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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Chopin und semo Liebe

Anstrengung auf dem Bauche fort. Es war totkrank, und um seinen Qualen ein
Ende zu machen, sah Okolitsch sich gezwungen, trotz der Frühjahrszeit ihm den
Gnadenschuß zu geben. Bei der darauffolgenden Besichtigung stellte sich heraus,
daß es zweifellos derselbe gefleckte Hase war, der am Morgen Bol fast zum Ein¬
springen verleitet hatte. Beide Hinterbeine waren in den Schenkeln gebrochen,
und das ganze Hinterteil war zerfetzt und mit geronnenem Blut bedeckt. Der
Schuß des Bauern hatte also richtig dem Hasen gegolten, wie Okolitsch gleich
damals vermutete, war aber schlecht gezielt gewesen, und das unglückliche, auf den
Tod verwundete Tier hatte sich über den Schnee geschleppt, bis die Krähen seiner
ansichtig geworden und über es hergefallen waren, um es durch Schnabelhiebe
aufzuhalten und zuletzt halb lebend zu verspeisen.

Einen bösen Wunsch richtete Okolitsch an die Adresse des langen Unmenschen,
der den Schuß abgefeuert hatte, und während er über den Graben sprang und auf
der Heerstraße fortging, dachte er wieder lange darüber nach, wo er den unheim¬
lichen Gesellen früher zu Gesicht gekriegt hatte. Dieser schwebte ihm so deutlich
vor, als ob er ein genauer Bekannter von ihn: wäre, und zwar aus nicht gar
ferner Zeit, aber auf weiteres konnte er sich nicht besinnnen. Wen-tschmig folgt.)




(Lhopin und seine Liebe
von Frigga lion Brockdorf

röderic Chopins Bild! Wie spottlustig -- bei aller Melancholie --
waren die blauen Augen, wie fein sein Lächeln, wie stolz die
gebogene Nase I Sein Haar war seidenweich, die Gestalt schmächtig,
zart, fast zusammenbrechend. Mit gedämpfter Stimme erzählte er
! kleine, delikate Sachen und wärmte sich dabei vor dem Kamin.
Seine Schwächlichkeit schloß ihn schon seit jeher vom brutalsten Lebenskampfe ans,
und Gebot und Neigung wiesen ihn in das Reich der seidenen Schleppen, der
ringgeschmückten Finger, das Reich der brokatenen Westen und geschliffenen Bonmots.
Dieser vollkommene Gentleman mit weißen Handschuhen und blendender Krawatte,
der elegante Kavalier mit Kabriolett und Diener, dieser schöne Herzenbrecher war
ganz dazu angetan, in einem Kranz reizender Frauen die zärtlichste Rolle zu
spielen und durch die verführerische Grazie seiner Persönlichkeit, den aristokratischen
Anstrich seiner Kunst sich die besten und feinsten Menschen jener guten und feinen
Zeit mühelos zu erobern.

Er ist sanft gewesen -- nicht schwach, wie Mißgünstige behaupteten, und man
hat es Field arg verübelt, daß er Chopin ein "Krankenzimmertalent" genannt hatte.

Manchmal -- im Hause des Mäzens und Musikfreundes Leo -- konnte man
plötzlich neben dem Meister eine seltsame Erscheinung erblicken. Ein dunkles Weib
in Männerkleidung, mit kühnen, brennenden Augen und einem stolzen Gesicht.
George Sand! Ihre triumphierende Haltung, bedeutungsvoll und gebietend
zugleich, gemahnte an die uns oft übermittelte erste Begegnung dieser beiden Großen.


Chopin und semo Liebe

Anstrengung auf dem Bauche fort. Es war totkrank, und um seinen Qualen ein
Ende zu machen, sah Okolitsch sich gezwungen, trotz der Frühjahrszeit ihm den
Gnadenschuß zu geben. Bei der darauffolgenden Besichtigung stellte sich heraus,
daß es zweifellos derselbe gefleckte Hase war, der am Morgen Bol fast zum Ein¬
springen verleitet hatte. Beide Hinterbeine waren in den Schenkeln gebrochen,
und das ganze Hinterteil war zerfetzt und mit geronnenem Blut bedeckt. Der
Schuß des Bauern hatte also richtig dem Hasen gegolten, wie Okolitsch gleich
damals vermutete, war aber schlecht gezielt gewesen, und das unglückliche, auf den
Tod verwundete Tier hatte sich über den Schnee geschleppt, bis die Krähen seiner
ansichtig geworden und über es hergefallen waren, um es durch Schnabelhiebe
aufzuhalten und zuletzt halb lebend zu verspeisen.

Einen bösen Wunsch richtete Okolitsch an die Adresse des langen Unmenschen,
der den Schuß abgefeuert hatte, und während er über den Graben sprang und auf
der Heerstraße fortging, dachte er wieder lange darüber nach, wo er den unheim¬
lichen Gesellen früher zu Gesicht gekriegt hatte. Dieser schwebte ihm so deutlich
vor, als ob er ein genauer Bekannter von ihn: wäre, und zwar aus nicht gar
ferner Zeit, aber auf weiteres konnte er sich nicht besinnnen. Wen-tschmig folgt.)




(Lhopin und seine Liebe
von Frigga lion Brockdorf

röderic Chopins Bild! Wie spottlustig — bei aller Melancholie —
waren die blauen Augen, wie fein sein Lächeln, wie stolz die
gebogene Nase I Sein Haar war seidenweich, die Gestalt schmächtig,
zart, fast zusammenbrechend. Mit gedämpfter Stimme erzählte er
! kleine, delikate Sachen und wärmte sich dabei vor dem Kamin.
Seine Schwächlichkeit schloß ihn schon seit jeher vom brutalsten Lebenskampfe ans,
und Gebot und Neigung wiesen ihn in das Reich der seidenen Schleppen, der
ringgeschmückten Finger, das Reich der brokatenen Westen und geschliffenen Bonmots.
Dieser vollkommene Gentleman mit weißen Handschuhen und blendender Krawatte,
der elegante Kavalier mit Kabriolett und Diener, dieser schöne Herzenbrecher war
ganz dazu angetan, in einem Kranz reizender Frauen die zärtlichste Rolle zu
spielen und durch die verführerische Grazie seiner Persönlichkeit, den aristokratischen
Anstrich seiner Kunst sich die besten und feinsten Menschen jener guten und feinen
Zeit mühelos zu erobern.

Er ist sanft gewesen — nicht schwach, wie Mißgünstige behaupteten, und man
hat es Field arg verübelt, daß er Chopin ein „Krankenzimmertalent" genannt hatte.

Manchmal — im Hause des Mäzens und Musikfreundes Leo — konnte man
plötzlich neben dem Meister eine seltsame Erscheinung erblicken. Ein dunkles Weib
in Männerkleidung, mit kühnen, brennenden Augen und einem stolzen Gesicht.
George Sand! Ihre triumphierende Haltung, bedeutungsvoll und gebietend
zugleich, gemahnte an die uns oft übermittelte erste Begegnung dieser beiden Großen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/99>, abgerufen am 24.07.2024.