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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Die Lösung des Lcigdadl'abnproblcms

meter langen Strecke Koula--Bulgurlu begonnen werden konnte. Die Ausführung
übernahm die 26 Inzc gegründete internationale "Gesellschaft der Bagdad¬
bahnen", nachdem das englische Kapital die ihm erneut angebotene Beteiligung
zurückgewiesen. Das Kapital wurde durch eine im Jahre 1903 in Deutschland auf¬
genommene vierprozentige Anleihe in Höhe von 44064000 Mark beschafft. Der
Sultan bewilligte eine Kilometergarantie von 15500 Franken, die wieder sichergestellt
wurde durch Verpfändung von Überschüssen der sogenannten "revenuL concöcI6s",
also der für den Dienst der alten türkischen Staatsschuld verpfändeten und seitens
der Delle publigue (Murrahem-Dekret von 1881) verwalteten Einnahmen. Nach
Fertigstellung der Strecke bis Bulgurlu am Westhang des Taurus entstanden
neue Schwierigkeiten, die den Weiterbau der Bahn aufhielten und daher die
Rentabilität der zuletzt gebauten Strecke auf Jahre hinaus in Frage stellten. Die
Strecke geht am Südrande der damals noch vollständig unkultivierten wasserlosen
Salzwüste von Koula entlang und endete in einem Felsenriest mit wenig Verkehr.
Eine Verbindung zum Meere bestand nicht, so daß die Waren aus dem Innern
Kleinasiens nicht an die nahen Häfen von Mersina geschafft werden konnten. Noch
im Jahre 1907 mußte der Sultan für die Strecke Koula--Bulgurlu 275000 Franken
als Kilometergarantie zahlen. Trotz der ungünstigsten Verhältnisse erwies sich aber
der Nutzen der Bahn für die wirtschaftliche Entwicklung der Türkei auch schon in
diesem Stadium so augenfällig, daß der Sultan noch vor Ausbruch der Revolution
im Jahre 1908 den Weiterbau der Bahn um 480 Kilometer bis El Heils anordnete.
Den Bau sollte ursprünglich die bestehende "Gesellschaft der Bagdadbahnen" über¬
nehmen, die Mittel sollten durch Ausgabe von 227 000 Franken vierprozentiger
Staatsobligationen beschafft werden.

Da brach unter den Schlägen der Junirevolution die alte Türkei zusammen,
und mit dem Regiment der Jungtürken schienen zunächst andere Anschauungen
über den Wert ausländischer Unternehmungen bei den Türken einzuziehen. Die
Bagdadbahnfrage ruhte. Die englische Presse hatte einen vorher ungeahnten Ein¬
fluß auf die innertürkischen Angelegenheiten und benutzte die Lage nach Kräften,
um Deutschland unehrlicher Pläne und Ziele gegenüber der Türkei zu beschuldigen.
In jungtürkischen Kreisen war man um so eher geneigt, solchen Einflüsterungen
Glauben zu schenken, als die deutsch-türkischen Beziehungen unter dem alten
Regime die denkbar besten waren und England wie allen Revolutionären gegenüber
auch den jungtürkischen weiteste Gastfreundschaft geübt hatte. Die Engländer ver¬
breiteten geflissentlich die Auffassung, Deutschland verstehe lediglich mit dem
Absolutismus zu arbeiten. Indessen bald sollten Ereignisse eintreten, die geeignet
waren, die englische Freundschaft an türkischen Machthabern in einem anderen
Lichte erscheinen zu lassen. Es stand im Widerspruch zu den Freundschaftsbeteue¬
rungen Englands, daß gerade die Mächte der unter Englands Führung zustande
gekommenen Tripleentente, Frankreich und Rußland, die Schwierigkeiten der Türkei
vermehrten, während Deutschland sich augenscheinlich von allen politischen Fragen
fernhielt. Es erwies sich immer deutlicher, daß nicht Deutschland den Liquidations¬
prozeß, in den die Türkei durch die eigene Schwäche seit 1908 geraten war,
förderte -- trotz dessen Stellungnahme zur böhmischen Frage --, sondern England.
Überall, wo Unannehmlichkeiten auftauchten, wurde die Hand Englands erkannt,
gleichgültig, ob es sich um finanzielle Angelegenheiten oder Unruhen im Naurcm,


