Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der junge Bismarck

setzen. Seine Zeugnisse ans dieser Zeit rühmen seine Begabung wie seinen
Fleiß und Eifer.

Im Januar 1836 bewarb er sich bei dem Präsidenten der Aachener
Regierung um seine Zulassung als Referendar. Das damals noch erforderte
Examen bestand er in seinem schriftlichen und mündlichen Teil mit dem Prädikat
"sehr gut". Er selbst erzählt uns, daß seine Wahl auf Aachen fiel, um den
Umweg zur Diplomatie abzukürzen. Der Kursus der Referendare dauerte bei
den altpreußischen Regierungen drei, bei den rheinischen nur zwei Jahre. Bismarck
suchte also sein diplomatisches Lebensziel so bald wie möglich zu erreichen. Die
Regierungsgeschäfte fesselten ihn nicht trotz der hervorragenden Eigenschaften
des Präsidenten Grafen Arnim, der sich für die Ausbildung des Referendars
v. Bismarck persönlich interessierte. Was ti eher abstieß, war der lose "Zusammen¬
hang der Bezirksbehörde mit dem Volksleben. Seine Arbeiten gewannen dadurch
in seinen eigenen Augen den Charakter von Schulaufgaben, mehr zu seiner
Ausbildung bestimmt als von Nutzen für andere. Sein Blick war auf die
Außenwelt gerichtet; mit ihr sich zu messen und seine Kräfte an ihr zu erproben,
das reizte ihn. Von der Elbe schrieb er im Februar 1847 als Deichhauptmann
an seine Braut: "Wenn sie alle Jahre so langweilig sanftmütig sein will, so
würde ich das Kommando über ihre Fluten niederlegen. Ehe ich träge Pferde
reite, gehe ich lieber zu Fuß." Menschen solchen Schlages verlangen jeden
Tag nach einer neuen Anspannung ihres Willens. Lediglich zur Mehrung
ihres Wissens oder zum Zweck ihres Fortkommens sich nützliche Kenntnisse und
Fertigkeiten anzueignen, pflegt nicht nach ihrem Geschmack zu sein.

In Aachen geriet das wilde Blut des jungen Heißsporns mit den Anfor¬
derungen des Dienstes in offenen Zwiespalt. Das rheinische Kapua war damals
noch mehr als heute ein europäisches Weltbad. Bismarcks alte Vorliebe für
das weltmännische Auftreten der Angelsachsen ließ ihn auch hier in einem
Kreise vornehmer Engländer heimisch werden. Zum erstenmal in seinem Leben
erfaßte den Zweiundzwanzigjährigen eine Liebesleidenschaft von elementarer
Gewalt. Im Juli 1837 verließ er Aachen mit unbekanntem Ziel. Im September
kam er von Straßburg aus um Verlängerung seines längst überschrittenen
Urlaubs ein. Gleichzeitig schrieb er einem Freunde, er wäre mit einer jungen
Britin von blondem Haar und seltener Schönheit verlobt, die er im nächsten
Jahre heiraten würde. Bismarcks kränkelnden Vater gelang es, im November
den Ausreißer zur Heimkehr zu bewegen; Aachen sah ihn nicht wieder. Sein
nachträgliches Entlassungsgesuch wurde von dem wohlmeinenden Grafen Arnim
ohne jede Sühne für die eigenmächtige Entfernung genehmigt mit einem immer¬
hin vorteilhaften Zeugnis über Bismarcks Kenntnisse und Anlagen.

Er trat zur Potsdamer Regierung über, bei der er aber nur vom Dezember
1837 bis Ende März 1838 gearbeitet hat. Im Sommer 1838 reifte sein
Entschluß, dem Staatsdienst zu entsagen. Positives und Negatives wirkten
dabei zusammen, einerseits die Notwendigkeit, seinem alternden Vater bei der


Der junge Bismarck

setzen. Seine Zeugnisse ans dieser Zeit rühmen seine Begabung wie seinen
Fleiß und Eifer.

