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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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gräfliche Zentrumsmann zur Opposition, Heute ist seine Partei das Zünglein an
der Wage der Regierungspolitik. An: 4. Dezember 1874 konnte Bismarck unter
dem Beifall der Konsernatwen die leidenschaftliche Agitation der Ultramontanen
für das auf ihn verübte Attentat Kullmanns verantwortlich machen, -- am
10. Dezember 1910 muß Bethmann Hollweg, ohne die Konservativen verletzen
W können, sagen: eine Politik unter Ausschaltung des Zentrums gebe es für ihn
uicht! <D, c>UÄL mutatio rerum! -- Und doch nur das Ergebnis einer ganz
folgerichtigen Entwicklung.

Das junge Reich, entstanden nach den Kriegen gegen Dänemark, Frank¬
reich, Österreich, angefeindet durch die katholische Welt ebenso wie durch die
eben erwachte slawische, war besonders feinfühlig in allen Dingen, die die
Sicherheit seiner Grenzen betrafen. Bismarck war sich sehr wohl bewußt, daß
das neue Deutschland nicht einen Freund hatte, der ihm seine Einigung gönnte.
-Er war daher um so mehr auf der Hut gegenüber allen Verbindungen, die
irgendwie den Stempel des Internationalismus trugen, mögen diese nun
uls Allerweltshumanität oder Klerikalismus oder Standesbewußtsein aufgetreten
-sein. Fürstlichkeiten und Magnaten waren dem preußischen Junker unter diesem
Gesichtspunkte ebenso verdächtig wie die Demokraten und Polen und die von
Rom ernannten Kirchendiener. Die damals im höchsten Maße berechtigte Sorge
zwang u. a. zum Kampf gegen den Ultramontanismus. Heute aber, wo wir dank
der Wachsamkeit in den 1870 er Jahren ein wohlbestelltes und bewahrtes Haus
haben, werden die letzten Gründe der damaligen Politik leicht übersehen; immer
häufiger hört man Kritik daran üben, und was damals sich notwendig aus der
-Gesamtlage ergab, wird als Fehler bezeichnet. Allerhand Bestrebungen mit
internationalen und allgemein menschlichen Gesichtspunkten dringen in den Vorder¬
grund und lassen die realen Bedürfnisse der Nation zurücktreten. Häufiger
und lauter hört man wieder die Äußerung: Die armen Polen! Die armen
Elsässer! Die armen Kongregationen! Der Staat schützt sogar das Eigentum solcher
Deutscher, die in ihrer Eigenschaft als Mitglieder des als staatsfeindlich verbotenen
Jesuitenordens außerhalb Deutschlands in Schwierigkeiten geraten! Gewiß, in dem
Kampfe um die Sicherheit unseres Staatswesens laufen Härten mit unter, wohl auch
Maßnahmen, die von den Betroffenen als Ungerechtigkeiten empfunden werden.
Ebenso gewiß wird aber auch niemals der Unterliegende der Ungerechtigkeit
angeklagt. Immer wird nur der Starke als der Ungerechte bezeichnet. Sollten
unsere Beamten lediglich um des recht zweifelhaften internationalen Ruhmes
der Schwachen willen die ihnen anvertraute Sicherheit des Reichs preisgeben?
In: Ernste wird das kein verständiger Politiker verlangen, selbst wenn er mit
einzelnen Maßnahmen der Landräte und Polizeiorgane nicht einverstanden
sein kann.

Zu denen, die Bismarcks Vorgehen gegen den Ultramontanismus am
beständigsten verurteilen, gehört naturgemäß die Zentrumspartei. Sie sucht
sich selbst als Opfer des "deutschen Liberalismus" hinzustellen und den Kampf,


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gräfliche Zentrumsmann zur Opposition, Heute ist seine Partei das Zünglein an
der Wage der Regierungspolitik. An: 4. Dezember 1874 konnte Bismarck unter
dem Beifall der Konsernatwen die leidenschaftliche Agitation der Ultramontanen
für das auf ihn verübte Attentat Kullmanns verantwortlich machen, — am
10. Dezember 1910 muß Bethmann Hollweg, ohne die Konservativen verletzen
W können, sagen: eine Politik unter Ausschaltung des Zentrums gebe es für ihn
uicht! <D, c>UÄL mutatio rerum! — Und doch nur das Ergebnis einer ganz
folgerichtigen Entwicklung.

Das junge Reich, entstanden nach den Kriegen gegen Dänemark, Frank¬
reich, Österreich, angefeindet durch die katholische Welt ebenso wie durch die
eben erwachte slawische, war besonders feinfühlig in allen Dingen, die die
Sicherheit seiner Grenzen betrafen. Bismarck war sich sehr wohl bewußt, daß
das neue Deutschland nicht einen Freund hatte, der ihm seine Einigung gönnte.
-Er war daher um so mehr auf der Hut gegenüber allen Verbindungen, die
irgendwie den Stempel des Internationalismus trugen, mögen diese nun
uls Allerweltshumanität oder Klerikalismus oder Standesbewußtsein aufgetreten
-sein. Fürstlichkeiten und Magnaten waren dem preußischen Junker unter diesem
Gesichtspunkte ebenso verdächtig wie die Demokraten und Polen und die von
Rom ernannten Kirchendiener. Die damals im höchsten Maße berechtigte Sorge
zwang u. a. zum Kampf gegen den Ultramontanismus. Heute aber, wo wir dank
der Wachsamkeit in den 1870 er Jahren ein wohlbestelltes und bewahrtes Haus
haben, werden die letzten Gründe der damaligen Politik leicht übersehen; immer
häufiger hört man Kritik daran üben, und was damals sich notwendig aus der
-Gesamtlage ergab, wird als Fehler bezeichnet. Allerhand Bestrebungen mit
internationalen und allgemein menschlichen Gesichtspunkten dringen in den Vorder¬
grund und lassen die realen Bedürfnisse der Nation zurücktreten. Häufiger
und lauter hört man wieder die Äußerung: Die armen Polen! Die armen
Elsässer! Die armen Kongregationen! Der Staat schützt sogar das Eigentum solcher
Deutscher, die in ihrer Eigenschaft als Mitglieder des als staatsfeindlich verbotenen
Jesuitenordens außerhalb Deutschlands in Schwierigkeiten geraten! Gewiß, in dem
Kampfe um die Sicherheit unseres Staatswesens laufen Härten mit unter, wohl auch
Maßnahmen, die von den Betroffenen als Ungerechtigkeiten empfunden werden.
Ebenso gewiß wird aber auch niemals der Unterliegende der Ungerechtigkeit
angeklagt. Immer wird nur der Starke als der Ungerechte bezeichnet. Sollten
unsere Beamten lediglich um des recht zweifelhaften internationalen Ruhmes
der Schwachen willen die ihnen anvertraute Sicherheit des Reichs preisgeben?
In: Ernste wird das kein verständiger Politiker verlangen, selbst wenn er mit
einzelnen Maßnahmen der Landräte und Polizeiorgane nicht einverstanden
sein kann.

Zu denen, die Bismarcks Vorgehen gegen den Ultramontanismus am
beständigsten verurteilen, gehört naturgemäß die Zentrumspartei. Sie sucht
sich selbst als Opfer des „deutschen Liberalismus" hinzustellen und den Kampf,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/60>, abgerufen am 24.07.2024.