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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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gegen die Auslassungen dieser Broschüre nach mancher Richtung Verwahrung
einlegen. -- Dernburg greift zunächst den Rechtsstandpunkt des Ministers an
und behauptet, daß ein Zustand, demzufolge der Minister jederzeit die Zulassung
eines Wertpapieres aus Gründen öffentlichen Interesses inhibieren könne, nicht
der deutschen Rechtsordnung entspräche und daher entweder nicht rechtens sein
könne oder nicht bleiben dürfe. Das ist nun ein unbegreiflicher Irrtum; das
Börsengesetz macht es der Zulassungsstelle geradezu zur Pflicht, "Emissionen
nicht zuzulassen, durch welche erhebliche allgemeine Interessen geschädigt werden".
Da nun der Handelsminister in oberster Instanz die Aufsicht über die Börsen¬
organe führt, so hat er nach allgemeinen Verwaltungsgrundsätzen das Recht,
in ihre Geschäftsführung einzugreifen und im konkreten Falle die Zulassungs¬
stelle anzuweisen, wenn nach seiner Meinung die Gefährdung öffentlicher
Interessen vorliegt. Die Rechtslage ist sonach klar. Es käme nur darauf
an, ob der Schutz des heimischen Geldmarktes, den der Minister als Grund
für die Zurückweisung der Chicago-Milwaukee-Meier angeführt hat, ein solches
allgemeines Interesse darstellt. Sonderbarerweise bestreitet Dernburg dies! --
Er behauptet, das Interesse an dem Geldsatz sei in zwei Gruppen, den
Borger und den Leider, genau gleich verteilt, und von einem allgemeinen
Interesse könne überhaupt nicht gesprochen werden. In der Tat, ein wunder¬
barer wirtschaftlicher Grundsatz, mit dessen Verfechtung Herr Dernburg
sich schwerlich den Doktorhut verdient haben würde, den er jetzt rionc>ri8 cau8a
trägt. Er erscheint beinahe trivial, gegen das Maß von wirtschaftlicher Einsicht,
das sich in der Aufstellung solcher Grundsätze äußert, mit Gründen ernsthaft
anzukämpfen. Gehört es doch zum ABC der Nationalökonomie, daß der Stand
des Zinsfußes von schwerwiegendstem Einfluß auf die gesamte Produktions¬
tätigkeit ist. Um nur eines anzuführen: eine dauernde Erhöhung des Zins¬
fußes um 1 Prozent würde allein die deutsche Landwirtschaft, die schätzungs¬
weise mit einer hypothekarischen Belastung von 12 Milliarden Mark arbeitet,
mit einer jährlichen Mehrausgabe von 120 Millionen Mark beschweren. Und
nun gar die übrigen produktiven Stände? Sind die Lehren der letzten Geld¬
krisis nicht noch in frischer Erinnerung? Haben nicht gerade die Banken die
größten Anstrengungen gemacht, durch Ausbreitung des geldlosen Zahlungs¬
verkehrs dem Bedarf an Barmitteln in Deutschland entgegenzuwirken und
damit ein Steigen des Zinssatzes zu verhindern? Hat man nicht aus dem
gleichen Grund der Reichsbank die Erhöhung ihres steuerfreien Noten¬
kontingents an den Quartalsterminen zugestanden? Aber es lohnt wirklich
nicht, die handgreifliche Unrichtigkeit einer so absurden Behauptung im
einzelnen nachzuweisen. Es genügt, wenn man feststellt, daß der deutsche
Geldmarkt besonders leicht in den Zustand der Anspannung gerät, weil
wir ein lebhaftes produktives Land sind und die Bedürfnisse der Industrie
Anforderungen stellen, die in Rentnerstaaten nicht in Frage kommen. Man
wird daher zugeben müssen, daß der Export einheimischen Kapitals zu Zeiten