Im Januar 1836 bewarb er sich bei dem Präsidenten der Aachener
Regierung um seine Zulassung als Referendar. Das damals noch erforderte
Examen bestand er in seinem schriftlichen und mündlichen Teil mit dem Prädikat
„sehr gut". Er selbst erzählt uns, daß seine Wahl auf Aachen fiel, um den
Umweg zur Diplomatie abzukürzen. Der Kursus der Referendare dauerte bei
den altpreußischen Regierungen drei, bei den rheinischen nur zwei Jahre. Bismarck
suchte also sein diplomatisches Lebensziel so bald wie möglich zu erreichen. Die
Regierungsgeschäfte fesselten ihn nicht trotz der hervorragenden Eigenschaften
des Präsidenten Grafen Arnim, der sich für die Ausbildung des Referendars
v. Bismarck persönlich interessierte. Was ti eher abstieß, war der lose »Zusammen¬
hang der Bezirksbehörde mit dem Volksleben. Seine Arbeiten gewannen dadurch
in seinen eigenen Augen den Charakter von Schulaufgaben, mehr zu seiner
Ausbildung bestimmt als von Nutzen für andere. Sein Blick war auf die
Außenwelt gerichtet; mit ihr sich zu messen und seine Kräfte an ihr zu erproben,
das reizte ihn. Von der Elbe schrieb er im Februar 1847 als Deichhauptmann
an seine Braut: „Wenn sie alle Jahre so langweilig sanftmütig sein will, so
würde ich das Kommando über ihre Fluten niederlegen. Ehe ich träge Pferde
reite, gehe ich lieber zu Fuß." Menschen solchen Schlages verlangen jeden
Tag nach einer neuen Anspannung ihres Willens. Lediglich zur Mehrung
ihres Wissens oder zum Zweck ihres Fortkommens sich nützliche Kenntnisse und
Fertigkeiten anzueignen, pflegt nicht nach ihrem Geschmack zu sein.

In Aachen geriet das wilde Blut des jungen Heißsporns mit den Anfor¬
derungen des Dienstes in offenen Zwiespalt. Das rheinische Kapua war damals
noch mehr als heute ein europäisches Weltbad. Bismarcks alte Vorliebe für
das weltmännische Auftreten der Angelsachsen ließ ihn auch hier in einem
Kreise vornehmer Engländer heimisch werden. Zum erstenmal in seinem Leben
erfaßte den Zweiundzwanzigjährigen eine Liebesleidenschaft von elementarer
Gewalt. Im Juli 1837 verließ er Aachen mit unbekanntem Ziel. Im September
kam er von Straßburg aus um Verlängerung seines längst überschrittenen
Urlaubs ein. Gleichzeitig schrieb er einem Freunde, er wäre mit einer jungen
Britin von blondem Haar und seltener Schönheit verlobt, die er im nächsten
Jahre heiraten würde. Bismarcks kränkelnden Vater gelang es, im November
den Ausreißer zur Heimkehr zu bewegen; Aachen sah ihn nicht wieder. Sein
nachträgliches Entlassungsgesuch wurde von dem wohlmeinenden Grafen Arnim
ohne jede Sühne für die eigenmächtige Entfernung genehmigt mit einem immer¬
hin vorteilhaften Zeugnis über Bismarcks Kenntnisse und Anlagen.

