Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der rote Rausch

Der rote Rausch
Joseph Aug> Lux Roman von
(Fortsetzung,)

Waren es wirklich fremde Trauben, an denen sich der Hüter vergreisen
wollte? Mit Nichten, kurzsichtiger L6on! Richard hatte RechteI Die dunkeläugige
Traube mit dem Namen Jeanne war sein, von Natur wegen, aus derselben
himmlisch-höllischen Ursache, die sein Blut mit unwiderstehlichem Verlangen nach
diesem Mädchen erfüllte, aus dem Urrecht des Triebs, des Instinkts, der sinn¬
lichen Liebe, jener Elementargewalt, die zuweilen stärker ist als die Satzungen,
Vorsätze, Verträge und alle Konventionen der Sittenlehre, Da wird kein Sträuben
helfen, listiger Marcellin, kein Widerspruch, sprossender Rouquie, von Johannes¬
trieben sprossend, kein Poltern, schellenlauter Gaston, keine Abspenstigkeit,
geschmeidiges Kätzchen Jeanne! Süße Ncichegedanken! Herr der Schicksale war
Richard, Richard, der Denker, Richard, der Liebende, Richard, der Verkannte,
Richard, der Enterbte, Richard, der Ränkeschmied, Richard, der Verzweifelte, der
eine Drachensaat säen wird, Richard, der Eroberer! Seinem Bruder so unähnlich,
war er nicht zugleich wie dieser ein Phantast und damit zugleich ein Kind des
südlichen, leicht entzündlichen, übersinnlich schwelgenden Volkes? Ein Phantast
des Bösen, zwar im Gegensatz zu dem gutmütigen Gaston, aber einer, der zugleich
mit allen Wirklichkeiten rechnete, der nicht nur schwelgte, sondern auch dachte,
eine Ausnahme. Wie aber, wenn in dem Phantasiegebäude Richards sich ein
Grundpfeiler als trügerisch erwies? Mußte uicht der ganze Bau zusammenbrechen?
etwa wenn wider Erwarten Gaston plötzlich zurückkehrte? Richard lächelte bei
dieser Selbstprobe, die er auf seine Rechnung machte. Gaston wird nie in die
Heimat zurückkehren. Nie, nie, nie!

Die Briefe waren ein guter Vorwand, sich Jeanne zu nähern, und gleich¬
zeitig ein für Gaston kompromittierendes Beweismaterial, das geschickt benutzt
werden mußte, wenn die Zeit kam; jetzt noch nicht!

"Paris ist schön und verführerisch, eine gefährliche Stadt; was würdest du
sagen, Jeanne, wenn dich Gaston vergessen würde?"

"Ihm zum Trotz würde ich dich heiraten", spottete Jeanne und ließ den
verdutzten Richard stehen.

"Wegen Jeanne brauchst du nicht in Sorge sein," schrieb er an Gaston; "die
dumme Trine bleibt dir auf alle Fälle sicher, wenn du überhaupt an ihr noch
Gefallen finden wirst. Mit den Prinzessinnen, von denen du mir schriebst, kann
sie sich wahrscheinlich in keiner Weise messen; wir sind eben wirklich nur zurück¬
gebliebene, beschränkte Kleinstadtbürger. Du würdest viele Enttäuschungen erleben,
wenn du zu Besuch kämest. Ich beneide dich! RomMs ist jetzt häufiger hier zu
sehen. Er macht verliebte Augen, aber Jeanne denkt nur an Gaston. Der Wein
ist noch nicht verkauft, Zahlungen stehen vor der Tür, wir wissen nicht, waS noch
werden wird. Das neue Weinjahr läßt sich gut an, die Ernte verspricht noch
größer zu werden als im vorigen Herbst, aber wir sehen ihr mit Bangen ent¬
gegen. Du bist glücklich. Bleib in Paris!"


