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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Reichsspiegel

Festsetzung einer Amortisationsrate von 0,6 Prozent werde es alsdann gelingen,
die gesamte Eisenbahnschuld in sechsundfünfzig Jahren und sämtliche Neu¬
investitionen in einundvierzig Jahren zu tilgen. Warum sich der Finanzminister
gegen einen so einleuchtenden und praktikablen Vorschlag sträubt, ist nicht recht
zu begreifen. Der Vorwurf, das Gwiwiersche Verfahren bedeute eine ständige
Vermehrung der Schuldenlast und sei deshalb weniger solide, ist offenbar ganz
unzutreffend, da es sich um die Aufnahme produktiver, aus dem Betriebe zu
amortisierender Schulden handelt.

Der Name des Herrn v. Gwinner verknüpft sich auch mit eiuer Finanz¬
transaktion, die wegen ihrer Größe und Bedeutung hervorragende Aufmerksamkeit
verdient -- der Sanierung der Österreichischen Südbahn. Seit dem
vorigen Jahre erst gehört Gwinner als Vertreter der deutschen Aktionäre dem
Verwaltungsrate der Südbahn an. Die Zeit hat ausgereicht, um bei ihm den
weitausschauenden Plan reifen zu lassen, der Finanzmisere der Südbahn ein
Ende zu bereiten. Die Südbahn, die größte Privatbahn des Kontinents mit
einen: Anlagekapital von 2,8 Milliarden Franken, bietet in ihrer Finanzgeschichte
eines der skandalösesten Beispiele dafür, wie im vorigen Jahrhundert mächtige
Finanzgruppen -- im vorliegenden Falle das Haus Rothschild -- sich auf
Kosten von ihnen gegründeter Unternehmungen zu bereichern verstanden. Die
Südbahn ist durch die Methode der Geldbeschaffung, insbesondere die Wahl des
dreiprozentigen Typus für ihre Obligationen, die sie zu Pari zurückzuzahlen
hat, während sie kaum die Hälfte des Nominalkapitals dafür erlöste, mit eiuer
ungeheuren Schuldsumme belastet. Diese beläuft sich auf 2169 Millionen Franken,
für die nur 1027 Millionen Franken in die Kasse der Gesellschaft geflossen
sind. Die letztere muß daher dieses tatsächliche Schuldkapital dauernd mit mehr
als 6 Prozent verzinsen und an die Obligationäre ein Disagio von über
1 Milliarde Franken zurückzahlen. Dies hat sich im Laufe der Jahre als voll¬
ständig unmöglich erwiesen. Die Bahn behielt nicht einmal die erforderlichen
Mittel, um die Neuinvestitionen zu bestreiten; sie mußte sich das rollende
Betriebsmaterial im Wege der Leihe, also ganz unwirtschaftlich, beschaffen und
gewann auch hierfür nur notdürftig die Mittel durch eine Hinausschiebung der
Auslosung der dreiprozentigen Prioritäten. Nunmehr soll nach dem Gwinnerschen
Plan eine grundsätzliche Sanierung erfolgen, die das Mißverhältnis zwischen
Anlagewert und -kapital beseitigt. Diese Möglichkeit ist dadurch gegeben, daß
die Südbahn gegen den italienischen Staat eine Annuitätenforderung von
29,5 Millionen etwa bis zum Jahre 1834 und von 12.7 Millionen von da bis
1968 besitzt. Diese Reutenforderung wird zur Unterlage einer dreiprozentigen
amortisablen Anleihe in Höhe von 752 Millionen Franken verwandt. Von
dieser Anleihe wird ein Teil den Besitzern der dreiprozentigen Obligationen
zugewiesen, die im übrigen auf das Recht der Parirückzahlung so weit verzichten
müssen, daß der Einlösungswert der Obligationen sich nur auf 70,40 Prozent
des Nennwerts stellt. Ein anderer Teil der neuen Anleihe dient zur Pari-


