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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Der junge Bismarck

vorbereitende Entwicklung. In den Redekämpfen des Landtags tritt er an die
Öffentlichkeit und zeigt den verblüfften Volksgenossen einen fertigen Charakter
von unverkennbarer Eigenart, der sich außerhalb des brandenden Strudels der
Zeitströmung vollkommen selbstherrlich seinen Standpunkt wählt.

Der Wichtigkeit des Vereinigten Landtags für Bismarcks Werdegang wird
Marcks vollkommen gerecht; seine Darstellung gibt gerade hier ihr Bestes.
Dabei raubt ihm warme Bewunderung für seinen Helden auch an dieser Stelle
nicht die Unabhängigkeit und Unbestechlichkeit seines Urteils. Er versteht es,
Bismarcks Gegensatz zu den Liberalen von 1847 als individuelle Notwendigkeit
verständlich zu machen, ohne sich den Gegensatz in seiner Einseitigkeit anzueignen.
So erschließt er uns die Einsicht, daß der Vereinigte Landtag wohl den politischen
Charakter Bismarcks entbunden hat, aber noch nicht seinen politischen Genius.
Dein würde an den damaligen liberalen Forderungen trotz formeller Gebrechen
ihre innere Berechtigung nach den königlichen Emanationen von 1815 und 1820
nicht entgangen sein. Noch sehen wir Bismarck mit kräftigen Vorurteilen behaftet
und geradezu stolz auf sie. Auch das spricht in Wahrheit für die Ursprüng¬
lichkeit seiner Natur. Jedenfalls dürfen wir uns in: Rückblick auf die Kämpfe
jener vierziger Jahre zu Bismarcks Parteinahme beglückwünschen. Denn wenn
ihm damals schon die Weite seines späteren Gesichtskreises zu Gebote gestanden
und auch er wie sein Antipode, der westfälische Freiherr Vincke, die Sache des
nationalen Liberalismus zu der seinigen gemacht hätte, so würde er schwerlich
jemals den Weg an die Seite Friedrich Wilhelms des Vierten und des preußische,!
Königshauses zurückgefunden haben. Entweder hätte auch dann das Königtum
gesiegt, aber folgerechterweise in dauernder Anlehnung an Österreich und Ru߬
land -- oder die demokratische Flutwelle hätte die preußische Heeresverfassuug
unterwaschen und unser Land in blutigen Aufständen zerrüttet, die es noch
einmal wie zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges zur Beute unserer Nachbarn
gemacht haben würden.

Was Bismarck 1847 an Verständnis für die Bedürfnisse und das Empfinden
breiter Volksschichten abging, das ersetzte und überholte er weit durch den Vor¬
sprung an Charakter, der seinem Denken und Wollen eine unvergleichliche
Geschlossenheit verlieh. In dem stürmischen Auftritt am 17. Mai erblickt Marcks
mit Recht die erste Offenbarung dieses Charakters. In einer Frage, die Preußens
Verhältnis zum Ausland anging, nämlich den Ausbruch des Krieges von 1813,
geißelte Bismarck spöttisch die herrschende Anschauung, die unter den Triebkräften
jener Bewegung Fürst und Untertanen als zwei getrennte Bestandteile des
Volkskörpers unterschied, um aus der Erhebung des Volkes einen Rechtsanspruch
gegen den König herleiten zu können. Bismarck erblickte gegenüber der napoleoni¬
schen Fremdherrschaft allein das Vaterland, dessen Unabhängigkeit für Preußens
Fürst und Volk die gleiche unteilbare Forderung ihrer Selbstachtung bildete,
einen kategorischen Imperativ der Pflicht. Uns mag solche Auffassung selbst¬
verständlich scheinen, vor sechzig Jahren war sie es so wenig, daß selbst Partei-


Der junge Bismarck

vorbereitende Entwicklung. In den Redekämpfen des Landtags tritt er an die
Öffentlichkeit und zeigt den verblüfften Volksgenossen einen fertigen Charakter
von unverkennbarer Eigenart, der sich außerhalb des brandenden Strudels der
Zeitströmung vollkommen selbstherrlich seinen Standpunkt wählt.

Der Wichtigkeit des Vereinigten Landtags für Bismarcks Werdegang wird
Marcks vollkommen gerecht; seine Darstellung gibt gerade hier ihr Bestes.
Dabei raubt ihm warme Bewunderung für seinen Helden auch an dieser Stelle
nicht die Unabhängigkeit und Unbestechlichkeit seines Urteils. Er versteht es,
Bismarcks Gegensatz zu den Liberalen von 1847 als individuelle Notwendigkeit
verständlich zu machen, ohne sich den Gegensatz in seiner Einseitigkeit anzueignen.
So erschließt er uns die Einsicht, daß der Vereinigte Landtag wohl den politischen
Charakter Bismarcks entbunden hat, aber noch nicht seinen politischen Genius.
Dein würde an den damaligen liberalen Forderungen trotz formeller Gebrechen
ihre innere Berechtigung nach den königlichen Emanationen von 1815 und 1820
nicht entgangen sein. Noch sehen wir Bismarck mit kräftigen Vorurteilen behaftet
und geradezu stolz auf sie. Auch das spricht in Wahrheit für die Ursprüng¬
lichkeit seiner Natur. Jedenfalls dürfen wir uns in: Rückblick auf die Kämpfe
jener vierziger Jahre zu Bismarcks Parteinahme beglückwünschen. Denn wenn
ihm damals schon die Weite seines späteren Gesichtskreises zu Gebote gestanden
und auch er wie sein Antipode, der westfälische Freiherr Vincke, die Sache des
nationalen Liberalismus zu der seinigen gemacht hätte, so würde er schwerlich
jemals den Weg an die Seite Friedrich Wilhelms des Vierten und des preußische,!
Königshauses zurückgefunden haben. Entweder hätte auch dann das Königtum
gesiegt, aber folgerechterweise in dauernder Anlehnung an Österreich und Ru߬
land — oder die demokratische Flutwelle hätte die preußische Heeresverfassuug
unterwaschen und unser Land in blutigen Aufständen zerrüttet, die es noch
einmal wie zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges zur Beute unserer Nachbarn
gemacht haben würden.