Er trat zur Potsdamer Regierung über, bei der er aber nur vom Dezember
1837 bis Ende März 1838 gearbeitet hat. Im Sommer 1838 reifte sein
Entschluß, dem Staatsdienst zu entsagen. Positives und Negatives wirkten
dabei zusammen, einerseits die Notwendigkeit, seinem alternden Vater bei der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0621" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/318234"/>
          <fw type="header" place="top"> Der junge Bismarck</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2782" prev="#ID_2781"> setzen. Seine Zeugnisse ans dieser Zeit rühmen seine Begabung wie seinen<lb/>
Fleiß und Eifer.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2783"> Im Januar 1836 bewarb er sich bei dem Präsidenten der Aachener<lb/>
Regierung um seine Zulassung als Referendar. Das damals noch erforderte<lb/>
Examen bestand er in seinem schriftlichen und mündlichen Teil mit dem Prädikat<lb/>
&#x201E;sehr gut". Er selbst erzählt uns, daß seine Wahl auf Aachen fiel, um den<lb/>
Umweg zur Diplomatie abzukürzen. Der Kursus der Referendare dauerte bei<lb/>
den altpreußischen Regierungen drei, bei den rheinischen nur zwei Jahre. Bismarck<lb/>
suchte also sein diplomatisches Lebensziel so bald wie möglich zu erreichen. Die<lb/>
Regierungsgeschäfte fesselten ihn nicht trotz der hervorragenden Eigenschaften<lb/>
des Präsidenten Grafen Arnim, der sich für die Ausbildung des Referendars<lb/>
v. Bismarck persönlich interessierte. Was ti eher abstieß, war der lose »Zusammen¬<lb/>
hang der Bezirksbehörde mit dem Volksleben. Seine Arbeiten gewannen dadurch<lb/>
in seinen eigenen Augen den Charakter von Schulaufgaben, mehr zu seiner<lb/>
Ausbildung bestimmt als von Nutzen für andere. Sein Blick war auf die<lb/>
Außenwelt gerichtet; mit ihr sich zu messen und seine Kräfte an ihr zu erproben,<lb/>
das reizte ihn. Von der Elbe schrieb er im Februar 1847 als Deichhauptmann<lb/>
an seine Braut: &#x201E;Wenn sie alle Jahre so langweilig sanftmütig sein will, so<lb/>
würde ich das Kommando über ihre Fluten niederlegen. Ehe ich träge Pferde<lb/>
reite, gehe ich lieber zu Fuß." Menschen solchen Schlages verlangen jeden<lb/>
Tag nach einer neuen Anspannung ihres Willens. Lediglich zur Mehrung<lb/>
ihres Wissens oder zum Zweck ihres Fortkommens sich nützliche Kenntnisse und<lb/>
Fertigkeiten anzueignen, pflegt nicht nach ihrem Geschmack zu sein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2784"> In Aachen geriet das wilde Blut des jungen Heißsporns mit den Anfor¬<lb/>
derungen des Dienstes in offenen Zwiespalt. Das rheinische Kapua war damals<lb/>
noch mehr als heute ein europäisches Weltbad. Bismarcks alte Vorliebe für<lb/>
das weltmännische Auftreten der Angelsachsen ließ ihn auch hier in einem<lb/>
Kreise vornehmer Engländer heimisch werden. Zum erstenmal in seinem Leben<lb/>
erfaßte den Zweiundzwanzigjährigen eine Liebesleidenschaft von elementarer<lb/>
Gewalt. Im Juli 1837 verließ er Aachen mit unbekanntem Ziel. Im September<lb/>
kam er von Straßburg aus um Verlängerung seines längst überschrittenen<lb/>
Urlaubs ein. Gleichzeitig schrieb er einem Freunde, er wäre mit einer jungen<lb/>
Britin von blondem Haar und seltener Schönheit verlobt, die er im nächsten<lb/>
Jahre heiraten würde. Bismarcks kränkelnden Vater gelang es, im November<lb/>
den Ausreißer zur Heimkehr zu bewegen; Aachen sah ihn nicht wieder. Sein<lb/>
nachträgliches Entlassungsgesuch wurde von dem wohlmeinenden Grafen Arnim<lb/>
ohne jede Sühne für die eigenmächtige Entfernung genehmigt mit einem immer¬<lb/>