Reichsspiegel

Festsetzung einer Amortisationsrate von 0,6 Prozent werde es alsdann gelingen,
die gesamte Eisenbahnschuld in sechsundfünfzig Jahren und sämtliche Neu¬
investitionen in einundvierzig Jahren zu tilgen. Warum sich der Finanzminister
gegen einen so einleuchtenden und praktikablen Vorschlag sträubt, ist nicht recht
zu begreifen. Der Vorwurf, das Gwiwiersche Verfahren bedeute eine ständige
Vermehrung der Schuldenlast und sei deshalb weniger solide, ist offenbar ganz
unzutreffend, da es sich um die Aufnahme produktiver, aus dem Betriebe zu
amortisierender Schulden handelt.

Der Name des Herrn v. Gwinner verknüpft sich auch mit eiuer Finanz¬
transaktion, die wegen ihrer Größe und Bedeutung hervorragende Aufmerksamkeit
verdient — der Sanierung der Österreichischen Südbahn. Seit dem
vorigen Jahre erst gehört Gwinner als Vertreter der deutschen Aktionäre dem
Verwaltungsrate der Südbahn an. Die Zeit hat ausgereicht, um bei ihm den
weitausschauenden Plan reifen zu lassen, der Finanzmisere der Südbahn ein
Ende zu bereiten. Die Südbahn, die größte Privatbahn des Kontinents mit
einen: Anlagekapital von 2,8 Milliarden Franken, bietet in ihrer Finanzgeschichte
eines der skandalösesten Beispiele dafür, wie im vorigen Jahrhundert mächtige
Finanzgruppen — im vorliegenden Falle das Haus Rothschild — sich auf
Kosten von ihnen gegründeter Unternehmungen zu bereichern verstanden. Die
Südbahn ist durch die Methode der Geldbeschaffung, insbesondere die Wahl des
dreiprozentigen Typus für ihre Obligationen, die sie zu Pari zurückzuzahlen
hat, während sie kaum die Hälfte des Nominalkapitals dafür erlöste, mit eiuer
ungeheuren Schuldsumme belastet. Diese beläuft sich auf 2169 Millionen Franken,
für die nur 1027 Millionen Franken in die Kasse der Gesellschaft geflossen
sind. Die letztere muß daher dieses tatsächliche Schuldkapital dauernd mit mehr
als 6 Prozent verzinsen und an die Obligationäre ein Disagio von über
1 Milliarde Franken zurückzahlen. Dies hat sich im Laufe der Jahre als voll¬
ständig unmöglich erwiesen. Die Bahn behielt nicht einmal die erforderlichen
Mittel, um die Neuinvestitionen zu bestreiten; sie mußte sich das rollende
Betriebsmaterial im Wege der Leihe, also ganz unwirtschaftlich, beschaffen und
gewann auch hierfür nur notdürftig die Mittel durch eine Hinausschiebung der
Auslosung der dreiprozentigen Prioritäten. Nunmehr soll nach dem Gwinnerschen
Plan eine grundsätzliche Sanierung erfolgen, die das Mißverhältnis zwischen
Anlagewert und -kapital beseitigt. Diese Möglichkeit ist dadurch gegeben, daß
die Südbahn gegen den italienischen Staat eine Annuitätenforderung von
29,5 Millionen etwa bis zum Jahre 1834 und von 12.7 Millionen von da bis
1968 besitzt. Diese Reutenforderung wird zur Unterlage einer dreiprozentigen
amortisablen Anleihe in Höhe von 752 Millionen Franken verwandt. Von
dieser Anleihe wird ein Teil den Besitzern der dreiprozentigen Obligationen
zugewiesen, die im übrigen auf das Recht der Parirückzahlung so weit verzichten
müssen, daß der Einlösungswert der Obligationen sich nur auf 70,40 Prozent
des Nennwerts stellt. Ein anderer Teil der neuen Anleihe dient zur Pari-