Was Bismarck 1847 an Verständnis für die Bedürfnisse und das Empfinden
breiter Volksschichten abging, das ersetzte und überholte er weit durch den Vor¬
sprung an Charakter, der seinem Denken und Wollen eine unvergleichliche
Geschlossenheit verlieh. In dem stürmischen Auftritt am 17. Mai erblickt Marcks
mit Recht die erste Offenbarung dieses Charakters. In einer Frage, die Preußens
Verhältnis zum Ausland anging, nämlich den Ausbruch des Krieges von 1813,
geißelte Bismarck spöttisch die herrschende Anschauung, die unter den Triebkräften
jener Bewegung Fürst und Untertanen als zwei getrennte Bestandteile des
Volkskörpers unterschied, um aus der Erhebung des Volkes einen Rechtsanspruch
gegen den König herleiten zu können. Bismarck erblickte gegenüber der napoleoni¬
schen Fremdherrschaft allein das Vaterland, dessen Unabhängigkeit für Preußens
Fürst und Volk die gleiche unteilbare Forderung ihrer Selbstachtung bildete,
einen kategorischen Imperativ der Pflicht. Uns mag solche Auffassung selbst¬
verständlich scheinen, vor sechzig Jahren war sie es so wenig, daß selbst Partei-


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[0624] Der junge Bismarck vorbereitende Entwicklung. In den Redekämpfen des Landtags tritt er an die Öffentlichkeit und zeigt den verblüfften Volksgenossen einen fertigen Charakter von unverkennbarer Eigenart, der sich außerhalb des brandenden Strudels der Zeitströmung vollkommen selbstherrlich seinen Standpunkt wählt. Der Wichtigkeit des Vereinigten Landtags für Bismarcks Werdegang wird Marcks vollkommen gerecht; seine Darstellung gibt gerade hier ihr Bestes. Dabei raubt ihm warme Bewunderung für seinen Helden auch an dieser Stelle nicht die Unabhängigkeit und Unbestechlichkeit seines Urteils. Er versteht es, Bismarcks Gegensatz zu den Liberalen von 1847 als individuelle Notwendigkeit verständlich zu machen, ohne sich den Gegensatz in seiner Einseitigkeit anzueignen. So erschließt er uns die Einsicht, daß der Vereinigte Landtag wohl den politischen Charakter Bismarcks entbunden hat, aber noch nicht seinen politischen Genius. Dein würde an den damaligen liberalen Forderungen trotz formeller Gebrechen ihre innere Berechtigung nach den königlichen Emanationen von 1815 und 1820 nicht entgangen sein. Noch sehen wir Bismarck mit kräftigen Vorurteilen behaftet und geradezu stolz auf sie. Auch das spricht in Wahrheit für die Ursprüng¬ lichkeit seiner Natur. Jedenfalls dürfen wir uns in: Rückblick auf die Kämpfe jener vierziger Jahre zu Bismarcks Parteinahme beglückwünschen. Denn wenn ihm damals schon die Weite seines späteren Gesichtskreises zu Gebote gestanden und auch er wie sein Antipode, der westfälische Freiherr Vincke, die Sache des nationalen Liberalismus zu der seinigen gemacht hätte, so würde er schwerlich jemals den Weg an die Seite Friedrich Wilhelms des Vierten und des preußische,! Königshauses zurückgefunden haben. Entweder hätte auch dann das Königtum gesiegt, aber folgerechterweise in dauernder Anlehnung an Österreich und Ru߬ land — oder die demokratische Flutwelle hätte die preußische Heeresverfassuug unterwaschen und unser Land in blutigen Aufständen zerrüttet, die es noch einmal wie zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges zur Beute unserer Nachbarn gemacht haben würden. Was Bismarck 1847 an Verständnis für die Bedürfnisse und das Empfinden breiter Volksschichten abging, das ersetzte und überholte er weit durch den Vor¬ sprung an Charakter, der seinem Denken und Wollen eine unvergleichliche Geschlossenheit verlieh. In dem stürmischen Auftritt am 17. Mai erblickt Marcks mit Recht die erste Offenbarung dieses Charakters. In einer Frage, die Preußens Verhältnis zum Ausland anging, nämlich den Ausbruch des Krieges von 1813, geißelte Bismarck spöttisch die herrschende Anschauung, die unter den Triebkräften jener Bewegung Fürst und Untertanen als zwei getrennte Bestandteile des Volkskörpers unterschied, um aus der Erhebung des Volkes einen Rechtsanspruch gegen den König herleiten zu können. Bismarck erblickte gegenüber der napoleoni¬ schen Fremdherrschaft allein das Vaterland, dessen Unabhängigkeit für Preußens Fürst und Volk die gleiche unteilbare Forderung ihrer Selbstachtung bildete, einen kategorischen Imperativ der Pflicht. Uns mag solche Auffassung selbst¬ verständlich scheinen, vor sechzig Jahren war sie es so wenig, daß selbst Partei-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/624>, abgerufen am 24.07.2024.