Der rote Rausch

Der rote Rausch
Joseph Aug> Lux Roman von
(Fortsetzung,)

Waren es wirklich fremde Trauben, an denen sich der Hüter vergreisen
wollte? Mit Nichten, kurzsichtiger L6on! Richard hatte RechteI Die dunkeläugige
Traube mit dem Namen Jeanne war sein, von Natur wegen, aus derselben
himmlisch-höllischen Ursache, die sein Blut mit unwiderstehlichem Verlangen nach
diesem Mädchen erfüllte, aus dem Urrecht des Triebs, des Instinkts, der sinn¬
lichen Liebe, jener Elementargewalt, die zuweilen stärker ist als die Satzungen,
Vorsätze, Verträge und alle Konventionen der Sittenlehre, Da wird kein Sträuben
helfen, listiger Marcellin, kein Widerspruch, sprossender Rouquie, von Johannes¬
trieben sprossend, kein Poltern, schellenlauter Gaston, keine Abspenstigkeit,
geschmeidiges Kätzchen Jeanne! Süße Ncichegedanken! Herr der Schicksale war
Richard, Richard, der Denker, Richard, der Liebende, Richard, der Verkannte,
Richard, der Enterbte, Richard, der Ränkeschmied, Richard, der Verzweifelte, der
eine Drachensaat säen wird, Richard, der Eroberer! Seinem Bruder so unähnlich,
war er nicht zugleich wie dieser ein Phantast und damit zugleich ein Kind des
südlichen, leicht entzündlichen, übersinnlich schwelgenden Volkes? Ein Phantast
des Bösen, zwar im Gegensatz zu dem gutmütigen Gaston, aber einer, der zugleich
mit allen Wirklichkeiten rechnete, der nicht nur schwelgte, sondern auch dachte,
eine Ausnahme. Wie aber, wenn in dem Phantasiegebäude Richards sich ein
Grundpfeiler als trügerisch erwies? Mußte uicht der ganze Bau zusammenbrechen?
etwa wenn wider Erwarten Gaston plötzlich zurückkehrte? Richard lächelte bei
dieser Selbstprobe, die er auf seine Rechnung machte. Gaston wird nie in die
Heimat zurückkehren. Nie, nie, nie!

Die Briefe waren ein guter Vorwand, sich Jeanne zu nähern, und gleich¬
zeitig ein für Gaston kompromittierendes Beweismaterial, das geschickt benutzt
werden mußte, wenn die Zeit kam; jetzt noch nicht!

„Paris ist schön und verführerisch, eine gefährliche Stadt; was würdest du
sagen, Jeanne, wenn dich Gaston vergessen würde?"

„Ihm zum Trotz würde ich dich heiraten", spottete Jeanne und ließ den
verdutzten Richard stehen.

„Wegen Jeanne brauchst du nicht in Sorge sein," schrieb er an Gaston; „die
dumme Trine bleibt dir auf alle Fälle sicher, wenn du überhaupt an ihr noch
Gefallen finden wirst. Mit den Prinzessinnen, von denen du mir schriebst, kann
sie sich wahrscheinlich in keiner Weise messen; wir sind eben wirklich nur zurück¬
gebliebene, beschränkte Kleinstadtbürger. Du würdest viele Enttäuschungen erleben,
wenn du zu Besuch kämest. Ich beneide dich! RomMs ist jetzt häufiger hier zu
sehen. Er macht verliebte Augen, aber Jeanne denkt nur an Gaston. Der Wein
ist noch nicht verkauft, Zahlungen stehen vor der Tür, wir wissen nicht, waS noch
werden wird. Das neue Weinjahr läßt sich gut an, die Ernte verspricht noch
größer zu werden als im vorigen Herbst, aber wir sehen ihr mit Bangen ent¬
gegen. Du bist glücklich. Bleib in Paris!"