hin vorteilhaften Zeugnis über Bismarcks Kenntnisse und Anlagen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2785" next="#ID_2786"> Er trat zur Potsdamer Regierung über, bei der er aber nur vom Dezember<lb/>
1837 bis Ende März 1838 gearbeitet hat. Im Sommer 1838 reifte sein<lb/>
Entschluß, dem Staatsdienst zu entsagen. Positives und Negatives wirkten<lb/>
dabei zusammen, einerseits die Notwendigkeit, seinem alternden Vater bei der</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0621] Der junge Bismarck setzen. Seine Zeugnisse ans dieser Zeit rühmen seine Begabung wie seinen Fleiß und Eifer. Im Januar 1836 bewarb er sich bei dem Präsidenten der Aachener Regierung um seine Zulassung als Referendar. Das damals noch erforderte Examen bestand er in seinem schriftlichen und mündlichen Teil mit dem Prädikat „sehr gut". Er selbst erzählt uns, daß seine Wahl auf Aachen fiel, um den Umweg zur Diplomatie abzukürzen. Der Kursus der Referendare dauerte bei den altpreußischen Regierungen drei, bei den rheinischen nur zwei Jahre. Bismarck suchte also sein diplomatisches Lebensziel so bald wie möglich zu erreichen. Die Regierungsgeschäfte fesselten ihn nicht trotz der hervorragenden Eigenschaften des Präsidenten Grafen Arnim, der sich für die Ausbildung des Referendars v. Bismarck persönlich interessierte. Was ti eher abstieß, war der lose »Zusammen¬ hang der Bezirksbehörde mit dem Volksleben. Seine Arbeiten gewannen dadurch in seinen eigenen Augen den Charakter von Schulaufgaben, mehr zu seiner Ausbildung bestimmt als von Nutzen für andere. Sein Blick war auf die Außenwelt gerichtet; mit ihr sich zu messen und seine Kräfte an ihr zu erproben, das reizte ihn. Von der Elbe schrieb er im Februar 1847 als Deichhauptmann an seine Braut: „Wenn sie alle Jahre so langweilig sanftmütig sein will, so würde ich das Kommando über ihre Fluten niederlegen. Ehe ich träge Pferde reite, gehe ich lieber zu Fuß." Menschen solchen Schlages verlangen jeden Tag nach einer neuen Anspannung ihres Willens. Lediglich zur Mehrung ihres Wissens oder zum Zweck ihres Fortkommens sich nützliche Kenntnisse und Fertigkeiten anzueignen, pflegt nicht nach ihrem Geschmack zu sein. In Aachen geriet das wilde Blut des jungen Heißsporns mit den Anfor¬ derungen des Dienstes in offenen Zwiespalt. Das rheinische Kapua war damals noch mehr als heute ein europäisches Weltbad. Bismarcks alte Vorliebe für das weltmännische Auftreten der Angelsachsen ließ ihn auch hier in einem Kreise vornehmer Engländer heimisch werden. Zum erstenmal in seinem Leben erfaßte den Zweiundzwanzigjährigen eine Liebesleidenschaft von elementarer Gewalt. Im Juli 1837 verließ er Aachen mit unbekanntem Ziel. Im September kam er von Straßburg aus um Verlängerung seines längst überschrittenen Urlaubs ein. Gleichzeitig schrieb er einem Freunde, er wäre mit einer jungen Britin von blondem Haar und seltener Schönheit verlobt, die er im nächsten Jahre heiraten würde. Bismarcks kränkelnden Vater gelang es, im November den Ausreißer zur Heimkehr zu bewegen; Aachen sah ihn nicht wieder. Sein nachträgliches Entlassungsgesuch wurde von dem wohlmeinenden Grafen Arnim ohne jede Sühne für die eigenmächtige Entfernung genehmigt mit einem immer¬ hin vorteilhaften Zeugnis über Bismarcks Kenntnisse und Anlagen. Er trat zur Potsdamer Regierung über, bei der er aber nur vom Dezember 1837 bis Ende März 1838 gearbeitet hat. Im Sommer 1838 reifte sein Entschluß, dem Staatsdienst zu entsagen. Positives und Negatives wirkten dabei zusammen, einerseits die Notwendigkeit, seinem alternden Vater bei der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/621
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/621>, abgerufen am 24.07.2024.