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meter langen Strecke Koula—Bulgurlu begonnen werden konnte. Die Ausführung
übernahm die 26 Inzc gegründete internationale „Gesellschaft der Bagdad¬
bahnen", nachdem das englische Kapital die ihm erneut angebotene Beteiligung
zurückgewiesen. Das Kapital wurde durch eine im Jahre 1903 in Deutschland auf¬
genommene vierprozentige Anleihe in Höhe von 44064000 Mark beschafft. Der
Sultan bewilligte eine Kilometergarantie von 15500 Franken, die wieder sichergestellt
wurde durch Verpfändung von Überschüssen der sogenannten „revenuL concöcI6s",
also der für den Dienst der alten türkischen Staatsschuld verpfändeten und seitens
der Delle publigue (Murrahem-Dekret von 1881) verwalteten Einnahmen. Nach
Fertigstellung der Strecke bis Bulgurlu am Westhang des Taurus entstanden
neue Schwierigkeiten, die den Weiterbau der Bahn aufhielten und daher die
Rentabilität der zuletzt gebauten Strecke auf Jahre hinaus in Frage stellten. Die
Strecke geht am Südrande der damals noch vollständig unkultivierten wasserlosen
Salzwüste von Koula entlang und endete in einem Felsenriest mit wenig Verkehr.
Eine Verbindung zum Meere bestand nicht, so daß die Waren aus dem Innern
Kleinasiens nicht an die nahen Häfen von Mersina geschafft werden konnten. Noch
im Jahre 1907 mußte der Sultan für die Strecke Koula—Bulgurlu 275000 Franken
als Kilometergarantie zahlen. Trotz der ungünstigsten Verhältnisse erwies sich aber
der Nutzen der Bahn für die wirtschaftliche Entwicklung der Türkei auch schon in
diesem Stadium so augenfällig, daß der Sultan noch vor Ausbruch der Revolution
im Jahre 1908 den Weiterbau der Bahn um 480 Kilometer bis El Heils anordnete.
Den Bau sollte ursprünglich die bestehende „Gesellschaft der Bagdadbahnen" über¬
nehmen, die Mittel sollten durch Ausgabe von 227 000 Franken vierprozentiger
Staatsobligationen beschafft werden.

Da brach unter den Schlägen der Junirevolution die alte Türkei zusammen,
und mit dem Regiment der Jungtürken schienen zunächst andere Anschauungen
über den Wert ausländischer Unternehmungen bei den Türken einzuziehen. Die
Bagdadbahnfrage ruhte. Die englische Presse hatte einen vorher ungeahnten Ein¬
fluß auf die innertürkischen Angelegenheiten und benutzte die Lage nach Kräften,
um Deutschland unehrlicher Pläne und Ziele gegenüber der Türkei zu beschuldigen.
In jungtürkischen Kreisen war man um so eher geneigt, solchen Einflüsterungen
Glauben zu schenken, als die deutsch-türkischen Beziehungen unter dem alten
Regime die denkbar besten waren und England wie allen Revolutionären gegenüber
auch den jungtürkischen weiteste Gastfreundschaft geübt hatte. Die Engländer ver¬
breiteten geflissentlich die Auffassung, Deutschland verstehe lediglich mit dem
Absolutismus zu arbeiten. Indessen bald sollten Ereignisse eintreten, die geeignet
waren, die englische Freundschaft an türkischen Machthabern in einem anderen
Lichte erscheinen zu lassen. Es stand im Widerspruch zu den Freundschaftsbeteue¬
rungen Englands, daß gerade die Mächte der unter Englands Führung zustande
gekommenen Tripleentente, Frankreich und Rußland, die Schwierigkeiten der Türkei
vermehrten, während Deutschland sich augenscheinlich von allen politischen Fragen
fernhielt. Es erwies sich immer deutlicher, daß nicht Deutschland den Liquidations¬
prozeß, in den die Türkei durch die eigene Schwäche seit 1908 geraten war,
förderte — trotz dessen Stellungnahme zur böhmischen Frage —, sondern England.
Überall, wo Unannehmlichkeiten auftauchten, wurde die Hand Englands erkannt,
gleichgültig, ob es sich um finanzielle Angelegenheiten oder Unruhen im Naurcm,