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0640" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/318253"/>
          <fw type="header" place="top"> Der rote Rausch</fw><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Der rote Rausch<lb/><note type="byline"> Joseph Aug&gt; Lux</note> Roman von<lb/>
(Fortsetzung,) </head><lb/>
          <p xml:id="ID_2895"> Waren es wirklich fremde Trauben, an denen sich der Hüter vergreisen<lb/>
wollte? Mit Nichten, kurzsichtiger L6on! Richard hatte RechteI Die dunkeläugige<lb/>
Traube mit dem Namen Jeanne war sein, von Natur wegen, aus derselben<lb/>
himmlisch-höllischen Ursache, die sein Blut mit unwiderstehlichem Verlangen nach<lb/>
diesem Mädchen erfüllte, aus dem Urrecht des Triebs, des Instinkts, der sinn¬<lb/>
lichen Liebe, jener Elementargewalt, die zuweilen stärker ist als die Satzungen,<lb/>
Vorsätze, Verträge und alle Konventionen der Sittenlehre, Da wird kein Sträuben<lb/>
helfen, listiger Marcellin, kein Widerspruch, sprossender Rouquie, von Johannes¬<lb/>
trieben sprossend, kein Poltern, schellenlauter Gaston, keine Abspenstigkeit,<lb/>
geschmeidiges Kätzchen Jeanne! Süße Ncichegedanken! Herr der Schicksale war<lb/>
Richard, Richard, der Denker, Richard, der Liebende, Richard, der Verkannte,<lb/>
Richard, der Enterbte, Richard, der Ränkeschmied, Richard, der Verzweifelte, der<lb/>
eine Drachensaat säen wird, Richard, der Eroberer! Seinem Bruder so unähnlich,<lb/>
war er nicht zugleich wie dieser ein Phantast und damit zugleich ein Kind des<lb/>
südlichen, leicht entzündlichen, übersinnlich schwelgenden Volkes? Ein Phantast<lb/>
des Bösen, zwar im Gegensatz zu dem gutmütigen Gaston, aber einer, der zugleich<lb/>
mit allen Wirklichkeiten rechnete, der nicht nur schwelgte, sondern auch dachte,<lb/>
eine Ausnahme. Wie aber, wenn in dem Phantasiegebäude Richards sich ein<lb/>
Grundpfeiler als trügerisch erwies? Mußte uicht der ganze Bau zusammenbrechen?<lb/>
etwa wenn wider Erwarten Gaston plötzlich zurückkehrte? Richard lächelte bei<lb/>
dieser Selbstprobe, die er auf seine Rechnung machte. Gaston wird nie in die<lb/>
Heimat zurückkehren. Nie, nie, nie!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2896"> Die Briefe waren ein guter Vorwand, sich Jeanne zu nähern, und gleich¬<lb/>
zeitig ein für Gaston kompromittierendes Beweismaterial, das geschickt benutzt<lb/>
werden mußte, wenn die Zeit kam; jetzt noch nicht!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2897"> &#x201E;Paris ist schön und verführerisch, eine gefährliche Stadt; was würdest du<lb/>
sagen, Jeanne, wenn dich Gaston vergessen würde?"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2898"> &#x201E;Ihm zum Trotz würde ich dich heiraten", spottete Jeanne und ließ den<lb/>
verdutzten Richard stehen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2899"> &#x201E;Wegen Jeanne brauchst du nicht in Sorge sein," schrieb er an Gaston; &#x201E;die<lb/>
dumme Trine bleibt dir auf alle Fälle sicher, wenn du überhaupt an ihr noch<lb/>
Gefallen finden wirst. Mit den Prinzessinnen, von denen du mir schriebst, kann<lb/>
sie sich wahrscheinlich in keiner Weise messen; wir sind eben wirklich nur zurück¬<lb/>
gebliebene, beschränkte Kleinstadtbürger. Du würdest viele Enttäuschungen erleben,<lb/>
wenn du zu Besuch kämest. Ich beneide dich! RomMs ist jetzt häufiger hier zu<lb/>
sehen. Er macht verliebte Augen, aber Jeanne denkt nur an Gaston. Der Wein<lb/>