Reichsspiegcl

gegen die Auslassungen dieser Broschüre nach mancher Richtung Verwahrung
einlegen. — Dernburg greift zunächst den Rechtsstandpunkt des Ministers an
und behauptet, daß ein Zustand, demzufolge der Minister jederzeit die Zulassung
eines Wertpapieres aus Gründen öffentlichen Interesses inhibieren könne, nicht
der deutschen Rechtsordnung entspräche und daher entweder nicht rechtens sein
könne oder nicht bleiben dürfe. Das ist nun ein unbegreiflicher Irrtum; das
Börsengesetz macht es der Zulassungsstelle geradezu zur Pflicht, „Emissionen
nicht zuzulassen, durch welche erhebliche allgemeine Interessen geschädigt werden".
Da nun der Handelsminister in oberster Instanz die Aufsicht über die Börsen¬
organe führt, so hat er nach allgemeinen Verwaltungsgrundsätzen das Recht,
in ihre Geschäftsführung einzugreifen und im konkreten Falle die Zulassungs¬
stelle anzuweisen, wenn nach seiner Meinung die Gefährdung öffentlicher
Interessen vorliegt. Die Rechtslage ist sonach klar. Es käme nur darauf
an, ob der Schutz des heimischen Geldmarktes, den der Minister als Grund
für die Zurückweisung der Chicago-Milwaukee-Meier angeführt hat, ein solches
allgemeines Interesse darstellt. Sonderbarerweise bestreitet Dernburg dies! —
Er behauptet, das Interesse an dem Geldsatz sei in zwei Gruppen, den
Borger und den Leider, genau gleich verteilt, und von einem allgemeinen
Interesse könne überhaupt nicht gesprochen werden. In der Tat, ein wunder¬
barer wirtschaftlicher Grundsatz, mit dessen Verfechtung Herr Dernburg
sich schwerlich den Doktorhut verdient haben würde, den er jetzt rionc>ri8 cau8a
trägt. Er erscheint beinahe trivial, gegen das Maß von wirtschaftlicher Einsicht,
das sich in der Aufstellung solcher Grundsätze äußert, mit Gründen ernsthaft
anzukämpfen. Gehört es doch zum ABC der Nationalökonomie, daß der Stand
des Zinsfußes von schwerwiegendstem Einfluß auf die gesamte Produktions¬
tätigkeit ist. Um nur eines anzuführen: eine dauernde Erhöhung des Zins¬
fußes um 1 Prozent würde allein die deutsche Landwirtschaft, die schätzungs¬
weise mit einer hypothekarischen Belastung von 12 Milliarden Mark arbeitet,
mit einer jährlichen Mehrausgabe von 120 Millionen Mark beschweren. Und
nun gar die übrigen produktiven Stände? Sind die Lehren der letzten Geld¬
krisis nicht noch in frischer Erinnerung? Haben nicht gerade die Banken die
größten Anstrengungen gemacht, durch Ausbreitung des geldlosen Zahlungs¬
verkehrs dem Bedarf an Barmitteln in Deutschland entgegenzuwirken und
damit ein Steigen des Zinssatzes zu verhindern? Hat man nicht aus dem
gleichen Grund der Reichsbank die Erhöhung ihres steuerfreien Noten¬
kontingents an den Quartalsterminen zugestanden? Aber es lohnt wirklich
nicht, die handgreifliche Unrichtigkeit einer so absurden Behauptung im
einzelnen nachzuweisen. Es genügt, wenn man feststellt, daß der deutsche
Geldmarkt besonders leicht in den Zustand der Anspannung gerät, weil
wir ein lebhaftes produktives Land sind und die Bedürfnisse der Industrie
Anforderungen stellen, die in Rentnerstaaten nicht in Frage kommen. Man
wird daher zugeben müssen, daß der Export einheimischen Kapitals zu Zeiten


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[0658] Reichsspiegcl gegen die Auslassungen dieser Broschüre nach mancher Richtung Verwahrung einlegen. — Dernburg greift zunächst den Rechtsstandpunkt des Ministers an und behauptet, daß ein Zustand, demzufolge der Minister jederzeit die Zulassung eines Wertpapieres aus Gründen öffentlichen Interesses inhibieren könne, nicht der deutschen Rechtsordnung entspräche und daher entweder nicht rechtens sein könne oder nicht bleiben dürfe. Das ist nun ein unbegreiflicher Irrtum; das Börsengesetz macht es der Zulassungsstelle geradezu zur Pflicht, „Emissionen nicht zuzulassen, durch welche erhebliche allgemeine Interessen geschädigt werden". Da nun der Handelsminister in oberster Instanz die Aufsicht über die Börsen¬ organe führt, so hat er nach allgemeinen Verwaltungsgrundsätzen das Recht, in ihre Geschäftsführung einzugreifen und im konkreten Falle die Zulassungs¬ stelle anzuweisen, wenn nach seiner Meinung die Gefährdung öffentlicher Interessen vorliegt. Die Rechtslage ist sonach klar. Es käme nur darauf an, ob der Schutz des heimischen Geldmarktes, den der Minister als Grund für die Zurückweisung der Chicago-Milwaukee-Meier angeführt hat, ein solches allgemeines Interesse darstellt. Sonderbarerweise bestreitet Dernburg dies! — Er behauptet, das Interesse an dem Geldsatz sei in zwei Gruppen, den Borger und den Leider, genau gleich verteilt, und von einem allgemeinen Interesse könne überhaupt nicht gesprochen werden. In der Tat, ein wunder¬ barer wirtschaftlicher Grundsatz, mit dessen Verfechtung Herr Dernburg sich schwerlich den Doktorhut verdient haben würde, den er jetzt rionc>ri8 cau8a trägt. Er erscheint beinahe trivial, gegen das Maß von wirtschaftlicher Einsicht, das sich in der Aufstellung solcher Grundsätze äußert, mit Gründen ernsthaft anzukämpfen. Gehört es doch zum ABC der Nationalökonomie, daß der Stand des Zinsfußes von schwerwiegendstem Einfluß auf die gesamte Produktions¬ tätigkeit ist. Um nur eines anzuführen: eine dauernde Erhöhung des Zins¬ fußes um 1 Prozent würde allein die deutsche Landwirtschaft, die schätzungs¬ weise mit einer hypothekarischen Belastung von 12 Milliarden Mark arbeitet, mit einer jährlichen Mehrausgabe von 120 Millionen Mark beschweren. Und nun gar die übrigen produktiven Stände? Sind die Lehren der letzten Geld¬ krisis nicht noch in frischer Erinnerung? Haben nicht gerade die Banken die größten Anstrengungen gemacht, durch Ausbreitung des geldlosen Zahlungs¬ verkehrs dem Bedarf an Barmitteln in Deutschland entgegenzuwirken und damit ein Steigen des Zinssatzes zu verhindern? Hat man nicht aus dem gleichen Grund der Reichsbank die Erhöhung ihres steuerfreien Noten¬ kontingents an den Quartalsterminen zugestanden? Aber es lohnt wirklich nicht, die handgreifliche Unrichtigkeit einer so absurden Behauptung im einzelnen nachzuweisen. Es genügt, wenn man feststellt, daß der deutsche Geldmarkt besonders leicht in den Zustand der Anspannung gerät, weil wir ein lebhaftes produktives Land sind und die Bedürfnisse der Industrie Anforderungen stellen, die in Rentnerstaaten nicht in Frage kommen. Man wird daher zugeben müssen, daß der Export einheimischen Kapitals zu Zeiten

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Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/658>, abgerufen am 04.07.2024.