur einen leisen Schimmer davon haben, welche<lb/> Bedeutung der Vorgang für das polnische Problem hat. Was sich gegen die<lb/> Genehmigung sagen läßt, erscheint mir am trefflichsten zusammengestellt in dem<lb/> Leitartikel der Hamburger Nachrichten vom 28. April (Ur. 197). Er schließt mit<lb/> den Worten: „Mag sein, daß es zu schwarz gesehen ist, von einem neuen Bußgang<lb/> des Staates zu sprechen, wenn er den einstigen Bannerträger des Widerstandes<lb/> gegen ihn als Erzbischof trotz alledem im Dom zu Posen beizusetzen gestattet, aber<lb/> in einer Ära solcher Enzykliken und Maßnahmen, wie sie von Pius dem Zehnten<lb/> unter Mißachtung staatlicher Rechte und wichtigster nationaler Interessen aus¬<lb/> gegangen sind, hätte man alles andere eher erwarten können als eine Ehrung<lb/> gerade des Kardinals Grafen Ledochowski."</p><lb/> <p xml:id="ID_1244" next="#ID_1245"> Nun aber gibt es doch noch einen Gesichtspunkt, der den gewiß schwer¬<lb/> wiegenden Entschluß der Regierung verständlich erscheinen läßt, ja unter bestimmten<lb/> Voraussetzungen sogar als zweckmäßig erscheinen lassen könnte. Es wird uns zu¬<lb/> gegeben werden, daß die Ablehnung des Gesundes, die Leiche des „Primas von<lb/> Polen" in Posen beizusetzen, gerade das bewirken würde, was wir zu verhindern<lb/> streben. Es würde um den Namen des polnischen Grasen noch einmal die Glorie<lb/> des Märtyrertums gewunden werden. Die polnische Presse würde Veranlassung<lb/> nehmen, die preußische Regierung der Unduldsamkeit in Glaubenssachen anzuklagen,<lb/> und die polnischen Vereine würden in Scharen nach Gnesen Pilgern, um dort<lb/> demonstrativ für den Primas und für Polen zu beten. Unseren deutschen Katholiken<lb/> am Rhein und in Bayern würde die Ablehnung der Regierung unverständlich sein,</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0246]
Reichsspiegel
praktischen Zweck erreichen soll, als die Macht des elsaß-lothringischen Zentrums
noch mehr zu vergrößern. Im Leitartikel des Heftes 16 der Grenzboten ist an der
Hand der Tatsachen gezeigt worden, wie das Zentrum in den Reichslanden aussieht.
Aus den Darlegungen geht klar hervor, daß selbst Freunde eines Zusammengehens
mit dem preußischen Zentrum jedes Zusammenwirken mit dem reichsländischen
von der Hand weisen müssen, weil ihm auch nicht ein Fünkchen dessen innewohnt,
was unsere konservativen Parteien glauben beim preußischen Zentrum entdeckt zu
haben. „Der Name Zentrum", so endigt der erwähnte Aufsatz, „hat heute im
elsaß-lothringischen Klerikalismus gesiegt, nicht aber das Programm des Zentrums..."
Bei dieser Lage der Dinge darf sich der Herr Reichskanzler auf einen harten
Kampf im Reichstage gefaßt machen; bleibt er bei den Forderungen des Zentrums
stehen, dann dürfte auch bei den liberalen Parteien der letzte Rest des Interesses
an der reichsländischen Verfassungsreform zu dieser Zeit verloren gehen.
Wenn nicht alle Zeichen trügen, so würde auch das preußische Zentrum gegen
die Zurücknahme der elsaß-lothringischen Gesetzentwürfe keine größeren
Bedenken erheben.
Am Mittwoch meldete die norddeutsche Allgemeine Zeitung, die königliche
Staatsregierung habe gegen die Überführung der irdischen Überreste des
ehemaligen Erzbischofs von Posen und Gnesen Ledochowski von Rom
nach Posen und deren Beisetzung im dortigen Dom nichts einzuwenden. Die
Vorbereitungen zu dieser Erlaubnis sind sehr vorsichtig betrieben worden, so daß
die Ostmarkenpolitiker erst in letzter Stunde und nachdem es für die preußische
Regierung ein Zurück nicht mehr gab, von dem Entschluß Kunde erhielten. Wie
nicht anders zu erwarten, hat die Nachricht Kopfschütteln und Entrüstung bei allen
denen hervorgerufen, die auch nur einen leisen Schimmer davon haben, welche
Bedeutung der Vorgang für das polnische Problem hat. Was sich gegen die
Genehmigung sagen läßt, erscheint mir am trefflichsten zusammengestellt in dem
Leitartikel der Hamburger Nachrichten vom 28. April (Ur. 197). Er schließt mit
den Worten: „Mag sein, daß es zu schwarz gesehen ist, von einem neuen Bußgang
des Staates zu sprechen, wenn er den einstigen Bannerträger des Widerstandes
gegen ihn als Erzbischof trotz alledem im Dom zu Posen beizusetzen gestattet, aber
in einer Ära solcher Enzykliken und Maßnahmen, wie sie von Pius dem Zehnten
unter Mißachtung staatlicher Rechte und wichtigster nationaler Interessen aus¬
gegangen sind, hätte man alles andere eher erwarten können als eine Ehrung
gerade des Kardinals Grafen Ledochowski."
Nun aber gibt es doch noch einen Gesichtspunkt, der den gewiß schwer¬
wiegenden Entschluß der Regierung verständlich erscheinen läßt, ja unter bestimmten
Voraussetzungen sogar als zweckmäßig erscheinen lassen könnte. Es wird uns zu¬
gegeben werden, daß die Ablehnung des Gesundes, die Leiche des „Primas von
Polen" in Posen beizusetzen, gerade das bewirken würde, was wir zu verhindern
streben. Es würde um den Namen des polnischen Grasen noch einmal die Glorie
des Märtyrertums gewunden werden. Die polnische Presse würde Veranlassung
nehmen, die preußische Regierung der Unduldsamkeit in Glaubenssachen anzuklagen,
und die polnischen Vereine würden in Scharen nach Gnesen Pilgern, um dort
demonstrativ für den Primas und für Polen zu beten. Unseren deutschen Katholiken
am Rhein und in Bayern würde die Ablehnung der Regierung unverständlich sein,
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