ist noch nicht verkauft, Zahlungen stehen vor der Tür, wir wissen nicht, waS noch<lb/>
werden wird. Das neue Weinjahr läßt sich gut an, die Ernte verspricht noch<lb/>
größer zu werden als im vorigen Herbst, aber wir sehen ihr mit Bangen ent¬<lb/>
gegen. Du bist glücklich. Bleib in Paris!"</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0640] Der rote Rausch Der rote Rausch Joseph Aug> Lux Roman von (Fortsetzung,) Waren es wirklich fremde Trauben, an denen sich der Hüter vergreisen wollte? Mit Nichten, kurzsichtiger L6on! Richard hatte RechteI Die dunkeläugige Traube mit dem Namen Jeanne war sein, von Natur wegen, aus derselben himmlisch-höllischen Ursache, die sein Blut mit unwiderstehlichem Verlangen nach diesem Mädchen erfüllte, aus dem Urrecht des Triebs, des Instinkts, der sinn¬ lichen Liebe, jener Elementargewalt, die zuweilen stärker ist als die Satzungen, Vorsätze, Verträge und alle Konventionen der Sittenlehre, Da wird kein Sträuben helfen, listiger Marcellin, kein Widerspruch, sprossender Rouquie, von Johannes¬ trieben sprossend, kein Poltern, schellenlauter Gaston, keine Abspenstigkeit, geschmeidiges Kätzchen Jeanne! Süße Ncichegedanken! Herr der Schicksale war Richard, Richard, der Denker, Richard, der Liebende, Richard, der Verkannte, Richard, der Enterbte, Richard, der Ränkeschmied, Richard, der Verzweifelte, der eine Drachensaat säen wird, Richard, der Eroberer! Seinem Bruder so unähnlich, war er nicht zugleich wie dieser ein Phantast und damit zugleich ein Kind des südlichen, leicht entzündlichen, übersinnlich schwelgenden Volkes? Ein Phantast des Bösen, zwar im Gegensatz zu dem gutmütigen Gaston, aber einer, der zugleich mit allen Wirklichkeiten rechnete, der nicht nur schwelgte, sondern auch dachte, eine Ausnahme. Wie aber, wenn in dem Phantasiegebäude Richards sich ein Grundpfeiler als trügerisch erwies? Mußte uicht der ganze Bau zusammenbrechen? etwa wenn wider Erwarten Gaston plötzlich zurückkehrte? Richard lächelte bei dieser Selbstprobe, die er auf seine Rechnung machte. Gaston wird nie in die Heimat zurückkehren. Nie, nie, nie! Die Briefe waren ein guter Vorwand, sich Jeanne zu nähern, und gleich¬ zeitig ein für Gaston kompromittierendes Beweismaterial, das geschickt benutzt werden mußte, wenn die Zeit kam; jetzt noch nicht! „Paris ist schön und verführerisch, eine gefährliche Stadt; was würdest du sagen, Jeanne, wenn dich Gaston vergessen würde?" „Ihm zum Trotz würde ich dich heiraten", spottete Jeanne und ließ den verdutzten Richard stehen. „Wegen Jeanne brauchst du nicht in Sorge sein," schrieb er an Gaston; „die dumme Trine bleibt dir auf alle Fälle sicher, wenn du überhaupt an ihr noch Gefallen finden wirst. Mit den Prinzessinnen, von denen du mir schriebst, kann sie sich wahrscheinlich in keiner Weise messen; wir sind eben wirklich nur zurück¬ gebliebene, beschränkte Kleinstadtbürger. Du würdest viele Enttäuschungen erleben, wenn du zu Besuch kämest. Ich beneide dich! RomMs ist jetzt häufiger hier zu sehen. Er macht verliebte Augen, aber Jeanne denkt nur an Gaston. Der Wein ist noch nicht verkauft, Zahlungen stehen vor der Tür, wir wissen nicht, waS noch werden wird. Das neue Weinjahr läßt sich gut an, die Ernte verspricht noch größer zu werden als im vorigen Herbst, aber wir sehen ihr mit Bangen ent¬ gegen. Du bist glücklich. Bleib in Paris!"

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/640
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/640>, abgerufen am 24.07.2024.