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[0154] Reichsspiegel Festsetzung einer Amortisationsrate von 0,6 Prozent werde es alsdann gelingen, die gesamte Eisenbahnschuld in sechsundfünfzig Jahren und sämtliche Neu¬ investitionen in einundvierzig Jahren zu tilgen. Warum sich der Finanzminister gegen einen so einleuchtenden und praktikablen Vorschlag sträubt, ist nicht recht zu begreifen. Der Vorwurf, das Gwiwiersche Verfahren bedeute eine ständige Vermehrung der Schuldenlast und sei deshalb weniger solide, ist offenbar ganz unzutreffend, da es sich um die Aufnahme produktiver, aus dem Betriebe zu amortisierender Schulden handelt. Der Name des Herrn v. Gwinner verknüpft sich auch mit eiuer Finanz¬ transaktion, die wegen ihrer Größe und Bedeutung hervorragende Aufmerksamkeit verdient — der Sanierung der Österreichischen Südbahn. Seit dem vorigen Jahre erst gehört Gwinner als Vertreter der deutschen Aktionäre dem Verwaltungsrate der Südbahn an. Die Zeit hat ausgereicht, um bei ihm den weitausschauenden Plan reifen zu lassen, der Finanzmisere der Südbahn ein Ende zu bereiten. Die Südbahn, die größte Privatbahn des Kontinents mit einen: Anlagekapital von 2,8 Milliarden Franken, bietet in ihrer Finanzgeschichte eines der skandalösesten Beispiele dafür, wie im vorigen Jahrhundert mächtige Finanzgruppen — im vorliegenden Falle das Haus Rothschild — sich auf Kosten von ihnen gegründeter Unternehmungen zu bereichern verstanden. Die Südbahn ist durch die Methode der Geldbeschaffung, insbesondere die Wahl des dreiprozentigen Typus für ihre Obligationen, die sie zu Pari zurückzuzahlen hat, während sie kaum die Hälfte des Nominalkapitals dafür erlöste, mit eiuer ungeheuren Schuldsumme belastet. Diese beläuft sich auf 2169 Millionen Franken, für die nur 1027 Millionen Franken in die Kasse der Gesellschaft geflossen sind. Die letztere muß daher dieses tatsächliche Schuldkapital dauernd mit mehr als 6 Prozent verzinsen und an die Obligationäre ein Disagio von über 1 Milliarde Franken zurückzahlen. Dies hat sich im Laufe der Jahre als voll¬ ständig unmöglich erwiesen. Die Bahn behielt nicht einmal die erforderlichen Mittel, um die Neuinvestitionen zu bestreiten; sie mußte sich das rollende Betriebsmaterial im Wege der Leihe, also ganz unwirtschaftlich, beschaffen und gewann auch hierfür nur notdürftig die Mittel durch eine Hinausschiebung der Auslosung der dreiprozentigen Prioritäten. Nunmehr soll nach dem Gwinnerschen Plan eine grundsätzliche Sanierung erfolgen, die das Mißverhältnis zwischen Anlagewert und -kapital beseitigt. Diese Möglichkeit ist dadurch gegeben, daß die Südbahn gegen den italienischen Staat eine Annuitätenforderung von 29,5 Millionen etwa bis zum Jahre 1834 und von 12.7 Millionen von da bis 1968 besitzt. Diese Reutenforderung wird zur Unterlage einer dreiprozentigen amortisablen Anleihe in Höhe von 752 Millionen Franken verwandt. Von dieser Anleihe wird ein Teil den Besitzern der dreiprozentigen Obligationen zugewiesen, die im übrigen auf das Recht der Parirückzahlung so weit verzichten müssen, daß der Einlösungswert der Obligationen sich nur auf 70,40 Prozent des Nennwerts stellt. Ein anderer Teil der neuen Anleihe dient zur Pari-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/154>, abgerufen am 26.06.2024.