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[0648] Die Lösung des Lcigdadl'abnproblcms meter langen Strecke Koula—Bulgurlu begonnen werden konnte. Die Ausführung übernahm die 26 Inzc gegründete internationale „Gesellschaft der Bagdad¬ bahnen", nachdem das englische Kapital die ihm erneut angebotene Beteiligung zurückgewiesen. Das Kapital wurde durch eine im Jahre 1903 in Deutschland auf¬ genommene vierprozentige Anleihe in Höhe von 44064000 Mark beschafft. Der Sultan bewilligte eine Kilometergarantie von 15500 Franken, die wieder sichergestellt wurde durch Verpfändung von Überschüssen der sogenannten „revenuL concöcI6s", also der für den Dienst der alten türkischen Staatsschuld verpfändeten und seitens der Delle publigue (Murrahem-Dekret von 1881) verwalteten Einnahmen. Nach Fertigstellung der Strecke bis Bulgurlu am Westhang des Taurus entstanden neue Schwierigkeiten, die den Weiterbau der Bahn aufhielten und daher die Rentabilität der zuletzt gebauten Strecke auf Jahre hinaus in Frage stellten. Die Strecke geht am Südrande der damals noch vollständig unkultivierten wasserlosen Salzwüste von Koula entlang und endete in einem Felsenriest mit wenig Verkehr. Eine Verbindung zum Meere bestand nicht, so daß die Waren aus dem Innern Kleinasiens nicht an die nahen Häfen von Mersina geschafft werden konnten. Noch im Jahre 1907 mußte der Sultan für die Strecke Koula—Bulgurlu 275000 Franken als Kilometergarantie zahlen. Trotz der ungünstigsten Verhältnisse erwies sich aber der Nutzen der Bahn für die wirtschaftliche Entwicklung der Türkei auch schon in diesem Stadium so augenfällig, daß der Sultan noch vor Ausbruch der Revolution im Jahre 1908 den Weiterbau der Bahn um 480 Kilometer bis El Heils anordnete. Den Bau sollte ursprünglich die bestehende „Gesellschaft der Bagdadbahnen" über¬ nehmen, die Mittel sollten durch Ausgabe von 227 000 Franken vierprozentiger Staatsobligationen beschafft werden. Da brach unter den Schlägen der Junirevolution die alte Türkei zusammen, und mit dem Regiment der Jungtürken schienen zunächst andere Anschauungen über den Wert ausländischer Unternehmungen bei den Türken einzuziehen. Die Bagdadbahnfrage ruhte. Die englische Presse hatte einen vorher ungeahnten Ein¬ fluß auf die innertürkischen Angelegenheiten und benutzte die Lage nach Kräften, um Deutschland unehrlicher Pläne und Ziele gegenüber der Türkei zu beschuldigen. In jungtürkischen Kreisen war man um so eher geneigt, solchen Einflüsterungen Glauben zu schenken, als die deutsch-türkischen Beziehungen unter dem alten Regime die denkbar besten waren und England wie allen Revolutionären gegenüber auch den jungtürkischen weiteste Gastfreundschaft geübt hatte. Die Engländer ver¬ breiteten geflissentlich die Auffassung, Deutschland verstehe lediglich mit dem Absolutismus zu arbeiten. Indessen bald sollten Ereignisse eintreten, die geeignet waren, die englische Freundschaft an türkischen Machthabern in einem anderen Lichte erscheinen zu lassen. Es stand im Widerspruch zu den Freundschaftsbeteue¬ rungen Englands, daß gerade die Mächte der unter Englands Führung zustande gekommenen Tripleentente, Frankreich und Rußland, die Schwierigkeiten der Türkei vermehrten, während Deutschland sich augenscheinlich von allen politischen Fragen fernhielt. Es erwies sich immer deutlicher, daß nicht Deutschland den Liquidations¬ prozeß, in den die Türkei durch die eigene Schwäche seit 1908 geraten war, förderte — trotz dessen Stellungnahme zur böhmischen Frage —, sondern England. Überall, wo Unannehmlichkeiten auftauchten, wurde die Hand Englands erkannt, gleichgültig, ob es sich um finanzielle Angelegenheiten oder Unruhen im Naurcm,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/648>, abgerufen am 28.12.2024.